TE Bvwg Beschluss 2019/4/18 W132 2207634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.04.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.04.2019

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W132 2207634-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und den Richter Mag. Christian DÖLLINGER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) hat dem Beschwerdeführer am 29.08.2012 einen bis 31.05.2018 befristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 60 vH eingetragen.

2. Am 16.06.2016 hat die belangte Behörde den Zusatzvermerk "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den weiterhin bis 31.05.2018 befristeten Behindertenpass des Beschwerdeführers eingetragen.

3. Am 20.06.2016 hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen bis 31.05.2018 befristeten Ausweis gem. § 29b StVO ausgestellt und den Zusatzvermerk "Der Inhaber des Behindertenpasses ist im Besitz eines Ausweises gem. §29b StVO" in den Behindertenpass eingetragen.

4. Der Beschwerdeführer hat am 26.02.2018 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Verlängerung des befristeten ausgestellten Behindertenpasses und Ausweises gem. § 29B StVO gestellt.

Nachstehend angeführte medizinische Unterlagen wurden in Vorlage gebracht:

- Hausärztliche Stellungnahme Dr. XXXX

4.1. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde in das im Rahmen eines Verfahrens nach dem Behinderteneinstellungsgesetz eingeholte Sachverständigengutachten Dris. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 27.07.2017, Einsicht genommen.

Im Gutachten Dris. XXXX vom 27.02.2017 werden die Gesundheitsschädigungen und die Möglichkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wie folgt beurteilt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Dekompensierte Leberzirrhose, leichte Demenz

07.05.05

60 vH

02

Harnblasenentfernung und Bildung einer Neoblase

08.02.02

50 vH

03

Chronisch venöse Insuffizienz

05.08.01

40 vH

04

Dickdarmteilresektion und Einsetzen eines portokavalen Shunts, Narbenbruch

07.04.05

40 vH

05

Nicht insulinpflichtiger Diabetes

09.02.01

20 vH

06

Bluthochdruck

05.01.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

80 vH

 

 

Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke sowie das Überwinden von Niveauunterschieden sei aufgrund der Funktion des Bewegungsapparates möglich. Sicherer Transport sei gewährleistet. Für allfällige durchfallartige Symptome gäbe es am Markt Hygieneprodukte. Ein Nutzungshindernis für öffentliche Verkehrsmittel sei das aus medizinischer Sicht nicht.

4.2. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 09.03.2018 erteilten Parteiengehörs wurden vom Beschwerdeführer Einwendungen erhoben.

4.3. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen, Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 14.06.2018 datierte medizinischen Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass weder die erhobenen Einwendungen, noch die vorgelegten Beweismittel geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen. Es wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Beschwerdeführer wurde 07/2017 begutachtet und ein Gesamtgrad der Behinderung von 80 vH festgestellt. Wegen eines von ihm angegebenen imperativen Stuhldranges beantragte er die Ausstellung eines Parkausweises. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wurde aufgrund der Befundlage aber für zumutbar erachtet. Es wird eine Stellungnahme des Hausarztes vorgelegt, welcher findet, dass die Dünndarmteilresektion mit imperativem Stuhldrang und das geringe Fassungsvermögen der Harnblase mit imperativem Harndrang die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen. Die Bestätigung des Hausarztes beruht nicht erkennbar auf fachärztlichen Befunden bzw. einer durchgeführten Untersuchung und es ergibt sich daher auch keine Änderung der Einschätzung. Es werden keine neuen Fakten bzw. Nachweise präsentiert. Es handelt sich bisher ausschließlich um Angaben des Antragstellers bzw. die Wiedergabe dieser Angaben durch seinen Hausarzt. Die behauptete Inkontinenz wurde nicht durch einen objektivierbaren Befund belegt.

4.4. Am 18.06.2018 hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 80 vH eingetragen.

4.5. Über den Antrag auf Ausstellung (Weitergewährung) eines Ausweises gem. §29b StVO wurde seitens der belangten Behörde nicht abgesprochen.

4.6. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.

5. Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage eines Ärztlichen Befundberichtes vom 10.07.2018 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass im Einwand gegen das Parteiengehör beantragt worden sei, eine neue Untersuchung durchzuführen, da das Sachverständigengutachten bereits mehrere Monate vor dem Antrag auf Weitergewährung gestellt worden sei. Diese Untersuchung sei von der belangten Behörde nicht durchgeführt worden. Der Beschwerdeführer leide seit Jahren an einer radikalen Zystoprotatektomie mit Lymphadenektomie bei papillärem Urothelcarcinom und Bildung einer Neoblase. Weiters liege ein Zustand bei Teilresektion des Dünndarms bei Dünndarmeileus mit Abszess im rechten Unterbauch vor. Insbesondere durch diese Dünndarmteilresektion leide der Beschwerdeführer an imperativem Stuhldrang und auf Grund des geringen Fassungsvermögens der Neoblase auch an imperativem Harndrang. Die Neoblase könne nur im Sitzen mittels Bauchpresse vollständig entleert werden. Der Beschwerdeführer müsse sowohl Stuhldrang als auch Harndrang sofort Folgeleisten, wobei diese weder vorhersehbar noch zu beeinflussen seien. Die Verwendung von am Markt befindlichen Hygieneprodukten sei daher entgegen den Ausführungen des Sachverständigen nicht ausreichend. Zur Bestätigung werde in der Beilage der Befund Dris. XXXX übermittelt. Weiters leide der Beschwerdeführer an dekompensierter Leberzirrhose mit Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit und an einer chronisch venösen Insuffizienz. Auch habe der Sachverständige selbst festgestellt, dass der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers reduziert sei, dass sich an den Unterschenkeln ein chronisches Stauungsekzem mit narbigen Veränderungen und Hautulcerationen finde, sowie dass das Gangbild kleinschrittig, schlürfend und nicht allzu wendig erscheine. Die eingeschränkte Mobilität mache es dem Beschwerdeführer noch schwerer rechtzeitig eine Toilette zu erreichen. Es werde die Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Urologie sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus.

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" ist die Feststellung der Art, des Ausmaßes und der Auswirkungen der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Der belangten Behörde war aufgrund der Aktenlage bereits bei Antragstellung des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass bekannt, dass bei diesem ein komplexes Krankheitsbild vorliegt.

Die belangte Behörde hat vor diesem Hintergrund zur Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung erst jedoch lediglich in ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten Dris. XXXX vom 27.07.2017 Einsicht genommen, welches - zwar basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers - jedoch im Rahmen der Beurteilung des Grades der Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz erstellt wurde und daher nicht geeignet ist, die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu beurteilen.

Auch werden in diesem Gutachten die Auswirkungen der festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt. Dies vor allem, da der Sachverständige in seinem Gutachten vom 27.07.2017 selbst ausführt, dass beim Beschwerdeführer ein reduzierter, vorgealterter Allgemeinzustand vorliegt. Auch wurde in diesem Gutachten auszugsweise aus dem Pflegegeldgutachten von 01/2017 zitiert, es wurde aber keine hinreichende Aussage über die Auswirkungen und den Einfluss der darin angeführten Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel getroffen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob eine dauernde Gesundheitsschädigung vorliegt und wie sich diese nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Dieses Beweisthema ist somit nicht identisch mit einer Einschätzung des Grades der Behinderung, bei der die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit bzw. die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Vordergrund stehen.

Auch die im Rahmen der Einwendungen zum Parteiengehör eingeholte ergänzende Stellungnahme wurde vom allgemeinmedizinische Sachverständigen Dr. XXXX erstellt und erfolgte zur Frage der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung weiterhin keine ausreichende individualisierte Beurteilung (siehe in diesem Zusammenhang den unter Punkt I.1.1. wiedergegebenen Inhalt des eingeholten Sachverständigengutachtens). Vor allem wird nicht dargelegt, wie sich die dauernden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel konkret auswirken.

Die alleinige Feststellung des Sachverständigen, der imperative Stuhl- und Harndrang seien nicht durch fachärztliche Befunde objektiviert, ist nicht ausreichend um die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen, insbesondere da es der belangten Behörde möglich gewesen wäre, fachärztliche Gutachten einzuholen.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die, durch einen Arzt für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein auf persönlicher Untersuchung basierendes Gutachten der Fachrichtung Innere Medizin einzuholen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin - basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers - zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der dazu vorgelegten Unterlagen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Anschließend hat sich die belangte Behörde mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene, erhöhte Aufwand.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens nach der Einholung der ergänzenden Stellungnahme Dris. XXXX keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des erweiterten Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten, und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W132.2207634.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten