Entscheidungsdatum
15.04.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W136 2172743-1/5E
W136 2172748-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerden
1.) des XXXX , geb. XXXX , und 2.) des mj. XXXX , geb. XXXX , beide StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 28.08.2017, Zl. 1093752510-151693915 und 1093753006-151694780 zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beiden damals minderjährigen Beschwerdeführer (bzw. ihre Eltern) stellte am 03.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
Am folgenden Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers statt. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen hat, berichtete er im Wesentlichen von der Entführung seines Vaters durch rund 30 bis 40 ISIS-Kämpfer im Sommer XXXX . Nachdem sich der Vater befreien habe können und unversehrt zurückgekehrt sei, hätten sie sich noch ungefähr sechs Monate in ihrem stark umkämpften Dorf (in) Daraa aufgehalten. Da sich die Situation aber fortwährend verschlechtert habe, habe sich sein Vater entschieden, mit der Familie zu flüchten. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst, zur Assad-Armee einberufen bzw. im Zuge eines Bombenangriffes getötet zu werden. Ferner habe er Angst um seine Familie.
Am 02.08.2017 bzw. am 02.11.2016 (der Zweitbeschwerdeführer) wurden der Erst- und der minderjährige Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und in Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters (der Zweitbeschwerdeführer) niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend vor, dass er wegen der Probleme seines Vaters aus Syrien ausgereist sei. Außerdem sei sein Leben in Gefahr gewesen, da ihn eine der Gruppierungen in der Heimat mit seinen XXXX Jahren jederzeit zum Kämpfen mitnehmen hätte können. Fürs syrische Militär sei er noch zu jung gewesen. Befragt, verneinte er konkrete Rekrutierungsversuche.
Der Zweitbeschwerdeführer gab zu seinen Ausreisegründen im Wesentlichen an, dass er sich auf die Fluchtgründe seines Vaters beziehen würde. Dies wird auch vom gesetzlichen Vertreter bestätigt. Befragt, erklärte er, dass ihm in Syrien persönlich nichts passiert sei.
Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 28.08.2017, dem Erstbeschwerdeführer bzw. dem gesetzlichen Vertreter des Zweitbeschwerdeführers am 31.08.2017 persönlich zugestellt, wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), wurde den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.08.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführer fest und begründete in den angefochtenen Bescheiden die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Ängste des Erstbeschwerdeführers nur abstrakte Befürchtungen ohne konkrete Grundlage darstellen würden, da es seinen Angaben bei der Einvernahme zufolge keine konkreten Versuche irgendeiner in Syrien vertretenen Gruppierung gegeben habe, seiner Person habhaft zu werden oder ihn zum Kämpfen zu motivieren oder gar zu zwingen. Außerdem hätten syrische Regierungstruppen den Angaben seines Vaters zufolge die anderen Gruppierungen aus seinem Dorf vertrieben, sodass eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für eine Rekrutierung durch Nicht-Regierungsgruppierungen zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht bestanden habe. Eine Rekrutierung durch die syrischen Behörden habe er aufgrund seines damaligen Alters selbst ausgeschlossen. Eine Einziehung zum Wehrdienst bei einer Rückkehr sei zwar theoretisch möglich, da er sich mittlerweile im kampffähigen Alter befinden würde, es würde aber keine konkreten Hinweise dafür geben, zumal er von einem Einberufungsbefehl auch keine Erwähnung gemacht habe. Da eine Rückkehr bei der derzeitigen Bürgerkriegslage aber nicht in Betracht kommen würde (Zuerkennung von subsidiären Schutz), würde auch keine Gefahr bestehen, dass er zum Militärdienst in Syrien eingezogen würde und dort Menschen- und Völkerrechtswidrige Handlungen vornehmen müsste. Weiters würde er als arabischer Sunnit zur Mehrheitsbevölkerung gehören und habe sich auch nie politisch betätigt, sodass eine Schlechterstellung beim Wehrdienst auch deshalb nicht zu erwarten sei. Schließlich habe er sich dem Wehrdienst auch nicht entzogen, da er im Zeitpunkt seiner Ausreise noch nicht im wehrpflichtigen Alter gewesen sei. Die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe hätten sich somit nicht als asylrelevant dargestellt.
Zum Zweitbeschwerdeführer wird ausgeführt, dass er keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich ausschließlich auf die Gründe seines Vaters bezogen habe.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 29.08.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen Spruchpunkt I. der oben genannten Bescheide wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 25.09.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde nach einer Wiederholung des bisherigen Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vater der beiden Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien eine Einziehung als Reservist, der Erstbeschwerdeführer eine Ableistung seines Wehrdienstes und der Zweitbeschwerdeführer die Teilnahme an Kampfhandlungen gegen ihren Willen befürchten würden. Weiters wären sie auch gefährdet, von Milizen, Oppositionsgruppen und terroristischen Vereinigungen zwangsrekrutiert zu werden. Und ihre Mutter und ihre Schwester wären gefährdet als Familienangehörige von Deserteuren verhaftet zu werden bzw. müssten aufgrund ihrer Verwestlichung eine Verfolgung durch fundamentalistische Gruppierungen befürchten. Von Auszügen internationaler Länderberichte untermauert wird ferner zusammenfassend ausgeführt, dass die belangte Behörde letztlich nicht ermittelt habe, unter wessen Kontrolle das Herkunftsdorf der Beschwerdeführer gestanden habe, ob die beiden Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nicht ebenfalls von Zwangsrekrutierung oder einer anderen asylrelevanten Verfolgung betroffen gewesen wären bzw. welche Auswirkungen eine Desertion auf die anderen Familienangehörigen hätte und ob die Mutter und die Schwester der Beschwerdeführer einen westlichen Lebensstil angenommen haben und ob es ihnen zumutbar wäre, diesen wieder abzulegen. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde für die beiden Beschwerdeführer und ihre Familienmitglieder daher eine asylrelevante Verfolgungsgefahr bestehen, da ihr Vater seinen Reservemilitärdienst und die beiden Beschwerdeführer ihren Wehrdienst nicht ableisten wollen, wodurch ihnen bei einer Verweigerung von völkerrechtswidrigen Handlungen u. a. Folter und Haft drohen bzw. eine nachteilige politische Gesinnung unterstellt werden würde und sie letztlich als Gegner des syrischen Regimes qualifiziert würden. Ihre Mutter und ihre Schwester seien aufgrund ihrer westlichen Gesinnung ebenfalls von asylrelevanter Verfolgung betroffen. Es wäre ihnen daher Asyl zu gewähren gewesen.
Die gegenständliche (gemeinsame) Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 09.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz jeweils vom 03.11.2015, der Einvernahmen der Beschwerdeführer und ihrer Eltern durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der (gemeinsamen) Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehöriger von Syrien und Angehörige der Volksgruppe der Araber. Sie bekennen sich zum sunnitischen Islam.
Die beiden Beschwerdeführer haben Syrien vermutlich bereits Anfang XXXX legal vom Flughafen Damaskus aus verlassen und sind mit ihrer Familie nach Kairo (Ägypten) geflogen, wo sie sich rund zweieinhalb Jahren aufgehalten haben. Anfang Oktober 2015 sind sie zunächst nach Istanbul (Türkei) und in der Folge nach Izmir geflogen. Anschließend sind sie schlepperunterstützt mit einem Schlauchboot auf eine griechische Insel gelangt und danach mit einer Fähre nach Athen weitergereist. Schließlich sind sie über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien illegal nach Österreich eingereist, wo sie am 03.11.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben.
Festgestellt wird zunächst, dass es den Länderberichten zufolge an der syrischen Grenze zu einer Befragung von erfolglosen Asylwerbern kommt, wobei die Rückkehrer im Rahmen dieser "Sicherheitsprüfung" über Gründe ihrer (illegalen) Ausreise, über den Aufenthaltszweck und u.U. auch nach politischen Aktivitäten im Ausland gefragt werden. Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, sind dem Risiko einer längeren Haft und Folter ausgesetzt. Aufgrund der besonderen Situation in Syrien ist die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als "oppositionell" betrachtet zu werden, relativ niedrig.
Es ist daher schon aufgrund ihres mehrjährigen Auslandsaufenthalts, insbesondere während eines staatlichen Ausnahmezustandes, zusammen mit ihrer Asylantragstellung im Ausland davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr in ihre Heimat das Interesse der syrischen Behörden auf sich ziehen und damit in deren Blickfeld geraten würden, wodurch ihnen bereits aus diesem Grund von den syrischen Staatsorganen besondere Aufmerksamkeit gewidmet und u. U. schon deshalb eine regimekritische Haltung unterstellt werden bzw. eine entsprechende Verfolgung drohen könnte.
Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Der Erstbeschwerdeführer war im Ausreisezeitpunkt für den Wehrdienst in Syrien noch zu jung, mittlerweile befindet er sich jedoch im wehrpflichtigen Alter und müsste in seiner Heimat daher den Wehrdienst ableisten. Auch der Zweitbeschwerdeführer ist ein im Entscheidungszeitpunkt beinahe 18-jähriger syrischer Staatsangehöriger. Er wäre nach Erreichen des 18. Lebensjahres - also im Falle einer Rückkehr nach Syrien in naher Zukunft - daher ebenso wehrdienstpflichtig. Beide müssten in Syrien folglich damit rechnen, zum Dienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden, wo sie der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Es kommt bei der Vollziehung des Wehrgesetzes nämlich aktuell zu einem bestimmten Maß an Willkür, wobei es vor allem auch beim Alter der Betroffenen keine Klarheit mehr gibt. Zu berücksichtigen ist im konkreten Fall vor allem auch, dass sie ihre Heimat bereits Anfang XXXX , also zu einem Zeitpunkt verlassen haben, als der Bedarf an wehrfähigen Männern noch nicht so akut war, wie er sich aktuell darstellt.
Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten werden neuerdings auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Dabei kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes auch zu einem bestimmten Maß an Willkür. Wie sich aus den aktuellen Länderberichten nämlich eindeutig ergibt, kann beim gegenwärtigen Stand des Krieges in Syrien auf eine Ausnahme vom oder einen Aufschub des Militärdienstes nicht mehr vertraut werden. Es ist daher - vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme des syrischen Militärs mit dem Nachschub junger Rekruten - mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die beiden Beschwerdeführer auch keinen (weiteren) Aufschub bzw. keine Ausnahmebewilligung bekommen würden und bei einer allfälligen Rückkehr in ihre Heimat in absehbarer Zeit der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes nachkommen müssen. Sie lehnen beiden den Militärdienst jedoch ab.
Den beiden Beschwerdeführern droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr daher in weiterer Folge die reale Gefahr, als Männer im wehrfähigen Alter zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und sie sind im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.
Festgestellt wird weiters, dass der bewaffnete Konflikt zunehmend konfessionell wird und sunnitische Zivilisten aktuell das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen sind. Die Beschwerdeführer gehören der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen ist daher ebenfalls nicht völlig auszuschließen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Bürgerkriegssituation in Syrien ist jedoch auch nicht damit zu rechnen, dass der syrische Staat - sollte von ihm selbst keine Verfolgungshandlung ausgehen - seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend schützen kann. Die Beschwerdeführer wären allfälligen Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen von den anderen Kriegsparteien somit schutzlos ausgeliefert.
Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet. Bei Männern im wehrfähigen Alter wird überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Weiters besteht für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein (UK Home 8.2016). Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise nämlich besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird.
Die beiden Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 24.8.2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:
Politische Lage
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)
Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).
Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).
Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).
Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).
Folter und unmenschliche Behandlung
Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit (HRW 12.1.2017). Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren (UNHRC 11.8.2016). Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken (AI 17.8.2016). Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt (USDOS 3.3.2017). Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter (UNHRC 11.8.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. AI 22.2.2017). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert. Die Toten werden häufig in Massengräbern begraben oder verbrannt und nur selten ihren Verwandten überstellt (Economist 20.12.2017). Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (USDOS 3.3.2017).
Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen (FH 1.2017). Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel (USDOS 3.3.2017). Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen (USDOS 3.3.2017).
Anm.: Weitere Informationen: siehe Abschnitt "9.Allgemeine Menschenrechtslage".
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).
Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017). [Informationen zu Palästinensern finden sich auch unter Abschnitt "15.1. Palästinensische Flüchtlinge"]
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).
Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).
Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).
Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)
Zusatzinformationen zum Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).
Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).
Befreiung und Aufschub
Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat (BFA 8.2017).
Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).
Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht (BFA 8.2017).
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 15.8.2017). Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein (BFA 8.2017; vgl. UNHCR 3.11.2017). Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden (Syria Direct 7.12.2017). Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten (BFA 8.2017).
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden (BFA 8.2017). Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.2.2015).
Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).
In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2017). Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).
Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen (BFA 8.2017).
Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017).
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist (BFA 8.2017).
Rückkehr
Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon sind Binnenvertriebene gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück. Rückkehrer aus der Türkei und Jordanien kehrten hauptsächlich in die Provinzen Aleppo und Hassakah zurück (IOM 11.8.2017). Am Beginn des Jahres kam es zur Rückkehr von etwa 150.000 Personen (Zeitraum Januar-April 2017) nach Ost-Aleppo, wobei die Dauerhaftigkeit dieser Rückkehr fragwürdig ist, da die Zahl der beschädigten Unterkünfte in Ost-Aleppo sehr hoch ist (IDMC 2017).
Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes (UNHCR 30.6.2017 und IOM 11.8.2017). Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein (Die Presse 14.8.2017, vgl. IOM 11.8.2017).
Das Konzept von Binnenvertriebenen ist jedoch viel weiter gefasst, als jenes von Flüchtlingen. Binnenvertriebene sind all jene, die ihr Zuhause verlassen haben und dabei sehr kurze oder auch weite Entfernungen zurückgelegt haben. Kürzere Distanzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr. Beispielsweise kehren viele IDPs aus West-Aleppo nach Ost-Aleppo zurück, oder viele IDPs aus den Vorstädten von Damaskus kehrten in die Vororte Qabun oder Qudsaya zurück, nachdem diese von der syrischen Armee wieder erobert wurden. Das hauptsächliche Hindernis bei der Rückkehr bleibt das Fehlen von Sicherheit, wobei diese Einschätzung von der geographischen Herkunft, sozioökonomischen Lage und einer potentiellen Beteiligung im Widerstand gegen das syrische Regime beeinflusst wird (WI 7.7.2017).
Geschätzte 67 Prozent der Rückkehrer (405.420 Personen) kehrten in die Provinz Aleppo zurück, 27.620 nach Idlib, 75.209 nach Hama,
45.300 nach Raqqa, 21,346 nach Damaskus-Umland und 27.861 in andere Provinzen. Berichten zufolge kehrten 97 Prozent der Vertriebenen zu ihrem eigenen Haus zurück, 1,8 Prozent leben bei Gastgebern, 1,4 Prozent in verlassenen Häusern, 0,14 Prozent in informellen Siedlungen und 0,03 Prozent in gemieteten Unterkünften. Der Zugang zu Nahrung und Haushaltsgegenständen der Rückkehrer liegt dieser Studie zufolge bei 80 und 83 Prozent, der Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung nur bei 41 und 39 Prozent, weil die Infrastruktur des Landes durch den Konflikt extrem beschädigt wurde. Im Jahr 2016 lag die Zahl der Rückkehrer bei 685,662. Von diesen Rückkehrern wurden jedoch geschätzte 20.752 im selben Jahr und 21.045 im Jahr 2017 erneut vertrieben. Während die Zahl der Rückkehrer in Syrien steigt, ist die Zahl der Vertreibungen weiterhin hoch. So wurden von Januar bis Juli 2017 geschätzte
808.661 Personen aufgrund des Konfliktes vertrieben, viele davon zum zweiten oder dritten Mal. Laut IOM war die Rückkehr von IDPs hauptsächlich spontan, aber nicht notwendigerweise freiwillig, sicher oder nachhaltig (IOM 11.8.2017).
Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen (AA 17.8.2017). Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind (UNHCR 2.2017).
Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017). Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar (IRB 19.1.2016). Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird (UK HOME 8.2016).
Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden (USDOS 3.3.2017).
In den von oppositionellen Gruppierungen wie Jabhat Fatah ash-Sham oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierten Gebieten verfügen die bewaffneten Gruppen ebenfalls über Listen von "Dissidenten". Ihnen drohen Misshandlung und Verschwindenlassen. Auch oppositionelle Gruppen kontrollieren Rückkehrende, wobei die Bekanntgabe des Wohn- und Geburtsortes wichtig ist. SyrerInnen, die aus der Türkei in oppositionelle Gebiete zurückkehren, werden befragt. Es kommt außerdem zu Entführungen und Lösegelderpressungen durch bewaffnete Gruppen (SFH 21.3.2017).
Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien (UNHCR 2.2017). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017).
Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour. Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten (Spiegel 11.9.2017). Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben (Telegraph 18.10.2017). Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und Aleppo dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei (DS 2.1.2018).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer und zu ihrem Fluchtvorbringen:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Herkunft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer und ihrer Eltern sowie auf die von ihnen im Verfahren vorgelegten Dokumente (insbesondere syrische Reisepässe). Die Identitäten wurden auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt. Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren und den Angaben ihrer Eltern im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
Die Feststellungen, dass den beiden Beschwerdeführern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung und Verhaftung durch das syrische Regime bzw. die Einziehung zum Dienst bei der syrischen Armee bzw. dabei die Pflicht zur Teilnahme an menschenrechtswidrigen Handlungen oder für ihre Weigerung eine Bestrafung droht, deren Ausmaß aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation bis zur extralegalen Tötung reichen kann, stützen sich maßgeblich auf die Länderfeststellungen. Wie sich aus diesen Berichten nämlich ergibt, kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen (Gesetz Nr. 18, aus 2014). Personen werden bei ihrer Einreise nämlich an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden. Weiters hat die syrische Regierung Schwierigkeiten neue Rekruten auszuheben und werden deshalb sogar Reservisten nochmals zum Wehrdienst eingezogen. Ferner kann es während des Militärdienstes zur zwangsweisen Mitwirkung an schweren Menschenrechtsverletzungen und bei deren Verweigerung zu einer Verhaftung und Bestrafung von asylrelevanter Intensität kommen. Zudem ist aufgrund der besonderen Situation in Syrien die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als "oppositionell" betrachtet zu werden, relativ niedrig und werden vor allem Personen einer oppositionellen Gesinnung bzw. einer Regimegegnerschaft verdächtigt, die während des staatlichen Ausnahmezustandes ihre Heimat verlassen und im Ausland einen Asylantrag gestellt haben.
Den Quellen zufolge betrachtet die syrische Regierung die Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (UNHCR 02.2017). Präsident Al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst (Interview mit Lama Fakih, Beirut, 18.05.2017). Generell werden Regelungen nun strenger durchgesetzt (Interview mit Orion Wilcox, Amman, 16.05.2017), außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden (diplomatische Quelle, Amman, 16.05.2017). Jeder Mann im Alter zwischen 17 und 42 Jahren ist verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Diese gesetzliche Altersgrenze ist jedoch reine Theorie. Es gib