Index
E1PNorm
AsylG 2005 §57 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2018, Zl. W147 1306574- 2/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: Z G in G, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Vorgeschichte
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 18. Jänner 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Nachdem dieser Antrag zunächst vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 3. Oktober 2006 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und der Mitbeteiligte aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurde, gab der Asylgerichtshof der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 16. Dezember 2009 Folge und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu.
3 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Amtsrevisionswerberin) vom 2. November 2017 wurde dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.), festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV.) und gegen den Mitbeteiligten ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).
4 Die Amtsrevisionswerberin legte ihrer Entscheidung nachstehenden festgestellten Sachverhalt zugrunde:
Der Mitbeteiligte sei Sunnit, radikaler Salafist und lebe nach der Scharia. Nach Ansicht des Mitbeteiligten komme der Scharia "metarechtliche" Geltung zu und hänge die Einhaltung des "gesatzten" Rechts der österreichischen Rechtsordnung alleine von seinem derzeitigen Willen ab, von den ihm durch die Scharia eingeräumten Rechten in entsprechenden Kollisionsfällen aktuell keinen Gebrauch zu machen. Letztlich betone der Mitbeteiligte den "überlegenen" Charakter der vermeintlich göttlichen Rechtsvorschriften und halte als Ziel an der allumfassenden Umsetzung der Scharia fest. Der Mitbeteiligte befürworte offen einen defensiven Jihad, wonach militärischer Kampf zur Verteidigung muslimischer Länder erlaubt sei. Jihadistische Strömungen würden eigentlich immer einen Verteidigungsfall behaupten. Der Mitbeteiligte sehe jedoch auch einen revolutionären militärischen Jihad als legitim an.
Der Mitbeteiligte sei Gründungsmitglied und Obmann des 2014 geschlossenen islamischen Glaubensvereines "T" gewesen. Bei diesem Verein handle es sich um eine radikal-salafistische Moscheegemeinschaft. Deren ehemaliger Imam sei mittlerweile mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. März 2016 rechtskräftig unter anderem wegen § 278b Abs. 2 StGB (Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung) und § 278a StGB (Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Organisation) zu einer mehrjährigen unbedingten Haftstrafe verurteilt worden. In den Räumen der T-Moschee seien junge Tschetschenen der Moscheegemeinschaft mit salafistischen Ideologien radikalisiert worden, mit dem Ziel, dass sich diese in die Gebiete des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) nach Syrien bzw. den Nordirak begeben sollen, um sich dort dem bewaffneten Jihad anzuschließen. Mittlerweile seien weitere Personen aus dem "inneren Kreis" dieser Moschee wegen einschlägiger Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden. Zahlreiche namentlich bekannte Tschetschenen aus dieser Moscheegemeinschaft hätten zudem bereits den Entschluss gefasst, nach Syrien zu gehen und diesen Entschluss auch umgesetzt. Diese Personen seien dem Mitbeteiligten persönlich bekannt.
Nach der Schließung des islamischen Glaubensvereins "T" im Jahr 2014 sei das "D Center - Tschetschenischer Kulturverein" als Nachfolgeverein eröffnet worden. Dabei handle es sich ebenfalls um einen radikal-salafistischen Moscheeverein. Der Mitbeteiligte sei wiederum als Obmann tätig.
Die theologische und ideologische Ausrichtung des radikalen Salafismus sei weder mit den rechtsstaatlichen Normen der Republik Österreich noch deren allgemeinen Grundwerten vereinbar. Die salafistische Ideologie des Mitbeteiligten richte sich sowohl ablehnend gegen die demokratische Grundordnung und die verfassungsmäßigen Institutionen, als auch gegen den religiösen Pluralismus und westliche Grundwerte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Entsprechend der salafistischen Lehre könne eine (vom Menschen geschaffene) demokratisch erzeugte Rechtsordnung per se keinen Anspruch auf unmittelbare Geltung erheben.
Der Mitbeteiligte habe die Verbreitung dieser staatsfeindlichen Grundhaltung insofern führend unterstützt, als er als Obmann in leitender Funktion der T-Moschee tätig gewesen sei bzw. des Moscheevereins "D-Center" nach wie vor fungiere. Der Mitbeteiligte habe es als Obmann der genannten Vereine ermöglicht und gefördert, dass junge Moscheebesucher, insbesondere aus der tschetschenischen Diaspora mit dieser salafistischen, staatsgefährdenden und auch jihadistischen Ideologie indoktriniert worden seien. Der Mitbeteiligte sei somit führendes Mitglied einer Organisation, die staatsfeindliche Propaganda betreibe und die mit terroristischen Aktivitäten bzw. der Förderung solcher in Form der Anwerbung von Kämpfern für die Terrororganisationen "Jabhat al Nusra" (Al-Nusra-Front) und "IS" unmittelbar in Verbindung stehe. Der Mitbeteiligte stelle daher eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Gegen den Mitbeteiligten sei auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach § 282a StGB eingeleitet worden.
Die vom Asylgerichtshof im Erkenntnis vom 16. Dezember 2009 angenommene Verfolgung des Mitbeteiligten in seinem Herkunftsstaat liege jetzt nicht vor. Ihm drohe im Fall seiner Rückkehr nach Tschetschenien keine reale Gefahr einer Art. 2 und 3 EMRK Verletzung.
5 Rechtlich führte die Amtsrevisionswerberin im Bescheid aus, sowohl bei der Unterstützung und Begünstigung der Anwerbung von Personen, um sich der Terrororganisation "IS" anzuschließen, als auch bei der öffentlichen Verbreitung radikal-salafistischer Lehren und der damit verbundenen gezielten Radikalisierung von Jugendlichen, handle es sich um solche Handlungen, die darauf abzielten, die Existenz des Staates selbst und seine verfassungsmäßigen Einrichtungen sowie die demokratischrechtsstaatliche Grundordnung in Frage zu stellen. Terroristische Handlungen könnten ein Land oder eine internationale Organisation dadurch ernsthaft schädigen, dass sie die Bevölkerung einschüchtern und wirtschaftliche oder soziale Grundstrukturen ernsthaft destabilisieren oder zerstören. Der Mitbeteiligte sei führendes Mitglied einer Organisation, die staatsfeindliche Propaganda betreibe und mit terroristischen Aktivitäten bzw. der Förderung solcher in Form der Anwerbung von Kämpfern für die Terrororganisationen "Jabhat al Nusra" und "IS" unmittelbar in Verbindung stehe. Der salafistischen Betätigung des Mitbeteiligten sei zunehmend immanent, dass es sich um eine tiefe und nachhaltige Überzeugung sowie Gewissensentscheidung handle, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass die von ihm ausgehende Gemeingefährlichkeit auch in Hinkunft in unveränderter Form vorliegen werde. Es sei deshalb eine negative Zukunftsprognose anzunehmen. Dem Mitbeteiligten sei daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.
Da dem Mitbeteiligten im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention drohe, sei ihm nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei in einer Gesamtschau zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele des Schutzes der nationalen Sicherheit und Bewahrung der öffentlichen Ruhe und Ordnung dringend geboten.
Schließlich gründe sich das unbefristete Einreiseverbot auf die vom Mitbeteiligten ausgehende Gefährlichkeit, die sich aus seiner Einstellung zu terroristischen Straftaten in Form des bewaffneten "Jihads" als legitim und die Verbreitung dieser radikal-salafistischen Ideen als religiöse Pflicht ergebe.
Angefochtenes Erkenntnis
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen den Aberkennungsbescheid des BFA erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers statt, hob diesen Bescheid ersatzlos auf und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
7 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass es für die Anwendung der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 grundsätzlich keiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens bedürfe. Diese Bestimmung sei jedoch nicht losgelöst von der Z 4 sowie Art. 14 Abs. 4 der Statusrichtlinie 2004/83/EG und insbesondere Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu betrachten. Demnach stelle diese Regelung als Ausnahme vom Refoulementverbot grundsätzlich eine "ultima ratio" dar.
Im Aberkennungsbescheid sei konkret festgestellt worden, dass der Mitbeteiligte ein aktives führendes Mitglied einer Organisation sei, die staatsfeindliche Propaganda betreibe und mit terroristischen Aktivitäten bzw. der Förderung solcher in Form der Anwerbung von Kämpfern für die Terrororganisationen "Jabhat al Nusra" (Al-Nusra-Front) und "IS" unmittelbar in Verbindung stehe. Er selbst habe die Verbreitung staatsfeindlicher, radikalsalafistischer Propaganda und die Anwerbung von Personen zur Unterstützung der genannten terroristischen Organisationen gefördert. Jedenfalls sei "richtig festgestellt" worden, dass der Imam der T-Moschee, in der jihadistische Propaganda verbreitet worden sei, rechtskräftig ua. wegen § 278b Abs. 2 StGB und § 278a StGB zu einer mehrjährigen unbedingten Freiheitstrafe verurteilt worden sei. Der Mitbeteiligte sei anlässlich dieser Ermittlungen weder angeklagt noch verurteilt worden, sodass offensichtlich für den öffentlichen Ankläger kein direkter Zusammenhang mit der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch den Mitbeteiligten zu erkennen gewesen sei. Trotz Einvernahme sei eine weitere strafrechtliche Verfolgung des Mitbeteiligten unterblieben.
Für das Verhältnis zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung bedeute die organisatorische Gewaltentrennung, dass es zwischen den beiden Staatsfunktionen keine organisatorischen Mischformen, keine wechselseitigen Weisungsbeziehungen oder Instanzenzüge geben dürfe. Da der Mitbeteiligte unbescholten sei, habe die Amtsrevisionswerberin durch die Feststellung, dass es sich beim Mitbeteiligten um ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung handle bzw. er eine terroristische Vereinigung unterstütze, im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltentrennung ihre Kompetenz in der Vollziehung jedenfalls überschritten.
Ebenso seien die Schlussfolgerungen des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) hinsichtlich der Radikalisierung des Mitbeteiligten bzw. der Nähe zu einer terroristischen oder extremistischen Gruppe jedenfalls mit einer strafrechtlichen Verurteilung nicht gleichzusetzen, weshalb die Amtsrevisionswerberin auch vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK und Art. 48 GRC rechtswidrige Feststellungen betreffend den Mitbeteiligten treffe. Die von der Amtsrevisionswerberin in weiterer Folge durchgeführte Gefährdungsprognose fuße somit auf rechtswidrigen Feststellungen. Die Aberkennung des Asylstatus sei daher im konkreten Fall nicht haltbar, der Aberkennungsbescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet und gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben.
Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 insbesondere im Hinblick auf die Unbescholtenheit des Mitbeteiligten "trotz gesetzten(r) Handlungen im Hoheitsgebiet der Republik Österreich" fehle.
Amtsrevision
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
9 Die Amtsrevision ist zu der in ihrem gesonderten Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfrage, ob der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine strafgerichtliche Verurteilung voraussetze und mangels einer solchen sich die Vornahme einer Gefährdungsprognose durch das Verwaltungsgericht erübrige, zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Rechtslage
10 § 6 Abs. 1 Z 3 und 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in der Stammfassung, BGBl. I Nr. 100/2005, lauten:
"3. Abschnitt
Ausschluss von der Zuerkennung und Aberkennung des Status des Asylberechtigten
Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
...
3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass
der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich
darstellt, oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders
schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
...
Aberkennung des Status des Asylberechtigten
§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
..."
11 Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9, in der Fassung der Berichtigung (des Art. 15 lit. a) ABl. L 167 vom 30.6.2017, S. 58 (Statusrichtlinie) - inhaltsgleich mit der Vorgängerrichtlinie 2004/83/EG - lautet wie folgt:
"Artikel 14
Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung
der Flüchtlingseigenschaft
...
(4) Die Mitgliedstaaten können einem Flüchtling die ihm von
einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder
einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung
aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn
a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er
eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in
dem er sich aufhält;
b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses
Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde."
12 Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. Nr. 55/1955,
(GFK), lautet:
"Artikel 33
Verbot der Ausweisung und Zurückweisung
1. Keiner der vertragsschließenden Staaten wird einen
Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch
ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde."
Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes als Voraussetzung für "eine Gefahr der Sicherheit der Republik Österreich" gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005
13 § 6 Abs. 1 AsylG 2005 normiert insgesamt vier voneinander unabhängig geregelte Asylausschlussgründe, die gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ("wenn 1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;") jeweils für sich auch einen Asylaberkennungsgrund darstellen.
14 Das Vorliegen stichhaltiger Gründe gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 setzt weder eine - im Gegensatz zum Asylaberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 - rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Fremden, noch sonst die Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes voraus (vgl. die Erläuterungen zum Initiativantrag, 2285/A BlgNR 25. GP, 75, zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 - FrÄG 2017, BGBl. I Nr. 145/2017, wonach in den Fällen gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 die Aberkennung des Status des Asylberechtigten eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung nicht voraussetze und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher das Vorliegen von Aberkennungsgründen in diesen Fällen unabhängig vom Gang eines allfälligen parallel laufenden Strafverfahrens zu beurteilen habe, weshalb es sachgerecht sei, ein Aberkennungsverfahren bereits vor einer rechtskräftigen Verurteilung einzuleiten, sofern gleichwohl Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Asylberechtigte eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle und der Status des Asylberechtigten daher gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen sein könnte).
15 In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof zur Auslegung des Art. 33 Abs. 2 GFK dargelegt, dass die Bestimmung neben dem Tatbestand einer Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes aus gewichtigen Gründen durch den Flüchtling auch den Tatbestand enthält, dass der Flüchtling wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet. Daraus ist abzuleiten, dass nur dann eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes aus gewichtigen Gründen angenommen werden kann, wenn ganz spezifische Umstände vorliegen, die eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltslandes darstellen können. Jene Gefahren, die sich für die Gemeinschaft aus der Begehung eines besonders schweren Verbrechens, dessentwegen ein Flüchtling rechtskräftig verurteilt worden ist, ergeben, sind demgegenüber vom zweiten Tatbestand erfasst (vgl. VwGH 15.12.1993, 93/01/0900).
16 Die Beurteilung, ob der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert im jeweiligen Einzelfall eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. §§ 9 Abs. 2 Z 2 und 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005; §§ 53 und 66 Abs. 1 FPG). Bei dieser Einzelfallprüfung ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, Rn. 18, sowie VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0246, Rn. 26, jeweils in Bezug auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005).
Unabhängig vom Ausgang eines allfälligen Strafverfahrens von der Asylbehörde vorzunehmende, eigenständige Gefährdungsprognose
17 Das BVwG gründet seine Entscheidung zusammengefasst auf die Rechtsansicht, dass bei der Prüfung der Aberkennung des Asylstatus des Mitbeteiligten gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 seitens der Verwaltungsbehörde auf Basis eines von der Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens keine Feststellungen über ein einen gerichtlichen Straftatbestand verwirklichendes Verhalten des Mitbeteiligten getroffen werden dürfen, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Mitbeteiligten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht einmal zu einer Anklage des Mitbeteiligten geführt hätten. Der Zulässigkeit solcher Feststellungen stünden einerseits das in Art. 94 B-VG verankerte Prinzip der Gewaltentrennung, andererseits Art. 6 EMRK und Art. 48 GRC entgegen.
18 Bei der Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 handelt es sich um keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme, bezogen auf den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zum Schutz vor Gefahren für die Sicherheit der Republik Österreich. Verfahren betreffend die Aberkennung des Status des Asylberechtigten unterliegen demnach entgegen der Rechtsansicht des BVwG nicht der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 48 Abs. 1 GRC (vgl. VfGH 14.3.2012, U 466/11 = VfSlg 19.632; vgl. weiters EGMR 5.10.2000, Maaouia/Frankreich, 39652/98, Rz 38 f, sowie EGMR 10.6.2010, Garayev/Aserbaidschan, 53688/08, Rz 109, mwN, wonach Entscheidungen über den Eintritt, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anschuldigung gegen sie iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffen; vgl. so zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, mwN).
19 Wie bereits dargelegt, erfordert der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 nicht eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des asylberechtigten Fremden bzw. die Verwirklichung eines gerichtlichen Straftatbestandes durch ihn, sondern unabhängig davon stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Die das Vorliegen dieses Asylaberkennungstatbestandes auf Basis einer Gefährdungsprognose prüfende Asylbehörde und das allenfalls für die Verhängung einer Strafe in Bezug auf das der Gefährdungsprognose zugrunde gelegte Verhalten des Fremden zuständige Gericht entscheiden insofern nicht über dieselbe Sache. Der vom BVwG in diesem Zusammenhang angenommene Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung nach Art. 94 Abs. 1 B-VG ist somit nicht ersichtlich (vgl. in diesem Sinn zu einer Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz VfGH 14.6.2012, G 4/12 ua).
20 Die Gefährdungsprognose ist von der Behörde und im Beschwerdeverfahren aufgrund der Pflicht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, vom Verwaltungsgericht als Voraussetzung für die zu prüfende Erlassung der administrativrechtlichen Maßnahme der Aberkennung des Status eines Asylberechtigten eigenständig aus dem Blickwinkel des Asylrechts vorzunehmen. Dabei hat die Asylbehörde (bzw. das Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren) eigenständig konkrete Feststellungen zum Gesamtverhalten des Fremden zu treffen und im Hinblick auf eine allfällige Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich zu beurteilen. Dem steht der Umstand, dass strafgerichtliche Ermittlungen gegen den Fremden bisher zu keiner Anklage geführt haben, ebenso wenig entgegen wie eine allfällige Einstellung eines gerichtlichen Strafverfahrens, zumal dies für die Asylbehörde im Aberkennungsverfahren keine Bindungswirkung für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines asylberechtigten Fremden für die Sicherheit der Republik Österreich entfaltet (vgl. etwa VwGH 31.3.2017, Ra 2016/03/0121, zur Bindungswirkung der Einstellung eines gerichtlichen Strafverfahrens für die Waffenbehörde bei der Beurteilung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit).
21 Wenngleich von einem asylberechtigten Fremden allfällig begangene gerichtliche Straftaten unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Tatumstände bei der von der Asylbehörde vorzunehmenden Gefährdungsprognose einzufließen haben, lässt sich daraus nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die strafgerichtliche Unbescholtenheit eines Fremden in jedem Fall zu einer positiven Prognose führen muss. Vielmehr kann sich auch aus besonderen Umständen in dessen Person eine Gefährlichkeit iSd § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ergeben, die bislang noch zu keinem Konflikt mit dem Strafgesetz geführt haben (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/01/0258 - 0261, in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft).
Fallbezogene Anwendung
22 Entgegen der Rechtsansicht des BVwG hat die Amtsrevisionswerberin zu Recht unabhängig vom Gang eines allfälligen parallel laufenden Strafverfahrens Feststellungen zum Verhalten des Mitbeteiligten als Obmann zweier Moscheevereine und zu seiner Verbindung zu den wegen Beteiligung als Mitglieder an einer terroristischen Vereinigung bzw. kriminellen Organisation rechtskräftig verurteilten Vereinsmitgliedern getroffen und darauf ihre Gefährdungsprognose gestützt.
23 Indem das BVwG aufgrund dieser unrichtigen Rechtsansicht der Beschwerde des Mitbeteiligten stattgab und den Aberkennungsbescheid der Amtsrevisionswerberin ersatzlos behob, ohne eigene Feststellungen zum Gesamtverhalten des Mitbeteiligten zu treffen und eine eigenständige Gefährdungsprognose vorzunehmen, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Ergebnis
24 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
25 Der Mitbeteiligte hat bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz (vgl. etwa VwGH 28.1.2019, Ra 2018/01/0428, mwN).
Wien, am 4. April 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018010014.J00Im RIS seit
18.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.06.2019