TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/8 W167 2164514-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W167 2164514-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen Spruchpunkt I des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschs für die Sprache Dari im Wesentlichen an, er habe aus dem Iran flüchten müssen, da er seine Konfession gewechselt habe.

2. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde im Beisein einer Vertrauensperson und eines Dolmetschs für die Sprache Dari. Im Wesentlichen gab der Beschwerdeführer an, dass er Christ geworden sei.

3. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.) zu. Die belangte Behörde führte zum Fluchtvorbringen insbesondere aus, dass der Beschwerdeführer die Konversion nicht habe glaubhaft machen können.

Der nunmehr bevollmächtigte Vertreter wurde dem Beschwerdeführer als Rechtsberater beigegeben.

4. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht gegen diesen Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin begründend zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer sei wegen seiner Konversion in seinem Herkunftsstaat asylrelevant gefährdet.

5. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte XXXX eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der Beschwerdeführer eingehend zu seinen Fluchtgründen befragt. Es wurden auch Zeugen befragt.

7. Der Beschwerdeführer legte seinen Taufschein vor, in dem auch die Firmung bestätigt ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig, kinderlos, Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er wuchs als schiitischer Muslim auf. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er spricht auch Farsi. Seine Familie stammt aus der Provinz Daikundi, der Beschwerdeführer hat seit seiner Kindheit im Iran gelebt.

Der Beschwerdeführer reiste am XXXX unter Umgehung der Grenzvorschriften in Österreich ein.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.

Allerdings hat sich der Beschwerdeführer vom schiitisch-muslimischen Glauben abgewendet, den christlichen Glauben verinnerlicht, ist zum christlichen Glauben konvertiert und würde seinen christlichen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiter ausüben.

Es kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat und der Ausübung des christlichen Glaubens ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht. Diese Situation für Muslime, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, gilt für das gesamte Staatsgebiet Afghanistans.

1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 31.01.2019 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1. Religionsfreiheit allgemein und für zum Christentum konvertierte Muslime

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert.

Das afghanische Strafgesetzbuch enthält keine Definition von Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Kommt es zu keinem Widerruf des Konfessionswechsels binnen drei Tagen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte.

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen.

Nichtmuslimische Gruppierungen machen insgesamt ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaften sind nicht vorhanden. Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, dies auch aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung.

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften.

Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie.

Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar.

1.3.2. Ethnische Minderheiten - Hazara

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten.

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens und betreffend die Sprachkenntnisse auch auf den Wahrnehmungen in der Verhandlung. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht festgestellt werden; die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren. Der Zeitpunkt und der Umstand der Einreise ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde und der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abgesehen von seiner Konversion vom Islam zum Christentum keine weitere aktuelle Gefährdung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft gemacht.

Seine Angaben zu einem mehr als 20 Jahre zurückliegenden Vorfall in Afghanistan, bei dem ihn die Taliban aufgrund seiner seines damaligen schiitischen Glaubens und seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara misshandelt hätten (Verhandlungsschrift OZ 11, S. 7) waren zu allgemein gehalten und unsubstantiiert, als dass ihnen die Richterin hätte Glauben schenken können. Zudem hat der Beschwerdeführer dies auch vor der belangten Behörde nicht näher substantiiert vorgebracht und darüber hinaus im Zusammenhang mit einer politischen Veranstaltung (Niederschrift S. 8, VwAkt S. 403), welche er beispielsweise vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr angeben hat. Insofern sind schon diese vagen Angaben widersprüchlich und insofern nicht glaubhaft. Dazu kommt auch, dass in der Beschwerde ausschließlich auf die Konversion/den Abfall vom Glauben Bezug genommen wird und keinerlei Angaben zu diesem Vorfall enthalten sind. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht, dass der von ihm vorgebrachte Vorfall gezielt gegen ihn als Person gerichtet war. Somit ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit diesem vorgebrachten Vorfall besteht. Eine solche ist - auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage der (schiitischen) Hazara im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - nicht ersichtlich.

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0455 mit Hinweis auf VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (unter Hinweis auf Stammrechtssatz: GRS wie Ra 2018/18/0441 E 14. März 2019 RS 2).

Bereits bei der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer angegeben, Christ zu sein. Auch im Verlauf des weiteren Verfahrens hat sich der Beschwerdeführer bemüht, Anschluss an christliche Gemeinschaften in Österreich zu bekommen, was im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt dokumentiert ist.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden der Beschwerdeführer, aber auch Zeug/innen aus dem Umfeld des Beschwerdeführers zu ihren Wahrnehmungen über die Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum befragt. Diese haben übereinstimmend und nachvollziehbar dargelegt, weshalb sie von einer Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum ausgehen. Der Taufspender und die in die Tauf- und Firmvorbereitung involvierten Personen haben zudem im Ergebnis überzeugend dargelegt, dass wieso eine Taufe und Firmung des Beschwerdeführers geplant ist, diese wurde nach der Verhandlung auch gespendet und eine entsprechende Bestätigung vorgelegt. Ergänzend werden für die Beurteilung des Religionswechsels auch schriftliche Stellungnahmen von weiteren Personen zu diesem Thema herangezogen.

In der Verhandlung hat der Beschwerdeführer den Eindruck vermittelt, dass er sich mit der christlichen Religion - und hier sogar mit verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen -auseinandergesetzt hat und sich bewusst für die römisch-katholische Kirche entschieden hat. Er hat auch ein grundsätzliches Wissen über die Bibel, christliche Feiertage und Sakramente. Der Taufspender sowie die Zeuginnen, welche den Beschwerdeführer auf seine Taufe vorbereiteten, bestätigten, dass die Verständigung mit dem Beschwerdeführer auf Deutsch (ganz) gut klappt und es auch möglich ist, über Glaubensinhalte zu sprechen. Der Taufspender attestierte dem Beschwerdeführer nicht nur ein Wissen, sondern auch einen inneren Bezug zur Heiligen Schrift und dass es für ihn glaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer sein Leben als Christ gestalten möchte. Die Tauf- und Firmpatin hat angegeben, dass sie erstaunt sei, wie viele Bibelstellen der Beschwerdeführer kenne. Die beiden Zeuginnen, welche sich in der Tauf- und Firmvorbereitung engagieren, gaben überzeugend an, dass sie den Eindruck hatten, dass der Beschwerdeführer sich gut in der Bibel auskennt. Zeugin 5 bestätigte von sich aus auch den Eindruck der Richterin in der Verhandlung, dass sich der Beschwerdeführer bewusst mit den unterschiedlichen christlichen Konfessionen auseinandergesetzt hat. Auch weitere Personen aus dem Tauf- und Firmvorbereitungsteam bestätigten schriftlich, dass der Beschwerdeführer ihrem Eindruck nach seine Hinwendung zum Christentum aus tiefster Überzeugung lebt bzw. dass sie ihn als tiefgläubigen Menschen wahrnehmen, der sich offensichtlich schon viele Jahre mit der Bibel beschäftigt. Auch andere Personen aus dem Umfeld des Beschwerdeführers, welche als Zeug/innen einvernommen wurden, bestätigten übereinstimmend, dass der Beschwerdeführer über religiöse Fragen, inklusive Unterschiede im Islam und Christentum, mit ihnen spricht und darüber gut Bescheid weiß.

Der Beschwerdeführer widmet sich ernsthaft der Religionsausübung. Insbesondere besucht er regelmäßig die Gottesdienste, was auch von Zeug/innen bestätigt wurde. Einige Zeug/innen wiesen sichtlich beeindruckt auch darauf hin, dass der Beschwerdeführer selbst unter widrigen Bedingungen betreffend die Entfernung und das Wetter zu Fuß zu den Gottesdiensten gekommen sei. Der Taufspender betonte auch, dass der Beschwerdeführer über einen langen Zeitraum hinweg an den Gottesdiensten teilgenommen hat und dass beim Beschwerdeführer eine spürbare Konsequenz vorhanden sei. Die Tauf- und Firmpatin gab an, dass sie den Beschwerdeführer regelmäßig in der Kirche treffe und in persönlichen Gesprächen über den Glauben mit dem Beschwerdeführer den Eindruck gewonnen habe, dass er es ernst meint; deshalb habe sie auch das Amt der Patin übernommen. Auch Zeugin 10 betonte im Ergebnis die Ernsthaftigkeit des Beschwerdeführers, als sie schilderte, wie lange der Beschwerdeführer trotz des Gefühls abgelehnt zu werden, durchgehalten habe, bis er in der kirchlichen Gemeinschaft wahrgenommen worden sei.

Der Beschwerdeführer selbst hat angegeben, dass er sich bemüht nach christlichen Glaubensgrundsätzen zu leben. Zentral ist für den Beschwerdeführer, dass es ihm durch die Hinwendung zum christlichen Glauben gelungen ist, "zu verzeihen". Personen aus dem Tauf- und Firmvorbereitungsteam bestätigten schriftlich, dass der Beschwerdeführer sein Leben auf die Bibel ausgerichtet habe. Zeugin 9 gab an, dass der Beschwerdeführer einen glücklichen Eindruck mache und auch geblüht sei, seit er das Christentum leben könne. Zeugin 10 gab an, dass ihr insbesondere bei einem nicht-religiösen Begräbnis, an dem der Beschwerdeführer mit ihr teilgenommen habe, klar geworden sei, dass der Beschwerdeführer Gott als Hinwendungspunkt brauche. Ein Zeuge gab ebenfalls an, dass seiner Wahrnehmung nach dem Beschwerdeführer der Besuch des Gottesdienstes und das Gebet Kraft gebe und ihn ruhiger mache.

Der Beschwerdeführer hat angegeben, dass er als Weg zu Gott zu gelangen für sich das Christentum sieht und auch deutlich gemacht, dass er diese weiter praktizieren wird. Zwischenzeitlich wurde der Beschwerdeführer auch getauft und gefirmt.

Aus diesen Gründen geht die Richterin beim Beschwerdeführer von einem aus innerer Überzeugung vollzogenen dauerhaften Religionswechsel vom Islam zum Christentum aus und dass der Beschwerdeführer seinen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiter praktizieren würde.

2.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (insbesondere aktuelle Kurzinformationen zum Länderinformationsblatt) für die verfahrensgegenständlich relevante Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der zulässigen Beschwerde

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

3.1.2. Eine konkrete individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan aufgrund seiner seinerzeitigen Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara konnte nicht festgestellt werden, dies auch nicht als allfällige "Gruppenverfolgung" von Hazara (vergleiche dazu auch VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Wie oben ausgeführt ist es dem Beschwerdeführer aber gelungen, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsstaat im Hinblick auf seine Konversion vom Islam zum Christentum aufzuzeigen. Es ist somit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum und seiner Ausübung der christlichen Religion asylrelevante Verfolgung im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, weshalb ihm auch keine eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht.

Da somit weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, ist der Beschwerde stattzugeben.

Dem Beschwerdeführer ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Diese Entscheidung ist mit der Feststellung zu verbinden, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Konversion, Religion, Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W167.2164514.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten