TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/7 W245 2215259-1

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Veröffentlicht am 07.03.2019
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Entscheidungsdatum

07.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W245 2215259-1/5E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 28.01.2019, Zahl: XXXX :

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Im Rahmen der am 02.02.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er noch ein Kind gewesen sei, als er seine Eltern verloren habe. Er habe drei Jahre im Waisenhaus gelebt. Es sei von seiner Stiefmutter ständig geschlagen worden und habe öfters kein Essen bekommen. Er habe nicht im Haus schlafen dürfen und sei im Freien von männlichen Personen vergewaltigt worden. Deshalb sei auch eine Rückkehr des BF nicht mehr möglich. Er sei damals als Kind vergewaltigt und geschlagen worden und könne dort nicht mehr leben. Zudem herrsche dort zurzeit Krieg und er könne dort nicht in Ruhe leben.

I.3. Mit Mitteilung der LPD Steiermark vom 29.01.2018 erfolge die Verständigung über die Festnahme des BF.

I.4. Am 02.02.2018 erfolgte die Übermittlung des Anlassberichts der LPD Steiermark.

I.5. Das Landesgericht für Strafsachen Graz teilte am 09.02.2018 mit, dass der BF wegen § 87 Abs. 1 StGB in Untersuchungshaft genommen wurde. Im Anschluss dazu erfolgte am 16.03.2018 die Verständigung der Staatsanwaltschaft Graz über die Anklageerhebung wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlung gemäß §§ 12, 87 Abs. 1 StGB.

I.6. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") vom 26.03.2018 wurde der BF gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 über den Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet in Kenntnis gesetzt.

I.7. Am 29.06.2018 erkannte das Landesgericht Graz den BF und weitere Angeklagte für schuldig, dass sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken XXXX vorsätzlich am Körper verletzt haben, indem sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken XXXX mit Faustschlägen und Tritten gegen das Gesicht und den Körper zu Boden brachten und dem am Boden Liegenden Tritte gegen den Kopf bzw. das Gesicht und den gesamten Körper verletzten und ein Mittäter dem am Boden liegenden XXXX ins Gesicht sprang (teils dislozierte Frakturen des Schädels, des Kiefers, des Jochbeins und Jochbogens sowie des Stirnbeins und Zertrümmerung der Augenhöhle). Deshalb wurde der BF unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei acht Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Als erschwerend wurde die Tatbegehung in Gemeinschaft, als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel sowie die Tatbegehung nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres

I.8. Bei der Einvernahme durch das BFA am 02.08.2018 gab der BF an, dass er in die Schule gehen und lernen wolle. Er wolle ein normales, sicheres Leben habe. Er möge die Freiheit haben, dass er sich das anziehen könne, was er wolle. Er habe auch die Haare gefärbt. Seitdem er in Österreich lebe, könne er ein selbstbestimmtes Leben führen. Er werde hier auch als Mensch gesehen. Hinsichtlich der Rückkehr gab der BF an, dass er in seinem Herkunftsstaat niemanden habe. Er könne dort nicht zur Schule gehen. Möglicherweise müsse er dort für die Taliban arbeiten und andere Menschen töten.

Am Ende der Einvernahme vor dem BFA ergänzte der BF, dass er in der Türkei von Männern mitgenommen, geschlagen und vergewaltigt worden sei. Seitdem fühle sich der BF wie ein Mädchen und nicht mehr als Mann. Auch in Graz habe er Geschlechtsverkehr mit zwei Männern gehabt. Deshalb habe er in Österreich auch die (Geschlechts)Krankheiten bekommen.

I.9. Mit Bescheid vom 28.01.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Absatz 3 Z. 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Weiters wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.). Schließlich wurde gemäß § 13 Abs. 2 Z. 3 AsylG 2005 ausgesprochen, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 08.02.2018 verloren hat (Spruchpunkt IX.).

I.10. Mit Verfahrensanordnung vom 28.01.2019 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 28.01.2019 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

I.11. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 25.02.2019 fristgerecht erhobene Beschwerde. Die Beschwerde war jedoch nicht unterschreiben.

I.12. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 28.02.2019 vom BFA vorgelegt.

I.13. Nach Mängelbehebungsauftrag vom 01.03.2019 wurde der BF aufgefordert, neuerlich innerhalb einer Woche eine unterfertigte Beschwerde vorzulegen. Am 05.03.2019 wurde eine unterfertigte Beschwerde vom BF dem BVwG übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang, wobei im vorliegenden Verfahren nach § 18 Abs. 5 BFA-VG den in den vorgelegten Akten dokumentierten ungeprüften Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen wesentliche Bedeutung zukommt.

II.2. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,

4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,

5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,

6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder

7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen (§ 18 Abs. 6 BFA-VG).

Für die vorliegende Beschwerdesache bedeutet dies folgendes:

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten, vielmehr handelt es sich bei dieser um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen scheint, dass die Angaben des BF als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Das BFA stützt sich in seiner gegenständlichen Entscheidung in Spruchpunkt VI. auf § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG.

Gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.

Die inhärent vagen Begriffe "Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" lassen einen gewissen Auslegungsspielraum zu. Im Lichte der nunmehr primär europarechtlichen Herleitung ist aber ein restriktives Verständnis angebracht (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer; Asyl- und Fremdenrecht, Stand 15.01.2016, K3 zu § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG), zumal "schwerwiegende" Gründe - und nicht "bloße" Gründe -, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt, für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vorliegen müssen.

Der BF wurde nach § 87 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten, davon 8 Monate, bedingt und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Unter Berücksichtigung eines restriktiven Verständnisses ist im vorliegenden Fall von einem schwerwiegenden Grund nicht auszugehen und rechtfertigt daher nicht die Annahme, dass der BF in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.

Weiters kann im vorliegenden Fall eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 18 Abs 5 BFA-VG nicht getroffen werden. Der BF macht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften durch ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. geltend. Ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen (Art 2, 3 und 8 EMRK) geltend. Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um "vertretbare Behauptungen" handelt.

Ebenso bedingen das sachverhaltsbezogene Vorbringen insbesondere hinsichtlich einer möglichen Homosexualität des BF, dass das Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes Ermittlungsverfahren führen muss, in dessen Verlauf es den BF erneut einvernehmen muss.

Daher war der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte zu dieser Frage gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W245.2215259.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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