TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/17 W260 2191952-1

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Veröffentlicht am 17.04.2019
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Entscheidungsdatum

17.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W260 2191952-1/11E

W260 2191959-1/11E

W260 2191924-1/10E

W260 2191941-1/10E

W260 2191956-1/10E

Schriftliche Ausfertigung des am 30.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX (Erstbeschwerdeführer, "BF1"), geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl,

Regionaldirektion Oberösterreich, vom 15.3.2018, Zahl: XXXX , nach

Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und wird dem XXXX alias XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX alias XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 30.01.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX (Zweitbeschwerdeführerin, "BF2"), geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl,

Regionaldirektion Oberösterreich, vom 12.03.2018, Zahl: XXXX , nach

Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß

§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird der XXXX gemäß

§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 der Status der

subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird der XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 30.01.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des unmündigen mj. XXXX , (Drittbeschwerdeführer, "BF3"), geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seinen Vater XXXX als gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß

§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem mj. XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 30.01.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des mj XXXX (Viertbeschwerdeführer, "BF4"), geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seinen Vater XXXX als gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl,

Regionaldirektion Oberösterreich vom 12.03.2017, Zahl: XXXX , nach

Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß

§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem mj. XXXX gemäß

§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 der Status des

subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 30.01.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des mj. XXXX (Fünftbeschwerdeführer, "BF5"), geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seinen Vater XXXX als gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß

§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem mj. XXXX gemäß

§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 der Status des

subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigtem bis zum 30.01.2020 erteilt.

IV. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden der Spruchpunkt III. bis

VI. des angefochtenen Bescheids aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer BF1 und BF2 stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet für sich und ihre minderjährigen Kinder BF4 bis BF5 am 11.02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 12.02.2016 erfolgte eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. BF1 gab in der Befragung als Fluchtgrund an, dass die iranischen Behörden ihn nach Syrien zum Kämpfen schicken hätten wollen und, als er sich dazu weigerte, hätten ihn die iranischen Behörden nach Afghanistan abschieben wollen. Aus diesem Grunde sei er mit seiner Familie Richtung Bundesgebiet geflohen. Seine Fluchtgründe würden auch für seine minderjährigen Söhne BF4 und BF5 gelten.

Die BF2 gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihr Ehemann (BF1) Probleme im Iran gehabt habe, da ihn die Behörden "zum Kämpfen" schicken hätten wollen (vgl. Aussage der BF2, Erstbefragung nach AsylG am 12.02.2106, Seite 5).

Eigene Fluchtgründe machte sie nicht geltend.

3. Am 21.03.2016 wurde der BF3 im Bundesgebiet geboren.

4. Am 05.02.2018 wurden der BF1 und die BF2 zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, (im Folgenden "belangte Behörde") niederschriftlich einvernommen.

Entgegen seinen Ausführungen in der Ersteinvernahme führte der BF1 zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst aus, dass er und sein Bruder als "Bodyguard" für die Dauer eines Jahres für die "Hezb-e-Islami" tätig gewesen seien. In der Folge sei er nach Teheran gegangen um ein neues Leben zu beginnen. Ca. acht Jahre später habe er erfahren, dass sein Bruder, der in Afghanistan geblieben sei, umgebracht worden sei. Folglich sei der BF1 nach Mashad gefahren um näheres in Erfahrung zu bringen, dort sei er gefragt worden, ob er den Weg des Bruders fortsetzen wolle, was der BF1 verneinte, ohne Angaben zu tätigen, wer diese Personen, die ihn gefragt hätten gewesen seien. Ca. 13 Jahre später sei er in Teheran im Abstand von jeweils einem Jahr abermals zur Mitarbeit nach Afghanistan in den "Dschihad" zu ziehen aufgefordert worden. Als der ebenfalls in Teheran aufhältige Vater des BF1 im Jahre 1394 verstarb, habe er ihn zum Begräbnis nach Afghanistan überstellen müssen. Beim Begräbnis sei er erkannt worden und sei ihm am darauffolgenden Tage angedroht worden, dass er jetzt mitgenommen werde. Ca. fünf Monate später sei er in Teheran von drei Personen abermals zur Mitarbeit aufgefordert und sei seine Ehefrau (BF2) mit der Pistole bedroht worden. Vier bis fünf Tage später habe sich laut Erzählung seiner Frau ein weiterer Vorfall ereignet. Die Personen, welche bei ihnen Zuhause gewesen seien, hätten bei der Schule ein Kind der Beschwerdeführer zu sich geholt und ihr und den Kindern mit der Ermordung gedroht. Zwei Tage später seien sie aus dem Iran ausgereist.

Die BF2 führte zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst aus, dass das Leben der Familie wegen der Probleme ihres Mannes in Gefahr gewesen sei. Als Männer bei Ihnen im Haus waren, sei über den Syrienkrieg gesprochen worden. Zum angeblichen Vorfall vor der Schule befragt, gab die BF2 an, dass die Männer ihren Sohn im Auto gehabt hätten und sie ihrem Mann sagen solle, dass er mit ihnen zusammenarbeiten solle. Befragt, wann sie persönlich bedroht worden sei, gab die BF2 an, dass dies zum Zeitpunkt des "Besuches" der Männer bei ihnen Zuhause gewesen sei. Zu ihrem Leben im Bundesgebiet befragt gab die BF2 zusammengefasst an, dass sie bereits freiwillig gearbeitet habe. Im Iran habe sie aushilfsweise als Friseurin gearbeitet. In Österreich gehe sie allein oder mit ihrem Mann einkaufen, ihre Kleidung suche sie selbst aus, beim AMS sei sie noch nicht gewesen, einen Deutschkurs besuche sie, eine Prüfung habe sie noch nicht abgelegt bzw. erfolgreich bestanden.

5. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheiden der belangten Behörde vom selben Tage wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und den Beschwerdeführern jeweils der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Mit Spruchpunkt V. wurde ausgesprochen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer, 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen die Bescheide der belangten Behörde richten sich die zulässigen und fristgerecht erhobenen inhaltsgleichen Beschwerden der BF1 bis BF5, welche durch ihren bevollmächtigten Vertreter, den MigrantInnenverein St.Marx, erstattet wurden.

7. Die bezughabenden Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht mit Beschwerdevorlage vom 09.04.2018 am 10.04.2018 ein.

8. Am 30.10.2018 und am 30.01.2019 wurden öffentliche mündliche Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, an welchen jeweils ein Dolmetscher für die Sprache Dari und ein bevollmächtigter Vertreter der Beschwerdeführer teilnahmen. Die Beschwerdeführer wurden im Zuge der Verhandlung eingehend zu ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen befragt und wurden seitens der Beschwerdeführer Beweismittel zur Integration zur Vorlage gebracht.

Die belangte Behörde blieb den mündlichen Beschwerdeverhandlungen entschuldigt fern. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 30.01.2019 wurde das Erkenntnis im gegenständlichen Familienverfahren mündlich verkündet. Die Beschwerdeführer gaben namens ihres bevollmächtigten Vertreters in der Verhandlung keine Erklärung ab.

9. Die Niederschrift vom 30.10.2018 und die Niederschrift vom 30.01.2019 samt bezughabender Belehrung gemäß § 29a Abs. 2a VwGVG, wurden der belangten Behörde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.01.2019 übermittelt.

10. In der Folge stellten sowohl die belangte Behörde als auch die Beschwerdeführer fristgemäß den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 30.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Allgemein zu den Personen der Beschwerdeführer und deren Leben in Österreich:

Die Identität der BF1 bis BF5 steht für das Verfahren mit ausreichender Sicherheit fest. Die Beschwerdeführer sind allesamt Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan (im Folgenden "Afghanistan"), BF1 Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, BF2 Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und sind sunnitischen Glaubensbekenntnisses.

Der BF1 ist am 01.01.1976 in Herat, Afghanistan, geboren. Er hat im Alter von sieben Jahren in seinem Herkunftsstaat für die Dauer von ca. eineinhalb Jahren die Koranschule besucht. Der BF1 spricht Dari, kann jedoch Dari weder lesen noch schreiben und gilt als Analphabet. Für die Dauer von einem Jahr zwischen 1370 und 1371 war der BF1 Mitglied der Hezb-e-Islami und hat im Anschluss im Alter von ca. 16 Jahren Afghanistan Richtung Iran verlassen. Einige Monate danach ist auch der Vater, die Mutter und zwei Brüder in den Iran nachgezogen. Der BF1 hat nach seiner Einreise in den Iran keinen Kontakt mehr zu Mitgliedern der Hezb-e-Islami gesucht oder aufgenommen. Der Bruder des BF1 ist im Jahr 1379 (=2000/2001) in Afghanistan ums Leben gekommen. Der BF1 hat im Alter von ca. 24 Jahren die BF2 im Jahr 1382 (=2003/2004) in Teheran, Iran, geheiratet. Im Iran verdingte sich der BF1 als Bauarbeiter und führte ua. Spachtelarbeiten bei Gipskartonplatten durch. Im Herkunftsstaat hat der BF1 einen Onkel väterlicherseits, der in der Provinz Herat aufhältig ist. Dieser Onkel ist einfacher Landarbeiter. Die wirtschaftliche Situation dieses Verwandten des BF1 ist dahingehend zu beschreiben, dass eine Unterstützung der Beschwerdeführer durch diesen Verwandten in Form von Zurverfügungstellung von Wohnraum, bei der Arbeits- und Wohnungssuche oder durch finanzielle Beiträge bei einer Rückkehr nach Afghanistan bzw. Neuansiedelung in Afghanistan bzw. in Herat selbst, nicht zu erwarten ist.

Die BF2 ist am 01.01.1986 in Teheran, Islamische Republik Iran (im Folgenden "Iran") geboren. Im Alter von vier oder fünf Jahren war die BF2 für die Dauer von ca. zwei Jahren in Herat, Islamische Republik Afghanistan, aufhältig und kehrte im Anschluss in den Iran zurück, wo sie den BF1 im Jahr 1382 (entspricht 2003/2004) in Teheran geheiratet hat. Die Muttersprache der BF2 ist Dari, wurde ebendort alphabetisiert und kann Dari in Grundzügen lesen und schreiben. In Teheran hat sich die BF2 um den Haushalt gekümmert und aushilfsweise in einem Friseursalon einer Freundin gearbeitet. Im Herkunftsstaat der BF2 leben noch drei Onkeln väterlicherseits, sowie ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits in Herat. Die Mutter der BF2, eine Schwester und ein Bruder sind in der Bundesrepublik Deutschland, ein weiterer Bruder und eine Schwester sind im Iran aufhältig. Der Vater der BF2 ist verstorben.

Die BF2 hat im Herkunftsstaat Verwandte, die in Herat leben. Die wirtschaftliche Situation dieser Verwandten der BF2 ist dahingehend zu beschreiben, dass eine Unterstützung der Beschwerdeführer durch diese Verwandten in Form von Zurverfügungstellung von Wohnraum, bei der Arbeits- und Wohnungssuche oder durch finanzielle Beiträge bei einer Rückkehr nach Afghanistan bzw. Neuansiedelung in Afghanistan bzw. in Herat selbst, nicht zu erwarten ist.

BF1 und BF2 sind die leiblichen Eltern der minderjährigen BF3, BF4 und BF5.

BF4 ist am 01.01.2007 und BF5 ist am 01.01.2009 im Iran geboren. BF3 ist am 21.03.2016 im Bundesgebiet geboren.

BF1, BF2, BF4 und BF5 haben bis zu ihrer Ausreise ins Bundesgebiet zuletzt im Iran gelebt und reisten in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig nach Österreich ein und stellten am 11.02.2016 den beschwerdegegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF1 bis BF5 leben von der Grundversorgung und es scheinen im Strafregister der Republik Österreich keine Vormerkungen auf.

BF1 und BF2 haben außer ihren Kindern in Österreich keine Familienangehörigen.

Alle Beschwerdeführer sind gesund, anderslautendes ist dem Gericht nicht bekannt geworden, BF1 und BF2 sind arbeitsfähig.

Die BF2 hat das ÖSD Zertifikat A1 am 27.09.2018 mit "gut" bestanden, der BF1 kann keine bestandene Deutsch-Prüfung vorweisen. BF1 hat am Werte und Orientierungskurs teilgenommen. Eine verfestigte Integration der Beschwerdeführer kann nicht erkannt und nicht festgestellt werden. Der BF5 besucht die Volksschule Pfarrkirchen, der BF4 die Neue Mittelschule Hofkirchen.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Der BF1 konnte keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen.

Die BF2 führt seit ihrer Einreise in Österreich im Jahr 2016 kein selbstbestimmtes - auch als "westlich" bezeichnetes - Leben. Sie hat keine selbstbestimmte Lebensführung in einem Ausmaß angenommen, dass dadurch eine so intensive "westliche Orientierung" vorliegen würde, deren Aufgabe für sie entweder unmöglich wäre, oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und die Kinder, was sie auch bisher im Iran getan hat. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung der BF2 bzw. eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe westlich orientierter Frauen konnte auch nicht glaubhaft gemacht werden.

In Afghanistan besteht Schulpflicht, wo ein Schulangebot faktisch auch vorhanden ist. Die Minderjährigen BF3, BF4 und BF5 haben dieselben Fluchtgründe wie deren gesetzlicher Vertreter BF1. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn dem BF3, dem BF4 und dem BF5 eine grundlegende Bildung zukommt. Eigene und in den Personen der allesamt minderjährigen BF3, BF4 und BF5 liegenden Gründe einer asylrelevanten Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat sind nicht hervorgekommen.

Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie oder wegen ihrer politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wären.

Der BF1 war in Afghanistan für die Dauer von einem Jahr vor über 20 Jahren Mitglied der Hezb-e-Islami und ist danach ausgeschieden. Er war in Afghanistan niemals in Haft, ist in Afghanistan nicht vorbestraft und wird auch nicht mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht. Der BF1 konnte eine persönliche Bedrohung in Afghanistan nicht glaubhaft machen.

Die BF2 wurde in Afghanistan niemals persönlich bedroht oder verfolgt, weil es sich bei ihr um eine Frau handelt.

Die Beschwerdeführer hatten allesamt in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht.

Die Beschwerdeführer wurden insgesamt in Afghanistan weder aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bedroht oder verfolgt, noch aufgrund der Religionszugehörigkeit.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Mit ihren Angaben zeigen die Beschwerdeführer asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans nicht auf, welche dazu geeignet wären, sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen auszusetzen.

Es besteht betreffend dem unmündig minderjährigen BF3 eine allgemeine Gefährdungslage im Herkunftsstaat.

Bei dem unmündig minderjährigen BF3 handelt es sich um eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Person (VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479-9) und geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass dem unmündig minderjährigen BF3 bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul, Mazar-e-Sharif oder eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz des BF1, Herat, die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.

Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat stehen nicht als eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, sodass der unmündig minderjährige BF3 nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedelung in andere Landesteile Afghanistans verwiesen werden kann.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Afghanistan:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 09.01.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.4.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.4.1.1. Herat

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

1.4.1.2. Kabul

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

1.4.1.3. Mazar-e Sharif/Balkh

Bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar- e Sharif, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen, diese sind auch am meisten armutsgefährdet.

In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keinerlei Lebensmittelknappheit.

In Mazar- e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen.

Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden ist aber besonders für Kinder von Vertriebenen und Rückkehrern wie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren schwierig, zumal die Aufnahmekapazität der Schulen begrenzt ist und oftmals nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die Kinder in die Schule schicken zu können.

1.4.2. Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR. Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl.USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen). Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen.

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon

77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit.

Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen. Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung,

Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

1.4.3. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

Bildungssystem in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UNOrganisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9.2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9.2016; vgl. CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).

Bei der Bewertung des Sicherheitskriteriums in Hinblick auf eine potentielle innerstaatliche Fluchtalternative sollte auf die Lage der Kinder ebenfalls Bedacht genommen werden.

Insbesondere sind folgende Teilaspekte zu berücksichtigen:

Alter: Im Allgemeinen sind Kinder zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf andere Versorger angewiesen. Ferner kommt ihnen auch eine besondere Schutzbedürftigkeit zu (einschließlich auch in Hinblick auf Gefahren wie beispielsweise kinderspezifische Verfolgung oder schwerwiegende Schädigung infolge von Kinderheirat oder Kinderarbeit). Darüber hinaus haben Minderjährige auch spezielle Rechte und Bedürfnisse, für welche in Übereinstimmung mit internationalen Urkunden (wie z.B. der Kinderrechtskonvention) entsprechend Sorge zu tragen ist. Auch das Alter des Kindes kann bei der Einzelfallprüfung maßgeblich sein.

Zugang zu Bildung: Die Frage des Zugangs zu einer schulischen Grundausbildung sollte unter Bezugnahme sowohl auf die allgemeine Lage in den drei Städten als auch auf die persönlichen Verhältnisse der Familie und insbesondere des Kindes beurteilt werden.

Sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund / Unterstützungsnetzwerk:

Zur Absicherung ihres Lebensunterhalts und eines Zugangs zu Grundversorgungsdiensten ist eine Prüfung des sozialen und wirtschaftlichen Hintergrunds der Familie sowie der Möglichkeit, Unterstützung durch ein Hilfsnetzwerk zu erhalten, von maßgeblicher Bedeutung.

Schulische Einrichtungen sind in den Städten Herat, Mazar-e Sharif und Kabul vorhanden. Der Zugang zu Schulen ist aber insbesondere für Kinder von Vertriebenen und Rückkehrern schwierig, zumal die Aufnahmekapazität der Schulen begrenzt ist und oftmals nicht ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die Kinder zur Schule schicken zu können ["Key socio-economic indicators" - Sozio-ökonomische Kennzahlen, 2.5.].

Im Allgemeinen ist eine innerstaatliche Fluchtalternative für Kinder innerhalb einer Familie nicht zumutbar, sofern die Familie nicht über ausreichende finanzielle Mittel bzw. ein Unterstützungsnetzwerk im jeweiligen Landesteil von Afghanistan verfügt, wie es bei den Beschwerdeführern im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vorliegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen betreffend die Personen der Beschwerdeführer und deren Leben in Österreich:

Die Feststellungen zu den Namen und Geburtsdaten der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren dahingehend glaubhaften Angaben vor der belangten Behörde und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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