TE Bvwg Beschluss 2019/4/24 W158 2195288-1

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Veröffentlicht am 24.04.2019
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Entscheidungsdatum

24.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W158 2195288-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:

I.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige Afghanistans reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am selben Tag wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie unter anderem an, am XXXX in XXXX geboren worden zu sein sowie der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft anzugehören. Befragt nach ihren Fluchtgründen führte die BF aus, sie habe Afghanistan verlassen, da sie und ihr Mann eine illegale Beziehung geführt hätten, weswegen sie von ihrem Onkel verfolgt werde, der die BF mit seinem Sohn zwangsverheiraten wolle.

I.3. Am XXXX wurde die BF von einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Die BF wurde dabei u.a. zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab sie an, sie sei in ihren Nachbarn verliebt gewesen und habe mit diesem eine illegale Beziehung geführt. Ihr Onkel und weitere Begleiter hätten sie bei einem Treffen gesehen und festgehalten und geschlagen. Ihr nunmehriger Mann sei von den Männern mitgenommen worden. Tags darauf habe eine Jirga stattgefunden, wo vereinbart worden sei, dass der Mann der BF freikomme, wenn sich die BF und ihr Mann nicht mehr sehen würden, ansonsten wisse ihr Onkel, was zu tun sei. Die BF habe daraufhin mit dem Sohn ihres Onkels zwangsverheiratet werden sollen, der bereits verheiratet gewesen sei und Kinder gehabt habe. Sie habe davon auch ihrem nunmehrigen Mann erzählt. In weiterer Folge habe der Cousin der BF versucht sie immer wieder anzufassen und zu belästigen, weswegen sie sich in ihrem Zimmer versteckt habe. Eines Tages seien die BF und ihr Cousin alleine zu Hause gewesen und ihr Cousin habe versucht die BF zu vergewaltigen. Diese habe sich jedoch erfolgreich gewehrt, sie sei jedoch von ihrem Cousin geschlagen worden. Sie sei zur Familie ihres Mannes gerannt, die ihr geholfen habe und tags darauf seien die BF und ihr Mann nach Pakistan geflohen, wo sie geheiratet hätten. Dort seien sie auch gesucht worden.

I.4. Mit Schreiben vom XXXX wurde der BF Parteiengehör zu näher ausgeführten Fragen gewährt, wovon die BF am XXXX Gebrauch machte.

I.5. Ohne weitere Ermittlungsschritte, insbesondere ohne Einvernahme durch eine Organwalterin, wies das BFA mit Bescheid vom XXXX , der BF am XXXX zugestellt, den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, dass die BF dieselben Fluchtgründe vorgebracht habe, wie ihr Mann, die jedoch nicht glaubhaft gewesen seien. Der Status der Asylberechtigten habe ihr daher nicht gewährt werden können. Eine Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz wäre aufgrund der Sicherheitslage nicht möglich, allerdings stünde ihr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen, weswegen ihr auch der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gewährt werden habe können. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Am XXXX erhob die BF durch ihre Vertretung Beschwerde in vollem Umfang. Begründend verwies sie auf ihr bisheriges Vorbringen, das entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft sei, zumal sie allen Mitwirkungspflichten nachgekommen sei. Die Befragung durch das BFA zum Fluchtgrund erweise sich zudem als völlig unzureichend. Es wurde beantragt, der BF den Status der Asylberechtigten zu gewähren, in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen, in eventu ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, in eventu ihr einen Aufenthaltstitel zuzuerkennen sowie die Ausweisung und Rückkehrentscheidung aufzuheben und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

I.8. Am XXXX langte der gegenständliche Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.9. Am XXXX gab der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung bekannt und führte aus, dass die BF zu den "westlich" orientierten Frauen zähle und ihr daher auch deswegen Asyl zu gewähren sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

II.2. Zum Spruchpunkt A):

II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung beziehungsweise der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Mit dieser Regelung wurde für das Asylverfahren eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen geschaffen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

II.2.3. Nach § 20 Abs. 1 AsylG ist ein Asylwerber, der seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen. Nach Abs. 2 leg. cit. gilt Abs. 1 für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen. Abs. 4 regelt die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit.

§ 20 AsylG dient ganz grundsätzlich dem Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung (VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119 mwN). Gleiches gilt für die Furcht vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung (vgl. VfGH 11.12.2013, U 1914/2012 ua.). Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits ausgesprochen hat, führt ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 AsylG dazu, dass die in der Folge erlassene Entscheidung durch einen unrichtig zusammengesetzten Spruchkörper getroffen wird und somit das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 83 Abs. 2 B-VG verletzt wird (vgl. etwa VfGH 18.09.2015, E 1003/2014). Auch nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 AsylG nicht nur einen bloßen Verfahrensmangel dar, sondern kann ohne Darstellung der Relevanz als Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts geltend gemacht werden (vgl. grundlegend VwGH 27.06.2016, Ra 2014/18/0161).

Auch die Richtlinie 2013/32/EU (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie) bestimmt in seinem Art. 15 Abs. 3 lit a zum Zweck der Sicherstellung der Ermöglichung einer umfassenden Darlegung der Gründe durch die Antragsteller, dass die Durchführung von persönlichen Anhörungen dadurch gekennzeichnet ist, dass die anhörende Person befähigt ist, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der kulturellen Herkunft, der Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen. Nach Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie) ist eine Person unter anderem dann schutzbedürftig, wenn sie Opfer einer Vergewaltigung wurde.

Art. 15 Abs. 3 lit b Verfahrensrichtlinie bestimmt weiter, dass die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen. Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit dem Erwägungsgrund 29 der Richtlinie zu sehen, in dem festgehalten wird: "Bestimmte Antragsteller benötigen unter Umständen besondere Verfahrensgarantien, unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung, ihrer Geschlechtsidentität, einer Behinderung, einer schweren Erkrankung, einer psychischen Störung oder infolge von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schweren Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, als solche zu erkennen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht. Diese Antragsteller sollten eine angemessene Unterstützung erhalten, einschließlich ausreichend Zeit, um die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie das Verfahren effektiv in Anspruch nehmen und die zur Begründung ihres Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Angaben machen können." Dadurch soll also besonders schutzbedürftigen Personen, zu denen Vergewaltigungsopfer zu zählen sind, eine Einvernahme durch einen Organwalter desselben Geschlechts ermöglicht werden, um etwaige bestehende Hemmschwellen abzubauen.

Die zuständigen Behörden haben nach Art. 13 Abs. 3 lit a der Richtlinie 2005/85 beziehungsweise Art. 15 Abs. 3 lit a der Verfahrensrichtlinie und Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 bei der Anhörung die persönlichen oder allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der Verletzlichkeit des Antragstellers zu berücksichtigen und den Antrag individuell zu prüfen, wobei die individuelle Lage und die persönlichen Umstände jedes Antragstellers zu berücksichtigen sind (EuGH 02.12.2014, C-148/13 bis C-150/13, Rn. 67ff.; vgl. auch EuGH 25.01.2018, C-473/16).

Die Erläuternden Bemerkungen (RV 952 BlgNR 22. GP, 45) führen zu § 20 AsylG aus: "Ausdrücklich wird normiert, dass Asylwerber, die behaupten Opfer von sexuellen Misshandlung zu sein oder solchen Gefahren ausgesetzt zu werden, von Personen desselben Geschlechts einzuvernehmen sind. In diesem Sinne hat etwa das Exekutiv-Komitee für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen die Staaten aufgefordert, wo immer dies notwendig ist, ausgebildete weibliche Anhörer in den Verfahren zur Feststellung des Flüchtlingsstatus zur Verfügung zu stellen, und den entsprechenden Zugang der weiblichen Asylsuchenden zu diesen Verfahren, auch wenn die Frauen von männlichen Familienmitgliedern begleitet werden, zu sichern (Beschluss Nr. 64 [XLI] über Flüchtlingsfrauen und Internationalen Rechtsschutz lit. a Abschnitt iii). Dass die Gefahr, vergewaltigt oder sexuell misshandelt zu werden, in aller Regel unter den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention fällt, liegt auf der Hand und Bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. dazu insbesondere den Beschluss des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen Nr. 73 [XLIV] betreffend Rechtsschutz für Flüchtlinge und sexuelle Gewalt). Unberührt bleibt von der Neufassung der Bestimmung die Absicht des Gesetzgebers hiermit internationale Beschlüsse umzusetzen (in diesem Sinne auch VwGH Erk. 2001/01/0402 vom 03.12.2003); daher sind, wenn es notwendig und möglich ist, etwa auch weibliche Dolmetscher für entsprechende Verfahren zu bestellen."

Im in den Erläuterungen angesprochenem Erkenntnis vom 03.12.2003, 2001/01/0402, führte der Verwaltungsgerichtshof unter Heranziehung internationaler Dokumente, insbesondere des Beschlusses des Exekutiv-Komitees des UNHCR Nr. 64 (XLI) über Flüchtlingsfrauen und internationalen Rechtsschutz, zur Vorgängerbestimmung des § 20 Abs. 1 erster Satz AsylG (§ 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG 1997) aus: "Dass sich darüber hinaus in den von der genannten Bestimmung erfassten Konstellationen in allen Stadien des Asylverfahrens auch die Beiziehung Dolmetschers gleichen Geschlechts als geboten erweist, versteht sich bei verständiger Würdigung dieser Vorschrift nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes von selbst, weil nur insoweit dem von § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 verfolgten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) adäquat Rechnung getragen werden kann".

Daraus ergibt sich, dass die Notwendigkeit der Einvernahme durch eine Person desselben Geschlechts gemäß § 20 Abs. 1 AsylG auch die Beiziehung eines Dolmetschers desselben Geschlechts umfasst. Dieses Recht impliziert die Verpflichtung der Behörde, den Asylwerber von diesem Recht in Kenntnis zu setzen und ihm somit die Möglichkeit zu geben, das Recht auch auszuüben. Anderenfalls würde dem vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 03.12.2003 dargelegten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) eben gerade nicht adäquat Rechnung getragen werden.

Gegenständlich hat die BF während ihrer Einvernahme mehrmals angegeben, sie sei von ihrem Cousin sexuell belästigt worden und er habe versucht sie zu vergewaltigen. Trotzdem wurde sie von einem Referenten einvernommen. Die BF bejahte zwar eine Nachfrage des einvernehmenden Referenten, ob er sie zur Vergewaltigung befragen dürfe (AS 29), darin ist jedoch kein Verlangen nach § 20 Abs. 1 AsylG zu sehen, zumal sie zuvor auch vom einvernehmenden Referenten auch nicht in Kenntnis gesetzt wurde, dass sie das Recht habe von einer Referentin einvernommen zu werden. Das BFA hat daher zu dieser Frage die Ermittlungstätigkeit mit einem so krassen Ermittlungsmangel belastet, der zur Kassation des Bescheides und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das BFA führen muss, um wie im Erwägungsgrund 29 der Verfahrensrichtlinie ausgeführt, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, dass die BF die zur Begründung ihres Antrages erforderlichen Angaben machen kann, ohne dabei durch die Einvernahme durch einen männlichen Organwalter Hemmschwellen ausgesetzt zu sein. Das BFA hat somit nicht versucht Hemmschwellen soweit als möglich abzubauen und der BF damit nicht ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, ihre Asylgründe umfassend und detailliert darzulegen, vielmehr wurde der Sachverhalt nur unzulänglich ermittelt und ist in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Im Übrigen wird auch aus der Beweiswürdigung nicht klar, aus welchen Erwägungen das BFA von der Unglaubhaftigkeit dieser Aussage der BF ausgeht.

II.2.4. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft, da dem BFA insofern krasse Ermittlungsmängel vorzuwerfen sind, als die BF nicht durch eine Organwalterin einvernommen wurde. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist nach Ansicht der erkennenden Richterin die Einvernahme der BF durch eine weibliche Organwalterin im Beisein einer weiblichen Dolmetscherin geboten, um bestehende Hemmschwellen abzubauen und um eine mängelfreie Beweiswürdigung vornehmen zu können. Dem BFA ist daher insbesondere eine nur ansatzweise Ermittlung beziehungsweise eine Delegation der aus § 18 AsylG iVm § 39 AVG entspringenden Ermittlungspflicht in Bezug auf die möglichen sexuellen Übergriffe anzulasten.

Soweit das BFA als Alternativbegründung für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz ausführt, dass diesem selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung nicht stattzugeben wäre, da das Vorbringen in der GFK keine Deckung finde, verkennt es die ständige Rechtsprechung des VwGH, dass die Verfolgung einer Asylwerberin aufgrund einer Zwangsverheiratung unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0027). Nach der Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen beziehungsweise privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Wie selbst das BFA feststellte, gelangen viele Gewaltfälle im Zusammenhang mit einer Zwangsverheiratung oder einer Vergewaltigung gerade nicht vor staatliche Gerichte, sondern werden durch Mediation oder durch Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen verhandelt, was dazu führt, dass Frauen ihre Rechte nicht gesetzeskonform zugesprochen bekommen. Viele Frauen werden dabei darauf verwiesen den Familienfrieden durch Rückkehr zu ihrem Ehemann herzustellen. Ebenso werden nach den Feststellungen des BFA Frauen inhaftiert, die eine Straftat wie eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen (AS 194f). Vor diesem Hintergrund kann daher auch die Alternativbegründung keinen Bestand haben.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen. Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der Bescheid aufzuheben ist.

II.3. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA daher die Vorschrift des § 20 AsylG zu beachten und demgemäß die Einvernahme durch eine Organwalterin im Beisein einer Dolmetscherin durchzuführen haben. Dabei ist nochmals auf die Judikatur des EuGH zu verweisen, wonach die anhörende Person der Behörde über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen muss, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags zu berücksichtigen, was unter anderem die Schutzbedürftigkeit des Antragstellers einschließt (EuGH 25.01.2018, C-473/16). Dass die BF schutzbedürftig ist, ergibt sich aus Art. 21 Aufnahmerichtlinie.

Zudem wird das BFA bei der Frage der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die besondere Vulnerabilität von Minderjährigen bei der Beurteilung, ob bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen ist. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF mit ihrer Familie in Kabul tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit. Dass die Lage in den großen Städten grundsätzlich vergleichsweise sicher und stabil ist, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass dies in gleicher Weise für besonders vulnerable Personen gilt (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 bis 0320; 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479). Dabei sind auch konkrete Feststellungen zu den Möglichkeiten in Kabul eine entsprechende Unterkunft zu finden, zu treffen (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315). Ausgehend davon bedarf es im gegenständlichen Fall einer genaueren, auf aktuellen Berichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob der BF und ihrer Familie unter Beachtung ihrer Vulnerabilität bei einer Rückkehr nach Afghanistan, eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht. Das BFA setzte sich zwar mit einigen Aspekten der Art. 3 EMRK-Prüfung auseinander, lässt jedoch eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, insbesondere in Anbetracht der bereits ausgeführten besonderen Schutzbedürftigkeit der Familie der BF, vermissen.

II.4. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Einvernahme, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Organwalter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W158.2195288.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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