Entscheidungsdatum
17.04.2019Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W125 2162481-2/10E
W125 2162484-2/ 9E
W125 2162483-2/ 9E
W125 2215344-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian Filzwieser als Einzelrichter über die Beschwerde von
1. XXXX auch XXXX alias XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX
,
2. XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX alias XXXX ,
3. XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX alias XXXX ,
4. XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX alias XXXX ,
alle StA Armenien, alle vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 9.1.2019, (1.) Zl IFA: XXXX
Verfahrenszahl: XXXX , (2.) Zl IFA: XXXX Verfahrenszahl: XXXX , (3.)
Zl IFA: XXXX , Verfahrenszahl: XXXX , (4.) Zl IFA: XXXX ,
Verfahrenszahl: XXXX , jeweils zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 57 AsylG 2005 und § 61 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 FPG (1. - 3.) bzw §§ 5 AsylG 2005 und § 61 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 FPG (4.) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen zweitbis viertbeschwerdeführenden Parteien.
1. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin stellte am 29.1.1999 mündlich (unter Angabe der Identität XXXX , geboren am XXXX ) und der Vater der Erstbeschwerdeführerin stellte am 18.6.1999 schriftlich (unter Angabe der Identität XXXX , geboren am XXXX ) für die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin einen Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG 1997. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.4.2000, Zl XXXX , gemäß § 10 in Verbindung mit § 11 Abs 1 AsylG 1997 abgewiesen, weil sowohl der Asylantrag des Vaters als auch jener der Mutter der Erstbeschwerdeführerin abgewiesen worden waren. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 14.6.2000, Zl 216.717/0-IX/26/00, gemäß §§ 10, 11 AsylG 1997 ab.
2. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin stellte am 9.1.2001 einen zweiten Asylerstreckungsantrag für die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.4.2001, Zl XXXX , gemäß § 10 iVm § 11 Abs 1 AsylG 1997 abgewiesen wurde. Die dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.11.2001, Zl 216.717/1-IX/26/01, gemäß §§ 10, 11 AsylG abgewiesen, weil der Asylantrag der Mutter der Erstbeschwerdeführerin abgewiesen worden war. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde zufolge Zurückziehung der Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren mit Beschluss vom 27.2.2003, Zl 2002/20/0008, eingestellt.
Der Zweitbeschwerdeführer wurde am XXXX in Armenien geboren.
3. Am 5.3.2007 stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer (unter dem Namen XXXX ) Anträge auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 4.4.2008, Zl XXXX und Zl XXXX , wurde der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer weder der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 noch der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 zuerkannt und sie wurden unter einem gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen.
Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer in Österreich geboren. Der Vater des Drittbeschwerdeführers stellte für ihn mit Schriftsatz vom 23.9.2008, eingelangt am 25.9.2008, einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 (unter Angabe des Namens XXXX). Mit Bescheid vom 18.12.2008, Zl XXXX , wies das Bundesasylamt den Antrag des Drittbeschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 in Verbindung mit § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs 1 in Verbindung mit § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab und der Drittbeschwerdeführer wurde unter einem gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen.
Die gegen die obgenannten Bescheide erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 2.2.2009, Zl E11 216.717-3/2008, Zl E11 319.071-1/2008 und Zl E11 403.818-1/2009, gemäß §§ 3, 8 Abs 1 Z 1, 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet ab.
Die Behandlung der gegen diese Entscheidungen erhobenen Beschwerden der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 16.6.2009, U 425-427/09, ab.
4. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 16.7.2009 erneut für sich und die minderjährigen zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 16.10.2009, Zl XXXX , Zl XXXX und Zl XXXX , gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Unter einem wurden die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 13.11.2009, Zl E14 216.717-4/2009, Zl E14 319.071-2/2009 und Zl E14 403.818-2/2009, wurden die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen.
5. Am 24.1.2017 beantragte die Erstbeschwerdeführerin für sich (unter Verwendung der Identität XXXX ) und für die minderjährigen zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien (unter Angabe der Namen
XXXX und XXXX die Gewährung internationalen Schutzes.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.1.2017 brachte die Erstbeschwerdeführerin jeweils Kopien der Datenseite der Reisepässe der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien in Vorlage und gab im Wesentlichen an, sie sei am XXXX .12.2016 aus Jerewan mit dem Flugzeug über Moskau nach Wien mit einem gültigen spanischen Touristenvisum geflogen. Ihr mitgereister "Ehemann" habe ihren Reisepass samt dem darin angebrachten Visum mitgenommen, als er wieder aus Österreich ausgereist sei. Der Aufenthalt ihres "Ehemanns" sei ihr nicht bekannt. Sie habe die Grundschule in Jerewan von September 1991 bis Mai 1999 sowie ein Jahr die Hauptschule in XXXX besucht und verfüge über eine Berufsausbildung als Ballettlehrerin. In Österreich würden sich abgesehen von ihren mitgereisten Söhnen (den zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien) ihre Eltern und zwei Schwestern aufhalten. Sie und ihre beiden Kinder könnten bei ihrer Schwester XXXX Unterkunft nehmen. Ihr Fuß bereite ihr gesundheitliche Probleme und sie sei auf Hilfe angewiesen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 25.1.2017 unter Hinweis auf die spanischen Schengen-Visa (gültig von XXXX .11.2016 bis XXXX .5.2017) ein auf Art 12 Abs 2 oder Abs 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Spanien.
Am 9.2.2017 stimmten die spanischen Behörden diesem Ersuchen gemäß Art 12 Abs 2 Dublin-III-VO ausdrücklich zu.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 1.3.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein eines Rechtsberaters und einer Vertrauensperson an, dass sie sich gesund fühle und derzeit nicht in ärztlichen Behandlung stehe. Sie nehme Schmerzmittel, weil sie Gelenksschmerzen habe. Sie habe wegen eines gebrochenen Knochens auch eine Beinoperation gehabt. Ihre beiden Kinder seien gesund und würden keine Medikamente einnehmen. Die Erstbeschwerdeführerin verneinte die Frage, ob sie im Bereich der EU Verwandte habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis beziehungsweise eine besonders enge Beziehung bestehe. In Österreich würden sich ihre Eltern, zwei Schwestern und ein Onkel väterlicherseits mit dessen Familie aufhalten. Sie lebe mit ihren Kindern im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwester. Von ihrer Familie bekomme sie Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld je nach Bedarf. Ihr Mann, der auch der Vater ihrer zwei Kinder sei, sei nicht in Armenien und sie wisse nicht, wo er sich aufhalte. Er wolle nicht nach Österreich, weil er schon einmal abgeschoben worden sei. Sie habe keinen Kontakt zu ihrem Mann; sie hätten sich nicht getrennt.
Konfrontiert mit dem Umstand, dass geplant sei, die Anträge der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 5 AsylG 2005 wegen Zuständigkeit Spaniens zurückzuweisen, gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihre ganze Familie sei in Österreich. Sie könne etwas Deutsch, habe Probleme mit dem Knochen und würde bei der Verpflegung ihrer Kinder von ihrer Familie unterstützt werden. Ihre Kinder würden in Österreich die Schule besuchen; ihr Sohn spreche gut Deutsch und zeige guten Lernerfolg. Ihre Familie sei bereit, sämtliche Kosten für sie und ihre Kinder zu übernehmen. In Spanien hätten sie niemanden. Sie ersuche um eine Prüfung des Verfahrens in Österreich; sie sei bereit einen Beruf zu erlernen und zu arbeiten.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5.6.2017, Zl IFA: XXXX , Verfahrenszahl: XXXX (Erstbeschwerdeführerin), Zl IFA: XXXX , Verfahrenszahl: XXXX (Zweitbeschwerdeführer), IFA: XXXX , Verfahrenszahl: XXXX (Drittbeschwerdeführer), wurden die Anträge der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Spanien für die Prüfung der Anträge gemäß Art 12 Abs 2 Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkte I.). Gleichzeitig wurden gegen die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 61 Abs 1 FPG die Außerlandesbringungen angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Spanien gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkte II.).
Den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.6.2017, Zl W233 2162481-1/3Z, Zl W233 2162483-1/3Z, und Zl W233 2162484-1/3Z, gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Schreiben vom 30.6.2017 setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die spanischen Behörden über die Erhebung eines Rechtsmittels mit aufschiebender Wirkung in Kenntnis.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.7.2017, Zl W233 2162481-1, Zl W233 2162483-1 und Zl W233 2162484-1, wurden die Beschwerden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.
Eine für den 18.9.2017 geplante Überstellung der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien scheiterte, weil die geplante Festnahme negativ verlief.
Am 20.10.2017 konnten die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien an der im Zentralen Melderegister aufscheinenden Wohnadresse nicht angetroffen werden. Die Bewohnerin der Wohnung gab an, dass ihr die Familie nicht bekannt sei. Die beiden Schwestern der Erstbeschwerdeführerin gaben an, die Erstbeschwerdeführerin befinde sich in Wien und ihnen seien keine Kontaktdaten bekannt. Die Ladung für den 31.10.2017 wurde der Schwester der Erstbeschwerdeführerin ausgefolgt.
Zum Ladungstermin am 31.10.2017 wurde die Schwester der Erstbeschwerdeführerin vorstellig, die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien erschienen jedoch nicht. Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin wurde eine Bestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 31.10.2017 in Vorlage gebracht, wonach sie wegen Krankheit vom 30.10.2017 bis 3.11.2017 nicht in der Lage sei / wäre, ihren Beruf auszuüben.
Bei Nachschauen an der im Zentralen Melderegister aufscheinenden Wohnadresse der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien am 31.10.2017 um XXXX Uhr und um XXXX Uhr sowie am 1.11.2017 um XXXX Uhr durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes konnten sie nicht angetroffen werden. Die Eltern und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin gaben an, die Erstbeschwerdeführerin sei in den Morgenstunden mit ihren Kindern nach XXXX gefahren, weil sie einen Termin habe.
Die für den 2.11.2017 geplante Überstellung der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien wurde storniert.
Bei einem Zustellversuch einer Ladung für den 14.11.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes konnten die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien am 6.11.2017 um XXXX Uhr nicht an der im Zentralen Melderegister aufscheinenden Wohnadresse angetroffen werden. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin gab an, er wisse nicht, wann die Erstbeschwerdeführerin zurückkomme. Sie sei in Wien und nur ab und zu in XXXX . Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin gab an, nicht zu wissen, wo sich die Erstbeschwerdeführerin aufhalte.
Am 7.11.2017 wurde der damalige Rechtsvertreter per E-Mail ersucht, den erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien die Ladung für den 14.11.2017 zur Kenntnis zu bringen.
Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 14.11.2017 im Parteienverkehr ohne ihre Kinder vorstellig. Sie gab an, ihre Kinder seien krank und die Mutter der Erstbeschwerdeführerin passe auf sie auf. Am gleichen Tag erschienen der Lebensgefährte und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin samt deren Ehemann vor der Verwaltungsbehörde.
Die für den 16.11.2017 geplante Überstellung der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien wurde storniert, weil eine gemeinsame Festnahme der Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern nicht möglich war.
Am 6.12.2017 wurden die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien an der im Zentralen Melderegister aufscheinenden Adresse amtlich abgemeldet.
Nachschauen an dieser Adresse sowie an den Adressen der beiden Schwestern der Erstbeschwerdeführerin zwecks Vollziehung eines Festnahmeauftrages verliefen am 17.12.2017 um XXXX Uhr und um XXXX Uhr sowie am 18.12.2017 um XXXX Uhr respektive um XXXX Uhr negativ.
Mit Schreiben vom 18.12.2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den spanischen Behörden mit, dass die für den 19.12.2017 geplante Überstellung storniert werde und die Überstellung verschoben werden müsse, weil die Antragsteller flüchtig seien. Daher werde die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert.
Am XXXX wurde die Viertbeschwerdeführerin in Österreich geboren.
Gemäß § 17a Abs 2 AsylG 2005 wurde für die Viertbeschwerdeführerin am 6.11.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Mit Schreiben vom 6.11.2018 setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die spanische Dublin-Behörde von der Geburt der Viertbeschwerdeführerin in Kenntnis.
Am 23.11.2018 wurden die Erstbeschwerdeführerin samt ihren Kindern sowie ihr Lebensgefährte festgenommen. Die Erstbeschwerdeführerin "hyperventilierte" im Zuge der Festnahme und wurde in das Landeskrankenhaus XXXX gebracht, wo sie ambulant medizinisch versorgt wurde und am gleichen Tag entlassen wurde. Die erst-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien wurden zunächst in das Polizeianhaltezentrum XXXX und später an das Polizeianhaltezentrum XXXX übergeben. Der Zweitbeschwerdeführer konnte während der Festnahmehandlung untertauchen. Die Erstbeschwerdeführerin verweigerte am gleichen Tag die Übernahme von Bescheiden vom 23.11.2018 über die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG und die Übernahme einer Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 und § 15a AsylG 2005.
Der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin wurde am 24.11.2018 aus der Anhaltung ohne Verhängung der Schubhaft entlassen und die erst-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien kamen ihrer Meldeverpflichtung seit dem 25.11.2018 ( XXXX Uhr) nicht mehr nach und waren unbekannten Aufenthalts.
6. Im Rahmen der Festnahmehandlung wurden am 23.11.2018 Aufenthaltstitel der Erstbeschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten für Polen im Scheckkartenformat sichergestellt.
Daraufhin richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin am 27.11.2018 unter Hinweis auf den bis XXXX .1.2021 gültigen polnischen Aufenthaltstitel und ihre minderjährigen Kinder sowie ihren Lebensgefährten ein auf Art 12 Abs 1 oder Abs 3 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Polen.
Mit Schreiben vom 3.12.2018 stimmte die polnische Dublin-Behörde dem Ersuchen gemäß Art 12 Abs 1 Dublin III-VO zu und ersuchte um Übermittlung der Geburtsurkunden hinsichtlich der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien.
Am 7.12.2018 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Geburtsurkunde der Viertbeschwerdeführerin und Kopien der Reisepässe bezüglich der zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien.
Mit Schreiben vom 11.12.2018 stimmte die polnische Dublin-Behörde der Überstellung der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß Art 20 Abs 3 Dublin-III-VO zu.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 9.1.2019 (offenbar irrtümlich mit 9.1.2018 datiert) gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei derzeit nicht in ärztlicher Behandlung. Sie nehme Beruhigungsmittel sowie Medikamente gegen Schmerzen und gegen nervöse Herzprobleme. Die Frage nach Neuigkeiten hinsichtlich ihrer familiären Verhältnisse verneinte sie und gab an, es sei alles gleich geblieben. Ihr ältester Sohn sei ein erfolgreicher Schüler und er wolle seine Ausbildung hier abschließen, weil er sehr gut Deutsch spreche. Der zweitälteste Sohn könne Deutsch nur schreiben und könne Armenisch sprechen. Ihre Kinder seien alle gesund, aber sie seien sehr ängstlich und hätten vor der Polizei Angst wegen des Polizeieinsatzes. Ihr Mann und ihr ältester Sohn würden nicht gemeinsam bei ihr mit den jüngeren Kindern wohnen. Sie habe keine behördliche Meldeadresse und habe sich seit Rechtskraft des Verfahrens bei ihrer Mutter in XXXX aufgehalten. Befragt nach den polnischen Aufenthaltstiteln führte sie dann aus, sie hätten einen Antrag auf Aufenthaltstitel gestellt, nachdem das Verfahren hier negativ geworden sei. Ihr Mann habe bereits einen Aufenthaltstitel in Polen gestellt gehabt, sie habe die Heiratsurkunde vorlegen müssen und auch einen Aufenthaltstitel bekommen.
Konfrontiert mit dem Umstand, dass geplant sei, die beschwerdeführenden Parteien nach Polen zu überstellen, gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihre Kinder gingen in die Schule und sie wolle das Sorgerecht auf ihre Schwester übertragen. Sie selbst sei seit 1999 in Österreich und sei sogar in die Schule gegangen. In Polen habe sie keine Chance, eine Arbeit zu finden, und sie sowie ihre Kinder würden die Sprache nicht kennen. Ihre ganze Familie befinde sich in Österreich, in Polen habe sie niemanden. Sie habe psychische Probleme und brauche die Hilfe ihrer Mutter und ihrer Geschwister.
Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer gab im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom gleichen Tag im Wesentlichen an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er lebe mit seinem Vater zusammen, wolle in Österreich weiter in die Schule gehen und hier an einer Universität studieren. Seine Muttersprache sei Armenisch; er spreche sehr gut Deutsch sowie Russisch und auch gut Englisch. In Polen müsse er die polnische Sprache lernen. Er habe sich in Österreich integriert und Freunde gefunden.
Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9.1.2019 wurden den erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte I.) und gemäß § 61 Abs 1 Z 2 FPG Anordnungen zur Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebungen nach Polen gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig seien (Spruchpunkte II.). In den Rechtsmittelbelehrungen dieser Bescheide wurde eine vierwöchige Beschwerdefrist eingeräumt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9.1.2019 betreffend die Viertbeschwerdeführerin wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ihren Antrag auf internationalen Schutz vom 6.11.2018 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Polen für die Prüfung des Antrages gemäß Art 20 Abs 3 Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Viertbeschwerdeführerin gemäß § 61 Abs 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). In der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides wurde eine zweiwöchige Beschwerdefrist genannt.
Zur Lage in Polen traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils folgende Feststellungen (unkorrigiert):
" (...) Allgemeines zum Asylverfahren
In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten:
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(AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 3.11.2017
Dublin-Rückkehrer
Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab dessen Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. 2016 gab es keinen einzigen Fall, in dem ein Verfahren innerhalb der Neun-Monatsfrist wiedereröffnet worden wäre. Viele Rückkehrer zogen hingegen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einer Wiedereröffnung ihrer Verfahren vor. Dublin-Rückkehrer sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt wie alle anderen Antragsteller (AIDA 2.2017; vgl. EASO 24.10.2017).
Das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt den Gesundheitszustand eines Rückkehrers nach seiner Überstellung nach Polen, auch im Hinblick auf seine speziellen Bedürfnisse. Außerdem werden im Einvernehmen mit dem Fremdenamt (UDSC) und dem medizinischen Personal die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers bzw. die eventuelle Notwendigkeit, ihn in einer fachlichen medizinischen Einrichtung unterzubringen, abgesprochen. Abhängig von dem Zustand der motorischen Fähigkeit des Ausländers stellt die Grenzwache den Transport eines bedürftigen Rückkehrers zum Aufnahmezentrum, einer medizinischen Einrichtung (falls er einer sofortigen Hospitalisierung bedarf) oder einer fachlichen medizinischen Einrichtung sicher. Personen mit einer vorübergehenden oder dauerhaften motorischen Behinderung, die eines Rollstuhls bedürfen, werden in einem für die Bedürfnisse der motorisch Behinderten angepassten Zentrum untergebracht. Falls der Ausländer einer Rehabilitation bedarf, wird medizinische Ausrüstung sichergestellt. Das medizinische Personal des Flüchtlingszentrums bestimmt die Bedürfnisse des Rückkehrers im Bereich der Rehabilitation und der medizinischen Ausrüstung. Es besteht die Möglichkeit, eine vom Arzt verordnete Diät anzuwenden. Das Fremdenamt garantiert einen Transport zu fachärztlichen Untersuchungen oder Rehabilitation. Der Transport zu ärztlichen Terminen in medizinischen Einrichtungen wird garantiert. Antragsteller, die schwer behindert, pflegebedürftig oder bettlägerig sind, deren Pflege in einem Flüchtlingszentrum nicht gewährleistet werden kann, werden in speziellen Pflegeanstalten oder Hospizen untergebracht. Diese Einrichtungen garantieren medizinische Leistungen samt der notwendigen Rehabilitation für Behinderte rund um die Uhr und professionell ausgebildetes Personal (VB 7.7.2017).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query.
Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail
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VB des BM.I in Polen (7.7.2017): Bericht der polnischen Asylbehörde, per E-Mail
Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable
Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, alleinerziehende Elternteile, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Am Anfang und während des Asylverfahrens sind vom Gesetz gewisse medizinische und psychologische Identifikationsmechanismen vorgesehen und werden auch angewendet, wenn auch die Initiative dazu oft vom Antragsteller ausgehen muss. An der Grenze wendet die Grenzwache eigene Identifizierungsmechanismen für Vulnerable an, die von NGOs als ungenügend kritisiert werden. Einige NGOs behaupten, dass das im polnischen Gesetz vorgesehene Identifikationssystem für Vulnerable in der Praxis nicht funktioniere (AIDA 2.2017).
Die für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen zuständige Vertragsfirma Petra Medica ist vertraglich verpflichtet, einen Früherkennungsmechanismus für Vulnerable zu betreiben. Psychologische Versorgung inklusive Übersetzung ist in allen Unterbringungseinrichtungen vorhanden. Verfahren vulnerabler Personen werden priorisiert und alle Beamten im Umgang mit Vulnerablen geschult. Das Verfahren zur Identifizierung Vulnerabler wurde im Zuge eines Projekts mit einer NGO entwickelt. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse geschieht durch einen Arzt während der Erstuntersuchung (epidemiologischer Filter). Werden psychische Probleme erkannt, wird der Betreffende zu einem Psychologen überwiesen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Hinweise auf Vulnerabilität aufkommen, wird ebenfalls eine psychologische Untersuchung veranlasst. Gleiches gilt bei Hinweisen auf Folter. Wenn auch von NGOs behauptet wird, die Identifizierung der Vulnerabilität funktioniere in der Praxis nicht immer, kann Polen dennoch als positives Beispiel genannt werden, da der Identifikationsmechanismus verpflichtend ist, und konkrete Umsetzungsmaßnahmen festgelegt wurden (HHC 5.2017).
In Polen gibt es drei NGOs, die sich auf die psychologische Betreuung von vulnerablen Asylwerbern spezialisieren. Die NGO International Humanitarian Initiative arbeitet in Warschau und besucht nötigenfalls auch geschlossene Einrichtungen. Sie betreiben auch das Projekt "Protect" für Folteropfer. Die NGO Ocalenie Foundation arbeitet auch in Warschau und hat einen Psychologen, der Russisch und Englisch spricht. Die dritte ist die Stiftung Róznosfera, welche 2015-2016 ein Projekt mit Grenzwache und Asylbehörde zur Identifizierung von Vulnerablen betrieben hat. Andere NGOs bieten psychologische Hilfe aus finanziellen Gründen nur eingeschränkt und unregelmäßig an (AIDA 2.2017).
Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind auch entsprechend unterzubringen. Einige der Unterbringungszentren in Polen sind behindertengerecht angepasst. Drei Zentren haben spezielle Eingänge und Bäder für Rollstuhlfahrer, sieben andere Zentren haben gewisse Verbesserungen für diese Gruppe umgesetzt, und es gibt Rehabilitationsmaßnahmen. Traumatisierte Asylwerber (etwa Folteropfer) können in Einzelzimmern untergebracht werden. In Warschau gibt es ein Zentrum, speziell für alleinstehende Frauen mit Kindern. Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).
Wenn Zweifel an der Minderjährigkeit eines Antragstellers bestehen, ist, mit Zustimmung des Antragstellers bzw. seines Vertreters, eine medizinische Altersfeststellung vorgesehen. Es gibt drei Möglichkeiten hierfür: allgemeine Untersuchung, Handwurzelröntgen und Zahnuntersuchung, in dieser Reihenfolge. Im Zweifelsfall wird die Minderjährigkeit angenommen. Wird die Zustimmung zur Altersfeststellung verweigert, wird der Betreffende als Erwachsener behandelt. Die Gesetze sehen vor, dass für unbegleitete Minderjährige auf Antrag der Asylbehörde vom lokalen Bezirksfamiliengericht ein Vormund (kurator) bestimmt werden muss, was in der Praxis auch ausnahmslos der Fall ist. Die Frist zur Bestellung beträgt drei Tage. Es gibt keine Berichte zur Einhaltung dieser Regel. Der Vormund ist nur für das Asylverfahren zuständig, nicht für andere Lebensbereiche des UMA. In den letzten Jahren gab es in der Praxis Probleme mit der zu geringen Zahl an Kandidaten für eine Vormundschaft. Meist wurden NGO-Mitarbeiter oder entsprechend engagierte Rechtswissenschaftsstudenten bestellt. Der Vormund soll während des Asylinterviews des unbegleiteten Minderjährigen anwesend sein, ebenso ein Psychologe (AIDA 2.2017).
Unbegleitete Minderjährige (UM) werden nicht in den herkömmlichen Unterbringungszentren für Asylwerber, sondern in verschiedenen Kinderschutzeinrichtungen in ganz Polen untergebracht. Auch die Unterbringung in Pflegefamilien ist möglich. 2016 waren die meisten UM (142 Anträge von UM gab es in jenem Jahr) in Einrichtungen in Ketrzyn, in der Nähe des dortigen Unterbringungszentrums untergebracht, andere auch in Przemysl oder Rzeszów. Wenn das Asylverfahren negativ ausgeht, bleibt der UM in der Unterbringung, in der er sich befindet. 2016 wurden zwölf Verfahren von UM eingestellt, weil sich diese dem Verfahren entzogen (absconded) (AIDA 2.2017). Unbegleitete Minderjährige unter 15 Jahren dürfen nicht in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
Non-Refoulement
Gemäß polnischem Asylgesetz gilt ein Asylantrag als unzulässig, wenn ein anderes Land existiert, in dem der Antragsteller als Flüchtling behandelt wird und dort Schutz genießen kann bzw. in anderer Form vor Refoulement geschützt ist (first country of asylum). 2016 gab es in Polen 770 Unzulässigkeitsentscheidungen, aber es gibt keine Daten, wieviele davon auf die genannte Regelung zurückgehen (AIDA 2.2017).
Es gibt Berichte, wonach immer wieder potentiellen Antragstellern an der Grenze zu Weißrussland die Einreise nach Polen und der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird (AIDA 2.2017). Stattdessen werden sie nach Belarus zurückgeschickt. Die Grenzwache sagt, dass jene, denen die Einreise verweigert wurde, Wirtschaftsmigranten ohne Visa gewesen seien, die lediglich nach Westeuropa weiterreisen wollten (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). NGOs kritisieren, dass die Grenzwache diese Erkenntnis aus lediglich rudimentären zwei- bis dreiminütigen Befragungen (pre-screening interviews) gewinne. Das polnische Außenministerium wiederum sagt, dass das Gebiet, auf dem diese pre-screening interviews stattfinden, nicht polnisches Territorium sei (HRW 15.6.2017). Es wird weiter kritisiert, dass Belarus über kein funktionierendes Asylsystem verfüge, und daher die hauptsächlich tschetschenischen bzw. zentralasiatischen Schutzsuchenden einem Risiko ausgesetzt seien, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden und dort Opfer von Folter oder Misshandlung zu werden. Diese Praxis dauert angeblich trotz mehrerer interim measures des EGMR weiter an (AI 5.7.2017).
Quellen:
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/336602/479283_de.html, Zugriff 10.11.2017
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AI - Amnesty International (5.7.2017): Public Statement: Poland:
EU Should Tackle Unsafe Returns to Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1499329689_eur3766622017english.pdf, Zugriff 10.11.2017
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HRW - Human Rights Watch (15.6.2017): Poland Ignores European Court Over Return of Asylum Seeker, https://www.ecoi.net/local_link/341960/485286_de.html, Zugriff 10.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
Versorgung
Asylwerber müssen sich binnen zwei Tagen ab Antragstellung in einem Erstaufnahmezentrum registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum sind sie während des gesamten Asylverfahrens sowie ohne Unterschied zu materieller Unterstützung berechtigt, auch im Zulassungs- und im Dublinverfahren sowie bei Folgeanträgen und während laufender erster Beschwerde. Wenn Antragsteller nach einer erfolglosen Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid den Beschwerdeweg weiter beschreiten (Beschwerde an den Voivodeship Administrative Court in Warschau; 2. Beschwerdeinstanz), wird ihnen das Recht auf Versorgung aberkannt. Wenn das Gericht die angefochtene Entscheidung suspendiert, wird dem Beschwerdeführer das Recht auf Versorgung wieder zuerkannt. Jedoch hat der Voivodeship Administrative Court dies im Jahr 2016 meist nicht getan, was dazu führte, dass die betroffenen Beschwerdeführer ohne staatliche Versorgung blieben (AIDA 2.2017).
Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgülitigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings schlicht eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitraum auf 14 Tage. Da Antragsteller mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn sie diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Praxis nur für 30 Tage weiterversorgt. Einzelne Asylwerber berichten jedoch, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Für AW, die außerhalb des Zentrums wohnen, gibt es eine Zulage (AIDA 2.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
Unterbringung
Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, medizinische Versorgung, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat), eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten) und Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. 2016 erhielten durchschnittlich 1.735 Asylwerber Versorgung innerhalb der Zentren und 2.416 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützungen liegt unter dem sogenannten "sozialen Minimum" und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer abzudecken. Dies trage dazu bei, dass AW oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen lebten und oft illegaler Beschäftigung nachgehen müssten. Selbst für Familien reiche die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 2.2017).
In Polen gibt es elf Unterbringungszentren mit insgesamt 2.331 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sieben der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Es gibt keine speziellen Zentren für AW im Grenzverfahren oder in Transitzonen (AIDA 2.2017).
Antragsteller dürfen sechs Monate nach Antragstellung arbeiten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist wegen mangelnden Sprachkenntnissen usw. in der Praxis aber potentiell schwierig (AIDA 2.2017).
Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017). UNHCR und NGOs berichten über keine größeren oder anhaltenden Probleme von Missbrauch in den Zentren (USDOS 3.3.2017).
Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) in Biala Podlaska, Bialystok, Lesznowola, Ketrzyn, Krosno Odrzanskie, und Przemysl mit zusammen 510 Plätzen (AIDA 2.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
Medizinische Versorgung
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Asylwerber in Polen mit laufendem Asylverfahren haben bezüglich medizinischer Versorgung, mit der Ausnahme von Kurbehandlungen, dieselben Rechte wie polnische Staatsbürger. Aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde ist die Firma Petra Medica für die medizinische Versorgung von Asylwerbern verantwortlich, genauer medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlung, Zahnbehandlung, Versorgung mit Medikamenten und psychologische Betreuung. Die psychologische Betreuung steht sowohl in den Asylzentren, wenn Asylwerber dort wohnhaft sind, aber auch in den Beratungsstellen der Asylbehörde in Warschau, für die diejenige, die außerhalb der Zentren wohnen, zur Verfügung. Die folgenden Leistungen werden im Rahmen der psychologischen Betreuung angeboten:
psychologische Unterstützung, Bildungsaktivitäten, Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention. Die erwähnten Maßnahmen basieren auf Standards der polnischen Psychologischen Vereinigung. Wenn die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung festgestellt wird, wird der Patient entsprechend seines Alters in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene eingewiesen (UDSC 19.6.2017).
Asylwerber in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von AW durch die Vertragsfirma Petra Medica gewährleistet. Sie umfasst in jedem Unterbringungszentrum auch psychologische Versorgung. Pro 120 AW sind vier Stunden Zuwendung durch einen Psychologen vorgesehen. Das umfasst Identifizierung von Vulnerablen und grundlegende Behandlung. AW können aber auch an Psychiater oder psychiatrische Einrichtungen überwiesen werden. NGOs zeigen sich damit nicht zufrieden, beklagen den Mangel an PTSD-Behandlungen und einige NGOs meinen sogar, die spezialisierte Behandlung von traumatisierten AW und Folteropfern wäre in Polen nicht möglich. Zusätzlich bieten NGO-Psychologen in Unterbringungszentren ihre Dienste an, in manchen Zentren aber nicht regelmäßig. Die Psychologen in den Unterbringungszentren sprechen in der Regel auch Russisch. Darüber hinausgehende Übersetzung wird durch die zuständige Abteilung der Petra Medica gewährleistet. Manchmal ist bei der medizinischen Behandlung die Übersetzung bzw. mangelnde interkulturelle Kompetenz des medizinischen Personals ein Problem. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).
Petra Medica ist aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde verantwortlich für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen. In den Empfangszentren wird ein Gesundheits-Check, darunter auch der sogenannte epidemiologische Filter auf Tuberkulose, Infektionskrankheiten, Geschlechtskrankheiten und parasitäre Erkrankungen, vorgenommen. In den Unterbringungszentren wird ambulante medizinische Versorgung, darunter medizinische Grundversorgung, Zahnbehandlung, psychologische Betreuung und Versorgung mit Medikamenten geboten. Wenn nötig, werden Patienten für Tests oder Spezialbehandlung in medizinische Einrichtung der Petra Medica oder andere Vertragseinrichtungen überwiesen. Psychologische Betreuung findet im Zentrum statt, in Spezialfällen kann auch in spezialisierte Kliniken überwiesen werden. Rehabilitationsmaßnahmen sind mit Genehmigung der Abteilung Sozialwohlfahrt der UDSC möglich. Wenn AW außerhalb der Zentren leben, erhalten sie die Behandlung ebenfalls in den oben genannten Einrichtungen oder in relevanten Einrichtungen in den Hauptstädten der Woiwodschaften (Verwaltungsbezirke, Anm.). Wenn nötig, kann eine Überweisung in das nächstgelegene Krankenhaus erfolgen, das mit Petra Medica zusammenarbeitet. Außerhalb des Zentrums konsumierte Leistungen werden über Petra Medicas Patient Registration Coordinator serviciert (werktags zu den Bürozeiten). Wenn ein Patient sich dorthin wendet und er die nötigen Daten bereitstellen kann, wird die Behandlung genehmigt, Einrichtung und Datum für die Durchführung der Leistung ermittelt und dem Betreffenden mitgeteilt. Bei Akutfällen, in der Nacht und an Feiertagen, stehen entweder die übliche landesweite Versorgung bzw. medizinische Notdienste zur Verfügung. Um in den Unterbringungszentren und beim Foreigner Service Team Medikamente zu erhalten, ist eine entsprechende Verschreibung nötig. Wer außerhalb der Zentren lebt und Sozialhilfezahlungen erhält, kann verschriebene Medikamente erhalten, indem er das Rezept an Petra Medica schickt oder diese selbst kauft und sich die Kosten hinterher ersetzen lässt (UDSC 12.12.2016; vgl. PM o.D.).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016):
Auskunft MedCOI, per E-Mail
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PM - Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, http://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow, Zugriff 10.11.2017
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UDSC - Urzad do Spraw Cudzoziemców (12.12.2016): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail
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