TE OGH 2019/5/15 9Ob22/19d

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Veröffentlicht am 15.05.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der (ursprünglich zweit-)klagenden Partei ***** A*****, vertreten durch Mag. Dr. Alfred Poferl, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. ***** P*****, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) 29.554,56 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2019, GZ 11 R 189/18x-104, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 22. Oktober 2018, GZ 38 Cg 3/13m-100, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die (ursprünglich Zweit-)Klägerin ist Landwirtin, die Beklagte ist Steuerberaterin. Mit rechtskräftigem Zwischenurteil vom 16. 6. 2016 wurde die Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin für die Verletzung einer Kontrollpflicht festgestellt (ON 41, 47). Dem lag zugrunde, dass die Beklagte bei den für den ursprünglichen Erstkläger erstellten Einkommensteuererklärungen die Möglichkeit der sogenannten kleinen Option gemäß § 23 Abs 1b BSVG nicht angesprochen hatte. Ihm und der Klägerin wurden in der Fassung von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern Nachzahlungen vorgeschrieben, die bei früherer Optionsausübung zu vermeiden gewesen wären. Die Klägerin macht deshalb einen Schadenersatzanspruch in Höhe von (eingeschränkt) 29.554,56 EUR sA geltend.

Zur noch verfahrensgegenständlichen Höhe ihres Schadens brachte die Klägerin vor, dass es sich um jenen Schaden handle, der bei rechtzeitiger und richtiger Aufklärung zu vermeiden gewesen wäre. Ob und in welcher Höhe sie künftig einen Vor- oder Nachteil aus der tatsächlichen Zahlung haben werde, sei nicht relevant. Immerhin sei ungewiss, ob sie künftig überhaupt Leistungen in Anspruch nehmen könne.

Die Beklagte bestritt und wandte im Wesentlichen ein, dass die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge auch eine höhere Pension zur Folge habe, die bei der Schadensberechnung als mindernd zu berücksichtigen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest:

„Die Differenz zulasten der Klägerin zwischen tatsächlich vorgeschriebenen SVB-Beiträgen inklusive Beitragszuschlag und den fiktiv vorzuschreiben gewesenen SVB-Beiträgen, wenn die Option nach § 23 Abs 1b BSVG zwischen 03/2005 und 12/2009 angewendet worden wäre, beträgt – unter Einbeziehung des Jahres 2011 – EUR 37.191,57 (wird das Jahr 2011 nicht einbezogen EUR 29.554,56). Die Beitragsgrundlage 2011 beinhaltet trotz der mittlerweile ausgeübten kleinen Option die 2011 vorgeschriebenen SVB-Nachzahlungen aus den Jahren 2005 bis 2009. Diese wären nicht angefallen, wenn von vornherein die kleine Option ausgeübt worden wäre.

Die Klägerin hätte bis zum Regelpensionsantrittsalter noch 6,75 Beitragsjahre zu leisten. Folgend der Sterbetafel 2010/12 hat sie gerechnet ab 2018 eine weitere Lebenserwartung von 30,75 Jahren und damit 24 Pensionsjahre. Der Wert der Pension, der aufgrund der pauschalen Beitragsgrundlage (§ 23 Abs 4b BSVG) in den Jahren 2005 bis 2009 ermittelt wurde, ist zum 31. 12. 2009 um EUR 45.538,90 höher, als wenn dieser auf Grundlage der kleinen Option (§ 23 Abs 1b BSVG) ermittelt worden wäre/ bzw. ergibt sich abgezinst auf den 31. 12. 2011 ein Betrag von EUR 49.725,36. Stellt man diese Werte des Mehraufwands der SVB Beiträge und der höheren Pensionleistung gegenüber hat die Klägerin einen Vorteil durch die Nichtanwendung der kleinen Option in den Jahren 2005 bis 2009 von EUR 15.984,34 bzw. – unter Einbeziehung des Jahres 2011 – von EUR 12.533,79. Stellt man also die Pensionsleistungen und SVB-Beiträge der Klägerin gegenüber, werden die finanziellen Verhältnisse der Klägerin – sollten die Pensionsleistungen entsprechend den ausgewiesenen Pensionsberechnungen eintreten – in Summe durch die Nichtinanspruchnahme der kleinen Option günstiger sein. Ob dieser Fall sich tatsächlich realisieren wird, kann nicht festgestellt werden. Immerhin beruht die Kalkulation des Pensionsvorteils auf einer Zukunftsrechnung, welcher gegenwärtige Annahmen zu Grunde liegen, die sich in Zukunft anders gestalten können (zB 30 jähriger Zinsdurchschnitt, Höhe der Steuern und SV-Beiträge 2018, durchschnittliche Lebenserwartung laut Sterbetafel). Es kann nicht festgestellt werden, wie lange die Klägerin leben wird und sohin ob sie in den Ruhegenuss/Pension kommen wird.“

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht einen Vorteilsausgleich. Es stehe nicht fest, dass der errechnete Vorteil der Klägerin bereits eingetreten sei oder in Zukunft tatsächlich eintreten werde.

Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Es liege keine zeitliche Kongruenz des von der Beklagten eingewandten Vorteils vor. Die Revision sei zur Frage zulässig, ob auch erst zukünftige höhere Leistungen der Pensionsversicherung als kausale Vermögensvorteile auf einen bestehenden Schadenersatzanspruch gegen eine Steuerberaterin aus einem Beratungsfehler im Zusammenhang mit einer sozialversicherungsrechtlichen Beitragszahlung anzurechnen seien.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte, die Urteile der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Der Schadenersatzanspruch hat den Zweck, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittene Einbuße zukommen zu lassen (RS0023471, RS0022586, zuletzt 1 Ob 70/18b). Der Geschädigte soll nicht mehr und nicht weniger als die erlittenen Nachteile ersetzt erhalten (RS0023600 [T10]; 10 Ob 31/00g). Der Schädiger hat den Geschädigten dazu grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne schuldhaftes Verhalten gestellt wäre. Der

Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen (RS0030153).

2. Dem Umstand, dass ein schädigendes Ereignis dem Geschädigten auch Vorteile bringen kann, wird mit der Vorteilsausgleichung Rechnung getragen (s nur Koziol, Haftpflichtrecht I3 [1997] Rz 10/33 ff). Es sind jene Vermögensbestandteile des Geschädigten in den Kreis der Betrachtung einzubeziehen, die durch die Beschädigung irgendwie beeinflusst wurden, aber auch Vermögensbestandteile (Aktiven oder Passiven), die erst durch das schädigende Ereignis gebildet wurden oder deren Bildung durch dasselbe verhindert wurde; demnach ist auch ein Vorteil des Beschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, grundsätzlich zugunsten des Schädigers zu buchen (RS0022834; zuletzt 1 Ob 70/18b).

3. Es sind jedoch nicht jegliche Vorteile des Geschädigten auf Schadenersatzansprüche anzurechnen. In der Rechtsprechung hat sich im Meinungsstreit um die sogenannte Vorteilsausgleichung bei Zuwendungen von dritter Seite eine teleologische Betrachtungsweise durchgesetzt: Die Anrechnung eines Vorteils muss dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen und soll nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen. Es ist also nicht schlechthin jeder Vorteil anzurechnen, der dem Geschädigten aus dem vom Schädiger verursachten Ereignis zufließt, sondern es kommt immer auf die ganz besondere Art des erlangten Vorteils und den Zweck der Leistung des Dritten an (s RS0023600; s auch Koziol, Haftpflichtrecht I3 10/37 ff). Die Anrechnung eines Vorteils darf nicht mechanisch erfolgen, sondern es ist zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung eine Entlastung des Schädigers sachlich gerechtfertigt erscheint (RS0030638 [T6]; 9 ObA 56/16z mwN; Koziol, aaO Rz 10/54; Karner in KBB ABGB5 § 1295 Rz 16).

Anzurechnen sind solche Vorteile, die mit dem Schadenersatzanspruch in einem besonderen Zusammenhang stehen. Dass Schade und Vorteil nicht aus demselben Ereignis entsprungen sind, schließt die Vorteilsausgleichung nicht aus, weil es genügt, wenn beide im selben Tatsachenkomplex wurzeln (RS0022824), wenn also das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch zu einem Vorteil des Geschädigten führt (RS0022824 [T3]). Die Berücksichtigung von Vorteilen kommt aber nur gegenüber sachlich und zeitlich kongruenten Schadenersatzansprüchen in Betracht (RS0114259; s auch RS0122868).

4. Im vorliegenden Fall ist nicht zweifelhaft, dass die Klägerin gegenüber der Sozialversicherung noch keinen aktuellen Anspruch auf Pensionsleistungen hat, sodass die Vorinstanzen zutreffend eine zeitliche Kongruenz des Klagsanspruchs mit erhöhten Pensionszahlungen verneinten. Die Beklagte meint aber, dass der Vorteil der Klägerin bereits zum heutigen Zeitpunkt als Geldwert berechenbar sei (abgezinster Barwert).

Richtig ist, dass durch die höhere Beitragsleistung der Wert der erworbenen Pensionsanwartschaft verglichen mit dem Wert bei geringerer Beitragsleistung höher ist und die Differenz schon für einen vor dem Pensionsanfallstag liegenden Zeitpunkt einer Bewertung als vermögenswerter Vorteil unterzogen werden kann. Damit ist für die Beklagte aber noch nichts gewonnen:

Wie dargelegt, bedarf die Vorteilsausgleichung nicht nur einer zeitlichen, sondern auch einer sachlichen Kongruenz. Auch wenn man davon ausgeht, dass sich die aktuelle Vermögensposition der Klägerin durch die höheren Beitragszahlungen rechnerisch zumindest um den Wert verbessert hat, um den ihre aktuelle Anwartschaft auf die künftigen Pensionsleistungen günstiger ist, ist zu bedenken, dass alleine damit der durch die Nachzahlungen bedingte Abfluss ihrer Geldmittel nicht wettgemacht wird: Die sozialversicherungsrechtliche Optierung hätte im Effekt eine bestimmte finanzielle Leistungskraft der Klägerin gewahrt, die ihr im Ausmaß der Nachzahlungspflicht verloren ging. Sie würde nicht schon dadurch wiederhergestellt, dass der Klägerin für den landwirtschaftlichen Betrieb nun anstelle liquider Mittel in Höhe von 29.554,56 EUR ein höherer Pensionsanwartschaftsanspruch mit ungewisser künftiger Realisierung zusteht. Der höhere Pensionsanwartschaftsanspruch bezweckt auch keinen Ausgleich des erfolgten Mittelabflusses, umso weniger aber eine Entlastung des Schädigers. Bei wertender Betrachtung ist eine sachliche Kongruenz der beiden Leistungen daher zu verneinen und kein Vorteilsausgleich vorzunehmen.

5. Die in der Revision angesprochene Frage, wie eine (künftige) Bereicherung der Klägerin aus höheren Pensionsleistungen zu vermeiden ist, ist im gegenständlichen Verfahren nicht zu prüfen.

6. Da die Revision der Beklagten danach nicht berechtigt ist, ist ihr keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E125239

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00022.19D.0515.000

Im RIS seit

13.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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