Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S*****, vertreten durch Niedermayr Rechtsanwalt GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei M***** M*****, vertreten durch Dr. Meinrad Küenburg, Rechtsanwalt in Salzburg, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Land Niederösterreich, St. Pölten, Landhausplatz 1, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 15.100 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2019, GZ 21 R 236/18s-59, womit das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 16. August 2018, GZ 601 C 75/16m-53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten die mit jeweils 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin fuhr mit ihrem Lkw auf einer Landesstraße durch den Wald der Beklagten, als ein Baum auf das Fahrzeug fiel und dieses beschädigte. Zu diesem Zeitpunkt regnete es und es gab sekundenlange Windspitzen bis zu 70 km/h. Wegehalter ist das als Nebenintervenient beigetretene Land Niederösterreich. Die Beklagte hat die Bewirtschaftung des Waldes an die Ö***** AG übertragen.
Ein Mitarbeiter dieses Unternehmens, ein Oberförster, kontrolliert den Wald regelmäßig und selbständig auf Schäden und inspiziert die Waldwege, wobei er einmal in der Woche dabei von der Beklagten begleitet wird. Dabei macht er die Beklagte auf schadhafte Bäume aufmerksam, die in weiterer Folge gefällt werden. Für den Fall, dass Bäume zu fällen sind, werden zusätzliche Mitarbeiter des genannten Unternehmens herangezogen.
Der gegenständliche Baum war gesund. Aufgrund der starken Windspitzen, die im Zeitpunkt des Schadenseintritts am langen Hebelarm des Baumes ansetzen, wurde er jedoch, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht durch den Windschatten eines Nachbarbaums geschützt war, samt Wurzelteller aus dem Untergrund gerissen.
Die Straßenmeisterei des Nebenintervenienten kontrolliert das Straßenstück drei Mal in der Woche. Auch am Unfallstag wurde der Abschnitt kontrolliert, ohne dass Auffälligkeiten festgestellt wurden.
Die Klägerin begehrt den Ersatz des Fahrzeugschadens und wirft der Beklagten mangelnde Kontrollen des Zustands der Bäume ihres Waldes vor. Der Einsatz eines Försters zur Betreuung sei nicht ausreichend, um hinreichende Sorgfalt nachzuweisen. Forstschutzkontrollen und Waldpflegemaßnahmen bedeuteten noch nicht, dass auch die Statik und Gesundheit (gerade aufgrund der Situierung gefahrenträchtiger) Bäume überprüft werde, wie dies geboten sei. Die Beklagte und das ihr zuzurechnende Personal hätten erkennen müssen, dass der gegenständliche Baum vermorscht, ungesund bzw schadhaft gewesen sei. Nur der Umstand, dass der Baum krank gewesen sei, habe zum Umstürzen aufgrund stärkerer Winde geführt. Das Versäumnis der Beklagten sei als grob fahrlässig zu qualifizieren.
Die Beklagte wandte ua ein, der Schaden sei durch einen Windstoß, somit durch höhere Gewalt, verursacht worden, wofür sie nicht verantwortlich gemacht werden könne. Der Unfallsbereich werde regelmäßig auf Verkehrssicherheit bezüglich des bestehenden Baumbestands überprüft. Der gegenständliche Baum sei gesund bzw eine von ihm ausgehende Gefahr nicht erkennbar gewesen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Beklagte hafte als Waldeigentümerin wegen § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG nur für grobes Verschulden. Sie habe das genannte Unternehmen mit der Bewirtschaftung und Kontrolle des Waldes beauftragt und wöchentlich an den Kontrollen mitgewirkt. Ihr sei weder Vorsatz noch grob fahrlässiges Verhalten anzulasten.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. § 176 ForstG weiche als lex specialis von den allgemeinen Haftungsgrundsätzen insoweit ab, als die Haftung des Waldeigentümers zwar auf grobes Verschulden eingeschränkt, die Haftung aber darüber hinaus für fremdes Verschulden auf eine Leutehaftung erweitert werde. Nach der zu § 1319a ABGB ergangenen Rechtsprechung, gehöre ein Dritter, dem die Aufgaben des Wegehalters übertragen wurden und der diese Pflichten wie ein selbständiger Unternehmer mit einen eigenem Organisationsbereich und Verantwortungs-bereich besorgt, nicht mehr zu den „Leuten“ des Wegehalters. Der Wegehalter hafte in einem solchen Fall nur dann, wenn er den Unternehmer nicht sorgfältig ausgewählt oder eine Überwachungspflicht verletzt hat. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob die zu § 1319a ABGB entwickelte Rechtsprechung analog auch für § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG heranzuziehen sei.
Die Revision der Klägerin ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden –Zulassungsausspruchs mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne von § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Das Ergebnis hängt nicht von der im Berufungsurteil bzw in der Revision aufgeworfenen Rechtsfrage ab, weil hier offen bleiben kann, ob die vom Berufungsgericht zu § 1319a ABGB ergangene Rechtsprechung (RS0029995, RS0030159) auch im Bereich des § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG gilt.
2. Wird nämlich – wie im Anlassfall – ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, haften nach § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute „keinesfalls strenger als der Wegehalter“. Wegen dieser ausdrücklichen Spezialbestimmung ist hier die Haftung auf grobes Verschulden beschränkt (vgl 6 Ob 21/01h = RS0115177).
3. Selbst wenn man den klägerischen Ausführungen folgend davon ausgeht, dass die Beklagte auch für das Verhalten des von ihr mit der Pflege und Kontrolle des Waldes beauftragten Unternehmens hafte, deren Mitarbeiter demnach auch als „Leute“ der Beklagten fungierten, wäre für die Klägerin somit nichts gewonnen. Auch unter dieser Annahme könnte eine Haftung nur auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der Beklagten bzw des Unternehmens gestützt werden. Vorsatz wird aber gar nicht geltend gemacht und grobe Fahrlässigkeit liegt nicht vor.
4. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maße verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Der objektiv besonders schwere Verstoß muss also auch subjektiv schwer anzulasten sein (RS0030171 [T2]).
4.1 Nach den getroffenen Feststellungen wurde das Waldstück an der Unfallstelle regelmäßig kontrolliert. Die von der Klägerin behaupteten Mängel des Baumes lagen nicht vor und konnten demnach bei den Kontrollen gar nicht entdeckt werden. Damit ist jedenfalls keinem der Beteiligten ein besonders schwerer Verstoß anzulasten.
4.2 Grobe Fahrlässigkeit kann auch nicht auf die allfällige Nichtbeachtung einer Freistellung des Baumes gestützt werden. Die Klägerin hat den Sorgfaltsverstoß im erstinstanzlichen Verfahren nämlich nicht auf diesen Umstand gestützt, sondern ausschließlich auf die Krankheit des Baumes („war schadhaft“, „es sich … keineswegs um einen gesunden [Baum] gehandelt hat“, „vermorscht“). Davon abgesehen wird in der Revision das Berufungsvorbringen der Klägerin zur Freistellung des Baumes zu Recht gar nicht mehr aufrecht erhalten, weil ein solches Vorbringen wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot in der Berufung im Revisionsverfahren ohnehin unerheblich wäre (vgl RS0042040 [T4]).
5. Der Lösung der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage zum Umfang der Leutehaftung im Bereich des § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG käme somit nur theoretische Bedeutung zu. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist aber nach § 502 Abs 1 ZPO nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (RS0088931; jüngst 2 Ob 40/19z; Zechner in Fasching/Konecny2 § 502 ZPO Rz 60). Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte und der Nebenintervenient haben jeweils auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.
Textnummer
E125233European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00102.19Z.0523.000Im RIS seit
12.06.2019Zuletzt aktualisiert am
10.07.2019