TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/12 W182 2199330-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2019
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Entscheidungsdatum

12.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W182 2199330-1/9E

W182 2199326-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , StA.: Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zlen. ad 1.) 1120576300-160901571 und ad 2.) 1160023204-170874911, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. - III. der

angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben, die Spruchpunkte

IV. - VI. der angefochtenen Bescheide behoben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012 idgF, auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX sowie XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2005, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und sind Muslime. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden BF1), der Vater des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (im Folgenden: BF2), reiste Im Juni 2016 mit einem von italienischen Vertretungsbehörden ausgestellten Schengen-Visum ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 28.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Seinen Antrag begründete er in einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an 28.06.2016 sowie in einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 19.04.2018 im Wesentlichen damit, dass seine Frau und Kinder sich als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich aufhalten. Er wolle bei seiner Familie in Österreich bleiben. Er habe erst nach zwei Jahren wieder mit seiner Frau Kontakt gehabt. Sie seien wegen ihrer Tochter zerstritten gewesen. Die Tochter sei nicht entsprechend entwickelt gewesen und habe ein Arzt gesagt, dass sie in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Behandlung müsse. Seine Frau sei dagegen gewesen. Er und alle Verwandten hätten das aber von ihr verlangt. Deswegen hätten sie Auseinandersetzungen und Streit gehabt. Als er einmal nach der Arbeit heimgekommen sei, sei seine Frau fort gewesen. Seiner Tochter sei in Österreich geholfen worden. Er könne gar nicht glauben, wie sich seine Tochter zum Guten verändert habe. Er beziehe keine Unterstützung vom österreichischen Staat. Er versuche Deutsch zu lernen. Er habe im Herkunftsland ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und zehn Jahre lang als XXXX gearbeitet. Er habe seine Stelle von Österreich aus gekündigt. Im Herkunftsland halten sich seine Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern auf. Seine Schwester sei vor kurzem nach Moskau gezogen. Er habe keine Probleme im Herkunftsland. Er sei mit einem Visum eingereist, um seine Kinder zu sehen, habe dann aber beschlossen, bei seiner Familie zu bleiben.

1.2. Bereits mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 19.03.2013, Zlen.12 07.677-BAG, 12 07.678-BAG und 12 07.679-BAG wurde der Gattin sowie den beiden minderjährigen Töchtern des BF1 gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.).

In Erledigung von Anträgen auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde der Gattin sowie den beiden minderjährigen Töchtern des BF1 zuletzt mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 02.03.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.03.2018 erteilt.

Mit Schreiben vom 27.02.2018 stellte die Gattin des BF1 für sich und ihre Töchter einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

2. Im XXXX wurde der BF2 als gemeinsamer Sohn des BF1 und seiner Gattin im Bundesgebiet geboren. Für diesen wurde am XXXX 2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Für den BF2 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

3.1. Mit den nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF1 keine glaubhaften asylrelevanten Gründe darlegen habe können und eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ausgeschlossen werden könne. Für den BF2 seien keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden. Auch im Hinblick auf die allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland bestehe keine Gefährdung für die BF. Da auch keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch eine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. In einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wurden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung für gewichtiger bewertet als die familiären und privaten Interessen der BF an einem Verbleib in Österreich.

Mit Verfahrensanordnung vom 30.05.2018 wurde den BF ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

3.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 30.05.2018, Zlen. 820767710-180376846, 820767808-180376889 und 820767906-180376862, wurde der der Gattin und den Töchtern des BF1 mit Bescheiden vom 19.03.2013 zuerkannte Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen die Bescheide des Bundesamtes erhoben die BF innerhalb offener Frist Beschwerde. Die Bescheide wurde aufgrund unschlüssiger Beweiswürdigung/rechtlicher Beurteilung und Infolge dessen mangelhaftem Ermittlungsverfahren angefochten, wobei im Wesentlichen auf die Gattin und die Kinder des BF1 verwiesen wurde. Eigene Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen wurden nicht geltend gemacht.

5. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.02.2019, zu der ein Vertreter des Bundesamtes entschuldigt nicht erschienen ist, wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF1 sowie seiner Gattin im Beisein einer Dolmetscherin sowie einer Rechtsvertretung, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, wobei das Bundesamt lediglich schriftlich die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der BF1 brachte im Wesentlichen vor, dass er nach Österreich gekommen sei, um seine Kinder wiederzusehen. Andere Gründe habe es nicht gegeben. Er habe nur ein italienisches Touristenvisum und eine Woche Zeit gehabt. Er habe dann beschlossen, dass er, solange es gehe, bei seiner Familie bleiben wolle. Er lebe mit seiner Frau und den Kindern in einer Mietwohnung. Er beziehe keine Grundversorgung, sondern lebe von den Einkünften seiner Frau. Er dürfe nicht arbeiten. Er kümmere sich um die Kinder. Bei einer Rückkehr ins Herkunftsland habe er keine Probleme. Aber seine Töchter hätten dort keine Chance. Seine ältere Tochter könne besser Deutsch als Tschetschenisch und habe alle ihre Freunde in Österreich. Im Herkunftsland hätten sie Probleme wegen ihrer Tochter gehabt. Die Ärzte in Russland hätten hinsichtlich der jüngeren Tochter "Debilität" als Diagnose festgestellt. Seine Frau sei am Ende ihrer Kräfte gewesen und hätte herumgeschrien. Es habe damals immer Streit gegeben. Alle Familienangehörigen hätten gesagt, dass man das Kind in ein psychiatrisches Krankenhaus geben müsse. Auch die Ärzte hätten dazu geraten. Er habe dies auch befürwortet, er habe gedacht, dass es das Beste für sein Kind gewesen wäre, da dies ja auch die Ärzte empfohlen hätten. Dies hätte nicht bedeutet, dass sie die Obsorge für das Kind abgegeben hätten. Inzwischen habe er verstanden, dass er sich geirrt habe. Bei ihnen in der Familie habe es keine Erfahrung mit so etwas gegeben. Seine Frau sei dagegen gewesen. Eines Tages sei sie mit den Kindern weg gewesen. Er habe erst von seiner Schwägerin vor zwei Jahren erfahren, dass sie in Österreich sei. Seine Tochter habe sich in Österreich völlig verändert, er habe sie nicht wiedererkennen können. Sie sei ruhig, schreie nicht mehr, versuche mit ihnen zu sprechen. Sie wisse viele Dinge auf Deutsch. Bei einer Rückkehr nach Russland würde es keine spezielle Schule für sie geben. Er sei überzeugt, dass die anderen Kinder sie wegen ihrer Krankheit provozieren und auslachen würden, weil sie so ist wie sie ist. Sie spreche nicht normal und könne die Sprache dort nicht. In Österreich werde ihr ein selbstständiges Leben gelehrt. Hier sei der Umgang mit Menschen ein anderer. Er würde seine Tochter auch bei einer Rückkehr ins Herkunftsland nicht mehr in eine Psychiatrie geben wollen. Der BF1 konnte bereits Deutschkenntnisse nachweisen und sich auf einfachem Niveau verständigen. Im Herkunftsland habe er bis zu seiner Ausreise als XXXX gearbeitet. Er habe ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen. Er habe ein mittleres, ganz gutes Einkommen bezogen. In Tschetschenien würden seine Eltern und drei Brüder leben. Eine Schwester halte sich in Moskau auf.

Der BF1 konnte für den Fall der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung eine Einstellungszusage vorlegen.

Die Gattin des BF1 brachte im Wesentlichen vor, dass die Ärzte im Herkunftsland hinsichtlich der jüngeren Tochter keine einheitliche Diagnose erstellen hätten können, heute würden sie wissen, dass sie eine Autistin sei. Im Herkunftsland sei ihnen von einem Arzt gesagt worden, dass die Tochter Beruhigungsmittel benötige und in die Psychiatrie eingewiesen werden müsse. Die Schwiegereltern hätten auf den BF1 eingewirkt, dass dies die beste Lösung wäre, und habe auch er sich den Argumenten angeschlossen. Die Gattin des BF1 sei aber dagegen gewesen und habe sie nicht hergeben wollen. Sie habe immer wieder mit ihrem Gatten gestritten und sei dann mit den Kindern weggelaufen. Zu körperlichen Auseinandersetzungen sei es nicht gekommen. In Österreich würden drei Schwestern und ihre Familien in der gleichen Stadt wie die Gattin des BF1 leben. 4 Schwestern und ein Bruder würden sich in Tschetschenien aufhalten. In Österreich wohne sie mit ihrem Gatten und den Kindern in einer Mietwohnung. Sie arbeite seit 4 Jahren im Schnitt 15 Wochenstunden als Hausreinigerin. Im Herkunftsland habe sie als Sekretärin gearbeitet. Sie sei seit 13 Jahren verheiratet. Ihr Verhältnis zu ihrem Gatten sei gut. Sie habe den Eindruck, dass er sich der jüngeren Tochter gegenüber schuldig fühle, dass er sie in die Psychiatrie einweisen hätte wollen. Auch das Verhältnis ihres Gatten zur jüngeren Tochter sei sehr innig und gut. Sie hänge sehr an dem Vater. Auf Nachfragen verneinte sie für sich Probleme bei einer Rückkehr ins Herkunftsland. Ihre Töchter hätte jedoch Probleme bei einer Rückkehr, es würde keine weitere Entwicklung für sie geben.

Dazu wurden u.a. ein Jahreszeugnis einer Neuen Mittelschule hinsichtlich der älteren, ein Jahreszeugnis einer Sonderschule hinsichtlich der jüngeren Tochter des BF1 sowie ein Bericht von einer Sonderpädagogin, Klassenlehrerin und eines Sonderschuldirektors vom 19.04.2018 hinsichtlich der jüngeren Tochter des BF1 vorgelegt. Aus letzterem Schreiben geht hervor, dass diese, bei der frühkindlicher Autismus diagnostiziert worden sei, seit dem Schuljahr 2015/2016 die Sonderschule und einen Hort besuche, wobei sie jetzt in ihrem dritten Schuljahr sei und riesige Fortschritte gemacht habe. Es sei angedacht, dass sie ihr viertes Schuljahr noch in der Sonderschule absolviere und danach in eine Integrationsklasse der Neuen Mittelschule komme. Der Schulplatz an der Neuen Mittelschule sei bereits reserviert. Bei Schuleintritt habe sie ein unruhiges, unkonzentriertes, zorniges und laut schreiendes Verhalten gezeigt. Sie habe nur wenige deutsche Worte nachsprechen können und sich sofort in "ihre Welt" zurückgezogen. Durch die gute und intensive Zusammenarbeit zwischen Schule, Hort, Therapeuten und Eltern habe sie im kognitiven und sozialen Bereich riesige Fortschritte gemacht. Sie habe noch ganz viel kognitives Potenzial, das nur in einer Schule mit erfahrenen Sonderpädagogen in Zusammenarbeit mit Hortpädagogen und Therapeuten ausgeschöpft werden könne. Sie habe aufgrund ihres subsidiären Flüchtlingsstatus keine Schulbusfahrt genehmigt bekommen, ihre Eltern würden sie täglich persönlich zur Schule bringen und abholen. Trotz des weiten Schulweges und des täglichen Aufwandes sei sie täglich pünktlich in die Schule gebracht und am Nachmittag wieder vom Hort abgeholt worden. Da für sie auch keine Therapien bezahlt worden seien, sei es gelungen, die Therapien mit Spenden zu finanzieren. Ihre Eltern haben Schule und Hort in den letzten Jahren vorbildlich unterstützt. Eine Rückkehr in die tschetschenische Heimat, in der "Debilität" diagnostiziert worden sei und eine Einweisung in eine Nervenheilanstalt vorgesehen gewesen sei, wäre eine menschliche Katastrophe für sie und ihre Familie. Das würde bedeuten, dass sie zwangsläufig Rückschritte machen würde und kein menschenwürdiges Leben vor sich hätte.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, Zlen. W182 2199323-1, W182 2199339-1 und W182 2199335-1, wurden die Beschwerden der Gattin und der beiden Töchter des BF1 gegen die Spruchpunkte I. - III. der angefochtenen Bescheide vom 30.05.2018 gemäß §§ 9 Abs. 1 und Abs. 4, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde den Beschwerden stattgegeben, die restlichen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide behoben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012 idgF, auf Dauer für unzulässig erklärt und den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt. Die Entscheidung hinsichtlich der Aufenthaltstitel wurde insbesondere mit der besonderen Situation der jüngeren Tochter des BF1 begründet, die kaum einen Bezug zum Herkunftsland hat und aufgrund ihrer autistischen Erkrankung in ihrer Anpassungsfähigkeit deutlich eingeschränkt ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und sind Muslime. Ihre Identität steht fest.

Der BF1 reiste im Juni 2016 ins Bundesgebiet ein und stellte am 28.06.2016 einen Antrag auf International Schutz. Diesen begründet er im Wesentlichen damit, dass er in Österreich mit seiner Gattin und seinen beiden Töchtern, die alle Staatsangehörige der Russischen Föderation sind, zusammenleben wolle.

Im XXXX wurde der BF2 als gemeinsamer Sohn des BF1 und seiner Gattin im Bundesgebiet geboren.

Die BF leben mit der Gattin des BF1 bzw. Mutter des BF2 und den Kindern des BF1 bzw. Geschwistern des BF2 im Bundesgebiet zusammen.

Die Gattin und die beiden minderjährigen Töchter im Alter von XXXX und XXXX Jahren des BF1 leben seit Juni 2012 im Bundesgebiet und ist ihnen seit März 2013 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zugekommen, welcher ihnen mit Bescheiden des Bundesamtes vom 30.05.2018 wieder aberkannt wurde. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag wurde die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich der Gattin und der beiden Töchter des BF bestätigt, ihnen jedoch nach Erklärung der Unzulässigkeit von Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-VG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

Die BF sind gesund. Der BF1 ist arbeitsfähig. Er geht keiner legalen Beschäftigung nach, und hat bis auf die Krankenversicherung bisher keine Grundversorgung bezogen. Er konnte im Rahmen der Verhandlung bereits Deutschkenntnisse dartun und eine Einstellungszusage vorlegen. Die BF sind unbescholten.

Der BF1 hat im Herkunftsland ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und war bis zu seiner Ausreise als XXXX berufstätig. Er verfügt im Herkunftsland über ein eigenes Haus. Im Herkunftsland halten sich seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester auf.

Die jüngere Tochter des BF1 leidet an frühkindlichen Autismus und einer Entwicklungsverzögerung. Sie absolviert die vierte Schulstufe in einer Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder und erhält als Förderungsmaßnahmen Physiotherapie, Logotherapie, Musiktherapie und Autismustherapie, wobei sie mit der Zeit große Fortschritte gemacht hat. Der BF1 wirkt intensiv an der Betreuung seiner Kinder mit. Es besteht eine starke Bindung zwischen den BF1 und seiner jüngeren Tochter. Die Gattin wie auch die übrigen Kinder des BF1 sind gesund.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF nach einer Rückkehr ins Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt sind. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass die BF konkret Gefahr liefen, in ihrem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Im Übrigen wird auf den Verfahrensgang verwiesen, der der Entscheidung zugrundegelegt wird.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation/Tschetschenien

1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

-

Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

-

RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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