Entscheidungsdatum
12.04.2019Norm
AsylG 2005 §54Spruch
W192 1241266-2/5E
W192 1241267-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , beide StA. Georgien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zahlen: 1.) 242811309-180410068, und 2.) 242811102-180410041, zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. wird gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 1 Z.1 und 4, 57 AsylG 2005 i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.
II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte V. bis VII. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung jeweils gemäß § 52 FPG 2005 i.d.g.F. iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG i.d.g.F, auf Dauer unzulässig ist. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Verfahren über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
1.1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer, ein Ehepaar georgischer Staatsangehörigkeit, reisten im März 2003 gemeinsam mit ihrer Tochter illegal in das Bundesgebiet ein und beantragten beim damaligen Bundesasylamt die Gewährung von Asyl. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 04.08.2003, Zahlen 03 08.202-BAG und 03.08.204-BAG, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, unter einem wurde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 AsylG 1997 festgestellt.
1.2. Mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 23.06.2005 wurden die gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen hinsichtlich deren Spruchpunkten I. gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Den Berufungen gegen die Spruchpunkte II. wurde Folge gegeben und gemäß § 8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Georgien nicht zulässig ist und den Genannten gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 AsylG 1997 eine zunächst bis 15.06.2006 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werde.
Als entscheidungsrelevanter Sachverhalt wurde jenen Entscheidungen im Wesentlichen zugrunde gelegt, dass der als Chauffeur für Linienkleinbusse arbeitende Bruder der Erstbeschwerdeführerin seit August 2001 als vermisst gegolten hätte und eine Vermisstenmeldung auch im Fernsehen ausgestrahlt worden wäre. Am 20.09.2001 sei die Leiche des Bruders der Erstbeschwerdeführerin in einem näher bezeichneten Ort aufgefunden worden, wobei eine Obduktion ergeben hätte, dass das Opfer vor seinem Tod misshandelt und vergewaltigt worden wäre. Die Täter seien bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht ermittelt worden. Der damals als Taxifahrer tätig gewesene Zweitbeschwerdeführer sei am 20.10.2001 von zwei Fahrgästen von hinten mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen, aus dem Auto gezerrt, zusammengeschlagen und seiner Dokumente, seines Geldes und des Taxis beraubt worden. Nachdem er mehrere Stunden hilflos auf der Straße gelegen hätte, sei er von einem anderen Taxifahrer nach Hause gebracht worden. Aufgrund der Drohung der Täter, dass sie sich im Fall der Anzeigeerstattung bei der Polizei an der Tochter der beschwerdeführenden Parteien rächen würden, habe der Zweitbeschwerdeführer von einer solchen abgesehen.
In rechtlicher Hinsicht wurde im Wesentlichen gefolgert, dass sowohl der Tötung des Bruders der Erstbeschwerdeführerin als auch dem Überfall auf den Zweitbeschwerdeführer zufolge den ausdrücklichen Angaben der Beschwerdeführer rein kriminelle (finanzielle) Motive zugrunde gelegen hätten, sodass ein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsründe nicht vorliege. Ebensowenig hätten sich Hinweise auf eine gezielte Verfolgung der beschwerdeführenden Parteien aufgrund ihrer jesidischen Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit ergeben. Da ein asylrelevanter Sachverhalt demnach nicht vorliege, sei die Beschwerde gegen die Spruchteile I. der angefochtenen Bescheide abzuweisen gewesen. Nach dem glaubwürdigen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien und in Anbetracht der im Länderberichtsmaterial dokumentierten und geradezu notorischen Situation, einer in Georgien äußerst weit verbreiteten Korruption staatlicher Organe und enger Verbindungen zwischen (auch höchsten) Politikern und der organisierten Kriminalität, sei im vorliegenden Fall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu verneinen, dass den beschwerdeführenden Parteien in Bezug auf die behauptete Bedrohung staatlicher Schutz zu Teil werden würde. In Anbetracht des Umstandes, dass eine rasche Änderung dieser maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Verhältnisse kurzfristig nicht zu erwarten wäre, sei ein Refoulement-Verbot auszusprechen und eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der gesetzlichen Dauer zu erteilen gewesen.
Mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.05.2007 wurde die Behandlung einer Beschwerde gegen den abweisenden Ausspruch gemäß § 7 AsylG 1997 abgelehnt.
1.3. Die den beschwerdeführenden Parteien erteilten Aufenthaltsberechtigungen wurden in der Folge regelmäßig gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert, zuletzt wurde diesen mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2016 eine jeweils bis 12.05.2018 gültige Aufenthaltsberechtigung erteilt.
1.4. Mit am 11.04.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangten Schreiben vom 06.04.2018 beantragten die beschwerdeführenden Parteien die Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung um weitere zwei Jahre.
2. Gegenständliches Verfahren über die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
2.1. Mit Schreiben vom 30.04.2018 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die beschwerdeführenden Parteien über die beabsichtigte Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, da die Gründe, welche zur Zuerkennung des Status geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Unter einem wurden die beschwerdeführenden Parteien aufgefordert, binnen Frist schriftlich zu den seitens der Behörde herangezogenen Berichten zur aktuellen Lage in Georgien sowie zu näher aufgelisteten Aspekten ihres Privat- und Familienlebens in Österreich Stellung zu beziehen.
Im Rahmen einer mit Unterstützung der im Bundesgebiet aufhältigen volljährigen Tochter der beschwerdeführenden Parteien abgefassten handschriftlichen Stellungnahme vom 09.05.2018 wurde zusammengefasst ausgeführt, im Bundesgebiet hielten sich die Tochter der beschwerdeführenden Parteien sowie deren Mann und vier Enkelkinder auf. Die beschwerdeführenden Parteien würden die deutsche Sprache beherrschen und im Alltagsleben gebrauchen. Die Erstbeschwerdeführerin sei dem AMS arbeitssuchend gemeldet und habe trotz Erreichens des Pensionsantrittsalters im Jahr 2016 bis Ende September 2017 gearbeitet. Der Zweitbeschwerdeführer könne aufgrund starker gesundheitlicher Probleme nicht arbeiten und bemühe sich, im Haushalt zu helfen. Die Erstbeschwerdeführerin habe zunächst beim Bügelservice und von März 2013 bis September 2017 als Servicefrau in einem Asylheim gearbeitet. Die beschwerdeführenden Parteien befänden sich seit dem Jahr 2003 in Österreich, das Land sei zu ihrer Heimat geworden. Auch seien sie durch ihre Tochter und deren Familie, welche seit 2011 die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen würden, an Österreich gebunden. Ihre Tochter arbeite als Pflegeassistentin sowie als Dolmetscherin, die Enkelkinder würden hier das Gymnasium besuchen. Die Leute, welche damals den Bruder der Erstbeschwerdeführerin getötet und den Zweitbeschwerdeführer geschlagen hätten, seien immer noch auf freiem Fuß und sie hätten schreckliche Angst, wieder nach Georgien zurückzukehren. Über das Internet würden sie erfahren, dass in Georgien weiterhin Einbrüche, Korruption und Entführungen stattfänden.
Beiliegend übermittelt wurden ein ärztlicher Entlassungsbrief betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom 01.05.2018, aus dem sich die Diagnosen Niereninsuffizienz V, N18.5, arterielle Hypertonie I10, Typ 2 Diabetes mellitus (nicht insulinpflichtig), E11.9, benigne Prostatahyperplasie N40, Pankreaszyste K86.2, NSAR-Allergie - St.p. anaphylaktischer Schock auf NSAR, ergeben, sowie ein Befundbericht einer Fachärztin für Lungenheilkunde vom 08.05.2018.
2.2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der den beschwerdeführenden Parteien jeweils mit Bescheiden vom 23.06.2005 zuerkannte Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkte I.) und die ihnen mit Bescheiden vom 23.06.2005 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkte II.). Weiters wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte III.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte IV.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkte V.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte VI.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte VII.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte den angefochtenen Bescheiden - neben umfangreichen Feststellungen zur Situation in Georgien - zugrunde, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um Staatsangehörige Georgiens, Angehörige der Volksgruppe der Kurden/Jesiden sowie der Religion der Feueranbeter handle. Den beschwerdeführenden Parteien sei der Status von subsidiär Schutzberechtigten durch Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenates aus Juni 2005 zugesprochen worden, da ausreichender Schutz durch die Organe des Herkunftsstaates zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen wäre. Die Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung wäre vor dem Hintergrund erfolgt, dass sich die beschwerdeführenden Parteien in Österreich ein neues Leben aufgebaut, sich in die Gesellschaft integriert hätten und in Österreich mit ihrer Tochter in Sicherheit leben hätten wollen. Seit Februar 2016 werde Georgien als sicheres Herkunftsland angesehen, weshalb einer Rückkehr nichts entgegenstünde. Medizinische Gesundheitsversorgung sei für alle georgischen Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung kostenlos gewährleistet. Der Sachverhalt, welcher zur Zuerkennung subsidiären Schutzes geführt hätte, läge nicht mehr vor. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Rückkehr nach Georgien in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Es stünde den beschwerdeführenden Parteien offen, sich an die zahlreich im Herkunftsstaat fungierenden Hilfsorganisationen zu wenden und Leistungen aus dem dortigen Sozialsystem in Anspruch zu nehmen. Die Erstbeschwerdeführerin würde die deutsche Sprache marginal beherrschen, hätte ihren Aufenthalt in Österreich für die Teilnahme an Deutschkursen genutzt und in diversen Branchen gearbeitet. Gemeinnützige Arbeiten oder Mitgliedschaft in Vereinen hätte sie nicht angegeben. Die Behörde ginge davon aus, dass das allgemeine Engagement bei Integrationsmaßnahmen noch lange keine vollwertige Integration in die österreichische Gesellschaft bedeute, desweiteren hätte die Erstbeschwerdeführerin durchaus die Möglichkeit, das in Österreich Gelernte in ihrem Herkunftsstaat zu nutzen. Der Zweitbeschwerdeführer würde die deutsche Sprache "nicht gut" beherrschen und hätte keine gemeinnützige Arbeit oder Tätigkeit für einen Verein ins Treffen geführt. Die beschwerdeführenden Parteien hätten zwar angegeben, von ihrer in Österreich lebenden Tochter finanziell unterstützt zu werden, doch könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Abhängigkeitsverhältnis bestünde, da die Tochter für vier Kinder sorgen müsste. Die beschwerdeführenden Parteien wären auch nicht gezwungen, den Kontakt zur Tochter und deren Familie nach einer Rückkehr nach Georgien abzubrechen. Die beschwerdeführenden Parteien seien illegal ins Bundesgebiet eingereist und lediglich aufgrund des subsidiären Schutzes zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Es hätte ihnen bewusst sein müssen, dass ein subsidiärer Schutz keine lebenslange Aufenthaltsberechtigung darstelle; zudem hätte ihnen die Möglichkeit offen gestanden, nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Österreich einen Antrag bei der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde zu stellen, was die beschwerdeführenden Parteien bis dato nicht getan hätten. Aufgrund der angeführten Umstände stelle eine Ausweisung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben dar.
2.3. Gegen die dargestellten Bescheide wurde durch den nunmehrigen Vertreter der beschwerdeführenden Parteien mit Schriftsatz vom 25.06.2018 die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht, in welcher ausgeführt wurde, die Behörde habe sich im Rahmen der angefochtenen Bescheide weder mit den bei den beschwerdeführenden Parteien konkret vorliegenden Erkrankungen, noch mit dem Zugang zur konkret benötigten medizinischen Behandlung im Herkunftsstaat ausreichend auseinandergesetzt. Die Behörde sei auch nicht auf die für die beschwerdeführenden Parteien fluchtkausalen Probleme eingegangen und habe unberücksichtigt gelassen, dass die beschwerdeführenden Parteien im Heimatland über keine sozialen und familiären Anknüpfungspunkte mehr verfügen würden. Auf welcher Grundlage die Annahme der Behörde resultiere, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der susbsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen bzw. Georgien als sicheres Herkunftsland angesehen werde, sei den bekämpften Bescheiden nicht zu entnehmen. Mag auch eine Grundversorgung im Heimatland gegeben sein, hätte sich die belangte Behörde dennoch mit der konkreten gesundheitlichen Problematik auseinandersetzen müssen, auch im Hinblick auf die Verschlechterung des (psychischen) Gesundheitszustandes im Fall der Notwendigkeit einer Rückkehr. Die Erstbeschwerdeführerin leide an Gastritis, sekundären Hyperparathyreoidismus, Refluxösophagitis, Hiatushernie, Hashimoto-Thyreoiditis, Depressionen, arterieller Hypertonie, Adipositas permagna sowie Glukosetoleranzstörung und müsse diverse Medikamente konsumieren. Der Zweitbeschwerdeführer leide an Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie, NINS V., Prostatahyperplasie, Pankreaszysten sowie NSAR-Allergie und müsse ebenfalls eine Vielzahl an Medikamenten konsumieren. Durch die gegenständlichen Entscheidungen werde zudem massiv in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der beschwerdeführenden Parteien eingegriffen. Entgegen den Ausführungen der Behörde würden die beschwerdeführenden Parteien die deutsche Sprache ausreichend beherrschen, sodass ihnen eine Verständigung im Alltag möglich wäre. Zudem bestehe eine enge Bindung zur in Österreich lebenden Tochter der beschwerdeführenden Parteien und deren Familie. Die belangte Behörde begnüge sich mit Textbausteinen, ohne auf das Vorbringen sowie die Stellungnahme der beschwerdeführenden Parteien einzugehen. Die beschwerdeführenden Parteien bedürften auch selbst der Betreuung durch die Tochter, würden äußerst wichtige Bezugspersonen für die in Österreich lebenden Enkelkinder darstellen und würden der Tochter die Möglichkeit eröffnen, "trotz" vierer Kinder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Korruption stelle in Georgien gemäß den vorliegenden Länderberichten weiterhin ein Problem dar, wenn auch entsprechende Schritte von staatlicher Seite gesetzt worden sein mögen. Die beschwerdeführenden Parteien hätten sich während ihres Aufenthalts ordnungsgemäß verhalten, die Erstbeschwerdeführerin sei entsprechend ihrer Möglichkeiten Erwerbstätigkeiten nachgegangen.
Der Beschwerde beiliegend wurden ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen sowie Schreiben zur Veranschaulichung des zwischen den beschwerdeführenden Parteien und deren in Österreich lebender Tochter und Enkelkindern bestehenden Unterstützungsverhältnisses übermittelt.
Mit Eingabe vom 19.07.2018 wurden weitere medizinische Unterlagen betreffen die beschwerdeführenden Parteien in Vorlage gebracht.
3. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L518 abgenommen und der Gerichtsabteilung W192 neu zugewiesen.
Mit Eingabe vom 28.03.2019 wurden radiologische Befunde betreffend die Erstbeschwerdeführerin in Vorlage gebracht.
Mit Eingabe vom 27.02.2019 langte ein durch die Tochter der beschwerdeführenden Parteien verfasstes Unterstützungsschreiben ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Staatsangehörige Georgiens, welche die im Spruch ersichtlichen Personalien führen, der jesidischen/kurdischen Volksgruppe angehören und sich zur Religion der Sonnenanbeter bekennen.
Die beschwerdeführenden Parteien befinden sich nach illegaler Einreise seit März 2003 durchgehend im Bundesgebiet, verfügten zunächst über vorläufige Aufenthaltsberechtigungen als Asylwerber und hielten sich seit Juni 2005 auf Grundlage von Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die beschwerdeführenden Parteien resultiert aus den Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 23.06.2015, welchen im Wesentlichen zugrunde gelegt wurde, dass die beschwerdeführenden Parteien in Bezug auf eine glaubhaft geschilderte im Vorfeld der Ausreise erfolgte Bedrohung durch kriminelle Privatpersonen aufgrund der damals notorischen Lage im Herkunftsstaat, insbesondere der weit verbreiteten Korruption, keinen ausreichenden Schutz durch die dortigen Sicherheitsbehörden hätten erwarten können.
1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien zum Entscheidungszeitpunkt in Zusammenhang mit den als ausreisekausal geschilderten Vorfällen (Ermordung des Bruders der Erstbeschwerdeführerin sowie Überfall auf den Zweitbeschwerdeführer jeweils durch unbekannte Täter) - welche mittlerweile achtzehn Jahre zurückliegen und denen eine rein kriminelle Motivation zugrunde gelegen hat - im Falle einer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit zu befürchten haben. Selbst im Falle einer tatsächlichen (neuerlichen) Bedrohung durch kriminelle Privatpersonen stünde es den beschwerdeführenden Parteien offen, die staatlichen Schutzmechanismen Georgiens in Anspruch zu nehmen. Die Situation im Herkunftsstaat, insbesondere die Funktion des dortigen Sicherheitsapparats und die vorhandenen Rechtschutzmöglichkeiten, unterscheidet sich grundlegend von jener, die anlässlich der Gewährung von subsidiärem Schutz an die beschwerdeführenden Parteien in der Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde gelegt wurde.
Die Erstbeschwerdeführerin leidet Gastritis, sekundären Hyperparathyreoidismus, Refluxösophagitis, Hiatushernie, Hashimoto-Thyreoiditis, Depressionen, arterieller Hypertonie, Adipositas permagna sowie Glukosetoleranzstörung. Bei der Erstbeschwerdeführerin liegt kein schwerwiegender respektive lebensbedrohlicher Krankheitszustand vor, sie befindet sich nicht in stationärer Behandlung und ist nicht pflegebedürftig. Beim Zweitbeschwerdeführer bestehen eine Niereninsuffizienz V, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 (nicht insulinpflichtig), benigne Prostatahyperplasie, eine Pankreaszyste sowie eine NSAR-Allergie. Beim Zweitbeschwerdeführer liegt ebenfalls kein lebensbedrohlicher Erkrankungszustand vor, er befindet sich nicht in stationärer Behandlung.
In Georgien bestehen zugängliche Behandlungsmöglichkeiten für die bei den beschwerdeführenden Parteien vorliegenden Krankheitsbilder, sodass diesen auch in Georgien die Möglichkeit einer Fortführung ihrer Behandlung grundsätzlich offen stehen würde. Die beschwerdeführenden Parteien liefen in Georgien jeweils nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation der beschwerdeführenden Parteien - auch unter Berücksichtigung künftig notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten - als derart desolat erweisen würde, als dass die beschwerdeführenden Parteien, welche durch ihre im Bundesgebiet lebende Tochter und ihren Schwiegersohn finanziell unterstützt werden könnten, real Gefahr liefen, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.
1.3. In Österreich leben die im Jahr 2003 gemeinsam mit ihren Eltern ins Bundesgebiet eingereiste volljährige Tochter, der Schwiegersohn und vier minderjährige Enkelkinder der beschwerdeführenden Parteien, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Zwischen den beschwerdeführenden Parteien und der Familie ihrer Tochter liegt ein enger familiärer Kontakt vor, welcher durch gegenseitige Unterstützung im Alltag geprägt ist. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer haben die deutsche Sprache in einem Ausmaß erlernt, welches es ihnen ermöglicht, ihr Alltagsleben in Österreich eigenständig zu bestreiten. Die beschwerdeführenden Parteien verfügten während der gesamten Aufenthaltsdauer über eine behördliche Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet. Die 63-jährige Erstbeschwerdeführerin hat sich während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet bemüht gezeigt, den Lebensunterhalt für sich und den Zweitbeschwerdeführer durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Bereits während des anhängigen Asylverfahrens war sie als Köchin in ihrer Unterkunft tätig, zuletzt ist sie zwischen März 2013 bis September 2017 einer Arbeit als Servicekraft in einer Grundversorgungseinrichtung nachgegangen. Dem 68-jährigen Zweitbeschwerdeführer ist in Anbetracht seines Alters und der oben dargestellten gesundheitlichen Einschränkungen eine eigenständige Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht möglich.
Die Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten. Der Zweitbeschwerdeführer weist eine aus Oktober 2017 stammende Vorstrafe wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB auf. Der Verurteilung durch ein Bezirksgericht zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 120 Tagsätzen à EUR 4,-, im Uneinbringlichkeitsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, lag zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer im Zuge einer Amtshandlung durch einen Polizeibeamten einen gefälschten georgischen Reisepass vorgewiesen hatte; im Zuge der Strafbemessungsgründe wurden das reumütige Geständnis sowie die bisherige Unbescholtenheit als mildernd gewertet, erschwerende Gründe wurden nicht angeführt.
Die Beschwerdeführer waren seit ihrer Ausreise im Jahr 2002 nicht mehr im Herkunftsstaat und verfügen dort über kein soziales Netz mehr. Die beschwerdeführenden Parteien konnten glaubhaft darlegen, dass ihr Lebensmittelpunkt nunmehr in Österreich liegt.
Es kann nicht erkannt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien die Dauer ihres mittlerweile mehr als sechzehnjährigen, rechtmäßigen, Aufenthalts im Bundesgebiet überhaupt nicht zur Integration genutzt hätten oder durch einen weiteren Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit entstehen würde.
1.4. Zum Herkunftsstaat:
Politische Lage
In Georgien leben mit Stand 1.1.2016 laut georgischem Statistikamt 3,72 Mio. Menschen. 2014 waren es noch rund 4,49 Mio. Menschen auf
69.700 km² (GeoStat 2017).
Georgien ist eine demokratische Republik. Das politische System hat sich durch die Verfassungsreform 2013 von einer semi-präsidentiellen zu einer parlamentarischen Demokratie gewandelt, (AA 11.2016a). Staatspräsident ist seit 17.11.2013 Giorgi Margvelashvili (RFE/RL 17.11.2013). Regierungschef ist seit dem überraschenden Rücktritt von Irakli Garibaschwili Giorgi Kvirikashvili (seit 29.12.2015) (RFE/RL 29.12.2015). Beide gehören der Partei bzw. dem Parteienbündnis "Georgischer Traum" an.
Georgien besitzt ein Einkammerparlament mit 150 Sitzen, das durch eine Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht für vier Jahre gewählt wird. Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei, "Georgischer Traum", sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze im Parlament gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).
Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR u.a. 30.10.2016). Transparency International - Georgia beurteilte den Wahlgang als ruhig. Obgleich 70 relativ ernsthafte prozedurale Verstöße festgestellt wurden, hatten diese keinen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang (TI-G 31.10.2016).
Die Opposition warf dem Regierungslager Wahlmanipulationen vor. Unter anderem sollen Wähler unter Druck gesetzt und Stimmen gekauft worden (Standard 31.10.2016, vgl. CK 31.10.2016).
Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2013 konnte sich der Kandidat von "Georgischer Traum", Georgi Margwelaschwili, mit klarer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang gegen den Wunschkandidaten des amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili (Vereinte Nationale Bewegung), durchsetzen. Saakaschwili, zuletzt umstritten, durfte nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr zur Wahl antreten. Diese Wahl brachte den ersten demokratischen Machtwechsel an der georgischen Staatsspitze seit dem Zerfall der Sowjetunion (FAZ 27.10.2013).
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" sicherte sich infolge eines überwältigenden Sieges bei den Gemeinderatswahlen im Sommer 2014 die Kontrolle über die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften. Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) berichteten, dass es im Vorwahlkampf angeblich Druck auf oppositionelle Kandidaten gab, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Überdies sei es zu Störungen von Versammlungen der Opposition und zu etlichen Vorfällen von Gewalt gegen Wahlaktivisten gekommen. Obschon diese den Behörden bekannt waren, blieb eine amtliche Verfolgung aus (HRW 29.1.2015).
Am 27.6.2014 unterzeichneten die EU und Georgien ein Assoziierungsabkommen. Das Abkommen soll Georgien in den Binnenmarkt integrieren, wobei die Prioritäten in der Zusammenarbeit in Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Sicherheit liegen. Russland sah sich hierdurch veranlasst, seinen Druck auf die Regierung in Tiflis zu erhöhen. Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und das abtrünnige georgische Gebiet Abchasien eine Vereinbarung über eine "strategische Partnerschaft", mit der Moskau seine militärische und wirtschaftliche Kontrolle in Abchasien erheblich ausweitete (EP 5.12.2014).
Die EU würdigte im Juni 2016 im Rahmen ihrer Globalen Strategie zur Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik die Rolle Georgiens als friedliche und stabile Demokratie in der Region. Am 1.7.2016 trat das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Georgien in Kraft, wodurch laut der EU die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration zwischen Georgien und der Union merkbar gestärkt werden. Georgien hat seine Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konsolidiert und die Respektierung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten sowie der Anti-Diskriminierung gestärkt (EC 25.11.2016).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2016a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
-
CK - Caucasian Knot (31.10.2016): In Georgia, "UNM" Party claims mass violations at elections,
http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/37376/, Zugriff 21.2.2017
-
Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren,
http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 21.2.2017
-
EC - European Commission (25.11.2016): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2016) 423 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/1_en_jswd_georgia.pdf, Zugriff 21.2.2017
-
EP - Europäisches Parlament (5.12.2014): Assoziierungsabkommen EU-Georgien,
http://www.europarl.europa.eu/EPRS/EPRS-AaG-542175-EU-Georgia-Association-Agreement-DE.pdf, Zugriff 21.2.2017
-
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.10.2013): Georgi Margwelaschwili gewinnt mit klarer Mehrheit, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/praesidentschaftswahl-in-georgien-georgi-margwelaschwili-gewinnt-mit-klarer-mehrheit-12636443.html, Zugriff 21.2.2017
-
GeoStat - National Statistics Office of Georgia (2017):
population,
http://www.geostat.ge/index.php?action=page&p_id=473&lang=eng, Zugriff 21.2.2017
-
HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/295489/430521_de.html, Zugriff 21.2.2017
-
IFES - International Foundation for Electoral Systems (9.3.2015a):
Election Guide, Democracy Assistance & Elections News - Georgia, http://www.electionguide.org/elections/id/2287/, Zugriff 10.11.2015
-
OSCE/ODIHR u.a. - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round
-
Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,
http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 21.2.2017
-
RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (17.11.2013):
Margvelashvili Sworn In As Georgia's New President, http://www.rferl.org/content/georgia-president-inauguration/25170650.html, Zugriff 21.2.2017
-
RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (29.12.2015): Giorgi Kvirikashvili Confirmed As Georgia's New Premier, http://www.rferl.org/content/georgian-parliament-vote-kvirikashvili-government-december-29/27454801.html, Zugriff 21.2.2017
-
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 21.2.2017
-
TI-G - Transparency International - Georgia (31.10.2016):
Assessment of the 2016 Parliamentary runoff elections, http://www.transparency.ge/en/blog/assessment-2016-parliamentary-runoff-elections, Zugriff 21.2.2017
-
Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,
http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 21.2.2017
Sicherheitslage
Die Lage in Georgien ist - mit Ausnahme der Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien - insgesamt ruhig. Beide genannte Gebiete befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung in Tiflis. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert (AA 20.3.2017a).
Im Zuge der Auflösung der UdSSR erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien, als der autonome Status der Provinzen von georgischen Nationalisten in Frage gestellt wurde. Nach der georgischen Unabhängigkeit führten heftige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung 1992 zu Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden. Der Einfluss des nördlichen Nachbarlandes wuchs kontinuierlich, unter anderem durch Ausgabe russischer Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung. Nach zahlreichen blutigen Zwischenfällen und Provokationen aller Seiten eskalierte der Konflikt um Südossetien am 7. August 2008 nach einem Vorstoß georgischer Truppen in die südossetische Hauptstadt Tskhinvali zu einem georgisch-russischen Krieg, der nach fünf Tagen durch einen von der EU vermittelten Waffenstillstand beendet wurde. Am 26. August 2008 erkannte Russland Abchasien und Südossetien, einseitig und unter Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität Georgiens, als unabhängige Staaten an und schloss wenig später mit diesen Freundschaftsverträge ab, die auch die Stationierung russischer Truppen in den Gebieten vorsehen. Infolge des Krieges wurden nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen bis zu 138.000 Personen vorübergehend zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Etwa 30.000 Georgier aus Südossetien konnten bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die zivile EU-Beobachtermission EUMM nahm Anfang Oktober 2008 in Georgien ihre Arbeit auf. Das OSZE-Mandat lief Ende 2008 aus, UNOMIG endete im Juni 2009. EUMM ist damit die einzige verbliebene internationale Präsenz zur Stabilisierung in Georgien (AA 11.2016b).
Ein wichtiges diplomatisches Instrument zur Deeskalation des Konflikts sind die sogenannten "Geneva International Discussions - GID" (Genfer Internationale Gespräche). Diese finden seit 2008 unter Beteiligung der involvierten Konfliktparteien unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vertretern der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE statt. Aus den Genfer Gesprächen resultierte der "Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM)" sowie die Involvierung der EUMM, sodass die lokalen Sicherheitsbehörden der Konfliktparteien vor Ort in Kontakt treten können bzw. ihnen die Möglichkeit zum Dialog eröffnet wird (OSCE 6.11.2014).
Abchasien und Südossetien bleiben außerhalb der Kontrolle der Zentralregierung und werden von mehreren tausend russischen Truppen und Grenzpolizisten unterstützt. Russische Grenzschutzbeamte beschränken die Bewegung der örtlichen Bevölkerung. Die Behörden beschränken die Rechte, vor allem von ethnischen Georgiern, am politischen Prozess teilzuhaben, in Eigentumsfragen oder bei der Registrierung von Unternehmen. Überdies ist die Reisefreiheit eingeschränkt. Die südossetischen Behörden verweigern den meisten ethnischen Georgien, die während und nach dem Krieg von 2008 vertrieben wurden, nach Südossetien zurückzukehren. Die Behörden erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang zu Südossetien, um humanitäre Hilfe zu leisten. Die Russische "Grenzziehung" der administrativen Grenzen der besetzten Gebiete setzte sich während des Jahres fort, trennte die Bewohner aus ihren Gemeinden und untergrub ihren Lebensunterhalt (USDOS 3.3.2017).
Die Vereinten Nationen zeigten sich Ende Jänner 2017 besorgt darüber, dass die angekündigten Schließungen von Grenzübertrittsstellen seitens der abchasischen Behörden negative Konsequenzen für die Bevölkerung beidseits der administrativen Grenze haben werden. Für die Menschen in Abchasien wird es schwieriger sein, auf grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheitswesen und Bildung in Georgien zurückzugreifen und an Wirtschaftsaktivitäten und gesellschaftlichen Veranstaltungen jenseits der Grenze teilzunehmen. Auch wird der Zugang zu Schulbildung für Kinder mit georgischer Muttersprache, die aus Abchasien kommend die Grenze nach Georgien überqueren, behindert (UN 26.1.2017).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (20.3.2017a): Georgien, Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 20.3.2017
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
-
OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (6.11.2014): Geneva International Discussions remain unique and indispensable forum, Co-chairs tell OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/126442, Zugriff 21.2.2017
-
UN - United Nations in Georgia (27.1.2017): Statement of Niels Scott, Resident Coordinator, on behalf of the United Nations Country Team regarding announced closure of crossing points along the Inguri River,
http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=507, Zugriff 22.2.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016,
http://www.ecoi.net/local_link/337143/466903_en.html, 17.3.2017
Rechtsschutz / Justizwesen
Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der "Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt (AA 11.2016b).
Fortschritte sind insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug zu erkennen, wo inzwischen eine unmenschliche Behandlung (auch Folter), die in der Vergangenheit durchaus systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Zwei Reformwellen wurden bereits durchgeführt, die dritte Reformwelle steht seit einiger Zeit bevor. Sie betrifft insbesondere die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter und die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren. Sehr aktive NGOs und der unabhängige Ombudsmann beobachten diesen Prozess aufmerksam (AA 10.11.2016).
Das dritte Paket an Gesetzesänderungen, das den anhaltenden Mangel an Transparenz im Justiz-Management bereinigen soll, wozu auch die Rechenschaftspflicht des Hohen Rates der Justiz sowie die zufällige Zuweisung von Fällen gehören, konnte laut Europäischer Kommission zwar Fortschritte verzeichnen, ist jedoch noch nicht vollständig angenommen worden. Die Begründungen für das Abhalten von geschlossenen oder öffentlichen Anhörungen werden nicht immer richtig kommuniziert. Die Transparenz bei der Zuteilung von Fällen, bei der Auswahl der Richteranwärter und der Gerichtsverwalter ist nicht vollständig gewährleistet. Der Umgang mit Disziplinarverfahren erfordert eine Stärkung. Die Mehrheit der Richter hat keine dauerhafte Amtszeit und die umstrittene dreijährige Probezeit für Richter besteht weiterhin. Die Justiz ist immer noch ernsthaft unterbesetzt und der Aktenrückstand steigt (EC 25.11.2016).
Kritisch betrachtet werden muss weiterhin die starke Neigung von Politikern, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen eine vorrangig politische Motivation zu unterstellen und ggf. gesetzliche Änderungen vorzuschlagen. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Nach dem Regierungswechsel wurden 190 in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als politische Gefangene erklärte Häftlinge entlassen. Seit 2012 laufende Ermittlungen und teilweise schon mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden aus Sicht des [deutschen] Auswärtigen Amtes nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern sind Teil der erforderlichen juristischen Aufarbeitung der rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren (AA 10.11.2016).
Freedom House bewertete Anfang 2016 die Einmischung der Regierung und der Legislative in die Justiz weiterhin als erhebliches Problem, obwohl sich die gerichtliche Transparenz und die Rechenschaftspflicht in den letzten Jahren verbessert haben, letztere zum Teil aufgrund des verstärkten Medienzugangs zu den Gerichtssälen. Menschenrechtsorganisationen haben konsequent die Praxis der Staatsanwaltschaft kritisiert, wiederholt neue Anklagen gegen Gefangene einzureichen, um ihre Zeit in der Untersuchungshaft zu verlängern, eine Vorgehensweise, die durch eine Diskrepanz zwischen dem Strafgesetzbuch und der Verfassung möglich gemacht wird. Im September 2015 allerdings befand das Verfassungsgericht im Fall des ehem. Bürgermeisters von Tiflis, Ugulava, diese Praxis der Verlängerung der Untersuchungshaft als verfassungswidrig, weil die verfassungsmäßige Grenze von neun Monaten nicht überschritten werden darf. Ugulava gehörte zu zahlreichen ehemaligen UNM-Vertretern, die seit 2012 mit Strafprozessen konfrontiert wurden, was Fragen über den politischen Einflussnahme auf den Staatsanwalt aufwarf (FH 27.1.2016).
Während viele der Richter bemerkenswerte Anstrengungen unternahmen, ihr Niveau dadurch zu verbessern, indem sie ihren Entscheidungen mehr Substanz verliehen, besonders bei hochkarätigen Fällen, bleibt die Staatsanwaltschaft das schwächste Glied im Justizbereich. Bis 2012 war die Staatsanwaltschaft ein Teil der Exekutive, und die Gerichte waren bis zu einem gewissen Grad von der Exekutive abhängig. Die Staatsanwälte haben sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Vorbringen eine adäquate Qualität zu verleihen. Nur bei wenigen Gelegenheiten scheinen sie zurückhaltend zu sein. Nach der Trennung der Staatsanwaltschaft vom Justizministerium wurde allerdings keine Aufsichtsbehörde für die Staatsanwaltschaft institutionalisiert. Dieser Umstand beschädigt potentiell den Ruf des gesamten Justizsystems. Die Staatsanwaltschaft hat mehr als 4.000 Anträge von Opfern angeblicher Folter, unmenschlicher Behandlung oder Zwang erhalten, sowie von Personen, welche gezwungen wurden, ihr Eigentum während der Herrschaft von Mikheil Saakaschwili aufzugeben. Seit 2012 stellt der Umfang der Strafverfahren gegen die ehemalige Führung eine Herausforderung für die aktuelle Regierung dar. Ihr wird vorgeworfen, politisch motivierte Untersuchungen einzuleiten bzw. Gerichtsprozesse zu führen. Gleichzeitig wird die Staatsanwaltschaft oft kritisiert, weil sie nicht die Fälle von Beamten untersucht hat, die ihre Befugnisse überschritten haben, oder von Polizisten, die gegen das Gesetz verstoßen haben oder von Menschen, die behaupten, im Gefängnis misshandelt worden zu sein. Als Reaktion auf diese Situation hat die Staatsanwaltschaft ihre Absicht bekundet, eine neue Abteilung zu schaffen, die im Rahmen von Gerichtsverfahren begangene Straftaten untersuchen wird (BTI 1.2016).
Das georgische Strafrecht mit dem ursprünglichen Ansatz einer "zero tolerance policy" zeigte eine enorm hohe Verurteilungsrate von 99%, mitunter wegen konstruierter Straftaten, sowie hohe Haftstrafen. Mit dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts durch Reduzierung der Strafmaße, aber auch eine erkennbar geringere Verurteilungsrate; diese ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 10.11.2016).
Am 12.1.2016 präsentierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, seine Beobachtungen zur Menschenrechtslage in Georgien. Mehrere Gesprächspartner wiesen auf die Mängel bei der Auswahl, Ernennung und Versetzung von Richtern hin. Versetzungen und Beförderungen von Richtern scheinen nicht durch spezifische Regeln und Kriterien reguliert zu sein, was die diesbezüglichen Entscheidungen als willkürlich erscheinen lässt und folglich das öffentliche Vertrauen in die Justiz untergräbt. Der Menschenrechtskommissar empfahl die diesbezügliche Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des Direktorats für Menschenrechte des Europarats (DHR) aus dem Jahr 2014. Überdies empfahl er, dass die Gerichtsfälle nach dem Zufallsprinzip den Richtern zugeteilt werden. Denn es gab Befürchtungen, dass prominente Fälle Richtern zugeteilt wurden, die als loyal zur Regierung gelten. Überdies sah der Menschenrechtskommissar die geltende dreijährige Probezeit für Richter als bedenklich an, weil letztere hierdurch anfälliger gegenüber einer möglichen Druckausübung sind. Auch in diesem Punkt empfahl Muižnieks die Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des DHR, welche die Abschaffung der Probezeit für Richter vorsahen. Dem Menschenrechtskommissar wurden Berichte zuteil, wonach es wiederholt zu Drohungen und Einschüchterungen von Verfassungsrichtern kam. So beispielsweise im Fall "Ugulava [ehem. Bürgermeister von Tiflis] gegen das Parlament Georgiens". Richter und deren Familienmitglieder wurden von Bürgern bedrängt, die sich vor den Privathäusern der Richter versammelten und u.a. mit physischer Gewalt drohten (CoE-CommHR 12.1.2016).
Am 21.7.2016 erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, dass einige Richter des Gerichtshofes von den Behörden unter Druck gesetzt worden seien, in mehreren hochkarätigen Fällen Urteile zu verschieben oder zugunsten Angeklagten zu entscheiden. Staatsanwälte haben am 1.8.2016 darauf reagiert und eine Untersuchung zu den Vorwürfen eingeleitet (AI 22.2.2017).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (10.11.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien