TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/18 W164 2178309-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.04.2019
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Entscheidungsdatum

18.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2178306-1/13Z

W164 2178318-1/14E

W164 2178309-1/13E

W164 2178314-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX , (4.) XXXX , geb. XXXX , alle STA Afghanistan, alle vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Julian A. Motamadi, Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 31.10.2017, (1.) Zl. 15-1094392900/151746267, (2.) Zl. 15-1094393908/151746275, (3.) Zl. 15-1094394709/151746291 und (4.) Zl. 17-1141275602/170106604, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 22.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und (1.) XXXX , (2.) XXXX ,

(3.) XXXX , (4.) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass (1.) XXXX , (2.) XXXX , (3.) XXXX ,

(4.) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (BF3) sowie des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (BF4). Der BF4 wurde am XXXX in Österreich geboren. Mitgereist ist außerdem der Sohn des BF1 (bzw. Stiefsohn der BF2, W164 2178312-1), der zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr minderjährig war.

Der BF1 und die BF2 stellten am 10.11.2015 nach illegaler Einreise für sich und die minderjährige BF3 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung gab der BF1 an, er sei am XXXX geboren, sei verheiratet, Schiit und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er habe keine Ausbildung, habe mit seiner Familie in Behsud gelebt und sei in der Landwirtschaft tätig gewesen. Vor seiner Reise nach Österreich hätten sie sich ein Jahr im Iran aufgehalten. Dort habe der BF1 als Teppichknüpfer gearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, das Leben seiner Familie sei in Gefahr gewesen. Eines Nachts seinen vier Taliban in ihr Haus gekommen, hätten seine Hände gefesselt, seine Frau vergewaltigt und Wertsachen geraubt.

Die BF2 gab im Zuge der Erstbefragung an, sie sei am XXXX geboren, sei verheiratet, Schiitin und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Sie habe keine Ausbildung und sei zuletzt Hausfrau gewesen. Ihre Eltern und ihr Bruder seien verstorben. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass eines Nachts vier Taliban ins Haus gekommen seien und ihren Mann gefesselt hätten. Ein Taliban habe sie vor den Augen ihres Mannes vergewaltigt.

Der erwachsene Sohn des BF1 gab bei seiner Erstbefragung als Fluchtgrund an, dass vier Taliban in ihr Haus gekommen seien und ihn und seinen Vater gefesselt hätten. Sie hätten seine Mutter vor ihren Augen vergewaltigt. Ein Taliban sei mit dem Messer auf ihn losgegangen als er seine Mutter habe verteidigen wollen. Danach hätten sie all ihre Wertsachen geraubt.

Am 06.10.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des BF1 und der BF2, sowie des erwachsenen Sohnes des BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) statt.

Der BF1 legte eine Tazkira, ein Empfehlungsschreiben und seine Arbeitsbestätigung seiner nunmehrigen Heimatgemeinde über ehrenamtliche Tätigkeit vor und gab an, seine Eltern und seine Geschwister würden nach wie vor in Behsud leben, er habe aber keinen Kontakt mehr zu ihnen. Die Familie sei reich, sie besitze viele Grundstücke und bewirtschafte diese einerseits durch Familienangehörige und darüber hinaus durch angestellte Landarbeiter. Der BF1 schilderte erneut jene Nacht, in der er mit seinem erwachsenen Sohn von vier oder fünf Taliban überfallen, gefesselt und geknebelt wurde. Sein Sohn sei mit einem Messer am Arm verletzt worden. Beide hätten mitansehen müssen, wie die BF2, die im

8. Monat schwanger war, vergewaltigt wurde. Nachdem die Angreifer dann Wertsachen aus dem Haus genommen hatten, seien sie wieder gegangen. Nachbarn hätten den BF1 und dessen erwachsenen Sohn von den Fesseln befreit, da die BF2 um Hilfe gerufen habe. Die Eltern, die im selben Haus wohnten, seien in dieser Nacht auswärts bei Verwandten gewesen. Der BF1 habe deshalb bedenkenlos geöffnet, als es klopfte. Er habe gedacht, dass die Eltern früher als geplant zurückkommen. Nach dem Vorfall habe sich der Vater des BF mit den Dorfältesten beraten und beschlossen, dass die BF2 mit dem Kind, das sie erwartete, gesteinigt werden müsse. Der BF1 habe versucht, seinen Vater umzustimmen, jedoch ohne Erfolg. Schließlich sei ihm gelungen, mithilfe eines Freundes aus Kabul seine Familie in Sicherheit zu bringen. Die Familie habe ein Jahr im Iran gelebt und sei dann nach Europa ausgewandert. Zu seiner Situation in Österreich gab der BF1 an, dass er in einen Deutschkurs gehe und gemeinnützige Arbeit in einem Schwimmbad leiste. Die Freizeit verbringe er mit seiner Frau und seinen Kindern. Er besuche einen Alphabetisierungskurs.

Die BF2 und der erwachsene Sohn schilderten diese Vorkommnisse im Wesentlichen wie der BF1 gleich. Die BF2 gab darüber hinaus an, dass sie ihren Mann mit etwa 14 Jahren gegen das Einverständnis ihrer Mutter und gegen das Einverständnis ihrer Schwiegereltern aus Zuneigung geheiratet habe. Den Stiefsohn habe sie wie einen eigenen Sohn aufgezogen. Ihr Bruder sei bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen und zwei Monate später sei ihre Mutter verstorben. Die Schwiegereltern hätten die BF2 gequält. Sie habe hart arbeiten müssen, sei nicht aus dem Haus gekommen und sei von diesen geschlagen worden. Der Sohn habe nicht in die Schule gehen dürfen, da ihre Schwiegereltern es nicht erlaubt hätten. Sie hätten auch den Sohn nicht gemocht. Ihr Mann habe die BF2 nie geschlagen. Zu ihrer Situation in Österreich gab die BF2 an, dass sie den ganzen Haushalt mache und dreimal pro Woche einen Deutschkurs besuche. Sie bringe ihre Tochter in den Kindergarten. Der Weg dorthin dauere ca. 30 Minuten, aber sie gehe diesen Weg gerne jeden Tag. Wenn ihr Mann zu Hause sei, begleite er sie; ansonsten gehe sie alleine. Sie würden sich auch abwechseln. Die BF2 würde gerne als Köchin arbeiten.

Die BF2 legte Bestätigungen über die Teilnahme an im Flüchtlingsheim abgehaltenen Deutschkursen vor, weiters über die Teilnahme an einem Erste Hilfe-Kurs, und über erhenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde XXXX , ferner Empfehlungsschreiben und Fotos zm Nachweis der gelungenen Integration der gesamten Familie.

Am XXXX wurde der BF4 geboren. Die BF2 stellte für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit vier Bescheiden des BFA vom 31.10.2017 (1.) Zl. 15-1094392900/151746267, (2.) Zl. 15-1094393908/151746275, (3.) Zl. 15-1094394709/151746291 und (4.) Zl. 17-1141275602/170106604 wurden die Anträge der BF1, BF2, BF3 und BF4 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt und es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

Begründend wurde betreffend den BF1 im Wesentlichen ausgeführt, dass feststehe, dass der BF1 in Afghanistan weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werde. Er habe keine eigenen Fluchtgründe, sondern Afghanistan aufgrund der Probleme seiner Ehefrau verlassen. Das Vorbringen der BF2 sei jedoch aufgrund von Widersprüchen völlig unglaubwürdig. Da die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur religiösen Minderheit der Schiiten für sich alleine nicht ausreiche um von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen, sei der Antrag auf Asyl abzuweisen. Zur Situation im Fall seiner Rückkehr wurde festgehalten, dass er der BF1, gesund und in einem arbeitsfähigen Alter sei. Es könne ihm zugemutet werden, für den Lebensunterhalt seiner Familie aufzukommen. Kabul stelle daher eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative dar. Die Abschiebung nach Kabul erscheine daher nicht unzulässig im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung wurde eine Interessensabwägung vorgenommen, die ergab, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Der Bescheid betreffend die BF2 wurde im Wesentlichen gleich begründet und in den Bescheiden betreffend BF3 und BF4 wurde auf die Begründung der Bescheide betreffend die Eltern verwiesen.

Mit Verfahrensanordnung vom 31.10.2017 wurde den BF1-4 amtswegig ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt. Gegen die genannten Bescheide erhoben die BF1-BF4 fristgerecht durch ihre Rechtsvertetung Beschwerde.

Mit Schreiben vom 28.01.2019 gab der Verein Menschenrechte die Vollmachtsauflösung bekannt. Mit Schreiben vom 11.12.2018 gab RA Mag. Julian A. Motamedi seine Vollmacht bekannt.

Am 22.3.2019 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der BF1, BF2, BF3 und BF4, weiters der zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährige Stiefsohn der BF2 (Sohn des BF1 aus erster Ehe), teilnahmen. Das ebenfalls zur Verhandlung geladene BFA sagte seine Teilnahme mit Schreiben vom 17.01.2019 ab.

BF2, BF1 und der erwachsene Sohn des BF1 - die ganze Familie erschien mit in Österreich üblicher Bekleidung - beantwortete ergänzende Fragen zu ihrem Leben in Afghanistan, zu den Vorfällen, die sie zur Flucht veranlassten und zu ihrem Leben in Österreich. Die BF2 brachte vor, in ihrem Leben habe sich vieles geändert, seit sie in Österreich sei. Hier habe sie gesehen, dass auch Frauen Rechte haben und das Frauen auch respektiert werden. In Afghanistan habe sie nicht einmal aus dem Haus dürfen. Hier sei sie frei, bringe ihre Tochter in den Kindergarten, gehe einkaufen - auch allein - und müsse kein Kopftuch tragen. Die BF2 wähle ihre Kleidung nun selbst aus, färbe sich die Haare und schminke sich. Sie gehe gemeinsam mit der Tochter schwimmen und trage dort die gleiche Badekleidung wie die einheimischen Frauen. Sie habe auch schon beim AMS vorgesprochen. Deutsch habe sie zunächst im Heim gelernt. Seit einem Jahr besuche sie zwei mal die Woche einen Deutschkurs auswärts. Der Weg betrage 40 Minuten. Die BF habe in Afghanistan nicht Lesen und Schreiben gelernt. Auf Deutsch könne sie ein bisschen lesen und schreiben. Die BF2 habe in Österreich Freunde und Freundinnen gefunden. Man besuche sich gegenseitig und trinke Kaffee. Der BF1 stehe ihr zur Seite. Die BF2 könne sich nicht vorstellen, nach Afghanistan zurückzukehren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF2 führt den Namen XXXX . Sie wurde am XXXX in der Provinz Behsud, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren, ist afghanische Staatsbürgerin, schiitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Die BF verlor früh ihren Vater und heiratete im Alter von etwa 14-15 Jahren den BF1, der der jüngste Sohn einer reichen und in der Region bekannten und einflussreichen Bauernfamilie und im Alter von etwa 22 Jahren bereits verwitwet und Vater eines zweijährigen Sohnes war. Weder die Mutter der BF2, noch die Eltern des BF1 waren mit dieser Heirat einverstanden. Die Eltern des BF1 hätten eine Frau aus einer wohlhabenden Familie für ihn ausgesucht, willigten aber schließlich in die von BF1 und BF2 gewollte Heirat ein. Die Mutter der BF2 und ihr Bruder starben bald darauf. Die BF2 lebte fortan mit dem BF1 und ihren Schwiegereltern im selben Haus. Sie zog ihren Stiefsohn wie einen eigenen Sohn auf. Ihre Schwiegereltern behandelten sie schlecht, beuteten ihre Arbeitskraft aus und schlugen sie. Die BF2 hatte zwei Fehlgeburten. Der BF1, der gemeinsam mit seinen älteren Brüdern und deren Kindern auf den Gründen der elterlichen Landwirtschaft arbeitete, bemühte sich, seine Eltern zu beschwichtigen. Über das hinaus zu gehen und sich offen gegen seine Eltern zu stellen, erschien ihm unmöglich. Die Felder der Familie grenzten an ein Gebiet, das Kuchis, Paschtunen, die gemäß den Erfahrungen der Familie den Taliban nahestanden, für sich beanspruchten. Regelmäßig kam es zu Grenzkonflikten.

Im Jahr 2013 wurde die BF2 erneut schwanger. Eines Abends, im Frühjahr 2014 - die BF2 war im achten Monat schwanger - wurde am Tor des Hauses geklopft. Die Schwiegereltern waren gerade bei Verwandten zu Besuch, der BF1 nahm an, dass sie ihren Plan bei den Verwandten zu übernachten geändert und vorzeitig heimgekehrt seien und öffnete. Mehrere bewaffnete dunkel gekleidete Männer mit verhülltem Gesicht überfielen und bedrohten den BF1 und drangen ins Haus ein. Seinen ihm zu Hilfe kommenden nun etwa 18 jährigen Sohn verletzten sie schwer mit einem Messer. Danach fesselten und knebelten die Männer den BF1 und seinen erwachsenen Sohn und begannen im Haus nach Wertsachen zu suchen. Sie fanden im Haus die BF2 vor und zwangen sie zu Boden. Die BF2 wurde festgehalten, geschlagen, beschimpft und von einem der Männer vergewaltigt. Der BF1 und sein erwachsener Sohn mussten zusehen. Die anderen Männer raubten Schmuck und Wertsachen. Nachdem die Männer das Haus verlassen hatten, versuchte die BF2, ihren Mann und ihren Sohn von den Fesseln zu befreien. Sie bemerkte, dass der Sohn viel Blut verloren hatte und nicht mehr bei klarem Bewusstsein war. Die BF2 lief in den Hof und schrie um Hilfe. Die Nachbarn beiderseits kamen mit ihren Frauen und halfen, den BF1 und den Stiefsohn von ihren Fesseln zu befreien. Die BF2 besprenkelte den Sohn mit kaltem Wasser. Dieser kam wieder zu Bewusstsein. Sein Vater versorgte die Wunde. Die Frau eines Nachbarn schickte am nächsten Tag eine Hebamme zur BF2.

Als die Schwiegereltern der BF 2 heimkehrten, erzählte ihnen der BF1 von diesem Vorfall. Der Schwiegervater beriet sich daraufhin mit den Dorfältesten. Man kam zu dem Schluss, dass die BF2, dadurch dass sie vergewaltigt wurde, Schande über die Familie gebracht habe. Man beschloss, die Geburt des Kindes der BF2 abzuwarten und am 10. Tag nach der Geburt sowohl die BF2 als auch ihr Kind, das man nun als unehelich betrachtete, zu steinigen. Der BF1 hoffte weiterhin, seinen Vater von diesem Plan abbringen zu können, er hatte keinen Erfolg. Die BF2 brachte am XXXX ihre Tochter, die BF3 zur Welt. Der BF1 kontaktierte einen Freund aus Kabul, der am achten Tag nach der Geburt nachts den BF1 mit der BF2, ihrer neugeborenen Tochter und dem 18 jährigen Sohn nach Kabul brachte und dort ihre Schleppung in den Iran veranlasste.

Die Familie lebte etwa ein Jahre im Iran. Der BF1 arbeitete dort als Teppichknüpfer. Ein legaler Aufenthalt im Iran war der Familie nicht möglich. Nach etwa einem Jahr reiste die Familie illegal in Österreich ein. Am XXXX wurde der BF4 geboren. Die Eltern und Geschwister des BF1 leben nach wie vor in der Provinz Behsud, pflegen aber keinen Kontakt mehr zu ihm. Der BF1 erfährt über seinen in Kabul lebenden Freund von seiner Familie. Von ihm erfuhr er auch, dass die Schwiegereltern nach dem Verbleib des BF1, der BF2 und der Kindern gefragt hatten.

In Österreich hat sich die BF2 rasch integriert. Sie lernt Deutsch und engagiert sich ehrenamtlich. Sie nimmt an den in ihrer Wohnumgebung üblichen Freizeitaktivitäten teil, pflegt Freundschaften und ermöglicht ihrer Tochter, die den örtlichen Kindergarten besucht und an sportlichen Aktivitäten für Kinder teilnimmt, sowie ihrem nun zweijährigen Sohn auf diesem Weg eine unbeschwerte Kindheit.

Allgemeine Länderfeststellungen:

Quelle: UNHCR- Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018, HCR/EG/AFG/18/02:

Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten "erodierenden Pattsituation" geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlasssen. Es heißt ferner, dass die ANDSF mit unhaltbar hohen Ausfallraten und sinkender Moral zu kämpfen haben.

Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe - insbesondere im Norden Afghanistans - durchzuführen. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten.

Auch von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie die Autorität der Regierung in ihrem Einflussbereich untergraben; sie werden auch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor unbeständig und die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. In den Jahren nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte 2014 waren eine fortgesetzte Verschlechterung der Sicherheitslage und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Afghanistan zu beobachten. Aus Berichten geht hervor, dass die Taliban ihre Offensive zur Ausweitung ihrer Kontrolle über weitere Distrikte fortsetzt, während der Islamische Staat angeblich immer nachdrücklicher seine Fähigkeit unter Beweis stellt, seine geografische Reichweite auszudehnen, was eine weitere Destabilisierung der Sicherheitslage zur Folge hat.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert.

In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen.

Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen.

Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihrer Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Religionsfreiheit, auf politische Teilhabe sowie auf Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sowie zu ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen das Fehlen staatlicher Justizmechanismen oder -dienste dazu aus, eigene, parallele "Justiz"-Strukturen - vor allem, wenn auch nicht ausschließlich - in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen. UNAMA stellt fest, dass "alle von einer parallelen Justizstruktur durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verhängten Strafen nach afghanischem Recht unrechtmäßig sind, eine rechtswidrige Handlung darstellen und als Kriegsverbrechen eingestuft werden können". Zu den durch parallele Justizstrukturen verhängten Strafen zählen öffentliche Hinrichtungen durch Steinigung und Erschießen, Schläge und Auspeitschung sowie Amputation. Berichten zufolge erheben regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zudem in Gebieten, in denen sie die Einrichtung paralleler Regierungsstrukturen anstreben, illegale Steuern.

Im Juli 2018 äußerte UNAMA Besorgnis über den neuerdings zu beobachtenden Trend, dass regierungsfeindliche Kräfte auf Operationen regierungsnaher Kräfte mit Angriffen auf Schulen und Beamte im Bildungswesen reagieren. Schulen wurden Berichten zufolge außerdem besetzt und für militärische Zwecke benutzt, wodurch ihr geschützter Status nach dem humanitären Völkerrecht gefährdet und den Kindern der Zugang zu Bildung entzogen wurde. Außerdem bleiben Berichten zufolge viele Schulen in Afghanistan aufgrund der vor Ort herrschenden Sicherheitsverhältnisse geschlossen.

Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte den Zugang zu medizinischer Versorgung beschränken. 2017 dokumentierte UNAMA 75 gegen Krankenhäuser und medizinisches Personal gerichtete Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte mit 31 Toten und 34 Verletzten gegenüber 120 Zwischenfällen mit 10 Toten und 13 Verletzten im Jahr 2016. Außerdem heißt es, dass regierungsfeindliche Kräfte in einigen Teilen des Landes Polio-Impfkampagnen verbieten und wiederum andere Teile aufgrund der vorherrschenden Unsicherheit nicht von Impfhelfern erreicht werden können.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.

Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln. UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen.

In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das "Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters" tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet. In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden.

Die Regierung hat seit 2001 eine Reihe von Schritten zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Verabschiedung von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe der Frauen und die Schaffung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Allerdings stieß die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung immer wieder auf Widerstände. Das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wurde 2009 durch Präsidialerlass verabschiedet, doch lehnten es konservative Parlamentsabgeordnete und andere konservative Aktivisten weiterhin ab. Das überarbeitete Strafgesetzbuch Afghanistans, das am 4. März 2017 mit Präsidialerlass verabschiedet wurde, enthielt ursprünglich alle Bestimmungen des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und stärkte die Definition des Begriffs Vergewaltigung. Jedoch wies Präsident Ghani das Justizministerium im August 2017 angesichts der Ablehnung durch die Konservativen an, das diesem Gesetz gewidmete Kapitel aus dem neuen Strafgesetzbuch zu entfernen. Das neue Strafgesetzbuch trat im Februar 2018 in Kraft, während in einem Präsidialerlass klargestellt wurde, dass das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen von 2009 als eigenes Gesetz weiterhin Geltung hat.

Laut Berichten, halten sich die Verbesserungen in der Lage der Frauen und Mädchen insgesamt sehr in Grenzen. Laut der Asia Foundation erschweren "der begrenzte Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, ungerechte Bestrafungen für Verbrechen gegen die Sittlichkeit, ungleiche Teilhabe an der Regierung, Zwangsverheiratung und Gewalt" nach wie vor das Leben der Frauen und Mädchen in Afghanistan. Depressionsraten aufgrund von häuslicher Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen nehmen Berichten zufolge unter afghanischen Frauen zu. Es wird berichtet, dass 80 Prozent der Selbstmorde in Afghanistan von Frauen begangen werden und sich manche von ihnen durch Selbstverbrennung das Leben nehmen.

Die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan (AIHRC) stellte fest, dass Gewalt gegen Frauen noch immer eine "weit verbreitete, allgemein übliche und unleugbare Realität" ist und dass Frauen in unsicheren Provinzen und im ländlichen Raum besonders gefährdet durch Gewalt und Missbrauch sind. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte sehr oft straflos bleiben. Sexuelle Belästigung und die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleiben, so die Berichte, endemisch.

Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen Berichten zufolge überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz der Frauenrechte weiterhin nur langsam umgesetzt werden, vor allem was das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen betrifft. Das Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge jedoch der Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend werde es nicht vollständig angewendet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Frauen hätten nur in sehr geringem Maße Zugang zur Justiz. Die überwiegende Mehrheit der Fälle von gegen Frauen gerichteten Gewaltakten, einschließlich schwerer Verbrechen gegen Frauen, würden noch immer nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen geschlichtet, anstatt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt.

Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere für Frauen diskriminierende Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.

"Trotz der Forderungen nach Bildung für Mädchen wirken sich die vorherrschenden Geschlechternormen nachteilig auf Mädchen aus und verwehren ihnen den Zugang zu Bildung. Nachteilige Geschlechternormen sind auch der Grund dafür, dass die Barrieren, die den Mädchen den Zugang zu Bildung erschweren, unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Mädchen haben." [Übersetzung druch UNHCR]. HRW, "I Won't Be A Doctor, and One Day You'll Be Sick": Girls' Access to Education in Afghanistan, 17. Oktober 2017, http://www.refworld.org/docid/59e5af3e4.html.

"Es sind insbesondere die schutzbedürftigsten Gruppen, wie Frauen und Mädchen, die eher an Mangelernährung leiden. Armut ist geschlechtsspezifisch und es besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen häufiger als Männer von Armut betroffen sind [...] Genauso wie Frauen aufgrund patriachalischer Normen und Strukturen nur einen beschränkten Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben, so ist auch deren Zugang zu Nahrung und Lebensmitteln beschränkt." [Übersetzung durch UNHCR]. Heinrich Böll Foundation, Food Discrimination Against Women in Afghanistan, 7. August 2017,

https://www.boell.de/en/2017/08/07/food-discrimination-against-women-afghanistan.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist nach wie vor weit verbreitet: Die Zahl der angezeigten Fälle nimmt zu, doch die Dunkelziffer dürfte weit höher sein als die angezeigten Fälle. Im März 2018 bezeichnete die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan Gewalt gegen Frauen als "eine der größten Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte in Afghanistan". Dazu gehören "Ehrenmorde", Entführungen, Vergewaltigungen, sexuelle Belästigung, erzwungene Schwangerschaftsabbrüche und häusliche Gewalt.

Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zur Abtreibung gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Es wurde festgestellt, dass gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen, einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie, ausschlaggebend dafür sind, dass Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt keine Anzeige erstatten.

Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt, da Polizistinnen weitgehend stigmatisiert werden. Berichten zufolge sind Polizistinnen selbst der Gefahr von sexueller Belästigung und von Übergriffen am Arbeitsplatz, unter anderem der Vergewaltigung durch männliche Kollegen, ausgesetzt. Sie seien außerdem durch gewalttätige Angriffe seitens regierungsfeindlicher Kräfte gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist nach wie vor weit verbreitet: Die Zahl der angezeigten Fälle nimmt zu, doch die Dunkelziffer dürfte weit höher sein als die angezeigten Fälle. Im März 2018 bezeichnete die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan Gewalt gegen Frauen als "eine der größten Herausforderungen im Bereich derMenschenrechte in Afghanistan".9 Dazu gehören "Ehrenmorde", Entführungen, Vergewaltigungen, sexuelle Belästigung, erzwungene Schwangerschaftsabbrüche und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zur Abtreibung gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden.462 Es wurde festgestellt, dass gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen, einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie, ausschlaggebend dafür sind, dass Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt keine Anzeige erstatten.

"Korruption und Autoritätsmissbrauch sind der Grund dafür, dass Menschen, die Frauen ermorden oder vergewaltigen und Verbindungen zu einem Anführer [einer aufständischen Gruppe], einem Anwalt oder Richter haben, nicht bestraft werden [...] Sie wissen, dass sie keine Bestrafung fürchten müssen und zögern aufgrund dieser Straffreiheit nicht, Morde und Vergewaltigungen zu begehen."

[Übersetzung durch UNHCR]. IWPR, Afghanistan's Domestic Violence Loophole, 16. Januar 2017,

https://iwpr.net/global-voices/afghanistans-domestic-violence-loophole.

"Erschreckende 87 % afghanischer Frauen sind Gewalt, vor allem durch Familienmitglieder und Personen, die behaupten, sie würden sie über alles lieben, ausgesetzt. Diese Gewalt äußert sich folgendermaßen:

frühe Eheschließungen und Zwangsehen, darunter auch baad (der Austausch von Mädchen zur Beilegung von Streitigkeiten) und baadal (Tauschehen); sogenannte Ehrenverbrechen; Vergewaltigungen und Ermordungen von Frauen; sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit; Selbstverbrennungen und selbstverletzendes Verhalten aufgrund von Gewalterfahrungen." [Übersetzung durch UNHCR]. Kabul Times, Woman, Who Has No Peace, 4. Dezember 2017, http://thekabultimes.gov.af/index.php/opinions/social/15661-woman-who-has-no-peace.html.

"In Afghanistan werden Frauen und Mädchen als Trägerinnen der Familienehre gesehen. Wenn sie gegen Bräuche, Traditionen oder Ehre verstoßen, sind sie auch diejenigen, die die Konsequenzen dafür tragen müssen. Afghanische Frauen, die vergewaltigt wurden, werden als Schande für ihre Familie oder die Gemeinschaft gesehen und werden dafür ein weiteres Mal durch Ehrenmorde bestraft. Eine ähnliche Situation zeigt sich auch für Frauen, die außerehelichen Liebesziehungen (zina) verdächtigt werden und dadurch Schande über ihre Familien bringen. Sie riskieren auf diese Weise, durch einen Ehrenmord getötet zu werden, der entweder von einem männlichen Familienmitglied ausgeht oder auf Anweisung eines lokalen, aus Männern bestehenden Ältestenrat geschieht." [Übersetzung durch UNHCR]. CGRS, Breaking Barriers: Challenges to Implementing Laws on Violence against Women in Afghanistan and Tajikistan, April 2016, https://cgrs.uchastings.edu//sites/default/files/Afghanistan_Tajikistan_Full%20Report_Revised%204-5-2016_FINAL_0.pdf, S. 14.

Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen:

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören strenge Kleidungsvorschriften sowieEinschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer, wie etwa Witwen und geschiedene Frauen, sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Lebensgrundlagen, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Bestrafungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia treffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, etwa Inhaftierung aufgrund von "Verstößen gegen die Sittlichkeit" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene

"Frauen in Afghanistan werden häufig für sogenannte "moralische Verbrechen", wie etwa zina (Ehebruch) oder die Absicht, zina zu begehen, verhaftet undBegleitung, Ablehnung einer Heirat, und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Einem beträchtlichen Teil der in Afghanistan inhaftiertenMädchen und Frauen wurden "Verstöße gegen die Sittlichkeit" zur Last gelegt. Es wird berichtet, dass weibliche Inhaftierte oft Tätlichkeiten sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt sind. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "Verstößen gegen die Sittlichkeit" Anlass zu Gewalt oder Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern. Eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, (siehe zum Beispiel die Risikoprofile 7, 10 und 12 in Abschnitt III.A), so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass - verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, - davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in die im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente - diese werden in Punkt 1. "Verfahrensgang" im einzelnen genannt - weiters durch Einsichtnahme in die zitierten allgemeinen Länderfeststellungen sowie durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2019. Die Identität der BF2 erscheint unbedenklich. Ihr gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern bestehender aktueller Wohnort ergibt sich aus dem zentralen Melderegister der Republik Österreich. Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF2 und des BF1 ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.

Die Angaben der BF2 bezüglich ihres Lebens in Afghanistan stehen auch mit den aktuell verfügbaren Länderberichten über die Situation in Afghanistan im Einklang. BF2, BF1 und der erwachsene Sohn des BF1 machten in der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2019 auf Nachfrage ergänzende Angaben zu den in ihrem Heimatdorf bestehenden allgemeinen Lebensumständen, zum Zusammenleben mit den Schwiegereltern vor dem oben genannten Überfall. Ihre Aussagen lassen den fluchtbegründenden Vorfall der Vergewaltigung, der Körperverletzung und des Raubes insgesamt schlüssig und nachvollziehbar erscheinen.

Soweit im angefochtenen Bescheid argumentiert wird, der Stiefsohn (der erwachsene Sohn des BF1) habe - anders als die BF2 mit keinem Wort erwähnt, dass er bewusstlos gewesen sei, so hat dieser vor dem Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar dargelegt, dass er von der stark blutenden Verletzung und von der ihn psychisch überfordernden Situation geschwächt nur mehr wenig von seiner Umgebung wahrgenommen hat und sich im Wesentlichen an den Moment erinnert, als er wieder zu Bewusstsein kam, in besorgte Gesichter schaute und von seinen Fesseln befreit wurde. Dass der Stiefsohn diesbezüglich im Verfahren erster Instanz den Namen des Sohnes seines Nachbarn (der gar nicht mit zu Hilfe gekommen war) nannte statt des Nachbarn selbst, ist mit der festgestellten eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit des Stiefsohnes in Verbindung zu bringen und daher zu vernachlässigen. In diesem Zusammenhang muss überdies berücksichtigt werden, dass der Stiefsohn der BF2 in erster Instanz nicht differenziert gefragt wurde, wie er den Überfall einerseits selbst wahrgenommen hat und was er nur aus Erzählungen weiß. Dies wäre aber notwendig gewesen, will man dem Befragten zur Last legen, dass er die erlebte Bewusstseinstrübung nicht erwähnt hat. Das Protokoll der Befragung des Stiefsohnes der BF vom 07.06.2017 lässt erkennen, dass dieser den Vorfall erzählte, so wie er ihn - offenbar auch durch Erzählungen seiner Eltern - kannte. In der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2019 haben alle Befragten zu diesbezüglichen Detailfragen schlüssig ausgesagt. Dass BF1 und BF2 keine exakten und übereinstimmenden Angaben über die Zahl der Eindringlinge (vier oder fünf) und über die Zahl jener Männer machten, die die BF2 festhielten (einer oder zwei), als sie vergewaltigt wurde, ist im vorliegenden Gesamtzusammenhang als nicht wesentlich einzustufen:

Die Familie befand sich in einer Ausnahmesituation. Das gleiche gilt für den Umstand, dass der BF1 angab, die BF2 wäre unmittelbar nach dem Vorfall von einer Hebamme besucht worden, wohingegen sich die BF2, erst nach einer Weile daran erinnerte, dass sie am Tag nach dem Vorfall von einer Hebamme besucht wurde: Es ist davon auszugehen, dass die BF2 mit dem Begriff "unmittelbar nach dem Vorfall" zunächst einen anderen Zeitpunkt vor Augen hatte, als der BF1.Die Glaubwürdigkeit der BF2 oder des BF1 ist aus diesem Grund nicht anzuzweifeln. Auch der Umstand, dass die BF2 anlässlich ihrer Erstbefragung die Anwesenheit des Stiefsohnes beim genannten Überfall nicht erwähnte, ist im vorliegenden Gesamtzusammenhang unbeachtlich: Die Erstbefragung dient gemäß § 19 AsylG primär der Ermittlung der Identität und der Reiseroute der Fremden hat sich aber nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Dass die BF2, obwohl sie die Sprache ihrer Peiniger nicht verstand, erkannte, dass sie mit üblen Schimpfwörtern bedacht wurde, erscheint ebenso nachvollziehbar und glaubwürdig. Dass die Familie nicht zur Polizei ging, erscheint vor dem Hintergrund der obigen Länderfeststellungen insbesondere bezüglich des Themas "Ehrenmorde" verständlich. Dem im angefochtenen Bescheid vertretenen Argument, die der BF2 drohende Verfolgungsgefahr wäre nach dem Verstreichen mehrerer Jahre nicht mehr aktuell, kann unter Berücksichtigung der obigen Länderfeststellungen ebenso nicht gefolgt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 3. AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen is

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

§ 11 AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung".

Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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