TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/12 W255 2190227-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2019
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Entscheidungsdatum

12.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W255 2190227-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zl. 1072323004/150623957, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.08.2018 und 06.12.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 07.06.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike, Muslim und in der Provinz XXXX geboren zu sein. Der BF habe Afghanistan verlassen, da sein Onkel drogensüchtig sei und den BF immer wieder geschlagen und schlecht behandelt habe. Sonst habe er keine Fluchtgründe.

1.3. Am 16.11.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er verwirrt gewesen sei, als er nach Österreich gekommen sei und nicht gewusst habe, was er über seine Familie und seinen Fluchtgrund sage. Der BF sei in der Provinz XXXX auf die Welt gekommen, sei in die Schule gegangen und habe mit seinem Bruder, der als Mechaniker gearbeitet habe, zusammengearbeitet. Der BF sei von den Taliban aufgegriffen worden. Er wisse nicht mehr, was passiert sei, als sie ihn entführt hätten. Er glaube, er sei ein bis zwei Tage in einem Haus festgehalten worden. Dann sei sein Bruder gekommen und habe ihn befreit. Warum er entführt worden sei, wisse der BF nicht.

Der BF sei in weiterer Folge mit seinen Eltern in den Iran gezogen, als er ca. neun Jahre alt gewesen sei.

Der BF und vier seiner fünf Brüder würden sich in Österreich befinden, der fünfte Bruder in Kabul, Afghanistan.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* Schulbesuchsbestätigung der XXXX vom 08.07.2016;

* A1-Kursbesuchsbestätigung der XXXX vom 30.01.2017;

* " XXXX "-Teilnahmebestätigung der XXXX vom 10.07.2017.

1.4. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 16.02.2018, Zl. 1072323004/150623957, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

1.5. Gegen den unter Punkt 1.4. genannten Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin gab der BF an, dass er in Afghanistan geboren und mit neun Jahren in den Iran geflüchtet sei. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er dort verfolgt werde und über keine sozialen Kontakte verfüge. Sein Heimatdorf in der Provinz XXXX stehe unter Einfluss der Taliban. Der BF sei als Kind von den Taliban entführt worden und laufe bei einer möglichen Rückkehr Gefahr, von diesen wieder verfolgt zu werden. Der BF habe sich seit seiner Ankunft in Österreich im Jahr 2015 an die österreichische Gesellschaft angepasst und deren Freiheiten angenommen. Auch der Umstand, dass er sich im Westen aufgehalten habe, würde ihn aufgrund einer unterstellten politischen Einstellung oder einem unterstellten Werteabfall zur Zielscheibe von Übergriffen in Afghanistan machen können.

1.6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 23.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.7. Mit Schreiben vom 06.06.2018 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.8. Mit Schreiben vom 28.08.2018 nahm der BF zu den am 06.06.2018 durch das Bundesverwaltungsgericht übermittelten Länderfeststellungen Stellung und brachte insbesondere die Gefährdung einer Verfolgung durch die Taliban vor. Weiters wurde insb auf das Gutachten von Friederike Stahlmann und das Urteil des französischen Cour natinale du droit dásile (CNDA) vom März 2018 verwiesen.

1.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.08.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, dass er in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , geboren sei und im Alter von neun Jahren Afghanistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen habe. Der BF sei von der Schule zu einem Geschäft unterwegs gewesen, als er von vier bewaffneten Personen entführt worden sei. Sie hätten ihn in ein Haus gebracht und einen Tag dortbehalten, bis der Bruder des BF gekommen sei und den BF zurückgeholt habe. Konkret seien die Taliban am nächsten Morgen plötzlich für ca. 3 bis 4 Stunden verschwunden und der Bruder des BF sei gekommen. Der BF wisse nicht, wie sein Bruder ihn finden habe können. Er habe seinen Bruder auch nicht danach gefragt. Der BF wisse nicht, ob seine Familie irgendein Problem mit den Taliban gehabt habe oder nicht. Die Taliban hätten dem BF gesagt, dass sie keine Probleme mit ihm hätten, sondern nur mit seiner Familie. Sie hätten ihn entführt, um seine Familie bedrohen zu können. Ca. 3 Wochen oder einen Monat nach diesem Vorfall sei die Familie des BF (der BF, seine Eltern und vier seiner Brüder) in den Iran gereist, ein Bruder sei in Kabul geblieben. Warum dieser Bruder nach Kabul gefahren sei, wisse der BF nicht.

Der BF habe ca. fünf Jahre im Iran gelebt und gearbeitet. Im Jahr 2015 habe der BF den Iran verlassen und sei nach Österreich gereist, da er im Iran die Schule nicht besuchen und nicht frei arbeiten habe dürfen. Auch die vier anderen im Iran lebenden Brüder des BF seien vom Iran nach Österreich gereist und hätten hier Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Einer der Brüder des BF sei seit vier Monaten (wieder) im Iran, um die Eltern des BF zu suchen.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* " XXXX "-Teilnahmebestätigung XXXX ;

* Alphabetisierungskurs-Teilnahmebestätigung des XXXX vom 11.12.2017;

* Lehrgang "Bildung für Jugendliche"-Teilnahmebestätigung des XXXX vom 23.04.2018;

* Schriftliche Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertreterin des BF vom 28.08.2018, in der diese zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stellung bezog.

1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Rechtsvertreterin eine (weitere) öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung wurden zwei Brüder des BF als Zeugen einvernommen. Der BF gab an, dass sich einer seiner Brüder, der ebenfalls als Zeuge geladen wurde und die Ladung nicht behoben hat, seit sechs Monaten im Iran aufhalte und der BF nichts mehr von ihm wisse. Dieser Bruder habe die Familie im Iran suchen wollen.

Der BF habe Afghanistan wegen der Taliban verlassen. Sie hätten ihn einmal am Weg von der Schule nach Hause abgepasst und mitgenommen. Sie hätten zum BF gesagt, dass sie keine Probleme mit ihm hätten, sondern nur mit seiner Familie. Dann sei ein Bruder des BF gekommen und habe den BF befreit. Der BF wisse nicht, wie ihn sein Bruder befreien habe können, er habe ihn nicht gefragt. Die Taliban seien gerade nicht anwesend gewesen, als der Bruder des BF den BF befreit habe. Der BF wisse nicht, wer aus seiner Familie aus welchem Grund Probleme mit den Taliban gehabt habe. Der BF wolle nicht nach Afghanistan zurückkehren, da dort Krieg herrsche und er keine Familie in Afghanistan habe.

XXXX , Bruder des BF, gab als Zeuge befragt an, dass die Familie in Afghanistan eine Autowerkstatt gehabt habe. Einmal seien die Taliban gekommen und hätten ihr Auto dort reparieren lassen. Danach seien die Taliban gekommen und hätten den Bruder XXXX aufgefordert, für sie zu arbeiten. XXXX habe sich geweigert, deshalb sei der BF zwei oder drei Tage später auf dem Schulweg entführt worden. XXXX habe den BF befreit und nach Hause gebracht. XXXX sei bei den Taliban geblieben und habe als Automechaniker für sie gearbeitet. Nach drei oder vier Wochen sei er geflüchtet. XXXX habe in dieser Zeit alleine in der Werkstatt gearbeitet. Drei bis vier bewaffnete Personen seien in die Werkstatt gekommen und hätten ihn geschlagen. XXXX sei nach Kabul geflüchtet.

Nach ein paar Tagen sei XXXX nach Hause gekommen und die Familie habe alles verkauft und sei in den Iran geflüchtet.

XXXX , Bruder des BF, gab als Zeuge befragt an, dass er acht Jahre alt gewesen sei, als die Familie Afghanistan verlassen habe und er deshalb nichts über die Fluchtgründe wisse. Er habe seine Geschwister und Eltern nie gefragt, warum die Familie Afghanistan verlassen habe. Er habe keine Zeit dafür gehabt. Er wisse auch nicht, warum sein Bruder XXXX Österreich zwischenzeitlich wieder verlassen habe.

Im Zuge der Verhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan (aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 23.11.2018 und zwei Anfragebeantwortungen von ACCORD und Staatendokumentation zur Situation in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 und 13.09.2018) in das Verfahren eingebracht und dem BF die Möglichkeit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

1.11. Mit Schreiben vom 18.12.2018 nahm der BF zu den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen Stellung und wies insbesondere auf die anhaltende Dürre in der Provinz Balkh hin. Der BF benötige internationalen Schutz aufgrund der Verfolgungshandlungen seitens der Taliban. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei für ihn unzumutbar. Aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage wäre der BF mit nicht hinnehmbaren Härten konfrontiert.

1.12. Mit Schreiben vom 21.12.2018 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht ein ÖSD Zertifikat A1.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 30.08.2018 und 06.12.2018, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt betreffend den BF und die Verwaltungsakte betreffend die Brüder des BF XXXX (W145 1428671-1), XXXX (W134 2196411-1), XXXX (W241 2138941-1 und W120 2209726-1) und XXXX (W241 2139840-1), das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren. Der BF ist in der Provinz XXXX gemeinsam mit seinen Eltern, fünf Brüdern und einer Schwester aufgewachsen und hat dort die Schule besucht. Im Alter von neun Jahren übersiedelte der BF mit seinen Eltern, vier der fünf Brüder und der Schwester in den Iran, wo sich die Familie in Teheran niederließ.

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.

2.1.3. Der BF besuchte in Afghanistan die Grundschule und verrichtete im Iran über mehrere Jahre Hilfstätigkeiten bzw. Gelegenheitsarbeiten, wie z.B. den Verkauf von Zubehör für Taschen.

2.1.4. Der BF ist gesund, ledig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter.

2.1.5. Die Eltern und die Schwester des BF leben in Teheran, Iran.

2.1.6. Ein Onkel väterlicherseits des BF lebt in Mazar-e Sharif, ein Onkel mütterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits des BF leben in Kabul, Afghanistan. Ein Onkel väterlicherseits des BF lebt in der Republik Tschechien.

2.1.7. XXXX , einer der fünf Brüder des BF, lebt in Kabul.

2.1.8. XXXX , geb. XXXX , Bruder des BF, stellte am 02.04.2012 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 10.11.2015, Zl. 820394509-1474574, wurde XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.11.2016 erteilt. Mit Bescheid des BFA vom 19.10.2016, Zl. 820394509-1474574, wurde XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.11.2018 erteilt. XXXX befindet sich zum Entscheidungszeitpunkt im Iran. Er hat Österreich im Oktober 2018 verlassen. Er war zuletzt vom 30.01.2018 bis 24.10.2018 mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet, wo er mit 24.10.2018 abgemeldet wurde. Seither verfügt er über keine aufrechte Meldung im österreichischen Bundesgebiet. Der BF und XXXX haben in Österreich nie über einen gemeinsamen Wohnsitz verfügt.

2.1.9. XXXX , geb. XXXX , Bruder des BF, stellte am 24.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 23.10.2018, Zl. 1103252005-160121266, wurde der Antrag von XXXX sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, abgewiesen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen. Gegen den Bescheid des BFA vom 23.10.2018 erhob XXXX Beschwerde. Das Beschwerdeverfahren ist beim Bundesverwaltungsgericht zur GZ W120 2209726-1 anhängig.

XXXX lebt in XXXX . Der BF und XXXX haben in Österreich nie über einen gemeinsamen Wohnsitz verfügt. Der BF telefoniert hin und wieder mit seinem Bruder und trifft diesen alle ein- bis zwei Monate.

2.1.10. XXXX , geb. XXXX , Bruder des BF, stellte am 01.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 27.04.2018, Zl. 1097387501-151910261, wurde der Antrag von XXXX sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, abgewiesen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, eine Rückkehrentscheidung und ein unbefristetes Einreiseverbot gegen ihn erlassen. Gegen den Bescheid des BFA vom 27.04.2018 erhob XXXX Beschwerde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.07.2018, GZ W134 2196411-1/8E, wurde die Beschwerde von XXXX mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab dem Zeitpunkt der Enthaftung beträgt. XXXX befindet sich seit 13.05.2017 durchgehend in Haft und ist derzeit in der Justizanstalt XXXX untergebracht. Der BF und XXXX haben in Österreich nie über einen gemeinsamen Wohnsitz verfügt. Der BF hält keinen Kontakt zu XXXX .

2.1.11. XXXX , geb. XXXX , Bruder des BF, stellte am 24.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 14.05.2018, Zl. 1103253100-160120685, wurde XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.05.2019 erteilt. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten für XXXX wurde insbesondere damit begründet, dass dieser an "gesundheitlichen Beeinträchtigungen, chronischer Spannungskopfschmerz und leichtgradige Intelligenzminderung" leide. XXXX lebt in XXXX , nahe/im XXXX . Der BF und XXXX haben in Österreich von 16.02.2017 bis 18.09.2017 in derselben Unterkunft in XXXX gelebt. Der BF telefoniert hin und wieder mit seinem Bruder und trifft diesen alle ein- bis zwei Monate.

2.1.12. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 06.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er lebt zum Entscheidungszeitpunkt in XXXX , in XXXX .

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF besuchte vom 23.11.2015 bis 08.07.2016 die XXXX Im laufenden Schuljahr 2018/2019 besucht er die Schule nicht, da seine Deutschkenntnisse hierfür laut seiner eigenen Einschätzung nicht ausreichen.

2.2.2. Der BF besuchte von 21.11.2016 bis 30.01.2017 die Bildungsveranstaltung "Deutsch A1 Teil 2 für AsylwerberInnen" und von 30.10.2017 bis 11.12.2017 die Bildungsveranstaltung "Alphabetisierung Deutsch als Fremd-/Zweitsprache-Integrationskurs".

2.2.3. Der BF bestand am 01.12.2018 die Deutschprüfung auf A1 Niveau.

2.2.4. Der BF nahm am 10.07.2017 am " XXXX " teil. Der BF nahm vom 29.01.2018 bis 23.04.2018 am Lehrgang "Bildung für junge Flüchtlinge" teil. Der BF nahm am 14.03.2018 an der Veranstaltung " XXXX " des XXXX teil. 2.2.5. Der BF spielt in seiner Freizeit Fußball und Volleyball.

2.2.6. Der BF hat sich bisher in Österreich nie ehrenamtlich betätigt und ist bisher keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er verfügt nicht über den eigenen Lebensbedarf deckende finanzielle Mittel.

2.2.7. Der BF bezieht seit seiner Ankunft in Österreich durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung.

2.2.8. Der BF verfügt über keine weiteren als den unter 2.1.8. bis 2.1.11 sowie 2.2.1. bis 2.2.7. dargestellten familiären und sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.9. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.2. Zu den Fluchtgründen des BF und einer Rückkehr nach Afghanistan:

2.3.1. Der BF verließ Afghanistan im Alter von neun Jahren gemeinsam mit seinen Eltern, vier seiner Brüder und seiner Schwester und ließ sich im Iran nieder. Der Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates Afghanistan konnte nicht festgestellt werden.

2.3.2. Im Jahr 2015 verließ der BF den Iran, da er dort illegal aufhältig war und sich in Österreich bessere Zukunftschancen (insb Bildung) erhoffte.

2.3.2. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er und/oder Verwandte von ihm in Afghanistan durch die Taliban entführt oder anderwärtig verfolgt wurden. Der BF war in Afghanistan keiner physischen und/oder psychischen Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen durch Mitglieder der Taliban ausgesetzt. Der BF wäre in Afghanistan im Falle der Rückkehr keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung durch Mitglieder der Taliban ausgesetzt.

2.3.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF über eine "westliche Lebensausrichtung", die der konservativ-islamischen Gesellschaftsordnung widerspricht, verfügt. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine "westliche Lebensführung" bzw. "westliche Lebensausrichtung" zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität des BF geworden ist. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich knapp 4 Jahre in Europa aufgehalten und hier - unterstelltermaßen - eine "westliche Wertehaltung" angenommen hat, bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

2.3.4. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

2.3.5. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

2.3.6. Der BF wäre im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.3.7. Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, mobil, arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er verfügt über Schulbildung und mehrjährige Berufserfahrung in Afghanistan. Er wuchs in XXXX in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Angesichts seiner Bildung, seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Bruder des BF, Onkel und Tanten des BF leben in Afghanistan; seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester im Iran. Verwandte des BF wären in der Lage, den BF zumindest vorübergehend finanziell zu unterstützen. In einer Gesamtbetrachtung sind Herat und Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.3.8. Im Falle der Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 23.11.2018:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

2.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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