Entscheidungsdatum
15.11.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L507 2208739-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2018, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.07.2015 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er sei irakischer Staatsangehöriger arabischer Abstammung und gehöre der muslimisch-sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Er habe in Bagdad XXXX gelebt und den Irak am 05.06.2015 mit einem Flugzeug auf legale Art und Weise verlassen. Der Beschwerdeführer sei Angestellter einer Bank gewesen, die sich in einem schiitischen Gebiet befunden habe. Weil er Sunnit sei, sei er immer wieder von Schiitin bedrängt und bedroht worden. Diese Belästigungen seien furchtbar gewesen, weshalb der Beschwerdeführer beschlossen habe, seine Arbeit aufzugeben. In Bagdad habe sich die Lage immer mehr verschlechtert und es sei nicht mehr sicher gewesen, dort zu leben. In sunnitischen Gebieten könne er nicht leben, weil sich dort die Leute der Terrororganisation IS befinden würden. Aus diesen Gründen habe der Beschwerdeführer beschlossen, den Irak zu verlassen. Dies sei sein einziger Fluchtgrund.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 05.01.2018 brachte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz im Wesentlichen vor, dass er als Sunnit eine Beziehung mit einer Schiitin gehabt habe. Diese Beziehung habe vier Jahre lang gedauert und der Beschwerdeführer habe im August 2014 um die Hand seiner Freundin anhalten wollen. Die Familie seiner Freundin sei aber gegen eine Heirat gewesen, weil der Beschwerdeführer Sunnit sei. Daraufhin hätten der Beschwerdeführer und seine Freundin beschlossen, den Irak zu verlassen, was aber sehr schwer gewesen sei, weil seine Freundin über keinen Reisepass verfügt habe. Aus diesem Grund hätten der Beschwerdeführer und seine Freundin mit einer Ausreise aus dem Irak zugewartet, bis seine Freundin die Universität abschließen würde. Im März 2015 habe der Beschwerdeführer seine Freundin von Universität mit dem Auto abgeholt, wobei sie vom Bruder der Freundin erwischt worden seien. Danach sei der Freundin des Beschwerdeführers verboten worden, ihre Ausbildung an der Universität fortzusetzen und sie sei gezwungen worden, ihren Cousin zu heiraten. Da die Freundin des Beschwerdeführers keine Jungfrau mehr gewesen sei, sei diese Heirat aber nicht mehr möglich gewesen., weshalb sie von ihren Eltern geschlagen und in ein Zimmer gesperrt worden sei. Schlussendlich sei die Freundin des Beschwerdeführers von ihrer eigenen Familie am 29.05.2015 ermordet worden. Aufgrund dessen habe der Beschwerdeführer gewusst, dass er der Nächste sei, dem etwas zustoßen werde, weshalb er den Irak verlassen habe.
2. Mit Bescheid des BFA vom 19.09.2018, Zl. 1078572606 - 150885005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Das BFA traf im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Lage im Irak im Ausmaß von 124 Seiten (Seite 12 bis Seite 136 des insgesamt 156 Seiten umfassenden angefochtenen Bescheides), wobei sich diese Feststellungen vornehmlich auf Berichte aus dem Jahr 2017 und davor stützen.
Auf Seite 17 des angefochtenen Bescheides finden sich zu Bagdad auszugsweise folgende Feststellungen:
"Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergt und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, unter anderem von al-Quaida und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.
Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnigen wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erscheinen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den "Popular Mobilization Forces" (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffenmunition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht im gleichen Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkrieges der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheits Kräften/-Akteur (MRG 10.2017).
[...]
Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden, zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnapping stattgefunden haben (MRG 10.2017).
Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde z.B. berichtet, dass schiitischen Milizen Kidnappings und Erpressung als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendenziell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht auf Spiel zu setzen (MRG 10.2 Tagen 17).
[...]
All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnapping mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen, woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017)."
Betreffend die Sicherheitslage in Bagdad wurde auf Seite 81 des angefochtenen Bescheid Folgendes ausgeführt:
"Die terroristischen Aktivitäten der letzten Jahre setzten sich im Jahr 2016 fort, eine besondere Rolle spielten dabei die Anschläge des IS, insbesondere auf Städte. Bagdad war dabei am meisten betroffen, indem dort mehr als die Hälfte aller Todesfälle verzeichnet wurden. UNAMI berichtet von nahezu täglichen Attacken mit improvisierten Sprengfallen (IEDs) von Jänner bis Oktober. Der IS führte insbesondere Angriffe auf Zivilisten in jenen Viertel Bagdads aus, die mehrheitlich schiitischen sind. Der diesbezüglich größte Angriff des Jahres 2016 fand am 3. Juli statt. Dabei wurden im schiitisch dominierten Viertel Karrada 292 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt (USDOS 3.3.2017). Eine gewisse Sicherheit ist in Bagdad lediglich in der grünen internationalen Zone im Zentrum der Stadt gewährleistet (ÖB 12.2016). Die Anschläge des IS finden dabei zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden statt, der IS zielt dabei vorwiegend auf Zivilisten ab (UNAMI 1.2.2017).
[...]
Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitischen Araber hat in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen (UNHCR 14.11.2016). In Bagdad wurde gemeldet, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt wurden, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen (UNHCR 14.11.2016). Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads kamen laut dem Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad vor. Zum Teil würde es dabei weniger um konfessionell motivierten Hass gehen, sondern darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können (IC 1.11.2016). Laut Berichten begehen die PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnapping und Morde an der sunnitischen Bevölkerung (die nicht untersucht werden), oder sie sprechen Drohungen dieser gegenüber aus (HRW 27.01.2016; Al-Araby 17.05.2017). Laut dem Parlamentsmitglied Abdul Karim Abtan langen bezüglich der Welle von konfessionell motivierten Entführungen und Morden fast täglich Berichte ein; er beschuldigt die Polizei, die Vorfälle zu ignorieren und den Milizen zu erlauben, straffrei zu agieren (Al-Araby 17.05.2017). Viele Familien waren in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und sie siedelten sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder an (IOM 31.01.2017). Somit sind separate sunnitische und schiitischen Viertel entstanden, Bagdad ist weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (IOM 31.1.2017)."
Beweiswürdigend wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem Folgendes ausgeführt:
"[...]
Es ist ihnen im Rahmen des niederschriftlich dokumentierten Ermittlungsverfahrens beim BFA nicht gelungen, ein fundiertes und substantiiertes Vorbringen rund um etwaige Fluchtgründe im Herkunftsland darzulegen. Durch ihre inhaltsleeren Angaben haben sie beim BFA ein vages, abstraktes Vorbringen dargelegt.
[...]
Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen wurden, wird ausgeführt, dass diese, soweit sich die erkennende Behörde auf Quellen älteren Datums bezieht, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.
[...]"
In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides finden sich zur Refoulement Entscheidung unter anderem folgende Ausführungen:
"[...]
Wie Berichte des BFA wiederspiegeln, ist auch Bagdad Ziel von Anschlägen extremistischer Gruppierungen. Jedoch ist zu erkennen, dass sich in Bagdad in erster Linie diese Anschläge gegen schiitischen Moslems richten (vgl zB dazu etwa auch das Erkenntnis des BVwG vom 04.02.2016 [], in dem die aktuelle Berichtslage zu Anschlägen im Bagdad analysiert wurde: [...] Berichten zufolge gehen aktuelle Anschläge im Bagdad in erster Linie von der terroristischen Gruppierung IS aus und richten sich im Wesentlichen gegen Schiiten oder Sicherheitskräfte). So wird im Jänner 2016 über die Explosion einer Autobombe und anschließende Gefechte nahe einem Einkaufszentrum mit zahlreichen Toten und Verletzten mit schiitischen Osten berichtet.
Sie sind jedoch wie angeführt, ein sunnitischer Muslim, und es relativiert sich die Anzahl der Opfer bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie Opfer werden würden, auch angesichts einer hohen Bevölkerungszahl von über 5 Millionen Einwohner in Bagdad.
Das Ermittlungsverfahren hat nicht glaubhaft ergeben, dass sie sich durch ihr bisheriges Verhalten im Irak exponiert hätten und dadurch besonders in den Blickpunkt von Milizen oder irakischen Sicherheitskräften gelangt wären.
Wie bereits in den Feststellungen näher angeführt, liegt der Flughafen in Bagdad westlich des Tigris und es liegen dort auch die überwiegend von Sunniten bewohnten Bezirke.
[...]
Dass sie im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würden, ist nicht feststellbar.
[...]"
3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 03.10.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde am 30.10.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben, wobei zur Begründung das bisherige Vorbringen im Wesentlichen wiederholt und detailliert ausgeführt wurde. Unter anderem wurde die Anführung einer möglichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Der Beschwerdeführer stützte sein Vorbringen insbesondere auch darauf, dass er aufgrund einer Bedrohung durch die Familie seiner Freundin und wegen der konfessionellen Auseinandersetzungen in Bagdad den Irak verlassen habe.
Die belangte Behörde kam im angefochtenen Bescheid auch hinsichtlich dieser Angaben zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei, weshalb dem Beschwerdeführer weder der Status eines Asylberechtigten noch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Dabei stützte sich die belangte Behörde in ihren beweiswürdigenden Ausführungen auf die von ihr getroffenen Länderfeststellungen zum Irak, wobei sich diese Länderfeststellungen aber auf die Lage im Irak im Jahr 2016 und davor beziehen, zumal sich die Aussagen in den Länderfeststellungen vornehmlich auf Quellen aus dem Jahr 2017 beziehen, die die Lage im Irak insbesondere für die Jahre 2016 und davor dokumentieren.
Insbesondere muss zu den von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen auch ausgeführt werden, dass diese im Ausmaß von mehr als 100 Seiten keinerlei Bezug zum Vorbringen des Beschwerdeführers aufweisen. Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und gehört der Religionsgemeinschaft der Sunniten an. Weshalb sich in den von der Behörde getroffenen Feststellungen seitenlange Ausführungen über die Situation in Kurdistan bzw. den nördlichen drei Provinzen des Irak (z.B. über das Kurden-Referendum, Offensiven gegen den IS, Hinrichtungen, etc.), über den "Islamischen Staat" und die Situation in den zurückeroberten Gebieten, über den Militärdienst, über Haftbedingungen und Versammlungsfreiheit, über Todesstrafe, über die Situation von intern Vertriebenen sowie über die Lage und Situation in Mosul, finden, ist für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar.
Zu betonen ist auch, dass sich im angefochtenen Bescheid die rechtliche Begründung zur Refoulement Frage mit den Ausführungen in den getroffenen Feststellungen nicht in Einklang bringen lässt. Aus den getroffenen Feststellungen zur Lage in Bagdad geht hervor, dass Opfer von Entführungen durch Milizen tendenziell eher Sunniten als Schiiten seien.
In der rechtlichen Begründung findet sich demgegenüber folgende Begründung: "Wie Berichte des BFA wiederspiegeln, ist auch Bagdad Ziel von Anschlägen extremistischer Gruppierungen. Jedoch ist zu erkennen, dass sich in Bagdad in erster Linie diese Anschläge gegen schiitischen Moslems richten. [...] Sie sind jedoch wie angeführt, ein sunnitischer Muslim, und es relativiert sich die Anzahl der Opfer bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie Opfer werden würden, auch angesichts einer hohen Bevölkerungszahl von über 5 Millionen Einwohner in Bagdad."
Da es die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund der sich im Irak ständig ändernden Lage offensichtlich unterlassen hat, aktuelle, nachvollziehbare und sachverhaltsbezogene Feststellungen zur Lage im Irak und im konkreten Fall zur Lage in der Stadt Bagdad zu treffen, kann im angefochtenen Bescheid nicht schlüssig nachvollzogen werden, worauf die Würdigung der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers in Bezug auf den von ihm vorgebrachten Sachverhalt gestützt wurde.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen und/oder teils bloß ansatzweise ermittelt, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt und insbesondere mit der aktuellen Lage im Irak und der aktuellen Situation insbesondere der Sicherheitslage in der Stadt Bagdad auseinander zu setzen und diesbezüglich aktuelle, eindeutige und sachverhaltsbezogene Feststellungen zu treffen haben.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,
3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,
s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.
4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Asylantragstellung, Asylverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L507.2208739.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.06.2019