TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/4 W253 2134282-1

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Veröffentlicht am 04.04.2019
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Entscheidungsdatum

04.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W253 2134282-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 03.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in XXXX geboren, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei sunnitischen Glaubensbekenntnisses. Er habe zwölf Jahre die Grundschule besucht und sei als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Neben seinen Eltern habe der Beschwerdeführer zwei Brüder sowie drei Schwestern. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan aufgrund der Taliban verlassen müssen. Diese hätten ihn aufgrund seiner Zusammenarbeit mit den Italienern bedroht und ihn aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Nachdem sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe der Beschwerdeführer die Flucht ergreifen müssen.

3. Mit Schreiben vom 02.03.2016 legte der Beschwerdeführer Deutschkursbestätigungen sowie einen Arbeitsnachweis des Österreichischen Roten Kreuz über seine ehrenamtliche Tätigkeit als Dolmetscher vor.

4. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.07.2016 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend aus, er habe in Afghanistan die Matura absolviert. Von 2009 bis 2010 sowie von 2012 bis 2014 habe der Beschwerdeführer für die Italiener als Hilfskraft in der Küche gearbeitet, wobei er im letzten Jahr seiner Tätigkeit ein- bis zweimal im Monat auch als Dolmetscher herangezogen worden sei; von 2011 bis 2012 sei er bei einer Baufirma, die für die NATO und ISAF tätig gewesen sei, beschäftigt gewesen. Seine Familienangehörigen seien weiterhin in der Provinz Herdat (Anm.: wohl gemeint Herat) aufhältig. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammenfassend an, die Taliban hätten ihn gesucht und seien dazu bereit gewesen, ein Kopfgeld auf ihn auszusetzen. Die Taliban hätten einen Arbeitskollegen des Beschwerdeführers umgebracht und zerstückelt. Bei dessen Leiche sei ein Brief gefunden worden, aus welchem hervorgegangen sei, dass jeder, der für die Ausländer arbeiten würde, auf die gleiche Weise getötet werden würde. Den Beschwerdeführer habe man persönlich nicht kontaktiert, jedoch habe man über den Mullah des Dorfes ausrichten lassen, dass der Beschwerdeführer seine Tätigkeit für die Ausländer aufgeben solle, weil man ihn ansonsten auch umbringen würde. In Hinblick auf die Integration in Österreich brachte der Beschwerdeführer vor, ehrenamtlich beim Roten Kreuz zu arbeiten und regelmäßig Deutschkurse zu besuchen.

5. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, der Beschwerdeführer habe weder eine individuelle Verfolgung noch eine individuelle Gefahr glaubhaft machen können. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sei jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sei, die dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauernde aussichtslose Lage zu geraten. Ein Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben liege ebenfalls nicht vor.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Künstlergasse 11/5. Stock, 1150 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit Schreiben vom 02.09.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und machte die Rechtswidrigkeit infolge eines mangelhaften Beweisverfahrens, mangelhafte Beweiswürdigung sowie die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Dabei führte er aus, dass die Taliban auch nach seiner Flucht im April 2015 seine Familie aufgesucht und diese bedroht hätten. Da die Taliban mit Gewalt die Kontrolle über XXXX versuchen würden zu übernehmen, sei die Familie des Beschwerdeführers aus ihrer Heimatstadt geflüchtet. Der Beschwerdeführer monierte, die belangte Behörde hätte ergänzende Fragen zur Bedrohung durch die Taliban stellen müssen. Ferner seien die Länderberichte teilweise veraltet und unvollständig, sodass sie für die Begründung der Abweisung des Antrages unzureichend seien. Auch Küchengehilfen einer internationalen Streitkraft seien einer ständigen Beobachtung und der daraus resultierenden Gefahr durch die Taliban ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer werde aufgrund seiner Tätigkeit als Dolmetscher, ehemalige Führungsperson (leading constructor) und zuletzt als Küchengehilfe bei internationalen Streitkräften eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt, bei der es auf die Art der Tätigkeit nicht ankomme. Zudem sei die belangte Behörde unrichtigerweise davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge. Abschließend führte der Beschwerdeführer seine sehr gute Integration in Österreich ins Treffen.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W119 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.

8. Der Beschwerdeführer brachte mit zahlreichen Schriftsätzen weitere Urkunden betreffend seine Integrationsbemühungen in Vorlage.

9. In der Stellungnahme vom 19.02.2018 führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, die allgemeine Situation in Afghanistan und für Rückkehrer im Besonderen sei sehr schlecht. Die Familie des Beschwerdeführers sei mittlerweile wieder in XXXX aufhältig. Im Februar 2017 sei der LKW seines Vaters aus der Garage geholt, angezündet und damit zerstört worden. Aufständische hätten herausgefunden, dass der LKW bis Mitte 2015 an eine Baufirma vermietet gewesen sei, die für ausländisches Militär Bauwerke errichtet habe. Ferner drohe dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Verfolgung durch den IS, weil er eine mutmaßliche IS-Sympathisantin bei der Polizei angezeigt habe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative komme im Fall des Beschwerdeführers ebenfalls nicht in Frage, eine Niederlassung sei für ihn in ganz Afghanistan unmöglich und ihm nicht zumutbar. In diesem Zusammenhang wurde angeregt, dem Gerichtshof der Europäischen Union näher definierte Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU, insbesondere ob Art. 8 Abs. 1 der Status-Richtlinie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehe, die der Frage, ob "vernünftigerweise erwartet werden kann, dass [der Antragsteller] sich dort [in dem betreffenden Landesteil] niederlässt", keine eigenständige Bedeutung zumesse, zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen. Abschließend führte der Beschwerdeführer seine zahlreichen bereits gesetzten Integrationsschritte an.

10. Am 20.02.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin, drei Vertrauenspersonen und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurden vom erkennenden Richter vier vom Beschwerdeführer stellig gemachte Zeugen einvernommen. Der Beschwerdeführer legte dem Gericht zudem einen Ordner mit Integrationsunterlagen vor.

11. Mit seiner am 05.03.2018 eingelangten Stellungnahme legte der Beschwerdeführer eine Arbeitsplatzzusage samt Dienstvertrag für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Arbeitsmarktzugang sowie einige Berichte zum Gutachten von Ing. Mag. Karl Mahringer zu GZ BVwG-160.000/0001 - Kammer A/2017 vor. Er führte diesbezüglich aus, das ebengenannte Gutachten sei zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes unbrauchbar.

12. Mit Schreiben vom 13.03.2018 und 04.04.2018 brachte der Beschwerdeführer weitere Urkunden in Vorlage, insbesondere betreffend die Absolvierung des Universitätskurses "Kommunaldolmetscher Basiskurs".

13. Am 23.04.2018 übermittelte der Beschwerdeführer ein Referenzschreiben der XXXX Universität XXXX und verwies erneut auf die schlechte Sicherheitslage in XXXX .

14. Am 05.12.2018 teilte der Beschwerdeführer mit, er habe die Voraussetzungen für die Abschlussprüfung des Universitätskurses "Kommunaldolmetscher Basiskurs" am 04.02.2019 erfüllt.

15. Am 13.02.2019 übermittelte der Beschwerdeführervertreter eine Prüfungsbestätigung vom 05.02.2019 sowie ein Schreiben des Beschwerdeführers, in welchem dieser ausführte, Österreich sei zum ausschließlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen geworden und er sei selbstverständlich dazu bereit, eine Arbeit aufzunehmen, wenn es seine aufenthaltsrechtliche Situation erlauben würde. Das Führen eines selbstständigen Lebens ohne Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung sei dem Beschwerdeführer sehr wichtig. Infolge seines zuletzt erfolgreich absolvierten Abschlusses ("Kommunaldolmetschen Basiskurs") habe er sich gute Voraussetzungen für den österreichischen Arbeitsmarkt geschaffen.

14. Am 15.02.2019 wurden dem Beschwerdeführer[l1] aktuelle Länderberichte übermittelt und ihm freigestellt, binnen 14 Tagen dazu Stellung zu nehmen. In der daraufhin eingelangten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer zusammenfassend aus, in seinem Herkunftsdistrikt komme es nach wie vor zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und Regierungskräften sowie zwischen rivalisierenden Taliban-Gruppen. Insbesondere wäre der Beschwerdeführer als eine Person, die die internationale Gemeinschaft jahrelang in mehrfacher Funktion unterstützt habe, ganz besonders durch die Taliban gefährdet. Ferner gehe durch die Verwestlichung des Beschwerdeführers für diesen bei einer Rückkehr eine große Gefährdung aus. Das vom Beschwerdeführer eben erst fertiggestellte und auf Youtube bereits veröffentlichte Integrations-Video "Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern" würde aufgrund der völlig gegensätzlichen Wertehaltung in Afghanistan zu einer zusätzlichen Gefährdung führen. Weiters seien die Feststellungen im Länderinformationsblatt zum Thema Rückkehrsituation einseitig, nicht ausgewogen und keinesfalls objektiv. Laut Medienberichten handle es sich um die schlimmste Dürre Afghanistans seit Jahrzehnten. In Bezug auf die Verfolgungsgefahr durch die Taliban führte der Beschwerdeführer unter Verweis auf die anerkannte Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann aus, dass zurückkehrenden Personen die Geheimhaltung ihres Aufenthaltsortes nicht möglich sei. Zum Nachweis seiner Integration in Österreich legte der Beschwerdeführer abschließend weitere Dokumente vor.

Am 08.03.2019 wurden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aktuelle Länderinformationen zur Stellungnahme binnen vierzehn Tagen übermittelt. Die Frist verstrich ungenützt.

Am 21.03.2019 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der XXXX Universität XXXX , über die Absolvierung des Universitätskurses, Kommunaldolmetschen unter Anschluss von Fotos der feierlichen Zeugnisverleihung dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Stellungnahmen, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme der Zeugen Prof. DI Dr. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 03.04.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.09.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 20.02.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin, drei Vertrauenspersonen und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Zusätzlich wurden vom erkennenden Richter vier Zeugen zur Integration des Beschwerdeführers einvernommen.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz Herat, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Muslim und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, seinen zwei jüngeren Brüdern und seinen drei jüngeren Schwestern, welche im Heimatdorf des Beschwerdeführers aufhältig sind. Der Beschwerdeführer steht unregelmäßig in Kontakt mit seiner Kernfamilie. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt ebenfalls in XXXX . Der Beschwerdeführer verfügt in der Stadt Herat über eine Tante.

In Afghanistan hat der Beschwerdeführer insgesamt zwölf Jahre die Schule besucht und diese im Jahr 2011 mit Matura abgeschlossen. Er war vom 01.02.2009 bis zum 31.01.2010 und anschließend vom 01.04.2012 bis zum 31.01.2014 am Stützpunkt XXXX für die italienischen Streitkräfte als Küchenhilfe tätig, wobei er im letzten Jahr auch ein- bis zweimal pro Monat als Dolmetscher herangezogen wurde. Vom 09.03.2011 bis zum 09.03.2012 hat der Beschwerdeführer für die Baufirma XXXX , die Gebäude für die NATO oder ISAF errichtete, gearbeitet. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er kontrolliert, dass die Arbeiter ihre Schutzausrüstung tragen, und war gelegentlich auch als "Office Manager" im Verwaltungsbereich tätig. Ungefähr im September 2014 ist der Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, befindet sich in einem guten Gesundheitszustand und ist arbeitsfähig. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Er hat während seines Aufenthaltes in Österreich regelmäßig Deutschkurse besucht und insgesamt drei ÖSD-Sprachzertifikate (Sprachniveau A2, B1 und B2) erworben. Der Beschwerdeführer absolvierte seit XXXX 04.2018 den Universitätskurs "Kommunaldolmetscher Basiskurs" an der XXXX Universität XXXX , welchen er am 04.02.2019 erfolgreich bestanden hat.

Er weist zudem ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement auf, indem er seit XXXX 02.2016 als freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz arbeitet; seine Tätigkeitsbereiche umfassen: Team Österreich Tafel, Büro Einsatzverrechnung, Schulstartpaketaktion, Rettungsdienst sowie gelegentliche Dolmetschertätigkeiten. Zusätzlich absolviert der Beschwerdeführer seit Mai 2017 die Ausbildung zum Rettungssanitäter. Von XXXX 02.2016 bis XXXX 12.2018 hat der Beschwerdeführer bereits insgesamt 1.929,5 freiwillige Stunden geleistet. Am XXXX 12.2018 wurde ihm die Urkunde "Rotkreuz-Stundenspange in Bronze für 1000 geleistete Dienststunden" verliehen. Er hat auch bereits für die Caritas ehrenamtlich als Dolmetscher gearbeitet und werden seine Leistungen weiterhin ab und zu in Anspruch genommen.

Ferner hat der Beschwerdeführer an einem Filmprojekt " XXXX ", einem 16-stündigen Erste-Hilfe-Grundkurs, einem Grundsätze-Workshop sowie an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Weiters hat er die Ausbildung zum Klima- und Energiebotschafter am XXXX 01.2018 erfolgreich absolviert. Im Sommersemester 2016 hat er zudem an der Schule für Sozialbetreuungsberufe teilgenommen, diese jedoch anschließend abgebrochen, um sein Deutsch zu verbessern.

Der Beschwerdeführer ist weder erwerbstätig noch selbsterhaltungsfähig. Der Zeuge XXXX hat dem Beschwerdeführer bei Eröffnung seines Lokals, in welchem XXXX die Leitung der Küche obliegen soll, eine Lehrstelle angeboten. Wann die Eröffnung des genannten Lokals erfolgen soll, kann nicht festgestellt werden. Bei XXXX wurde der Beschwerdeführer zu einem Vorstellungsgespräch am XXXX 02.2017 eingeladen, wobei er keine Jobzusage erhalten hat. Der Beschwerdeführer ist bemüht, eine Arbeit in Österreich zu finden.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er pflegt intensive Freundschaften in Österreich, wie beispielsweise zu seiner Kollegin vom Roten Kreuz XXXX XXXX , XXXX XXXX XXXX und den Familien XXXX und XXXX . Der Beschwerdeführer ist bei Letzteren bei Familienfesten eingeladen und wird in Hinblick auf seine Ausbildung von diesen finanziell unterstützt sowie bereits als Teil der Familie angesehen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer und seine Familie durch die Taliban verfolgt bzw. bedroht worden sind. Ebenfalls kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung durch die Taliban zu befürchten hätte.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen der in Österreich erstatteten Anzeige einer vermutlichen tadschikischen IS-Sympathisantin einer Bedrohung durch den IS ausgesetzt ist.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif oder Herat) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Herat bzw. Mazar-e Sharif ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Herat und Mazar-e Sharif sind über die dort vorhandenen Flughäfen sicher erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von seiner Familie unterstützt werden kann.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 31.01.2019 (in Folge kurz "LIB") und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen (LIB Kapitel 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016.

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung.

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die Afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

1.5.1.2. Neueste Ereignisse (LIB Kapitel 1.):

Am Samstag dem 26.01.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern. Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren. Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde. Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.01.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten. Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt. Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen, fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte.

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.01.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben. Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet. Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war. Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar.

Am Vortag, dem 20.01.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere.

Des Weiteren detonierte am 14.01.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe. Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt. Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban.

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung. Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben. Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag.

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl Am 06.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig. Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert. Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet. Am 08.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige. Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10 % der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden. Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange. Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint. Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht. Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt.

1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF, Herat (LIB Kapitel 3.13.):

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt.

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte zB auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen.

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

1.5.1.5. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5.):

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt.

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

1.5.1.4. Zur Lage der Paschtunen in Afghanistan (LIB Kapitel 16.1.):

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Paschtunen siedeln sich in einem halbmondförmigen Gürtel an, der sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

1.5.1.5. Religionsfreiheit (LIB Kapitel 15.):

Etwa 99,7 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.

1.5.1.6. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.5.1.7. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.

1.5.1.8. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

1.5.1.9. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.1.10. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA.

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden.

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

1.5.1.11. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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