Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Gerald Pichler, Rechtsanwalt in Neuhofen an der Krems, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 2018, GZ 12 Rs 92/18p-9, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 2018, GZ 6 Cgs 30/18g-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 10. 11. 2006 österreichische Staatsbürgerin. Sie bezieht eine rumänische Eigenpension, welche ab 1. 12. 2016 (monatlich) 168,88 EUR, ab 1. 1. 2017 176,06 EUR und ab 1. 7. 2017 173,58 EUR betrug. Die Klägerin ist seit 24. 11. 2016 mit einem rumänischen Staatsbürger verheiratet, mit dem sie gemeinsam in Österreich im selben Haushalt lebt.
Mit Bescheid vom 19. 3. 2018 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Ausgleichszulage ab 1. 12. 2016 neu fest wie folgt (Beträge jeweils monatlich):
ab 1. 12. 2016 713,90 EUR
ab 1. 1. 2017 713,78 EUR
ab 1. 7. 2017 716,26 EUR.
Ab 1. 12. 2017 werde die Ausgleichszulage als Vorschuss in Höhe von 710 EUR monatlich ausgezahlt.
Die Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt des Gatten der Klägerin in Österreich nicht gegeben sei.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zuerkennung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 12. 2016.
Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt wandte dagegen ein, dass der Ehegatte der Klägerin arbeitslos sei und nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, die einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich begründen könnten. Auch die Klägerin verfüge nur über eine sehr geringe Rente.
Das Erstgericht sprach der Klägerin eine monatliche Ausgleichszulage wie folgt zu:
ab 1. 12. 2016 1.154,70 EUR
ab 1. 1. 2017 1.158,11 EUR
ab 1. 7. 2017 1.160,59 EUR.
Ab 1. 12. 2017 trug das Erstgericht der Beklagten die Zahlung einer Ausgleichszulage in Höhe von monatlich 1.160,59 EUR als Vorschuss auf.
Die Klägerin verfüge unstrittig über einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Sie beziehe eine Eigenpension und lebe mit ihrem Gatten im gemeinsamen Haushalt zusammen. Für die Bemessung der ihr gebührenden Ausgleichszulage komme der (Familien-)Richtsatz gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG zur Anwendung. Da es im vorliegenden Fall um einen Anspruch der Klägerin und nicht ihres Ehegatten gehe, komme es auf die Rechtmäßigkeit dessen Aufenthalts in Österreich nicht an.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Beklagten auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es ging unter ausführlicher Darstellung der historischen Entwicklung des § 292 Abs 1 ASVG davon aus, dass die aufenthaltsrechtliche Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ehegatten der Klägerin im gemeinsamen Haushalt vom Gesetzgeber planwidrig nicht in den Text zB des § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG aufgenommen worden sei. Die Berücksichtigung des Familienrichtsatzes bei der Berechnung der Ausgleichszulage setze daher einen „(aufenthaltsrechtlich) rechtmäßig gemeinsamen Haushalt“ voraus. Um zu beurteilen, ob der Ehegatte der Klägerin ein Aufenthaltsrecht aus den §§ 52 iVm 57 NAG ableiten könne, sei das Verfahren ergänzungsbedürftig. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten Voraussetzung für die Anwendung des Familienrichtsatzes gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin, mit dem sie die Stattgebung ihrer Klage anstrebt.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Zutreffend weist die Revisionswerberin auf die Entscheidung 10 ObS 50/18b hin, in der die hier entscheidungswesentlichen Fragen behandelt wurden.
2. Nicht strittig ist im vorliegenden Fall, dass die Klägerin über einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland im Sinn des § 292 Abs 1 ASVG verfügt, und dass ihre Eigenpension weder die Höhe des „Einzelrichtsatzes“ (§ 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG) noch des „Familienrichtsatzes“ (§ 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG) erreicht.
3. Die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung des „Familienrichtsatzes“ gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG ist das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts der Ehegatten (10 ObS 50/18b mwH). Auch von der Erfüllung dieser Voraussetzung ist nach den Feststellungen für die hier relevanten Zeiträume auszugehen.
4. Für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin kommt es nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht auf die Berechtigung des Aufenthalts des Gatten der Klägerin im Inland an. Ausgehend vom Wortlaut der §§ 292, 293 ASVG und der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik fehlt es im konkreten Fall an der für den vom Berufungsgericht angenommenen Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Unvollständigkeit der rechtlichen Regelungen (10 ObS 50/18b mwH).
5. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß §
519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nach §
519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Die Beklagte hat die Richtigkeit der Berechnung der der Klägerin gebührenden Ausgleichszulage unter Berücksichtigung des „Familienrichtsatzes“ gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG in der Berufung nicht in Frage gestellt.
Aus den oben angeführten Gründen erweist sich die Rechtssache als bereits im klagestattgebenden Sinn entscheidungsreif, ohne dass es weiterer Feststellungen bedarf.
6. Dem Rekurs der Klägerin war daher im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Pauschalgebühren sind im Verfahren in Sozialrechtssachen nicht zu entrichten, § 80 ASGG.
Textnummer
E125244European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00007.19F.0507.000Im RIS seit
13.06.2019Zuletzt aktualisiert am
13.06.2019