TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/27 L516 2160087-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2019
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Entscheidungsdatum

27.03.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2160087-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2017, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, reiste zusammen mit ihren drei minderjährigen Kindern in Österreich ein und stellte am 29.06.2015 für alle Anträge auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung dazu erfolgte am selben Tag, eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 19.01.2017.

2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I), erkannte ihr jedoch den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II) und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung zunächst bis zum 26.04.2018 erteilt (Spruchpunkt III).

3. Gegen Spruchpunkt I jenes am 03.05.2017 zugestellten Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 29.05.2017.

4. Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 03.01.2018 eine Urkunde vor.

5. Das BFA verlängerte zwischenzeitlich mit Bescheid die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.04.2020.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder am 20.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Schriftsätzen vom 18.12.2018 und 04.01.2019 wurden eine Stellungnahme abgegeben sowie österreichische Schulzeugnisse der Kinder vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Zur Person

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Irak und führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin gehört der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung an. Sie befindet sich mit ihren drei minderjährigen Kindern in Österreich. Der aktuelle Aufenthalt des Ehemannes ist unbekannt. Andere Verwandte hat die Beschwerdeführerin im Irak nicht.

1.2. Die Beschwerdeführerin hat den Irak vorverfolgt verlassen. XXXX

XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX

XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX

1.3. Das BFA erkannte der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II) und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung zunächst bis zum 26.04.2018 erteilt (Spruchpunkt III). Diese Zuerkennung ist bereits rechtskräftig. Das BFA verlängerte zwischenzeitlich mit Bescheid vom 13.04.2018 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.04.2020.

1.4. Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

1.5. Zur aktuellen Lage im Irak

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeine Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vgl. UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018).

Jahre der Instabilität und des Krieges haben im Irak zu einer großen Zahl an Haushalten geführt, deren Haushaltsvorstände Frauen sind ("female-headed-households"). Laut einer Schätzung betrug die Zahl solcher Haushalte im Jahr 2011 zwischen einer und zwei Millionen (IOM 12.10.2011). Präzise Angaben existieren nicht. Die Zahlen variieren, je nach Art der Erhebung (MIGRI 22.5.2018; vgl. z.B. ICRC 8.2011). Als Witwen, Geschiedene oder von ihren Ehemännern Getrennte, versorgen diese Frauen ihre Familien alleine. Manchmal ist der Ehemann krank oder pflegebedürftig. Viele von Frauen geführte Haushalte stellen einen besonders vulnerablen Teil der irakischen Bevölkerung dar, vor allem in ländlichen Gebieten bzw. als IDPs (IOM 12.10.2011).

Zehn Prozent der irakischen Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.2.2018). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 20.4.2018).

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 16.1.2018). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.2.2018). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 29.5.2018). Es gab mehrere Fälle, in denen Frauen in Basra schriftliche Mitteilungen erhielten, wonach sie in falscher Kleidung oder in kompromittierenden Situationen gesehen worden sind (Lattimer EASO 26.4.2017).

Zahlreiche Frauen sind aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder weil sie "moralische Verbrechen" begangen haben zum Ziel von Tötungen geworden (Lattimer EASO 26.4.2017). Auch wurden Cafés angegriffen, weil dort Frauen arbeiteten (ICSSI 19.10.2016; vgl. ACCORD 30.4.2018). 2018 wurden mehrere weibliche Instagram-Stars sowie eine plastische Chirurgin und eine Kosmetikerin gezielt ermordet. Das Motiv hinter den Morden soll stets die progressive und weltoffene Lebensart sowie die Eigenständigkeit der Entscheidungen der Frauen gewesen sein (Standard 23.10.2018).

Im Allgemeinen wird im Irak, auch in der kurdischen Autonomieregion, von Frauen erwartet, Männern gegenüber unterwürfig zu sein (Lattimer EASO 26.4.2017). Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine "frühe Ehe" für sie vor (GIZ 11.2018).

(Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA, Irak 20.11.2018)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, bezieht sich in einem Bericht vom Februar 2019 auf Angaben der Minority Rights Group International (MRG) vom Juli 2017, denen zufolge von Frauen in der irakischen Gesellschaft erwartet werde, dass sie unter dem Schutz von Männern stünden. Diejenigen, die nicht unter dem Schutz ihrer Familien stünden, seien in einer Situation extremer Verwundbarkeit ("vulnerability") und möglicher Gefahr. Es gebe auch keine funktionierenden Frauenhäuser ("effective shelters") im Irak. Dr. Geraldine Chatelard, Historikerin und Anthropologin, habe in einer E-Mail-Korrespondenz mit EASO im November 2018 angegeben, dass Frauen und unbegleitete Kinder ohne familiäre Netzwerke mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert seien, insbesondere alleinstehende Frauen, auf die herabgesehen werde, weil sie keinen männlichen Schutz hätten, und die dem Risiko körperlicher Misshandlungen ausgesetzt seien. Wenn diese Frauen Kinder hätten, die von ihnen abhängig seien, seien diese auch dem Risiko von Misshandlungen ausgesetzt.

(Quelle: ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von alleinstehenden Frauen, vor allem mit westlicher Gesinnung nach Rückkehr aus dem westlichen Ausland und Asylantragstellung [a-10899], 25.02.2019)

Die irakische Regierung hat zwar Ende 2017 den "Sieg" über den Islamischen Staat im Irak erklärt, der IS seine Aktivitäten v.a. in ländlichen Gebieten in den Provinzen Kirkuk, Diyala und Salah al-Din wieder verstärkt. Der IS greift wieder vermehrt auf Taktiken wie Einschüchterungen, Drohungen, Hinterhalte und gezielte Tötungen zurück. Aus dem letzten Jahr (bis Oktober 2018) gibt es Berichte über vereinzelte Angriffe des IS in oder in der Nähe von Samarra [Anmerkung: Die Stadt Samarra ist die Hauptstadt der Provinz Salah al-Din]. Es wird auch von durch die Sicherheitskräfte vereitelten Angriffen des IS, von Sicherheitsoperationen gegen den IS, und von der Sicherstellung von Waffen und Stützpunkten der Terroristen berichtet. Laut Quellen sind in Samarra v.a. die "Peace Brigades" als Teil der Volksmobilisierungseinheiten [Ar. al-Hash al-sha'bi, Engl. "popular mobilization units", PMU bzw. "popular mobilization forces", PMF] aktiv. Eine Quelle berichtet vom Verschwinden von Personen in den Jahren 2014-2017 unter anderem an oder nahe Checkpoints um Samarra, mutmaßlich durch Volksmobilisierungseinheiten. Es wird berichtet, dass der IS (in ländlicheren Gegenden) Straßen einnimmt, vor allem in der Nacht.

In einem gemeinsamen Bericht der dänischen und norwegischen COI-Units Danish Immigration Service und Landinfo von November 2018, der auf Interviews in Erbil und Sulaymaniah beruht, heißt es, dass die Sicherheitslage in der Provinz Salah al-Din durch die beträchtliche Verbreitung von Milizen und bewaffneten Gruppen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, charakterisiert ist. Die Volksmobilisierungseinheiten (PMU) kontrollieren das Gebiet, sowie strategisch wichtige Checkpoints. Es gab einige Zwischenfälle, für die die Regierung mit dem IS verbundene aufständische Gruppen verantwortlich machte. Obwohl die Behörden automatisch dem IS die Schuld für solche Zwischenfälle zuweisen, sei es jedoch oft nicht klar, wer die Täter sind, da verschiedene bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Interessen präsent sind, die hinter diesen Angriffen stehen könnten.

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Post berichtet am 17.7.2018, dass sich der Islamische Staat wieder in Teile des Zentralirak "zurückschleicht" (Orig. creeping back), sieben Monate nachdem die Regierung den Sieg über die Gruppe verkündet hatte, und eine Welle von Entführungen, Morden und Bombenanschlägen durchführt, die Angst vor einem neuen Zyklus des Aufstandes [orig. insurgency] hervorruft. Das Wiederaufflammen der Gewalt findet vor allem in einem Dreieck aus dünn besiedelten Gebieten statt, das sich über die Provinzen Diyala, Kirkuk und Salahuddin erstreckt.

Es wird Michael Knights, militärischer Analyst am Washington Institute for Near East Policy, zitiert, laut dem es nicht verwunderlich sei, dass der IS in dieser Gegend wieder erstarkte. Es handle sich um die am schwierigsten durch die irakischen Sicherheitskräfte zu kontrollierenden Gebiete des Irak. Der IS hätte dort am längsten Zeit gehabt um sich neu aufzustellen. Laut Hisham al-Hashimi, einem irakischen Berater für Terrorismusbekämpfung, könne der IS kein Territorium kontrollieren, aber er könne Straßen kontrollieren und sich in der Nacht bewegen. Einige Kämpfer, die an den kürzlichen Angriffen beteiligt waren, seien, so glaube man, Überbleibsel der Kräfte, die das Gebiet vor vier Jahren übernommen hatten und sich in den nahegelegenen Hamreen-Bergen versteckt hatten. Die Berge waren nie vollständig geräumt worden. Andere Kämpfer seien Kämpfer aus den Schlachten des letzten Jahres im Westirak und Hawija, außerhalb von Kirkuk. Hashimi schätzt, dass es bis zu 2.000 Kämpfer sein könnten, die in kleinen Zellen in den drei Provinzen operieren. Im April hatte der derzeitige Sprecher des IS, Abu al-Hassan al-Muhajir, eine Audioaufnahme veröffentlicht, in der der überlebende Kämpfer des IS dazu aufrief, Angriffe auf die wirtschaftliche Infrastruktur des Irak und auf irakische Sunniten, die mit der Regierung zusammenarbeiten, durchzuführen.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, IRAK Lage in Samarra, Familienmitglied bei Polizei, Militär, Organisation Delta, 13.11.2018)

Das Institute for the Study of War (ISW) ist ein US-amerikanischer Think Tank. Am 2.10.2018 berichtet ISW, dass der Islamische Staat in Syrien und Irak eine fähige aufständische Kraft darstellt, obwohl die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition versucht, ein Wiedererstarken des IS zu verhindern. Schätzungen des US-Verteidigungsministeriums zufolge gab es im August 2018 in Syrien und Irak noch ca. 30.000 IS-Kämpfer. Der IS könnte wieder ausreichend Stärke gewinnen um einen erneuten Aufstand zu organisieren, der die lokalen Sicherheitskräfte in Syrien und Irak erneut zu überfordern droht.

Der IS führt eine effektive Kampagne zur Wiederherstellung von dauerhaften Unterstützungszonen in Syrien und Irak, und verhindert so den Wiederaufbau von Gemeinschaften, die durch die US-geführte Anti-IS-Koalition befreit wurden. Der IS hält weiterhin eine kleine Zone, in der er die lokale Bevölkerung kontrolliert, nördlich von Baiji, im Nordirak. Der IS verfügt über die Fähigkeit, sich bei Nacht frei auf diesem Terrain zu bewegen; am Tag erweitert er seine Bewegungsfreiheit und verübt Anschläge. Bis jetzt waren diese auf Kleinwaffenangriffe, gezielte Morde und Selbstmordattentate beschränkt. Der IS verübt immer mehr solcher Angriffe und führt im Nord- und Zentralirak vier Angriffe pro Woche durch.

Der IS verfügt weiters über eine dauerhafte Zone der Unterstützung in den Hamrin-Bergen. Die Muster der IS-Angriffe lassen darauf schließen, dass der IS wahrscheinlich seine Unterstützung und sein logistisches Netzwerk in den Baghdad Belts [Anm.: Gebiete rund um Bagdad] wiederherstellt. Der IS hat außerdem eine Unterstützungszone entlang der irakisch-iranischen Grenze eingerichtet, die es ihm erlaubt, seine Fähigkeiten in Richtung Iran zu erweitern. Seit Ende 2016 hat der IS eine Zone der Unterstützung in den Halabja-Bergen in Kurdistan. Der IS erweitert außerdem seine Unterstützerbasis in Kurdistan außerhalb der Halabja-Berge. Lokale kurdische Kräfte haben seit Jänner 2018 zahlreiche mutmaßliche IS-Zellen in der Provinz Sulaymaniah im Nordirak verhaftet.

Im April 2018 führten die dänische und norwegische COI-Abteilung eine gemeinsame Fact-Finding-Mission (FFM) in den Irak durch. Im Bericht, der im Zuge dieser Reise erstellt wurde, heißt es, dass der IS im Irak kein geographisches Gebiet mehr kontrolliert, auch nicht in den Gouvernements Kirkuk und Ninewa. Nichtsdestotrotz verfügt er laut dem ISW über sogenannte "Kontrollzonen" (Orig. control zones) in Salah al-Din nördlich von Baiji. In Kirkuk, Mossul und den umliegenden Dörfern gibt es Schläferzellen. IS-Kämpfer befinden sich v. a. in abgelegenen Gebieten nahe der syrisch-irakischen Grenze, im Gebiet Badoush zwischen Tel Afar und Mossul, sowie in Hawija im Gouvernement Kirkuk und den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Diyala, Kirkuk und Salah al-Din erstrecken.

Der IS hat wahrscheinlich immer noch ein zentralisiertes Kommando, aber auf operativer Ebene wurden die Aktivitäten an lokale Gruppen delegiert, die mehr oder weniger im Namen des IS agieren. In einigen Fällen hat der IS Schläferzellen, deren Mitglieder sich in der zivilen Bevölkerung verstecken. Laut eines UN-Berichts gibt es in Syrien und Irak noch zwischen 20.000 bis 30.000 Mitglieder des IS.

Das Gewaltniveau zeigt, dass der IS noch immer die Fähigkeit hat, Angriffe durchzuführen, jedoch in kleinerem Umfang im Vergleich zu den Zeiten, als die Gruppe weite Teile des Territoriums im Nordirak kontrollierte. Die Behörden beschuldigen oft den IS, wenn Angriffe stattfinden. In manchen Fällen bekennt sich der IS zu den Angriffen. Nichtsdestotrotz ist es nicht immer der IS, der für die Gewalt verantwortlich ist.

Die norwegische COI-Abteilung Landinfo berichtet am 5.11.2018, dass die irakischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit den Volksmobilisierungseinheiten (PMU) ein gewisses Maß an Sicherheit in der einst von Gewalt geprägten Provinz Ninewa etablieren konnten. Der IS kontrolliert kein Territorium in Ninewa, und die Gruppe war in der Provinz im Jahr 2018 nicht besonders aktiv. Diese Situation könnte sich verändern, da in den letzten paar Monaten eine erhöhte aufständische Aktivität beobachtet werden konnte.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, IRAK Kakai, Verfolgung und Diskriminierung, staatlicher Schutz, Religionsfreiheit, Niederlassung im Nordirak, 13.12.2018)

Das Global Protection Cluster, ein Netzwerk verschiedener Hilfsorganisationen unter Leitung des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR), berichtet im März 2018 über Rückkehrbewegungen in die Provinz Salah ad-Din. Es habe weiterhin Suchoperationen in mehreren Distrikten gegeben, um die verbleibenden extremistischen Zellen in der Gegend zu beseitigen. Diese Operationen hätten die Sicherheit von Zivilisten und deren Rückkehr beeinträchtigt, Rehabilitationsprojekte verzögert und den Zugang humanitärer Akteure eingeschränkt. Erzwungene Rückkehr und Zwangsräumungen seien immer noch eine große Herausforderung und würden in vielen Fällen zu erneuter Vertreibung führen.

Auf Musings on Iraq, einem Blog des US-amerikanischen Irakanalysten Joel Wing, finden sich wöchentlich erscheinende Übersichten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen im Irak, die zum Großteil auf nationalen und internationalen Medienquellen basieren. Für die Woche vom 1.-7. Juni wurden basierend auf diesen Medienquellen 14 sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Salah ad-Din verzeichnet, bei denen es insgesamt 33 Tote und sieben Verletzte gegeben habe. Laut Joel Wing sei Salah ad-Din eine von zwei Provinzen, in denen regierungsfeindliche Aktivitäten erneut auftreten würden. Es habe in der Woche einen Autobombenanschlag in Tikrit gegeben. Außerdem seien zwei bewaffnete Kämpfe unter den registrierten sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei den restlichen Vorfällen handle es sich zum Großteil um Vorfälle mit improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen.

In der Woche vom 15.-21. Juni, so Musings on Iraq in einer weiteren Übersicht, habe es elf sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Salah ad-Din mit zwölf Toten und vier Verletzten gegeben. Salah ad-Din sei eine von drei Provinzen, in denen der IS wieder aktiv sei. Dort hätten Aufständische 42 Personen, darunter 30 des Schammar-Stammes, entführt und sechs von ihnen getötet. Außerdem hätten sie den Fahrzeugkonvoi eines Polizeihauptmannes angegriffen und hätten gegen die Volksmobilisierungseinheiten gekämpft. In den vergangenen Wochen habe der IS Felder in Brand gesetzt, um Bauern dazu zu zwingen, Steuern zu zahlen. In der Woche vom 15.-21. Juni habe der IS Personen im Zentralirak entführt. Beide Strategien hätten das gleiche Ziel, Kontrolle über ländliche Gebiete in diesen Provinzen zu erlangen.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) berichtet im Jänner 2018, dass sie in Samarra festgestellt habe, dass seit Juni 2017 mehr als 170 junge sunnitische Männer entführt worden seien. Dutzende seien später tot aufgefunden worden und der Verbleib der anderen Entführten sei unbekannt. An einem einzigen Tag seien mehr als 30 sunnitische Männer aus ihren Häusern in Samarra entführt, erschossen und deren Körper in der Nähe deponiert worden. Bei den Tötungen handle es sich vermutlich um einen Racheakt für das Eindringen von IS-Kämpfern in die Stadt am Tag davor.

(Quelle: ACCORD-Anfragebeantwortung zum Irak: Aktuelle politische Situation in Samarra/Provinz Salah ad-Din und Sicherheitslage im Allgemeinen, insbesondere für SunnitInnen; Gefahr der Rekrutierung durch Milizen für sunnitische Jugendliche [a-10646-1], 13.07.2018)

Sunniten im Süden des Irak stellen nach einigen Quellen grundsätzlich eine vulnerable Gruppe dar. Einige Quellen erwähnen Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Sunniten u.a. durch schiitische Milizen in den südlichen Gouvernements, u.a. in Basra. Sunniten sind im Süden des Irak vor allem auch durch gesellschaftliche Diskriminierung, beispielsweise am Arbeitsmarkt, betroffen. Im Jahr 2014 zeigte sich der UN-Sonderbeauftragte für den Irak besorgt über Gewaltakte (Entführungen, Morde) gegen die sunnitische Gemeinschaft im Gouvernement Basra.

Sunniten seien im Irak generell von religiös motivierter Gewalt betroffen gewesen. In einer Quelle heißt es, Milizen wie die Badr-Brigaden oder die Asa'ib Ahl al-Haqq (Engl. "League of the Righteous") hätten Sunniten als Rache für Terroranschläge durch den IS getötet. Sunnitischen Binnenflüchtlingen werde oft die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt. In einigen Teilen des Landes seien, so USDOS, nicht-muslimische religiöse Minderheiten, sowie Sunniten und Schiiten in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, von Einschränkungen und Schikanen betroffen gewesen. Sunnitische Muslime berichteten von Diskriminierung aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung, die sunnitische Bevölkerung habe mit Terroristen sympathisiert, u.a. dem IS.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK, Lage der Sunniten in Basra, Sunniten aus dem Süden in Mossul, 12.09.2018)

Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen

2.1. Die Feststellungen zur Person, zur Staatsangehörigkeit und Identität der Beschwerdeführerin (oben II.1.1.) beruhen auf dem im Verfahren vor dem BFA vorgelegten Reisepass im Einklang mit den Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Bereits das BFA erachtete die Identität als erwiesen. Die Feststellungen zu den Angehörigen der Beschwerdeführerin wurden ebenso bereits vom BFA als glaubhaft erachtet (AS 133).

2.2. Die oben unter Punkt II.1.2. getroffenen Feststellungen waren aufgrund der folgenden Erwägungen zu treffen:

Bereits das BFA erachtete das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den von ihr im Irak erlittenen Verfolgung als nachvollziehbar und glaubhaft (Bescheid, S 18), weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht dieser Beurteilung anschließt, zumal die Beschwerdeführerin auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung dazu in der Lage war, ihr Vorbringen zu den von ihr geschilderten Erlebnissen im Irak im Wesentlichen mit ihren bisherigen Angaben übereinstimmend zu erstatten (vgl Verhandlungsschrift, Seite (VHS) 9 ff). Die Beschwerdeführerin antwortete auf die ihr gestellten Fragen gewissenhaft und überzeugend. Implausibilitäten oder Widersprüche in den Angaben während der Verhandlung konnten nicht erkannt werden. Die Ausführungen zu ihrer Rückkehrbefürchtung lassen sich schließlich auch in Einklang mit den unter Punkt II.1.5. getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak bringen.

2.3. Die Feststellungen zum gewährten Status einer subsidiär Schutzberechtigten, zur erteilten und zuletzt im April 2018 bis April 2020 verlängerten befristeten Aufenthaltsberechtigung beruhen auf den diesbezüglich vom BFA erlassenen Bescheiden.

2.4. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.5. Die Feststellungen zur Lage im Irak (oben II.1.5.) beruhen auf den aktuellen und unverdächtigen Länderinformationsblättern der Staatendokumentation des BFA zum Irak, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des BFA sowie Anfragebeantwortungen von ACCORD, die im Wesentlichen im Zuge der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt wurden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005

3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

3.2. Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.3. Zum gegenständlichen Verfahren

3.3.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet ist, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0121).

3.3.2. Fallbezogen waren die Beschwerdeführerin und ihre Kinder bereits vor ihrer Ausreise aus dem Irak persönlich gegen Sie gerichteten und Verfolgungshandlungen und Drohungen gegen Leib und Leben seitens Angehöriger des IS und einer anderen sunnitischen extremistischen Gruppierung ausgesetzt, da sie sich geweigert habe, diese unterstützen zu wollen. Ihr Ehemann war XXXX XXXX XXXX .

Aus den Länderfeststellungen zeigt sich, dass die irakische Regierung zwar Ende 2017 den "Sieg" über den Islamischen Staat im Irak erklärt hat, der IS seine Aktivitäten v.a. in ländlichen Gebieten unter anderem in der Provinz Salah al-Din, in welcher die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise gelebt hat und den Verfolgungshandlungen ausgesetzt war, wieder verstärkt. Zwar sind Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang, wobei es Ziel ist, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Die Sicherheitslage ist jedoch weiterhin veränderlich und derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate, gezielte Tötungen und Einschüchterungen, besonders nachts. Insbesondere in Salah al-Din führt der IS nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch. Ortschaften werden angegriffen Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Laut dem Bericht des Auswärtigen Deutschen Amtes muss in der Provinz Salah al-Din weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Schließlich berichten sunnitische Muslime auch von Diskriminierung aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung, die sunnitische Bevölkerung habe mit Terroristen sympathisiert, u.a. dem IS.

Die Beschwerdeführerin ist, wie zuvor dargestellt, bereits vor ihrer Ausreise aus dem Irak in das Blickfeld sunnitischer Extremisten geraten, sie hat den Irak aufgrund ihrer Weigerung für die sunnitischen Extremisten zu arbeiten, vorverfolgt verlassen und ihr Ehemann ist in ihrer Heimatregion aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit bekannt. Die Beschwerdeführerin ist daher unter Berücksichtigung der aktuellen Ländersituation bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion besonders exponiert und vom BFA wurde in ihrem Fall ein Ausweichen in einen anderen Landesteil, eine innerstaatliche Fluchtalternative, ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin kann im Falle einer Rückkehr mit ihren drei Kindern in den Irak auch nicht auf den Schutz einer Familie zurückgreifen und ist somit besonderes vulnerabel, ein Grund, weshalb ihr das BFA auch bereits den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte. In Hinblick auf die (erzwungene) Hilfeleistung des Mannes für einen Angehörigen des IS droht der Beschwerdeführerin zudem, dass ihr von Seiten der irakischen Sicherheitskräfte oder schiitischen Milizen die Unterstützung des IS unterstellt wird.

Das BFA erachtete das Vorbringen der Beschwerdeführerin als glaubhaft, begründete jedoch die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten damit, dass der IS seinen Einfluss im Irak verloren habe. Nach den aktuellen Feststellungen kann diese Ansicht jedoch in Bezug auf die Herkunftsregion der Beschwerdeführerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt so nicht (weiter) aufrechterhalten werden. Es zeigt sich vielmehr, dass sich die, die Beschwerdeführerin konkret betreffende Situation in ihrer Heimatregion des Irak, nicht so nachhaltig und maßgeblich geändert hat, dass man davon ausgehen könnte, die Verfolgungsgefahr bestünde für die Beschwerdeführerin nicht mehr.

Unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte des vorliegenden Falles ergibt sich vielmehr, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Entscheidung im Falle einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit relevanten Übergriffen gegen Leib und Leben ausgesetzt wäre, einerseits aufgrund ihrer Weigerung, sunnitische Extremisten bei deren politischen und religiösen Zielen zu unterstützen, andererseits aufgrund der ihr drohenden Unterstellung durch die irakischen Sicherheitskräfte oder schiitischen Milizen, genau Letzteres zu tun.

3.3.3. Daher ist für die Beschwerdeführerin von einer Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, und zwar aufgrund der (unterstellten) politischen Gesinnung auszugehen.

3.3.4. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes ihres Herkunftsstaates zu bedienen.

3.3.5. Da im vorliegenden Fall das BFA bereits rechtskräftig davon ausgegangen ist, dass im Falle der Beschwerdeführerin aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ein Abschiebungshindernis iSd § 8 AsylG 2005 vorliege und der Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung, zuletzt am 13.04.2018 aktuell bis 26.04.2020 erteilt hat, ist auch das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszuschließen (VwGH 18.01.2017 Ra 2016/1/0293). Schließlich ergibt sich angesichts der vorliegenden Länderberichte im Entscheidungszeitpunkt, dass für die konkrete Beschwerdeführerin auch kein ausreichender Schutz gewährleistet ist.

3.3.6. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.3.7. Im vorliegenden Fall sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gegeben.

3.4. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.5. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt der Beschwerdeführerin das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Zu B)

Revision

3.6. Die ordentliche Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist und die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich im Wesentlichen von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war.

3.7. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
begründete Furcht vor Verfolgung, erhebliche Intensität,
Flüchtlingseigenschaft, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit,
inländische Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative,
maßgebliche Wahrscheinlichkeit, mündliche Verhandlung,
Nachvollziehbarkeit, politische Gesinnung, politische Veränderung,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2160087.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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