Entscheidungsdatum
11.04.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I403 2207246-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geb. XXXX (alias XXXX), StA. Nigeria, vertreten durch die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ-IBF), Lederergasse 35/12-13, 1080 Wien, gegen Spruchpunkt I. und II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.08.2018, Zl. 1103906501/160151033 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 30.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am folgenden Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte sie, im September 2015 aus Borno State vor Boko Haram geflüchtet zu sein.
Am 01.04.2016 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Durchführung einer Altersfeststellung, da sie ihr tatsächliches Geburtsdatum nicht kenne. Beigelegt waren dem Schreiben zwei "Klientenkarten" einer Psychologin, wonach die Beschwerdeführerin ein auffälliges Verhalten zeige und sehr kindlich agiere.
Mit Schreiben der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (im Folgenden: LEFÖ-IBF) vom 15.03.2017 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) informiert, dass die Beschwerdeführerin ein Opfer von Menschenhandel sei und in einer Schutzwohnung untergebracht wurde.
Am 13.04.2017 und am 24.04.2017 wurde die Beschwerdeführerin durch das Landeskriminalamt befragt. Sie identifizierte einige am Menschenhandel Beteiligte anhand von ihr vorgelegten Fotos. Im Zuge der Einvernahme stellte sich heraus, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig war. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX wurde die Obsorge für die Beschwerdeführerin dem Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen.
In einer schriftlichen Stellungnahme der Caritas für die Beschwerdeführerin vom 14.12.2017 wurde erklärt, dass der Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei und auf entsprechende Rechtsprechung verwiesen.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.03.2018 gab sie an, aus Benin City zu stammen, familiäre Probleme gehabt zu haben und Nigeria im Alter von 16 Jahren verlassen zu haben. Vor ihrer Ausreise habe sie sich in Lagos einem Juju-Ritual unterziehen müssen. In Österreich habe man sie genau angewiesen, welche Geschichte sie für ihren Asylantrag erzählen solle und welches Alter bzw. welchen Namen sie angeben sollte. Man habe ihr gesagt, sie müsse 55.000 Euro bezahlen. Sie sei dann in der Asylunterkunft immer wieder von ihrer "Madam" kontaktiert worden und habe sich auch prostituieren müssen. Sie habe dann bei der Caritas darum gebeten, nach Nigeria zurückkehren zu können, da sie gehofft habe, dass die Menschenhändler es akzeptieren würden, wenn sie von Österreich abgeschoben werde. Sie sei mehrmals telefonisch bedroht worden. Schließlich habe sie ihrer Rechtsberaterin die Wahrheit erzählt.
In einer schriftlichen Stellungnahme der Caritas für die Beschwerdeführerin vom 19.03.2018 wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Kooperation mit der österreichischen Polizei Gefahr laufe, bei einer Rückkehr nach Nigeria Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein; sie habe außerdem "Schulden" und könne keine Unterstützung durch ihre Familie erwarten. Beigelegt war auch ein Bericht von LEFÖ-IBF, in dem unter anderem ausgeführt wurde: Die Beschwerdeführerin "hat als Minderjährige Nigeria verlassen und keinen Schutz durch ihre Familie oder den Staat erfahren. Sie wurde schon früh vernachlässigt und wäre daher bei einer Rückkehr besonders schutzlos. In der nigerianischen Gesellschaft sind vor allem Mädchen und junge Frauen sehr auf den Schutz einer Familie angewiesen, den sie allerdings schon davor nicht erfahren hat. Es ist bekannt, dass die Schutzmöglichkeiten des Staates Nigeria kaum vorhanden sind, extrem mangelhaft sind, was die Kapazität betrifft und auch nur sehr kurzfristig, wenn überhaupt, möglich - sie können also keinen in dieser Situation auch nur annähernd adäquaten Schutz bieten. Darüber hinaus ist Korruption ein in Nigeria die gesamte Gesellschaft prägendes Phänomen, das einen staatlichen Schutz weitgehend vereitelt. XXXX braucht, um sich weiter von den erlittenen Traumatisisierungen durch sie an ihr begangenen Straftaten zu erholen und sich zu stabilisieren, um ein normales von weiteren Ausbeutungserfahrungen geschütztes Leben führen zu können, den Schutz und die längerfristige Betreuung einer spezialisierten Opferschutzeinrichtung wie LEFÖ-IBF."
Am 30.03.2018 wurde das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft XXXX abgebrochen, da der Aufenthaltsort der von der Beschwerdeführerin identifizierten "Madam" nicht festgestellt werden konnte.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.08.2018, zugestellt am 11.09.2018, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 30.01.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde erteilt (Spruchpunkt III.). Zu den Gründen für das Verlassen Nigerias wurde ausgeführt: "Glaubwürdigerweise haben Sie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl behauptet, dass Sie Ihr Heimatland Nigeria wegen wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, um einer Arbeit in Europa nachzugehen. Sie wussten nicht, dass Sie als Prostituierte arbeiten mussten." Die Beschwerdeführerin sei zwar Opfer von Menschenhandel, doch habe sie lediglich Bedrohungen geschildert, die im Zuge ihrer Ausreise entstanden seien; sie habe keine konkrete Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Nigeria vorgebracht, sondern nur gemeint, dass sie in Gefahr sei. In der rechtlichen Würdigung wurde argumentiert: "Sie gaben an, dass Sie Ihr Heimatland aufgrund der wirtschaftlichen Situation verlassen hätten. Die wirtschaftliche Lage rechtfertigt keinen Asylgrund i. S. d. GFK. Zudem entschlossen Sie sich freiwillig, ihr Heimatland zu verlassen. Auch wurden Sie im Zuge Ihrer freiwilligen Ausreise Opfer eines Menschenhandelsrings. Folge dessen wurden Sie in Österreich zur Prostitution gezwungen. Dieser Sachverhalt rechtfertigt keinen Asylstatus, da dieser die Kriterien zur Asylgewährung i.S. d. GFK nicht erfüllt."
Dagegen wurde fristgerecht am 08.10.2018 Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des Bescheides erhoben. Die Beschwerdeführerin sei entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid nicht freiwillig ausgereist, sondern sei über ihre Zukunftsmöglichkeiten getäuscht worden. Ihr sei ein Schulbesuch versprochen worden. Durch diese Täuschung sei eine der Tatbestandsvoraussetzungen für Menschenhandel erfüllt. Die Behörde habe sich auch nur auf Berichte aus den Jahren 2015 und 2016 gestützt, die als veraltet anzusehen seien. Die in den Stellungnahmen vorgebrachten Gefahren (Vergeltungsmaßnahmen und/oder Re-Trafficking) würden im Bescheid ignoriert werden. So habe die Beschwerdeführerin etwa gegenüber der Polizei davon gesprochen, dass man ihr telefonisch gedroht habe, ihr bei einer Rückkehr nach Nigeria beide Beine abzuschneiden. Die Behörde habe im Verfahren auch die Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin und die damit verbundene besondere Vulnerabilität ignoriert.
Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung zur Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin durchführen; der Beschwerdeführerin Asyl zuerkennen; in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II. beheben und der Beschwerdeführerin subsidiären Schutz gewähren; in eventu den angefochtenen Bescheid gem. § 28 Abs. 3 VwGVG beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 17.10.2018 vorgelegt.
Mit Eingabe vom 24.01.2019 wurde eine Vollmacht für die Vertretung durch LEFÖ-IBF vorgelegt und beantragt, dass eine Richtigstellung der persönlichen Daten auf den im Spruch genannten Namen erfolge; die Beschwerdeführerin habe i bereits gegenüber dem BFA richtiggestellt, doch sei im Bescheid und in Folge bei der Aufenthaltsberechtigungskarte weiterhin der Aliasdatensatz verwendet worden, den sie im Auftrag der Menschenhändler bei der Erstbefragung genannt habe.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.03.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zum Vorbringen der Beschwerdeführerin
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias. Ihre Identität steht nicht fest. Sie hat keinen Kontakt zu ihrer Familie in Nigeria.
Die Beschwerdeführerin stammt ursprünglich aus Delta State. Ihre Eltern ließen sich scheiden, als sie fünf Jahre alt war. Die Beschwerdeführerin hielt sich zeitweise bei Verwandten auf, zeitweise bei ihrer Mutter, doch wurde sie vom neuen Mann ihrer Mutter nicht akzeptiert und wurde sie als Fünfzehnjährige auch Opfer einer Vergewaltigung. Danach zog sie in die Wohnung einer Freundin in Benin City. Diese stellte den Kontakt zu einer Frau her, die erklärte, von einer Jugendorganisation zu sein und der Beschwerdeführerin zu einer Ausbildung in Europa verhelfen zu können. Dafür habe sie nach Ende ihrer Ausbildung 55.000 zu bezahlen, wobei die Beschwerdeführerin davon ausging, dass es sich dabei um die nigerianische Währung Naira handeln würde. In Lagos wurde ein gefälschter Reisepass für die Beschwerdeführerin ausgestellt; in Abuja ein Schengenvisum. Zudem musste sie sich gemeinsam mit anderen Mädchen einem Juju-Ritual unterziehen, im Zuge dessen sie schwören mussten, keine Anzeige bei der Polizei zu erstatten und nicht wegzulaufen, da sie sonst sterben müssten. Im Jänner 2016 reiste die Beschwerdeführerin über Rom nach Österreich; die anderen zwei Mädchen wurden nach Frankreich gebracht. In Wien wurde sie von einer nigerianischen Frau vom Zug abgeholt, bei welcher sie übernachtete. Diese war mit einem Österreicher verheiratet und sagte ihr, sie habe ihre Schulden durch Prostitution abgearbeitet und sei dann von ihrem Mann "freigekauft" worden. Dann war sie bei einer anderen Frau untergebracht, über die sie dann ihre "Sister" kennenlernte. Diese brachte sie nach XXXX, in die Wohnung eines nigerianischen Mannes mit einem österreichischen Aufenthaltstitel, nahm ihr den Reisepass ab und instruierte sie, welche Angaben sie bei der Asylantragstellung machen sollte. Die Beschwerdeführerin stellte einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dann in eine Flüchtlingsunterkunft gebracht, wo sie sich drei Monate aufhielt. In dieser Zeit blieb sie in telefonischem Kontakt mit ihrer "Sister". Diese teilte ihr dann mit, dass sie 55.000 Euro zu bezahlen habe und der Prostitution nachgehen müsse. Dann versuchte ihre "Sister" sie in Bars und Nachtclubs einer Beschäftigung zuzuführen; dies wurde wiederholt von den Geschäftsführern mit Hinweis auf das jugendliche Aussehen der Beschwerdeführerin abgelehnt. Schließlich hielt sich die Beschwerdeführerin drei Tage in einem Club auf, wo sie der Prostitution nachging. Sie kehrte dann in die Flüchtlingsunterkunft zurück und kam in Kontakt mit LEFÖ-IBF; von der Opferschutzeinrichtung wurde sie in einer Schutzwohnung untergebracht.
Die Beschwerdeführerin wurde während ihres Aufenthaltes in Österreich wiederholt telefonisch bedroht. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria wäre davon auszugehen, dass sie Vergeltung durch das Netzwerk, welches sie nach Europa verbrachte, zu befürchten hätte oder sich in einer derart aussichtslosen Situation befindet, dass sie wieder Opfer von Menschenhandel wird. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um ein Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung.
Insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin auf keinen starken familiären Rückhalt zurückgreifen könnte, dass sie gegen das Menschenhändlernetzwerk ausgesagt hat und dass sie bereits als Minderjährige Opfer von Menschenhandel war, kann nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden; vielmehr besteht die reale Gefahr, dass sie in eine existenzbedrohende Notlage gerät oder aufgrund ihrer Zwangslage wieder Opfer von Frauenhandel oder Zwangsprostitution wird.
Es liegen keine Asylausschlussgründe im Sinne des § 6 AsylG 2005 vor; die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Menschenhandel in Nigeria
Der organisierte Menschenhandel bleibt eines der dringlichsten menschenrechtlichen Probleme in Nigeria. Nigeria ist eine Drehscheibe des Menschenhandels und eines der fünf größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der EU (Quelle: Auswärtiges Amt). Aus keinem anderen Drittstaat kommen derart viele Opfer von Menschenhandel nach Europa (Quelle: EASO, Country Guidance). Allerdings findet innerhalb der Grenzen Nigerias noch ein viel umfangreicherer Handel mit Menschen, unter anderem zu Zwecken der Prostitution, statt; häufig stellt dieser interne Menschenhandel den ersten Schritt zum grenzüberschreitenden Menschenhandel dar (Quelle: EASO Sexhandel).
Nigerianische Mädchen und Frauen sind somit Opfer von Menschenhandel innerhalb Nigerias und nach Europa, vor allem aber nach Italien, Spanien, Österreich und Russland (Quelle: US DoS Report).
Menschenhändler haben im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 ihre Aktivitäten verstärkt. Sie missbrauchen häufig das Asylsystem, insbesondere um den Aufenthalt und eine Mobilität in der EU zu ermöglichen. IOM berichtet von einem Anstieg von nigerianischen Frauen, die über Libyen in die EU reisen; bei 80% könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer sexueller Ausbeutung werden (Quelle: EASO, Targeting).
Profile der Opfer von Menschenhandel
Die meisten Opfer von Menschenhandel stammen aus Edo State, insbesondere Benin City und nahegelegenen Dörfern, und gehören zur Volksgruppe Edo/Bini (Quellen: EASO Country Guidance und EASO, Sexhandel). Ein schwacher wirtschaftlicher Hintergrund, eine geringe Bildung, ein geringes Alter, Kinderlosigkeit und schwierige familiäre Verhältnisse können das Risiko erhöhen, Opfer von Menschenhandel zu werden (Quelle: EASO, Targeting).
Methoden und Netzwerke der Menschenhändler
Nach Angaben von Europol bestehen nigerianische Menschenhändlerbanden häufig aus Zellen. Auf diese Weise können sie sehr effizient arbeiten, denn sie agieren unabhängig, können sich aber auf ein umfangreiches Netz persönlicher Kontakte stützen. Frauen (Madams) spielen in diesen Gruppen eine sehr wichtige Rolle und überwachen den Prozess des Menschenhandels von der Rekrutierung bis zur Ausbeutung sehr genau. Typischerweise haben die Madams zuvor als Prostituierte gearbeitet, teilweise auch als Opfer von Menschenhandel, und sich dann bis zur Rolle einer Madam, welche oftmals den Menschenhändlerorganisationen vorsteht, hochgearbeitet.
Madams sind sowohl in Nigeria wie im Zielland anzutreffen (Quelle: EASO, Sexhandel).
Die Menschenhändler geben teilweise vor, Arbeitsstellen in Europa vermitteln zu können, etwa als Friseurin oder Kindermädchen. Dennoch ist vielen Mädchen bewusst, dass sie in Europa der Prostitution nachgehen werden; zugleich sehen sich viele etwa aufgrund ihrer Rolle als älteste Tochter faktisch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen. Einige Opfer nehmen selbst Kontakt zu den Menschenhändlern auf, in der Hoffnung die Armut der Familie auf diesem Weg beenden zu können (Quelle: EASO, Targeting). Es wurde in den nigerianischen Medien immer mehr über diese Thematik und auch über von Europa abgeschobene Frauen berichtet, daher "weiß jeder, was läuft" (Quelle: EASO, Sexhandel). Viele der Frauen werden aber, selbst wenn ihnen bereits vor Abreise bewusst ist, dass sie der Prostitution nachgehen werden müssen, über die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen und die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes getäuscht (Quelle: EASO, Sexhandel).
Teil des Modus Operandi der Menschenhändler ist insbesondere die Verwendung traditoneller Riten, die in Nigeria "Juju" genannt werden. Nach Informationen der Nigerian National Agency for Prohibition of Traffic in Persons (NAPTIP) unterziehen sich rund 90% der Mädchen und Frauen, die nach Europa gebracht werden, einer solchen Behandlung (zitiiert nach UK Home Office). Diese Zeremonie findet bei einem religiösen Schrein statt, um den Vertrag zwischen den Menschenhändlern und dem (späteren) Opfer zu besiegeln. Der dort geleistete Schwur dürfe nicht gebrochen werden, sonst würde es zu Unglück, Krankheit oder Schlimmerem führen (Quelle: EASO, Targeting). Mit dem Schwur sollen die Opfer davon abgehalten werden, die Identität der Schleuser oder sonstige Einzelheiten zu offenbaren. Ein Juju-Schwur wirkt als eine Art psychologische Kontrolle, da die Angst vor den Folgen eines Bruchs des Schwurs, also vor der Bestrafung durch die Götter, extrem groß ist. Allerdings glauben nicht alle Frauen an die Macht von Juju (EASO, Sexhandel). Am 9. März 2018 wurde vom Oba (König) von Benin ein Fluch gegen alle Menschenhändler und jene Priester, die sie mit Juju-Schwuren unterstützen, verhängt und erklärt, dass alle Schwüre ungültig seien (Quelle: EASO, Targeting).
Versprochen wird eine Reise nach Europa für 50.000 bis 70.000 Naira (etwa 250 Euro), nach der Ankunft in Europa werden die Schulden dann mit 50.000 bis 70.000 Euro angegeben und wird gefordert, die Summe durch Prostitution zu verdienen (Quelle: EASO, Targeting).
In einigen Fällen unterstützen die Familien der Opfer die Menschenhändler, da sie sich dadurch einen finanziellen Vorteil erhoffen. Frauen und Mädchen werden daher von ihrer Familie teilweise darin bestärkt, das Land zu verlassen (Quelle: EASO, Country Guidance).
Die vorherrschende und gängige Route dürfte es sein, die Opfer innerhalb Nigerias in Kleinbussen zu befördern (über den Bundesstaat Kano), dann über die Grenze zum Niger im Auto, zu Fuß oder auf dem Motorrad und im LKW bis nach Agadez. Ab Agadez begeben sich die Frauen auf eine gefährliche Reise durch die Sahara Richtung Libyen (meist Zuwarah, Sabha oder Tripolis). Von dort werden die Opfer auf Booten über das Meer nach Italien oder Malta gebracht. Eine andere Route führt nach Spanien. Im Verlauf dieser Reise über Land werden die Frauen von einem "Verbindungshaus" (auch als "Ghetto" bezeichnet) zum nächsten entlang der Route befördert, dort eingesperrt und in Dörfern und Städten entlang der Route regelmäßig sexuell ausgebeutet (EASO, Sexhandel).
Staatlicher Schutz
Die Gesetzgebung in Bezug auf Menschenhandel hat sich in Nigeria stark verbessert (Quelle: US DoS Report) und es gibt sowohl Initiativen zur Prävention wie auch einen verstärkten Fokus auf die Verfolgung der Täter. Dennoch ist die Umsetzung in einigen Landesteilen mangelhaft; eine effektive Umsetzung der Gesetze wird durch unzureichende Ressourcen und Kompetenzkonflikte zwischen Zentral- und Bundesstaaten behindert (Quelle: EASO, Country Guidance). Der besonders betroffene Bundesstaat Edo State hat 2018 ein Gesetz gegen den Menschenhandel verabschiedet, das höhere Strafen für Schleuser vorsieht (Quelle: Auswärtiges Amt). Der Gouverneur des Edo State hat zudem eine "Edo State Task Force" ins Leben gerufen, um den Menschenhandel nach Europa zu bekämpfen (Quelle: US DoS Report).
Gefahren für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria
Die wenigsten Opfer von Menschenhandel kehren freiwillig nach Nigeria zurück, obwohl ihnen dies die Möglichkeit bieten würde, sich für ein Programm der unterstützten freiwilligen Rückkehr von IOM zu entscheiden. Die meisten abgeschobenen Frauen werden daher bei ihrer Rückkehr von den Behörden nicht als Opfer von Menschenhandel identifiziert (EASO, Sexhandel).
Dennoch kann auch für Nigeria nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Dies ist abhängig von der individuellen Situation (UK Home Office). Zu berücksichtigen sind die Höhe der noch offenen "Schulden", ob das Opfer gegen die Täter ausgesagt hat, die Kenntnisse der Täter über die Familie des Opfers, Alter, Familienstand, finanzielle Mittel, soziales Netzwerk, die Involvierung der Familie in den
Menschenhandel, ... (Quelle: EASO, Country Guidance)
Manche Opfer von Menschenhandel fürchten eine Vergeltung durch die Menschenhändler oder "Madams", insbesondere wenn es noch offene "Schulden" gibt. Die Gefahr einer möglichen Vergeltung liegt eher in einem "Re-Trafficking" denn in körperlicher Gewalt. Allerdings gibt es auch vereinzelte Beispiele von Entführungen, körperlicher Gewalt, Einschüchterung, Brandlegung oder der Tötung von Familienmitgliedern. Einige Opfer von Menschenhandel weigern sich auch, gegen die Täter auszusagen aus Angst vor Rache. Viele Opfer von Menschenhandel finden sich in einer Menschenhandelssituation wieder; einige aus eigenem Willen, andere werden durch Menschenhändler dazu gezwungen oder durch ihre Familie dazu gedrängt (Quelle: EASO, Country Guidance).
Das Risiko für ein Re-Trafficking steigt insbesondere, wenn die "Schulden" noch nicht bezahlt sind oder die Frauen ohne Vermögen nach Nigeria zurückkehren. Die Mitglieder der Volksgruppe Edo akzeptieren Prostitution generell nicht; wenn Frauen mit einem gewissen Wohlstand aus Europa zurückkehren, müssen sie dennoch nicht verbergen, woher das Geld stammt (Quelle: EASO, Sexhandel). Die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung ist dagegen besonders hoch, wenn die Frauen oder Mädchen ohne Erspartes oder mit gesundheitlichen Problemen zurückkehren. (Quelle: EASO, Country Guidance)
Manche, aber nicht alle Frauen bekommen im Fall einer erzwungenen Rückkehr bei offenen "Schulden" Probleme mit den Menschenhändlern. NAPTIP (siehe unten) kann sie dabei unterstützen, rechtlich gegen die Menschenhändler vorzugehen, doch hängt dies von der Bereitschaft der Opfer zur Aussage bei der Polizei ab.
In den großen Städten des Südens ist es für alleinstehende Frauen einfacher sich eine Existenz aufzubauen als im Norden. Frauen mit einer höheren Bildung haben bessere Voraussetzungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
NAPTIP und NGOs
Die National Agency for Prohibiton of Trafficking in Persons (NAPTIP) ist die zentrale staatliche Agentur im Kampf gegen Menschenhandel. In den letzten Jahren wurden die Ressourcen stark erhöht, doch sind die Mittel noch immer nicht ausreichend (Quelle: US DoS Report). Aktuell sind mehr als 1000 Mitarbeiter bei NAPTIP beschäftigt (UK Home Office). NAPTIP hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht (Quelle: Auswärtiges Amt; Stand 11.09.2018) sowie nach eigenen Angaben seit 2012 bis heute 13.007 Opfern von Menschenhandel assistiert (Quelle: Auswärtiges Amt). Anderen Berichten zufolge wurde 5000 Opfern von Menschenhandel durch NAPTIP geholfen (Quelle: EASO, Actors).
NAPTIP bietet auch Unterstützung für Opfer von Menschenhandel an.; dies reicht von Schutzzentren, Beratung, Zugang zum Rechtssystem bis zur Unterstützung bei der Reintegration (Quelle: EASO, Actors). Neben dem Hauptquartier in Abuja gibt es neun Zentren, die das gesamte Staatsgebiet abdecken sollen: Lagos, Benin, Enugu, Uyo, Sokoto, Kano, Maiduguri, Osogbo and Makurdi. In all diesen Zentren gibt es "transit shelters", in welchen 315 Opfer von Menschenhandel bis zu sechs Wochen untergebracht und medizinisch und psychologisch betreut werden (Quelle: US DoS Report). Daneben bekommen die Opfer von Menschenhandel auch berufliche Ausbildungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Auch wenn NAPTIP sich nur um Opfer von Menschenhandel kümmern sollte, werden auch immer andere Verbrechensopfer an die Behörde verwiesen, was die Kapazitäten verringert (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
Sollte eine längere Betreuung notwendig sein, werden die Mädchen und Frauen an NGOs vermittelt (2017 war das etwa bei 302 Opfern der Fall - Quelle: US DoS Report). So führt etwa das Frauenministerium zwei Schutzzentren, welche Opfer von Menschenhandel von NAPTIP zugewiesen bekommen; daneben gibt es in Bakhita Village, Lagos (The African Network Against Human Trafficking - ANAHT), in Benin City (The Nigerian Conference of Women Religious), in Abuja (The Women Trafficking and Child Labour Eradication Foundation - WOTCLEF) und in Jos, Plateau State (Grace Gardens) Schutzzentren (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Es gibt einige NGO¿s, die im Kampf gegen Menschenhandel aktiv sind; diese sind in der Dachorganisation "Network of Civil Society Organization Against Child Trafficking, Abuse and Labour" (NACTAL) vereint (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
Quellen:
"EASO Country Guidance" - European Asylum Support Office: Country
Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, Februar 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
"Auswärtiges Amt" (Deutschland): AA-Bericht Nigeria, 10. Dezember 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1456143/4598_1547113065_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-bundesrepublik-nigeria-stand-oktober-2018-10-12-2018.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
"EASO, Actors" - European Asylum Support Office: Nigeria; Actors of Protection, November 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001364/2018_EASO_COI_Nigeria_ActorsofProtection.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
"US DoS Report" - US Department of State, Trafficking in Persons Report 2018, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/2018/ (Zugriff am 02.04.2019).
"UK Home Office" - United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note - Nigeria: Trafficking of women, November 2016, https://www.refworld.org/docid/5833112f4.html (Zugriff am 02.04.2019).
"EASO, Sexhandel" - European Asylum Support Office: Nigeria:
Sexhandel mit Frauen, Oktober 2015.
"EASO, KeySocioEconomic" - European Asylum Support Office: Nigeria; Key socio-economic indicators, November 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001365/2018_EASO_COI_Nigeria_KeySocioEconomic.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
"EASO, Targeting" - European Asylum Support Office: Nigeria; Targeting of individuals, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
2. Beweiswürdigung:
Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. Gesundheitliche Einschränkungen wurden nicht vorgebracht.
Die Beschwerdeführerin hatte in der Erstbefragung zunächst eine Verfolgung durch Boko Haram als Fluchtgrund angegeben, doch stellte sich im weiteren Verlauf des Verfahrens heraus, dass diese Aussage im Auftrag der Menschenhändler erfolgte. In den weiteren Einvernahmen (Einvernahme durch das BFA am 06.03.2018, Zeugenvernehmung durch die LPD am 13.04.2017 und am 24.04.3017) und den Stellungnahmen (vom 14.12.2017 und vom 19.03.2018) schilderte die Beschwerdeführerin gleichbleibend, detailreich und plausibel, wie sie zum Opfer von Menschenhandel zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung wurde. Das BFA stellte in dem angefochtenen Bescheid ebenfalls fest, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel war. Zu den Gründen für das Verlassen Nigerias wurde ausgeführt:
"Glaubwürdigerweise haben Sie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl behauptet, dass Sie Ihr Heimatland Nigeria wegen wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, um einer Arbeit in Europa nachzugehen. Sie wussten nicht, dass Sie als Prostituierte arbeiten mussten." Die Beschwerdeführerin sei zwar Opfer von Menschenhandel, doch habe sie lediglich Bedrohungen geschildert, die im Zuge ihrer Ausreise entstanden seien; sie habe keine konkrete Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Nigeria vorgebracht, sondern nur gemeint, dass sie in Gefahr sei.
Dem ist entgegenzuhalten, dass in der Stellungnahme vom 14.12.2017 darauf verwiesen wurde, dass die Beschwerdeführerin durch die Kooperation mit der Polizei Gefahr laufe, in Nigeria Opfer von Vergeltungsmaßnahmen zu werden. In der Einvernahme durch die Polizei am 24.04.2017 erklärte die Beschwerdeführerin, Angst vor der "Sister" zu haben und dass sie von der "Sister" bedroht worden sei. Diese habe ihr gesagt, dass ihre Familie die Familie der Beschwerdeführerin in Nigeria umbringen und dann auch die Beschwerdeführerin selbst umbringen werde, falls die "Sister" ins Gefängnis kommen würde. Sonst würde sie selbst die Beschwerdeführerin nach ihrer Entlassung umbringen. Sie habe die Beschwerdeführerin wiederholt bedroht. In der Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2018 meinte die Beschwerdeführerin, dass sie, nachdem sie bei der Polizei ausgesagt habe, wiederholt von verschiedenen Personen telefonisch bedroht worden sei; man habe ihr gedroht sie umzubringen oder ihr in Nigeria die Beine abzuschneiden.
Das BFA erklärte im angefochtenen Bescheid, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin als wahr erachtet wird; es ist daher widersprüchlich, wenn andererseits auf die von der Beschwerdeführerin geschilderten Bedrohungen nicht eingegangen wird.
Die Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerin erfüllt viele der typischen Kriterien eines Falles von Frauenhandel. Sie lebte in Benin City und hat keinen wirklichen familiären Rückhalt bzw. wurde sie von ihrer Mutter im Stich gelassen, als sie als 15jährige Opfer einer Vergewaltigung wurde. Sie wurde mit dem Versprechen auf einen Schulbesuch getäuscht und war zudem zum Zeitpunkt der Anwerbung und der Ankunft in Österreich minderjährig.
Prostitution wird in Nigeria moralisch nicht akzeptiert, wobei die heimkehrenden Frauen insbesondere dann mit Ablehnung und sozialer Stigmatisierung zu rechnen haben, wenn sie in ihr Heimatland abgeschoben werden und keine finanziellen Mittel vorweisen können. Die Unterstützung durch NGO¿s oder NAPTIP kann soziale Netze nicht ersetzen, auch sind die meisten Maßnahmen nur kurzfristig bemessen; so dauert der Aufenthalt in einem Schutzhaus von NAPTIP in der Regel sechs Wochen. Auf der anderen Seite sind Frauen, die in einer NAPTIP-Unterkunft leben, stigmatisiert, weil jeder davon ausgeht, dass sie im Ausland als Prostituierte gearbeitet haben. Daher schicken die NAPTIP-Mitarbeiter sie so bald wie möglich zu ihren Familien oder in Unterkünfte in anderen Gebieten Nigerias (Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu "Nigeria: Sexhandel mit Frauen"; abrufbar unter https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457689242_bz0415678den.pdf). Für manche Frauen besteht die einzige Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt nach Ablauf der Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen zu verdienen, in der Prostitution.
Es ist aber nicht allen Frauen, die Opfer des Frauenhandels wurden, automatisch der Status eines Flüchtlings zuzuerkennen. Zur Frage, ob in Menschenhandelsfällen aus Art. 4 EMRK ein Refoulement-Verbot abzuleiten sei, hat sich der EGMR im Jahr 2011 erstmals geäußert. Im Verfahren einer nigerianischen Zwangsprostituierten, welche Frankreich nach Abweisung ihres Asylgesuchs ausweisen wollte, erwog der Gerichtshof, dass sich aufgrund des absoluten Charakters von Art. 4 EMRK grundsätzlich eine Verpflichtung Frankreichs ergeben kann, eine erneute Rekrutierung der Beschwerdeführerin in ein Prostitutionsnetzwerk in Nigeria zu verhindern. Die Pflicht, gestützt auf Art. 4 EMRK von einer Ausweisung abzusehen, besteht im konkreten Fall jedoch nur, wenn gegenüber den Behörden ein unmittelbares Risiko ("risque imminent") einer erneuten Rekrutierung oder von Vergeltungsmaßnahmen glaubhaft gemacht wird (vgl. Entscheidung des EGMR, V.F. gegen Frankreich vom 29.11.2011, 7196/10).
Wie oben zu entnehmen ist, bieten die verschiedenen Institutionen in Nigeria, insbesondere NAPTIP, Opfern von Frauenhandel bei ihrer Rückkehr Unterstützung. Diese ist allerdings quantitativ und auch zeitlich befristet. Die Frauen werden möglichst bald zu ihren Familien zurückgeschickt. Nun hat die Beschwerdeführerin keinen Familienverband, der sie nachhaltig unterstützen könnte; vielmehr wurde sie bereits in der Vergangenheit von ihrer Mutter im Stich gelassen.
Als ein besonderes Risiko für ein Re-Trafficking von Rückkehrerinnen nennt der EGMR die fehlende Unterstützung, ja Ablehnung durch ihre Familien (vgl. Entscheidung des EGMR V.F. gegen Frankreich vom 29.11.201, 7196/10; bestätigt wird dies auch den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu "Nigeria:
Sexhandel mit Frauen", insbes. S. 36 ff.; Finnish Immigration Service, Country Information Service, Public theme report: Human Trafficking of Nigerian Women to Europe, 24. März 2015 insbes. S. 24 ff., beide mit Hinweisen auf aktuelle Studien aus diversen europäischen Staaten). Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa zurückkehren, werden von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen. NGOs können soziale Beziehungsnetze nicht ersetzen und die Frauen - wenn überhaupt - nur für kurze Zeit begleiten und unterstützen, so dass diesen häufig nur die Prostitution bleibt, um überleben zu können (vgl. dazu Urteil des Schweizer Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2016, D-6806/2013, S. 38; abrufbar unter http://www.ksmm.admin.ch/dam/data/ksmm/dokumentation/informationen/urteil-bvger-2016-07-18-d.pdf).
Die Beschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre Unterstützung zu erwarten; sie wurde bereits als Minderjährige Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hat, da sie gegen Menschenhändler aussagte und auch ihre Schulden nicht bezahlt hatte, oder dass sie erneut in die Hände von Menschenhändlern gerät, da sie keine andere Möglichkeit hat, ihre grundlegenden Bedürfnisse abzusichern. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auch nicht gegeben, da ihr diese aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität (keine soliden familiären Bindungen, keine abgeschlossene Berufsausbildung, Minderjährigkeit bei der Verbringung nach Europa) nicht zumutbar ist.
Zu den zur Feststellung zur Situation des Menschenhandels in Nigeria ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage zu machen. Insbesondere wurden die Berichte des European Asylum Support Office berücksichtigt, welche in Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) explizit erwähnt werden, wenn es um die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einholung genauer und aktueller Informationen über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller geht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zum Status des Asylberechtigten
Unter "Menschenhandel" ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU "die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung" zu verstehen.
Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.
Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, dass es sich bei ihr um ein Opfer von Frauenhandel handelt und wurde dies auch nicht vom BFA angezweifelt. Die Beschwerdeführerin wurde das Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung.
In der rechtlichen Würdigung des angefochtenen Bescheides wurde argumentiert: "Sie gaben an, dass Sie Ihr Heimatland aufgrund der wirtschaftlichen Situation verlassen hätten. Die wirtschaftliche Lage rechtfertigt keinen Asylgrund i. S. d. GFK. Zudem entschlossen Sie sich freiwillig, ihr Heimatland zu verlassen. Auch wurden Sie im Zuge Ihrer freiwilligen Ausreise Opfer eines Menschenhandelsrings. Folge dessen wurden Sie in Österreich zur Prostitution gezwungen. Dieser Sachverhalt rechtfertigt keinen Asylstatus, da dieser die Kriterien zur Asylgewährung i.S. d. GFK nicht erfüllt."
Im gegenständlichen Fall wurde die Beschwerdeführerin erstens getäuscht (da ihr ein Schulbesuch in Europa versprochen wurde), zweitens genötigt (da ihr erstens in Nigeria bei der Ablegung des Juju-Schwurs gedroht wurde und sie dann zweitens in Österreich von einer "Sister" genannten Frau und anderen Personen bedroht wurde) und war sie drittens minderjährig, als sie nach Österreich verbracht wurde. Die im angefochtenen Bescheid behauptete "Freiwilligkeit" liegt daher nicht vor und ist es zu kurz gegriffen, nur die Asylrelevanz jener Gründe, welche die Beschwerdeführerin veranlasst haben mögen, sich in die Hände der Menschenhändler zu begeben, zu prüfen.
Denn dabei übersieht das BFA, dass Opfer von Menschenhandel Flüchtlinge im Sinne von Art 1 A (2) der GFK sein können. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn sie alle der dort genannten Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft erfüllen (UNHCR-Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel; vgl. auch EGMR, Statement of Facts - 49113/09, L.R. gegen Vereinigtes Königreich).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Die Beschwerdeführerin ist Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe, der in Nigeria Verfolgung droht. Mitglieder dieser Gruppe sind nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben. Es handelt sich um eine klar definierbare, nach außen wahrnehmbare und von der Gesellschaft wahrgenommene und ausgegrenzte Gruppe (vgl. dazu VG Stuttgart, 16.05.2014, GZ: A 7 K1405/12 oder auch Asylgerichtshof, 14.05.2009, GZ: C15 263.728-0/2008).
Im Falle der Beschwerdeführerin besteht ein erhöhtes Risiko eines Re-Traffickings für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria. Sie kommt, wie erwähnt, aus einem sozial schwachen Umfeld; insbesondere ist aber zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin bereits als Minderjährige außer Landes gebracht und zur Prostitution gezwungen wurde. Aus diesem Grund besteht die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin für den Fall ihrer Rückkehr nach Nigeria wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen, die Opfer von systematisch organisierten Frauenhandel sind, bzw. wegen ihres Geschlechts verfolgt wird. Auch ihre Abwendung vom Menschenhändlerring und ihre Kooperation mit der Polizei erhöhen die Gefahr, dass sie in Nigeria entweder Opfer einer Vergeltungsmaßnahme wird oder erneut zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung an einen anderen Ort verbracht wird. Eine Unterstützung durch ihre Familie kann sie nicht erwarten; auch verfügt sie nicht über ausreichende Qualifikationen, um sich selbst eine Existenz zu sichern.
Wenn die Beschwerdeführerin an ihren Herkunftsort zurückkehren würde, müsste sie Verfolgungshandlungen durch das Menschenhandelsnetzwerk fürchten bzw. befürchten, dass sie aufgrund einer existentiellen Notlage keine andere Möglichkeit hat, als sich wieder in die Hände von Menschenhändlern zu begeben. Im Fall der Beschwerdeführerin liegt daher ein Fluchtgrund vor und ist auch davon auszugehen, dass sie wohlbegründete Furcht haben muss, im Falle einer Rückkehr wieder in eine Situation zu geraten, in der sie zur Prostitution gezwungen wird.
Bei dieser Verfolgung handelt es sich allerdings um eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende, welche nur dann, wenn der nigerianische Staat die Beschwerdeführerin nicht zu schützen vermögen würde, asylrelevant ist. Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht davon aus, dass der nigerianische Staat nicht in der Lage ist, der Beschwerdeführerin ausreichenden Schutz vor dieser durch Privatpersonen drohenden Verfolgung zu bieten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, entscheidend, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH, 28.10.2009, Zl. 2006/01/0793 sowie 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).
Eine Schutzwilligkeit des nigerianischen Staates ist durchaus anzunehmen. Bereits 2003 wurden in Nigeria alle Formen des Menschenhandels verboten und die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP) etabliert. Es stellt sich allerdings die Frage der Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates; diesbezüglich ist den oben wiedergegebenen Berichten zu entnehmen, dass die Ressourcen von NAPTIP eingeschränkt sind und nicht alle Opfer von Menschenhandel eine umfassende und nachhaltige Betreuung erhalten können. Bei der Beschwerdeführerin kommt erschwerend hinzu, dass sie von ihrer Mutter keine Unterstützung erwarten kann, dass sie bereits als Minderjährige in Nigeria Opfer sexueller Gewalt wurde und dann, ebenfalls noch als Minderjährige, in Österreich zur Prostitution gezwungen wurde, dass es ihr bereits in Nigeria kaum möglich war, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, dass sie über keine Berufsausbildung und -erfahrung verfügt, dass sie ihre "Schulden" bei den Menschenhändlern nicht bezahlt hat und umfassend gegen diese ausgesagt hat. Insgesamt erhöht sich durch diese Faktoren das Gefährdungspotential für die Beschwerdeführerin und ist anzunehmen, dass sie in Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verfolgungshandlung (sei es in Form einer Vergeltung durch den Menschenhändlerring oder einer Stigmatisierung, die dazu führt, dass ihr keine andere Wahl bleibt, als sich wieder in die Zwänge sexueller Ausbeutung zu begeben) zu rechnen hätte.
Von einer Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates kann daher nicht ausgegangen werden; diesbezüglich ist auch auf das Faktum zu verweisen, dass die Verschleppung zwecks Zuführung zur Prostitution in Nigeria keinesfalls als Einzelschicksal gesehen werden kann (vgl. dazu VwGH, 23.02.2011, Zl. 2011/23/0064).
Doch auch dies bedeutet noch nicht automatisch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für alle vom Menschenhandel betroffenen nigerianischen Frauen. So hat der EGMR in der Vergangenheit Beschwerden zurückgewiesen, mit denen nigerianische Frauen gegen eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria vorgehen wollten, indem sie auf die Gefahr einer Zwangsprostitution in Nigeria verwiesen (vgl. EGMR, V.F vs. France, 7196/10; 29.11.2011 oder auch EGMR, Idemugia
v. France, 27.03.2012). Der EGMR erkannte gewisse Fortschritte in der Bekämpfung des Menschenhandels durch die nigerianischen Behörden an und ging vor allem von einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.
Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur).
Es würde sich daher im konkreten Fall die Frage stellen, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt und ob diese der Beschwerdeführerin zumutbar wäre. Dies ist allerdings aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausgeschlossen: Die Beschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre oder soziale Unterstützung zu erwarten; sie wurde bereits als Minderjährige Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution und hat keine Berufsausbildung/-erfahrung. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht in der Lage wäre, für sich zu sorgen und sich ein Existenzminimum zu sichern. Eine Ansiedelung fernab von ihrem Familienverband wäre ihr daher nicht zumutbar; eine Ansiedelung in ihrem Familienverband würde allerdings auch keinen Schutz bedeuten, wie die Vergangenheit gezeigt hat.
Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Menschenhandel bedrohten Frauen, außerhalb Nigerias befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.
Der Beschwerdeführerin war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Beschwerdeführerin stellte ihren Antrag auf internationalen Schutz am 30.01.2016 und damit nach dem 15.11.2015, wodurch § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") Anwendung findet.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Im Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, hat sich der VwGH mit der Verhandlungspflicht des Bundesverwaltungsgerichts auseinandergesetzt und im Wesentlichen folgende Kriterien entwickelt:
• Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen.
• Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen.
• In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Die vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Kriterien sind im vorliegenden Fall erfüllt: Das BFA hat im vorliegenden Verfahren den Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Verfahren erhoben. Dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel ist, wurde auch vom BFA festgestellt. Zu prüfen war nur mehr die Asylrelevanz dieses festgestellten Sachverhaltes, wobei das Bundesverwaltungsgericht in diesem Punkt zu einem anderen Ergebnis gelangt als das BFA. Im Übrigen wurde vom BFA die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch nicht beantragt.
In Ansehung der §§ 21 Abs. 7 BFA-VG und § 24 VwGVG konnte daher eine mündliche Verhandlung im konkreten Fall entfallen.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2207246.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.06.2019