Entscheidungsdatum
15.04.2019Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
G314 2217226-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, ungarischer Staatsangehöriger, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zl. XXXX, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid
ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.01.2019 wurde der Beschwerdeführer (BF) aufgefordert, sich zu der wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Der BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme und legte diverse Urkunden vor.
Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF, der in Österreich keinen Wohnsitz habe und dessen Lebensmittelpunkt in Ungarn liege, begründet.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer zu reduzieren. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Begründend wird ausgeführt, dass der BF sein Fehlverhalten bedaure. Da er vorhabe, eine Familie zu gründen, sei die Androhung einer Freiheitsstrafe ausreichend, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Von ihm gehe keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit aus, die ein Aufenthaltsverbot rechtfertige. Er sei nur einmal zu einer gänzlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden und habe einen Arbeitsplatz in Ungarn.
Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 10.04.2019 einlangten. In der Stellungnahme zur Beschwerdevorlage beantragte das BFA, die Beschwerde abzuweisen.
Feststellungen:
Der BF, ein XXXX-jähriger ungarischer Staatsangehöriger, lebt in XXXX, wo er nach der Pflichtschule eine Ausbildung zum Koch absolvierte. Er bewohnt mit seiner Lebensgefährtin eine kreditfinanzierte Eigentumswohnung in XXXX. Er war ab 2011 immer wieder in Österreich erwerbstätig, zuletzt ab September 2018 als Lagerarbeiter, wobei ihm nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Im Jänner 2019 absolvierte er im Bundesgebiet eine Ausbildung zum Staplerfahrer. Aktuell ist der BF wieder in Ungarn erwerbstätig. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten.
In Österreich wurde der BF einmal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde er wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB - ausgehend vom Strafrahmen des § 128 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) - zu einer achtmonatigen, für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er von Mai 2016 bis Mai 2018 als Koch eines Gastronomiebetriebs in XXXX seinem damaligen Arbeitgeber Lebensmittel stahl sowie Essensbons nicht bonierte und sich das Geld aneignete, wodurch ein Schaden von insgesamt ca. EUR 5.600 entstand. Bei Bekanntwerden der Diebstähle wurde der BF fristlos entlassen. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd das reumütige Geständnis, der Beitrag zur Wahrheitsfindung und der bisher ordentliche Lebenswandel gewertet, als erschwerend dagegen der lange Deliktszeitraum. Gleichzeitig wurde der BF zur Zahlung von EUR 5.100 an das geschädigte Unternehmen verurteilt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.
Die Identität des BF wird durch die Angaben im Strafurteil und im polizeilichen Abschlussbericht, insbesondere in der Beschuldigtenvernehmung, belegt.
Laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) weist der BF keine Wohnsitzmeldung im Inland auf. Dies deckt sich mit seinen Angaben zu seinem Wohnsitz in XXXX und zu der dort erworbenen Eigentumswohnung.
Aus dem Versicherungsdatenauszug ergibt sich, dass der BF von 27. bis 30.11.2006, von 05.04. bis 25.05.2011, von 27.01.2012 bis 13.07.2013, von 02.10.2013 bis 24.04.2014, am 14. und 15.05.2014, von 20.05. bis 26.05.2014, von 15.09.2014 bis 23.05.2018 und ab 01.09.2018 in Österreich unselbständig erwerbstätig war. Das Dienstverhältnis zu dem von ihm durch seine Straftaten geschädigten Arbeitgeber bestand von 15.09.2014 bis 23.05.2018. Nach dem insoweit plausiblen Beschwerdevorbringen ist er mittlerweile wieder in Ungarn erwerbstätig.
Aus dem Strafurteil und der Beschuldigtenvernehmung ergeben sich die Feststellungen zu den familiären und finanziellen Verhältnissen des BF. Hinweise auf Kinder oder andere Sorgepflichten sind nicht aktenkundig.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem BF einmal eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Dies wird vom BF selbst nicht behauptet. Im Fremdenregister ist weder die Erteilung einer Anmeldebescheinigung noch ein entsprechender Antrag gespeichert.
Ein Zeugnis über die Ausbildung zum Staplerfahrer wurde vorgelegt.
Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung, zu den Strafzumessungsgründen und zum Privatbeteiligtenzuspruch basieren auf dem Strafurteil und dem polizeilichen Abschlussbericht. Die Rechtskraft der Verurteilung geht auch aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF bestehen nicht, zumal sein bisher ordentlicher Lebenswandel als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.
Rechtliche Beurteilung:
Der BF, ein EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG, hielt sich als Arbeitnehmer im Rahmen seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Österreich auf (vgl § 51 Abs 1 Z 1 NAG). Da er weder seinen Aufenthalt seit zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet hatte noch das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn nach dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).
§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; vgl VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).
§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Obwohl der BF wegen wertqualifizierter Diebstähle strafgerichtlich verurteilt wurde, erfüllt sein Gesamtverhalten den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG nicht, zumal mit einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe im unteren Drittel des Strafrahmens das Auslangen gefunden wurde. Zwar missbrauchte er seine Stellung als Arbeitnehmer zur Begehung von Vermögensdelikten, die von ihm begangenen Taten weisen aber noch nicht eine solche Schwere auf, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegt. Das Gesamt(fehl-)verhalten des BF verwirklicht diesen Gefährdungsmaßstab gerade noch nicht, zumal er in Ungarn einer Erwerbstätigkeit nachgeht und in geordneten sozialen Verhältnissen lebt. Unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte erreichen seine Delinquenz und sein sonstiges persönliches Verhalten daher den in § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG festgelegten Schweregrad nicht.
Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Aufhebung der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung).
Sollte der BF in Zukunft neuerlich wegen entsprechend schwerwiegender Taten bestraft werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.
Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, Gefährdungsprognose, Interessenabwägung, privateEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2217226.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.06.2019