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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art119a Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Stadtgemeinde Neusiedl am See, vertreten durch Dax-Klepeisz-Kröpfl Rechtsanwaltspartnerschaft in Güssing, Hauptplatz 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 21. September 1998, Zl. 02/04-126/2, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Dr. Rudolf Golubich in Neusiedl am See, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 72), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860.- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 13. Dezember 1996 wurde dem mitbeteiligten Bauwerber aufgrund seines Ansuchens vom 12. November 1996 und des Ergebnisses der Bauverhandlung vom 21. November 1996 gemäß § 88 Abs. 1 Z. 1 bis 8 und § 93 Abs. 4 im Zusammenhang mit § 108 der Bgld. Bauordnung, LGBl. Nr. 13/1970 in der geltenden Fassung, "die baubehördliche Bewilligung für Eingangsüberdachung auf dem Grundstück in 7100 Neusiedl am See, Satzgasse 16, Parzelle Nr. 5144/3, EZ 4648, KG Neusiedl am See" erteilt. Im Spruch des baubehördlichen Bewilligungsbescheides ist der Zusatz enthalten:
"Bei Einhaltung nachstehender Bauvorschreibungen besteht seitens der Baubehörde kein Einwand gegen dieses Bauvorhaben."
Unter "Bauvorschreibungen" ist u.a. angeordnet:
"7. Die Baulinie wird wie folgt festgelegt:
Vordere Baulinie: ist gegeben.
Hintere Baulinie: Verlängerung der Baulinie der linken Gebäudeecke
Wohnhaus W. und rechte Gebäudeecke Haus T.
Seitenabstände: --
Hintere Baulinie halbe Gebäudehöhe vermindert um 1 m, mindestens
jedoch 3 m.
Innerhalb der Seitenabstände dürfen Nebengebäude mit einer maximalen Höhe von 3 m (gemessen an der Grundstücksgrenze) errichtet werden."
Gegen diesen Baubewilligungsbescheid erhob der mitbeteiligte Bauwerber die als "Einspruch" bezeichnete Berufung mit dem Vorbringen, er "möchte eine Überdachung auch der vor der vorderen Baulinie sich befindlichen Holzpergola beantragen".
Mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 3. Oktober 1997 wurde die Berufung des mitbeteiligten Bauwerbers als unbegründet abgewiesen. Alle über die im Baubewilligungsbescheid festgesetzten Baulinien hinausragenden Bauteile stellten eine unzumutbare Störung und Beeinträchtigung des Gesamtbildes dar. Die im erstinstanzlichen Bescheid erteilte Bewilligung regle eindeutig die für diesen Bereich zulässige und angebrachte Bebauung und trage entscheidend zur Wahrung eines positiven Gesamteindruckes in der Satzgasse bei.
Der dagegen erhobenen Vorstellung des mitbeteiligten Bauwerbers wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 27. März 1998 Folge gegeben, der Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat verwiesen. Aus dem vom mitbeteiligten Bauwerber eingereichten Projekt, insbesonders dem Einreichplan, sei klar erkennbar, dass das bewilligte Bauwerk (Pergola) die festgesetzte Baulinie überrage. In der Begründung führte die Vorstellungsbehörde weiters aus:
"Die erteilte Baubewilligung der Baubehörde erster Instanz (Bescheid des Bürgermeisters vom 13.12.1996), die auf Basis des vorliegenden Einreichplanes und der Baubeschreibung erging, enthält zwar die oben erwähnte Vorschreibung von Baulinien, bewilligt aber gleichzeitig das Projekt wie es anhand der Unterlagen eingereicht wurde. Wenn nun durch die Vorschreibung der Baulinie hin zur Satzgasse ein Widerspruch zum eingereichten Projekt oder die Nichtgenehmigung des für die Baulinie herausragenden Teiles der Eingangsüberdachung gesehen wird, liegt dieser nicht vor, weil gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. über die Baulinie bis zur Straßenfluchtlinie gebaut werden darf. In rechtlicher Hinsicht ist daher festzustellen, daß der Konsens der Baubewilligung der Baubehörde erster Instanz auch die Eingangsüberdachung bis zur Straßenfluchtlinie umfaßt; dies obwohl § 8 Abs. 2 und 4 BauO in der mündlichen Bewilligungsverhandlung und im Bewilligungsbescheid nicht eigens erörtert wurden. Die erteilte Baubewilligung meint jedoch das Bauprojekt im gesamten eingereichten Umfange und steht der über die Baulinie ragende Teil der Überdachung nicht im Gegensatz zu den baurechtlichen Vorschriften."
Eine allfällige Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor der Baubehörde erster Instanz könne nicht mehr gerügt werden, weil der Bescheid der Behörde erster Instanz im Spruch rechtskräftig geworden sei. Die auf den Rechtsirrtum zurückzuführende Berufung des mitbeteiligten Bauwerbers gehe daher ins Leere und müsse abgewiesen werden. Dies jedoch aus anderen Gründen als vom Gemeinderat ausgeführt. Richtigerweise hätte der Gemeinderat der Beschwerdeführerin mangels Beschwer des Berufungswerbers die Berufung abweisen müssen, weil seinem Ansuchen vollinhaltlich Rechnung getragen worden sei und keine Verletzung baurechtlicher Vorschriften bei projektsgemäßer Bewilligung trotz Vorschreibung der in Rede stehenden Baulinie vorliege. Da die Begründung des Bescheides des Gemeinderates keine Ausführungen über die erlaubten Vorbauten vor Baulinien enthalte, sondern ohne Feststellungen im vorangegangenen Verfahren Überlegungen über die Beeinträchtigung des Ortsbildes anstelle, erweise sich die Begründung des angefochtenen Bescheides inhaltlich als mangelhaft. Ein Begründungsmangel müsse aber zur Bescheidaufhebung führen, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf eine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindere. Es sei daher der Bescheid des Gemeinderates aufzuheben und zur Neuerlassung eines im Spruch unveränderten, jedoch in der Begründung den obigen Ausführungen über erlaubte Vorbauten Rechnung tragenden Bescheides zurückzuverweisen gewesen.
In der Folge hat der Gemeinderat der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 3. August 1998 den Baubewilligungsbescheid des Bürgermeisters vom 13. Dezember 1996 "ersatzlos behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Baubehörde erster Instanz verwiesen". In der Begründung ging der Gemeinderat der beschwerdeführenden Stadtgemeinde davon aus, dass die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See in ihrer Entscheidung vom 27. März 1998 der Berufungsbehörde aufgetragen habe, den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid ersatzlos zu beheben. Die Vorstellungsbehörde gehe in ihrer Entscheidung vom § 8 der Bgld. Bauordnung aus, wo eine genaue Regelung über die Zulässigkeit von Vorbauten vor der Baulinie getroffen sei. Die Bgld. Bauordnung sei jedoch am 1. Februar 1998 durch das Bgld. Baugesetz ersetzt worden. Es gebe keine Übergangsbestimmungen. Für das anhängige Verfahren habe sich demnach die Rechtslage geändert, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. September 1998 hat die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See aufgrund der Vorstellung des mitbeteiligten Bauwerbers den Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 3. August 1998 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat verwiesen. Im Beschwerdefall sei von der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See im Bescheid vom 27. März 1998 rechtskräftig festgestellt worden, dass der Baubewilligungsbescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 13. Dezember 1996 in Rechtskraft erwachsen sei. Die auf einem Rechtsirrtum beruhende Berufung des mitbeteiligten Bauwerbers gegen die Vorschreibung einer Baulinie wäre mangels Beschwer abzuweisen gewesen. Die Rechtskraft eines - wenn auch auf der Bgld. Bauordnung beruhenden - Baubewilligungsbescheides erster Instanz und die Feststellung, dass der Berufungswerber durch diesen Bescheid nicht beschwert sei, seien solche tragenden Grundsätze, die unabhängig von einer mittlerweile geänderten Rechtslage des Baurechtes von den Gemeindebehörden zu beachten seien. Stelle die Aufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren das Vorliegen dieser Rechtssituation fest, sei die Gemeindebehörde zweiter Instanz daran gebunden. Sie könne daher nicht mit Aufhebung und Zurückverweisung vorgehen, sondern habe der Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde zu folgen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen zufolge in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie der mitbeteiligte Bauwerber - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 77 Abs. 1 der Bgld. Gemeindeordnung kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer aus dem Vollzugsbereich des Landes stammenden Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges (§ 76 Abs. 1) innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben.
Gemäß Abs. 5 dieser Gesetzesstelle hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.
Gemäß Abs. 6 dieses Paragraphen ist die Gemeinde bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.
Gemäß § 79 Abs. 3 leg. cit. ist zur Entscheidung über die Vorstellung (§ 77), falls durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, jedenfalls die Bezirkshauptmannschaft zuständig. Sie wird hiebei als Aufsichtsbehörde des Landes Burgenland tätig. Die Bezeichnung der belangten Behörde in der Beschwerde als "Land Burgenland" mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sich die Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See als Vorstellungsbehörde richtet, wird somit der Voraussetzung des § 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG, wonach die Beschwerde u. a. die Bezeichnung der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, zu enthalten hat, gerecht und bildet - entgegen den Ausführungen der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift - keinen Zurückweisungsgrund (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. Nr. 11.625/A, u.a.).
Ein aufhebender Bescheid einer Vorstellungsbehörde erzeugt mit seiner Begründung eine bindende Wirkung für das zuständige Gemeindeorgan bei Erlassung des Ersatzbescheides; das Gemeindeorgan ist an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 17. Dezember 1996, Zl. 96/05/0271, u.v.a.). Die einen Vorstellungsbescheid tragenden, die Rechtsanschauung der Aufsichtsbehörde wiedergebenden Gründe binden die Parteien in dem Verfahren, in dem dieser Bescheid ergangen ist, und auch die Aufsichtsbehörde. Die Vorstellungsbehörde ist nicht berechtigt, sich bei unverändert gebliebenem Sachverhalt und unveränderte Rechtslage über ihre in einem früheren Vorstellungsbescheid in der gleichen Verwaltungssache geäußerte Rechtsansicht hinweg zu setzen.
Tragender Aufhebungsgrund im Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 27. März 1998 war die Rechtsanschauung, dass sich die vom Bürgermeister der beschwerdeführenden Stadtgemeinde mit Bescheid vom 13. Dezember 1996 erteilte Baubewilligung auf "das Bauprojekt im gesamten eingereichten Umfange" bezieht und "der über die Baulinie ragende Teil der Überdachung nicht im Gegensatz zu den baurechtlichen Vorschriften" steht. Die vom mitbeteiligten Bauwerber gegen diesen Bescheid erhobene Berufung hätte daher vom Gemeinderat der beschwerdeführenden Stadtgemeinde mangels Beschwer des Berufungswerbers abgewiesen werden müssen.
Die beschwerdeführende Stadtgemeinde hatte gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung und wäre berechtigt gewesen, gegen den vorzitierten Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vor dem Verwaltungsgerichtshof oder Verfassungsgerichtshof Beschwerde zu führen (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 19. November 1996, Zl. 96/05/0152). Dies hat die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Fall jedoch unterlassen, weshalb ihre Organe bei der neuerlichen Entscheidung an die in den tragenden Aufhebungsgründen wiedergegebene Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden waren.
Die belangte Behörde hat daher im angefochtenen Bescheid, ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage, im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass der Gemeinderat der beschwerdeführenden Stadtgemeinde in seinem Bescheid vom 3. August 1998 in auffallender Weise gegen die Bindungswirkung im Sinne des § 77 Abs. 6 Bgld. Gemeindeordnung verstoßen hat.
Daran hat auch die Änderung der materiell-rechtlichen Rechtslage durch Inkrafttreten des Bgld. Baugesetzes 1997, LGBl. Nr. 10/1998, mit gleichzeitigem Außerkrafttreten der Bgld. Bauordnung, LGBl. Nr. 13/1970 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 11/1994 (siehe hiezu § 35 des Bgld. Baugesetzes 1997) nichts geändert, weil aufgrund des im Beschwerdefall zu beachtenden, im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 27. März 1998 enthaltenen tragenden Aufhebungsgrundes von einer baubehördlichen Bewilligung des Bauvorhabens, wie es der Baubehörde im Antrag des mitbeteiligten Bauwerbers vom 12. November 1996 zur Entscheidung vorgelegt worden ist, auszugehen und die gegen den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid erhobene Berufung des Bauwerbers mangels "Beschwer" (diesbezüglich hat sich die Rechtslage nicht geändert) abzuweisen ist. Im Rahmen seiner Berufungsentscheidung hat daher der Gemeinderat der Beschwerdeführerin - ausgehend von der bindenden Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde - baurechtliche Vorschriften nicht mehr anzuwenden.
Die Bindung des Vorstellungsbescheides der belangten Behörde vom 27. März 1998 erstreckt sich auch auf ein nachfolgendes Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, sofern der aufsichtsbehördliche Bescheid unangefochten geblieben ist, selbst wenn dieser Vorstellungsbescheid mit der objektiven Rechtslage nicht im Einklang steht (siehe hiezu Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 5. Auflage, S. 313, und die dort wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Der angefochtene Bescheid erweist sich damit frei von Rechtsirrtum. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Februar 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998050210.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
24.03.2014