TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/2 W191 2183798-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.05.2019
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Entscheidungsdatum

02.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2183798-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , geboren am XXXX , diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2017, Zahl 1139751105-170026031, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.01.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), Frau XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), und ihre gemeinsame minderjährige Tochter XXXX , geboren am XXXX (BF3), afghanische Staatsangehörige, reisten irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten, die BF3 gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, am 16.11.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab keine Übereinstimmung bezüglich der erkennungsdienstlichen Daten der BF.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 16.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Schwechat gaben die BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Sie seien Angehörige der Volksgruppe der Hazara, schiitische Moslems, stammten aus Afghanistan und seien miteinander verheiratet.

Sie seien vor ca. einem Monat vom Iran aus über die Türkei mit einem Schlauchboot nach Griechenland und weiter über angegebene Länder bis nach Österreich gereist.

Die BF1 gab an, sie sei ein kleines Kind gewesen, als ihre Eltern mit ihr in den Iran geflohen seien. Der BF2 gab an, sein Vater sei in Afghanistan getötet worden und er sei aus Angst um sein Leben in den Iran geflohen, wo sie illegal aufhältig gewesen seien. Aus Angst, dass er wieder nach Afghanistan abgeschoben und dort getötet werde, seien sie nach Europa geflohen.

1.3. XXXX (BF4), wurde am XXXX als weitere gemeinsame Tochter von BF1 und BF2 in Graz geboren. Auch für sie wurde von ihren Eltern als gesetzliche Vertreter am XXXX ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.4. Bei ihrer Einvernahme am 06.10.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Steiermark, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigten die BF1 und der BF2 die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Angaben.

Der BF2 gab an, er sei acht Jahre lang im Iran aufhältig gewesen und habe vorher in Kabul gelebt. Er sei Analphabet. Seine Schwester und sein Bruder befänden sich in der Türkei. Afghanistan habe er verlassen müssen, weil sein Vater, nachdem er herausgefunden habe, dass sein Cousin mit den Taliban zusammenarbeite, im Herbst 2007 von diesem getötet worden sei. Er sei dann vorübergehend mit Familienangehörigen nach Pakistan und nach der Beerdigung weiter in den Iran geflohen. Das Haus in Kabul sei ihnen weggenommen worden, man hätte auch nach ihnen gesucht. Die Polizei hätte ihnen nicht geholfen.

Die BF1 bestätigte diese Angaben und gab weiters an, in Afghanistan gebe es keine Sicherheit und sie wolle auf gar keinen Fall nach Afghanistan zurück, weil sie dort niemals die Freiheit haben würde, die sie hier habe.

Die BF gaben an, ihre ältere Tochter XXXX (BF3) sei seit ca. sieben oder acht Monaten krank. Sie legten Belege bezüglich Gesundheit und Integration vor.

Laut Niederschrift wurden mit den BF "die Länderfeststellungen zu Afghanistan" (offenbar Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA) erörtert.

1.5. Mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 20.12.2017 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 15.11.2015 (BF1, BF2 und BF3) sowie vom XXXX (BF4) gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidungen in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Sie hätten nicht glaubhaft gemacht, dass sie in Afghanistan asylrelevant verfolgt würden, und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die BF würden nicht die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln erfüllen, der Erlassung von Rückkehrentscheidungen stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidungen über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Afghanistan.

1.6. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit Schreiben ihrer zur Vertretung bevollmächtigen Rechtsberaterin vom 17.01.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen "inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften" ein.

In der Beschwerdebegründung wurde das Vorbringen der BF zusammengefasst wiederholt und im Wesentlichen moniert, dass sich das BFA nicht hinreichend mit der westlichen Orientierung und der politischen/gesellschaftlichen und religiösen Einstellung der BF auseinandergesetzt habe. Dazu wäre das BFA verpflichtet gewesen, da die BF1 im Iran aufgewachsen sei und der BF2 sehr lange im Iran gelebt habe. Vor allem das Erscheinungsbild der BF1 deute augenscheinlich darauf hin, dass sie eine sehr "westliche Einstellung" habe, zumal sie lackierte Fingernägel habe, geschminkt sei und Kopftuch nur sehr locker mit sichtbaren Haaren trage. Die BF würden die in Afghanistan vorherrschende strenge Form des Islam ablehnen und daher aufgrund ihrer durch das Leben im Iran und in Österreich beeinflussten Einstellung, ihrer Volksgruppe, ihres Dialektes und Auftretens in Afghanistan auf gesellschaftliche Ablehnung und Diskriminierung stoße. Es würde ihnen zudem mit großer Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung durch extremistische Gruppierungen drohen, die den BF ein unislamisches bzw. westliches Verhalten anlasten würden.

Weiters enthielt die Beschwerdebegründung weitwändige Rechtsausführungen, Verweise auf Judikate und diverse Berichte zum Herkunftsstaat.

Beigelegt waren Belege betreffend die Integrationsbemühungen der BF.

Unter anderem wurde die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

1.7. Das BVwG führte am 03.01.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprachen Dari bzw. Farsi durch, zu der die BF persönlich in Begleitung ihrer gewillkürten Vertreterin erschienen. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Aufgrund unseres achtjährigen Aufenthaltes im Iran sprechen wir - und unsere Kinder - auch Farsi. Die BF3 spricht meistens schon Deutsch.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Dari bzw. Farsi.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF1: Ich nicht, ich bin gesund. Die BF3 hat einen Tumor im Bauch und ist in Behandlung.

Ambulanzkarte wird vorgelegt.

BF2: Ich leide unter Rückenschmerzen. Ein Arzt hat mir Physiotherapie verordnet, die Therapie beginnt ab 07.01.2019 wöchentlich.

Die Belege diesbezüglich werden in Kopie zum Akt genommen.

[...]

BF2: Ich hatte eine Tazkira und eine Heiratsurkunde, diese hat der Schlepper bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ins Wasser geworfen.

BF1: Zuerst wurden die Tasche bzw. Rucksäcke ins Boot gebracht, dann wir. Als wir ins Boot kamen, wurden die Taschen von dem Schlepper ins Wasser geworfen.

RI: Wann und wo haben Sie geheiratet?

BF2: Gelebt habe ich in der Stadt XXXX , geheiratet haben wir in Qum traditionell vor einem Mullah mit ca. 20 Personen im Jahr 2011.

RI: Haben Sie Belege bezüglich Ihres Fluchtvorbringens?

BF2: Nein, ich bin selber ein Zeuge der Feindschaft, und auch meine Mutter ist Zeugin. Aufgrund der Feindschaft wurde mein Vater getötet.

Vorgelegt wird ebenfalls ein Empfehlungsschreiben des Quartiergebers vom 21.12.2018, das in Kopie zum Akt genommen wird. Die BF3 besucht inzwischen die Schule.

BFV: Ausführliche Belege bezüglich des Kindergartenbesuchs der BF3 wurden bereits vorgelegt.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Die Namen sind korrekt. Unsere richtigen Geburtsdaten haben wir bereits bei der Erstbefragung angegeben. Die Dolmetscherin dort war jedoch eine Paschtunin und hat diese Daten nicht richtig aufgenommen.

BF1: Ich glaube, dass sie das nicht richtig verstanden hat.

BF: Und dann haben wir unsere Geburtsdaten noch einmal genauso beim Bundesamt angegeben.

Die BF geben ihre Geburtsdaten richtig an mit:

BF1: XXXX (umgerechnet XXXX )

BF2: XXXX (umgerechnet XXXX )

BF3: XXXX (umgerechnet XXXX )

Angemerkt wird, dass die Umrechnung sowohl vom D als auch vom Gericht durchgeführt wird. Die Daten stimmen überein.

RI: Wie können Sie die Differenzen zu den Angaben vor dem BFA erklären?

BF: Es muss sich um Tippfehler handeln. Das Geburtsdatum unserer Tochter (BF3) haben wir sogar (auf XXXX ) beim Kindergarten korrigieren lassen.

BF2: Ich habe mein Geburtsdatum von meinem Bruder erfahren, es war im Koran auf der letzten Seite geschrieben.

BF1: Ich habe mein Geburtsdatum von meiner Mutter erfahren, es stand ebenfalls auf der letzten Seite im Koran geschrieben. Das Geburtsdatum meiner Tochter weiß ich.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Wir sind Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Schiitische Moslems.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Ja, BF3 und BF4.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Im Iran habe ich zwei bis drei Klassen die Schule besucht. Weil wir im Iran kein Aufenthaltsrecht hatten, konnte ich deshalb keine Schule weiterbesuchen. Ich habe im Iran keinen Beruf gelernt, aber zwei bis drei Monate habe ich in einem Schönheitssalon als Lehrling gearbeitet.

BF2: Ich habe im Iran als Schuhmacher in einer Fabrik gearbeitet.

RI: Waren Sie schon einmal in Afghanistan?

BF1: Ja, ich war einmal in Afghanistan, als ich sehr klein war. Ich kann mich gar nicht an Afghanistan erinnern. Ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt. Meine Familie stammt ursprünglich aus Behsud, Provinz Maidan Wardak. Meine Eltern haben Behsud verlassen und sind nach Kabul gezogen, wo ich gelebt habe.

BF2: Ich habe in Kabul gelebt und bin vor elf Jahren in den Iran gezogen, nachdem unsere Mütter unsere Ehe arrangiert haben.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF1: Meine Verwandten leben im Iran. Ich habe keine Tanten mütterlicherseits. Meine Onkel väterlicherseits leben im Iran, in Teheran.

BF2: Ich habe keine Verwandten. Mein Vater war ein Einzelkind.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF1: Ich habe Kontakt zu meiner Nachbarin. Wenn ich koche, dann schicke ich ihr das Essen. Mein Essen schmeckt ihr sehr gut, und sie fragt mich nach dem Rezept. Darüber hinaus habe ich auch Kontakt zu meinen Lehrerinnen. Ich besuche einen Deutschkurs bei ISOP. Bei dem Deutschkurs werde ich von einem Mann unterrichtet.

RI: Wer ist der Mann, der Sie heute begleitet hat und draußen wartet?

BF: Wir haben seine Mutter auf dem Weg nach Europa kennengelernt und haben heute bei ihm übernachtet. Er ist ebenfalls Afghane.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Wir verstehen Sie ein bisschen.

RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen zu einem Teil verstanden und teilweise auf Deutsch beantwortet haben. Die BF3 spricht bereits sehr gut Deutsch.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs, oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ja.

Belege bezüglich Deutschkurse sowie die Schulbesuchsbestätigung der BF3 werden in Kopie zum Akt genommen.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Derzeit gehen wir keiner Beschäftigung nach. Sobald wir einen positiven Bescheid haben, werden wir auch Arbeiten gehen. Mein Traumberuf war es, Kosmetikerin zu werden. Nun werde ich alle Jobs, die ich kriegen kann, annehmen.

BF2: Ich möchte Busfahrer werden.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Ich nehme seit November 2017 an einem Tanzkurs teil und treibe viel Sport. Ich gehe im Sommer im Freibad mit meiner Tochter Schwimmen. Ich bin bei einer Frauengruppe, die sich jeden Freitag trifft und dann Sport betreibt (Gymnastik, Laufen, Ballspiele).

Diesbezügliche Belege werden zum Akt genommen.

BF2: Ich spiele samstags Fußball mit den Burschen vom Wohnheim. Wir haben zuerst in XXXX gelebt, dort haben wir an Festen teilgenommen. Dann wurden wir nach XXXX verlegt. Wir werden immer noch nach XXXX eingeladen und nehmen dort an Festen teil.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ja, ich habe ca. einmal wöchentlich über das Internet Kontakt mit meinen Eltern.

RI an BF1: Ist Ihr Outfit nur heute so, oder haben Sie das öfter?

BF1: Ich gehe immer so. Dieses schicke Outfit mag ich.

Festgehalten wird, dass die BF1 Stiefeletten mit Absatz, eine schwarze Leggings, eine transparente weiße Bluse mit weitem Ausschnitt sowie die Haare lang, offen, und zu einem Zopf gebunden trägt. Die Haare sind gefärbt (Maroni), die BF1 ist stark geschminkt, sie hat Microblading (künstliche Augenbrauen) und trägt modernen Schmuck. Die Fingernägel sind dunkelrot lackiert.

RI an BF2: Was sagen Sie dazu, wie sich Ihre Frau kleidet und gibt?

BF2: Exzellent. Ich habe damit kein Problem.

Die zwei Mädchen tragen rosafarbene Pullover. Die BF3 hat die Nägel genauso lackiert wie die BF1.

Angemerkt wird weiters, dass die BF1 im Verhältnis zu ihrem Ehemann einen gleichberechtigten und selbständigen Eindruck erweckt. Sie nimmt selbständig am Gespräch teil.

BF1: Ja, das stimmt, insbesondere seitdem ich in Europa lebe, ist mein Selbstbewusstsein noch mehr gestiegen.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI an BF2: Warum sind Sie jetzt vom Iran nach Österreich gereist?

BF2: Im Iran hatte ich keinen Aufenthaltstitel. Abgesehen davon hatte ich eine Feindschaft zu meinem Cousin mütterlicherseits, mit dem Sohn vom Bruder meiner Mutter.

RI: Wieso sind Sie gerade jetzt geflohen?

BF2: Aus Angst habe ich im Iran immer wieder meinen Aufenthalt gewechselt und bin in eine andere Stadt gezogen.

RI: Warum verfolgt Sie dieser Cousin?

BF2: In einem Konflikt zwischen diesem Cousin und meinem Vater, meinem Bruder und mir habe ich ihn verletzt.

RI: Warum? Wie? Wann?

BF2: Im Jahr 2007 habe ich diesen Cousin mit einem Stein beworfen, weil mein Vater herausgefunden hat, dass er ein Talibanspion war. Er wollte Sprengstoff irgendwo legen. Mein Vater wollte ihn davon abhalten. Dadurch kam es zu einem Konflikt zwischen meinem Vater und ihm. Bei dieser Auseinandersetzung haben sie meinen Vater geschlagen. Ich bin zornig geworden und habe den Stein geworfen. Dann ist mein Cousin weggelaufen. Nach dem Vorfall sind wir, der Bruder, seine Frau und ich, zu einem Freund meines Vaters geschickt worden. Mein Vater wollte meine Mutter holen, dann kam er nie wieder. Dann hat uns der Schwager meines Bruders über den Tod unseres Vaters informiert. Er hat uns auch mitgeteilt, dass unser Cousin uns verfolge. Sollte er uns finden, würde er uns in Afghanistan umbringen. Er habe uns bedroht. Am nächsten Tag sind wir nach Pakistan zu einem anderen Freund meines Vaters geflohen. Etwa eine Woche blieben wir dort. Nach der Beerdigung meines Vaters kamen meine Mutter und meine Schwester zu uns. Dann sind wir alle gemeinsam in den Iran gereist.

RI: Haben Sie darüber irgendwelche Belege?

BF2: Nein. Nach dem Vorfall war ich nicht mehr in Afghanistan. Ich konnte nicht mehr dortbleiben. Mein Cousin hätte mich getötet.

RI: Und er wäre Ihnen in den Iran nachgereist?

BF2: Im Iran bin ich von zwei Personen verfolgt worden, aufgrund dessen habe ich meinen Aufenthaltsort immer wieder gewechselt.

RI an BF1: Was wissen Sie über die ganze Geschichte?

BF1: Das, was mein Ehemann Ihnen gerade erzählt hat, weiß ich auch. Meine Mutter weiß das auch.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV [Vertreterin der BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben der BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV: Ich verweise auf den Inhalt der Beschwerde. Die heutige Verhandlung hat gezeigt, dass die BF1 westlich orientiert ist, und aus diesem Grund ist der BF1 der Status der Asylberechtigten aufgrund der westlichen Orientierung zu gewähren.

Den BF wird eine Frist von zwei Monaten zur Nachbringung von Belegen für die angegebenen Geburtsdaten eingeräumt.

RI befragt BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht.

[...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen von BF1 und BF2 am 16.11.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 06.10.2017 sowie die Beschwerde vom 17.01.2019

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 115 bis 173 im Verwaltungsakt der BF1)

* Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.01.2019 sowie Einsicht in die von den BF vorgelegten Belege zu ihrer Integration und Gesundheit

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.01.2019 zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat:

? Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage sowie zur Lage der Frauen und Kinder im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 23.11.2018)

? Gutächtliche Stellungnahme von Mag. Zerka Malyar vom 27.07.2009 zu "Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan", zitiert vom BVwG im Erkenntnis vom 21.01.2016, Zahl W174 1436214-1

? Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 06.08.2013 zu "In Blutfehden verwickelte Personen" sowie

? Schnellrecherche der SFH-Länderanalsyse vom 07.06.2017 zu Afghanistan: "Blutrache und Blutfehde"

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), und ihre beiden gemeinsamen minderjährigen Töchter XXXX , geboren am XXXX (BF3), und XXXX , geboren am XXXX (BF4). Die BF sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari, sie sprechen aufgrund ihre langjährigen Aufenthaltes im Iran auch Farsi.

Die BF leben im gemeinsamen Haushalt.

3.1.2. Lebensumstände:

Die BF1 verließ mit ihrer Familie Afghanistan im Kleinkindalter und wuchs im Iran auf. Sie besuchte ca. drei Jahre die Grundschule und arbeitete ca. drei Monate in einem Schönheitssalon als Lehrling.

Der BF2 wuchs in Afghanistan auf, verließ aus angegebenen Gründen im Jahr 2007 seinen Herkunftsstaat und ging in den Iran, wo er im Jahr 2011 die BF1 heiratete. Er arbeitete in einer Fabrik als Schuhmacher.

Die BF fürchteten, dass der BF2 mangels Aufenthaltstitel nach Afghanistan abgeschoben werde, und reisten im Jahr 2015 nach Europa, wo sie gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz stellten.

3.1.3. Die BF bemühen sich um ihre Integration in Österreich. Die BF1 und der BF2 haben mehrere Deutschkurse besucht, die BF3 besuchte den Kindergarten und besucht nun die Schule.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

3.2.1. Fluchtgründe der BF1:

Die BF1 ist eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben wollen) orientiert ist. In Österreich - wie auch schon teilweise im Iran - kleidet, frisiert und schminkt sich die BF1 nach westlicher Mode. Sie ist Mitglied einer Frauengruppe, die sportliche und soziale Aktivitäten setzt. Die BF1 betreibt Tanzen, Laufen, Gymnastik, Schwimmen und Ballspiele. Sie will einer Erwerbstätigkeit nachgehen und hat den Wunsch, Kosmetikerin - was sie schon im Iran zu lernen begonnen hat - zu werden.

Die BF1 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben, zumal sie im Iran aufgewachsen ist. Ihre Einstellung und ihr Lebensstil stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und auch entsprechend verfestigten Änderung ihrer Lebensführung würde die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

3.2.2. Fluchtgründe des BF2:

Der BF2 konnte nicht glaubhaft vermitteln, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre. Er hat eigene Fluchtgründe nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

3.2.3. Fluchtgründe der BF3 und BF4:

Für die BF3 und BF4 wurden keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

3.2.4. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auszuschließen wären.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen:

3.3.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 26.03.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

[...]

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.01.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursa

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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