TE OGH 2019/4/30 1Ob215/18a

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Veröffentlicht am 30.04.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch die Niedermayr Rechtsanwalt GmbH, Steyr, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 91.200 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2018, GZ 4 R 54/18s-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 5. März 2018, GZ 31 Cg 35/17h-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.977,45 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde mit Urteil eines Schöffengerichts vom 3. 7. 2014 wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und des sexuellen Missbrauchs nach § 207 Abs 1 StGB, sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Danach hat er insbesondere ab dem Jahr 2007 bis November 2010 mit seiner im November 1996 geborenen Stieftochter mehrmals den Beischlaf und diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, wobei eine der Taten eine schwere Körperverletzung, und zwar eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, zur Folge hatte.

Nach dem unstrittigen Inhalt des Strafakts (die Wiedergabe des Erstgerichts wurde vom Berufungsgericht und nunmehr durch den Obersten Gerichtshof ergänzt: RIS-Justiz RS0121557 [T3, T4, T5 und T9]) nahm das Strafverfahren folgenden Verlauf: Es wurde die später auch im Hauptverfahren beigezogene Sachverständige im Ermittlungsverfahren im April 2013 von der Staatsanwaltschaft (unter Angabe des Fachgebiets „Psychologie“) mit dem Auftrag bestellt, Befund und Gutachten darüber, ob eine schwere Körperverletzung in Form psychischer Beeinträchtigungen (samt Angabe der Schmerzperioden) vorliegt, und zur Frage: „Bestehen aufgrund des psychologischen Zustandes [des Opfers] Zweifel an deren Aussagefähigkeit (unter Beleuchtung allfälliger Anhaltspunkte einer Fremd- oder Autosuggestion)?“ zu erstatten. Im Mai 2013 wurde sie zudem vom Gericht (unter Angabe des Fachgebiets „Familien-, Kinder- und Jugendpsychologie“) bestellt und mit der Durchführung der kontradiktorischen Vernehmung der Stieftochter beauftragt. Der Kläger, der im Ermittlungsverfahren gegen ihre Bestellung(en) keine Einwendungen erhoben hatte, stellte erstmals (im zweiten Rechtsgang) in der Hauptverhandlung am 21. 5. 2014 (zunächst) den Antrag auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Aussagepsychologie zum Beweis dafür, dass keine Aussagefähigkeit und keine Aussagetüchtigkeit des minderjährigen mutmaßlichen Tatopfers besteht, da die von ihr vorgetragenen sexuellen Übergriffe durch den Angeklagten auf einer Fremdsuggestion beruhen, [und] dass aufgrund autosuggestiver Prozesse eine angeblich subjektiv wahre, gleichwohl jedoch falsche Aussage vorliegt, die fälschlicherweise auf den Angeklagten übertragen wurde“. Nach seiner Aussage und der Einvernahme mehrerer Zeugen beantragte er zudem in der Hauptverhandlung am 3. 7. 2014 die „Enthebung der Gerichtssachverständigen, da ihre Sachkunde im Hinblick auf die mangelnde berufliche Erfahrung und fehlende fachliche Qualifikation in Zweifel steht“, und benannte zwei Sachverständige aus dem Bereich der forensischen Psychologie. Seine Bedenken an der Fachkunde der Sachverständigen begründete er damit, dass „nach entsprechender Recherche keine Referenzen nachgewiesen werden“ hätten können. Der Senat behielt sich zu beiden Anträgen die Entscheidung vor. Die Sachverständige erstattete – ohne vorhergehenden Beschluss über diese Anträge – ihr Gutachten im Hauptverfahren, indem sie auf das von ihr bereits im Ermittlungsverfahren erstellte verwies und es um weitere Ausführungen zur Aussagefähigkeit (insbesondere zum Fehlen von Wahrnehmungsbeeinträchtigungen) und zum Fehlen von offensichtlichen Anzeichen für eine Suggestion oder eine suggestive Dynamik der Mutter im Rahmen der Befundaufnahme ergänzte. Nach Auflistung ihrer Eintragung für die Fachgebiete Familien-, Kinder und Jugendpsychologie „mit Obsorge, Besuchsrecht, Fremdunterbringung, Kindeswohl, Missbrauch, Entwicklung“ in der Gerichtssachverständigenliste und Vorhalt des vom Kläger gestellten Antrags auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Aussagepsychologie, gab sie dazu befragt, ob „die Aussagepsychologie in ihr Fachgebiet“ falle, an, diese sei ein spezieller Teilbereich, der nicht ihr Fachgebiet „umfasst“; es stellten jedoch die von ihr beurteilte Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit (dabei gehe es um grundlegende Kriterien, um sprachliche Funktionen und das intellektuelle Niveau, also darum, ob eine Person in der Lage sei, überhaupt eine Aussage zu tätigen) nur einen Teilbereich bzw eine Vorfrage der Aussagepsychologie (welche einzuschätzen habe, ob eine Aussage erlebnisbasiert sei) dar. Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit seien „auf jeden Fall“ von ihrem Fachgebiet umfasst. Zu ihrer Erfahrung verwies sie auf ihre Arbeit in einem Kinderschutzzentrum zehn Jahre vor ihrer Eintragung im Jahr 2006 und ihre intensive Tätigkeit seither. Auch im Rahmen ihrer Befragung gemäß § 249 Abs 3 StPO durch eine von der Verteidigung beigezogene Person mit besonderem Fachwissen erläuterte sie (erneut), dass sie die intellektuellen Fähigkeiten des Opfers zu beurteilen gehabt hätte, dafür auch entsprechend qualifiziert sei, jedoch kein aussagepsychologisches Vorgehen gewählt habe, da ein solches Gutachten nicht beauftragt gewesen sei. Der Senat wies vor Schluss des Beweisverfahrens den Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Aussagepsychologie ab, da keine Anzeichen für einen Mangel des Gutachtens der Sachverständigen bestünden, und die Glaubwürdigkeit als Akt der Beweiswürdigung vom erkennenden Gericht zu beurteilen sei; die Unglaubwürdigkeit der Zeugin sei bloß unsubstantiiert behauptet worden; es sei nicht dargelegt worden, ob sich das Opfer einer derartigen Untersuchung unterzogen hätte. Auch der Antrag auf Enthebung der Sachverständigen wurde abgewiesen. Der Senat begründete dies damit, dass Zweifel an ihrer Qualifikation und Erfahrung nicht substantiiert vorgetragen worden seien, keine Bedenken gegen die Richtigkeit ihres Gutachtens bestünden und auch nicht konkretisiert worden sei, inwiefern das Gutachten unrichtig sei. Weitere Beweisanträge wurden nicht gestellt, „gemäß § 252 Abs. 1 Z 4 bzw. Abs. 2 StPO“ der „gesamte Akteninhalt, insbesondere … das [im Ermittlungsverfahren erstellte] Gutachten ON 34“ verlesen und das Beweisverfahren geschlossen.

Im verurteilenden Erkenntnis wurde die in der Verhandlung gegebene Begründung für die Abweisung der Anträge wiederholt und näher erläutert. Das Strafgericht legte dar, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen eine Frage der Beweiswürdigung und auch auf Grundlage des persönlichen Eindrucks durch das Gericht zu beurteilen sei und Vorbringen zur Frage der Glaubwürdigkeit nicht erstattet worden sei. Es rechtfertige die bloße Behauptung, die Zeugin sei unglaubwürdig mangels konkreter Umstände, welche diese Behauptung stützten, die Beiziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht. Ein solches aussagepsychologisches Gutachten wäre nur dann geboten gewesen, wenn durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegte Ansatzpunkte für eine nicht realitätsorientierte Aussage, insbesondere für eine Beeinflussung unmündiger Personen vorgelegen wären. Das Schöffengericht setzte sich mit den Aussagen des Angeklagten und des Opfers auf mehreren Seiten eingehend auseinander. Zur Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit des Opfers (und auch dazu, dass keine entsprechenden Anzeichen für mögliche suggestive Einflüsse vorgelegen seien), verwies es „zunächst“ auf das Gutachten. Es bezeichnete aber dann „insbesondere“ die Aussage der Sozialarbeiterin „als maßgeblich für die Beurteilung der Aussage“ des Opfers und stützte sich für die Glaubwürdigkeit des Opfers überdies auf die Aussagen der Leiterin der Berufsschule und mehrerer Zeugen aus dem Bekanntenkreis des Opfers.

In der Nichtigkeitsbeschwerde relevierte der Kläger betreffend die Sachverständige ausschließlich (und nur unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO), dass sie erst nach der Gutachtenserstattung zu ihrer Erfahrung und Qualifikation befragt worden sei. Da eine auf mangelnde Sachkunde gegründete Einwendung nach Gutachtenserstattung nicht zulässig sei, sei durch diese Vorgehensweise dem Angeklagten die Möglichkeit einer zielführenden Einwendung genommen worden.

Der Oberste Gerichtshof wies die Nichtigkeitsbeschwerde und die [gesetzlich nicht vorgesehene] Berufung wegen Schuld mit Beschluss vom 16. 12. 2014 zurück. Er kam zum Ergebnis, dass die Abweisung des – unter gleichzeitiger Namhaftmachung zweier anderer Sachverständiger aus dem Bereich der forensischen Psychologie gestellten – Antrags auf Enthebung der dem Verfahren beigezogenen Sachverständigen, „da ihre Sachkunde im Hinblick auf die mangelnde berufliche Erfahrung und fehlende fachliche Qualifikation in Zweifel steht“, ohne Verletzung von Verteidigungsrechten erfolgt war. Zwar bestehe ein Einwendungsrecht des Angeklagten grundsätzlich auch gegen die – in dessen Befragung bestehende – Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung. Auf mangelnde Sachkunde eines Sachverständigen gegründete Einwendungen seien nach Erstattung von Befund und Gutachten jedoch nicht mehr zulässig. Liege – wie hier – ein dem Beschwerdeführer nachteiliges Gutachten bereits vor, sei die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen gemäß § 127 Abs 3 StPO vielmehr nur dann vorgesehen, wenn sich die dort beschriebenen Mängel von Befund oder Gutachten durch Befragung des bereits bestellten Experten nicht beseitigen ließen. Mängel des bereits am 20. 6. 2013 schriftlich erstatten Gutachtens der Sachverständigen – gegen deren Bestellung vom Angeklagten im Ermittlungsverfahren keine Einwände erhoben worden seien – seien weder im Rahmen der Antragstellung, noch anlässlich der mündlichen Gutachtenserstattung und -erörterung in der Hauptverhandlung substantiiert dargelegt worden. Im Übrigen sei die Frage der Befähigung eines Sachverständigen – mit Ausnahme von Mängeln nach § 127 Abs 3 StPO – Gegenstand freier Beweiswürdigung und solcherart nicht der Nichtigkeitsbeschwerde. Die Kritik am Unterbleiben einer Befragung der Expertin zu ihrer Erfahrung und Qualifikation in der Hauptverhandlung vor der mündlichen Gutachtenserstattung könne damit auf sich beruhen. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer diesen Umstand ohne Widerspruch hingenommen, womit ihm eine dagegen gerichtete Verfahrensrüge (Z 4) nicht mehr offenstehe.

Der Kläger begehrt nun Schadenersatz nach dem Amtshaftungsgesetz und die urteilsmäßige Feststellung der Haftung für sämtliche zukünftige Schäden, die ihm „aufgrund der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht St. Pölten, ON 70, vom 3. 7. 2014 entstehen werden“. Er brachte dazu zusammengefasst vor, ihm sei ein Schaden mit Erstattung des falschen Gutachtens in der Hauptverhandlung vom 3. 7. 2014 zugefügt worden. Er habe die Enthebung der gerichtlich beigezogenen Sachverständigen beantragt, da deren Sachkunde im Hinblick auf mangelnde berufliche Erfahrung und fehlende fachliche Qualifikation in Zweifel stünde und ersatzweise zwei Sachverständige aus dem Bereich der forensischen Psychologie vorgeschlagen. Die Beschlussfassung darüber sei zunächst vorbehalten worden. Das Strafgericht habe, obwohl die Sachverständige „pflichtgemäß ausdrücklich darauf hingewiesen“ habe, dass die „Gutachtenserstattung nicht ihr Fachgebiet“ treffe und „ihr diesbezüglich auch die Kompetenz fehle“ ihr Gutachten bestätigen und ergänzen lassen. Sie sei weder enthoben worden noch sei ein anderer Sachverständiger bestellt worden. Nur aufgrund der Einschätzung dieser Sachverständigen, die die Angaben der Belastungszeugen für glaubhaft gehalten hatte, sei er vom Erstgericht verurteilt worden. Auch das Berufungsurteil sei fehlerhaft, weil es ausführe, dass das Gutachten der Verurteilung „berechtigt“ zugrunde gelegen sei.

Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, die Verurteilung des Klägers sei zu Recht erfolgt. Die Nichtenthebung der Sachverständigen sei im konkreten Fall nicht nur vertretbar, sondern auch rechtsrichtig gewesen. Der Oberste Gerichtshof hätte überdies schwere Verfahrensmängel oder eine Nichtigkeit anlässlich seiner Entscheidung von Amts wegen wahrnehmen müssen. Auch habe der Kläger gegen die Rettungspflicht verstoßen. Er habe gegen die Bestellung der Sachverständigen im Ermittlungsverfahren (gar) keine Einwände erhoben und später keine substantiierten Einwendungen dargelegt. Mit seiner Behauptung, die Sachverständige verfüge nicht über ausreichende Berufserfahrung und Fachkenntnisse, habe sich das zuständige Schöffengericht im Urteil auseinandergesetzt und seine Entscheidung nicht nur auf den Sachverständigenbeweis gestützt, sondern alle Beweismittel einer umfassenden Würdigung unterzogen. Im Übrigen könne sich der Kläger im Amtshaftungsverfahren nicht darauf berufen, die Tat, deretwegen er rechtskräftig verurteilt worden sei, nicht begangen zu haben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ließ die von ihm zur Bindungswirkung eines verurteilenden Strafurteils aufgeworfene Frage – die vom Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung 1 Ob 235/03w ohnehin bereits dahin beantwortet worden ist, dass eine strafgerichtliche Verurteilung das Amtshaftungsgericht bei Ersatzansprüchen dann nicht bindet, wenn sie aus diesem Urteil abgeleitet werden (vgl RS0040061) – letztlich offen und gründete die Abweisung des Klagebegehrens darauf, dass dem Ersatzanspruch des Klägers § 2 Abs 3 AHG entgegenstehe. Das Oberlandesgericht Wien habe in seiner Berufungsentscheidung die Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche unter anderem auf das zuvor vom Obersten Gerichtshof als unbedenklich beurteilte Sachverständigengutachten gestützt. Der Oberste Gerichtshof habe die Mangelfreiheit des Verfahrens festgestellt, womit die Entscheidung des Höchstgerichts bei neuerlicher Überprüfung infrage gestellt würde. Amtshaftungsansprüche könnten zwar trotz des Bestehens eines höchstgerichtlichen Erkenntnisses dennoch geltend gemacht werden, wenn eine eingeschränkte Anrufbarkeit bestehe, jedoch sei der Kläger im Strafverfahren von keiner der umfassenden, sein rechtliches Gehör sichernden Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschlossen gewesen und habe davon auch im vollen Umfang Gebrauch gemacht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Ansicht. Genau mit den von ihm geltend gemachten Mängeln, auf die er nun seinen Ersatzanspruch gründe (dass seine Verurteilung unvertretbar gewesen sei, weil die beigezogene Sachverständige nicht enthoben und das Erstgericht im Strafverfahren von der Zuziehung weiterer Gutachter Abstand genommen habe), habe sich der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung befasst. Er habe befunden, dass Mängel des bereits am 20. 6. 2013 schriftlich erstatteten Gutachtens der Sachverständigen – gegen deren Bestellung vom Kläger im Ermittlungsverfahren keine Einwände erhoben worden seien – weder im Rahmen der Antragstellung noch anlässlich der mündlichen Gutachtenserstattung und -erörterung erhoben worden seien. Des Weiteren sei in der Entscheidung darauf hingewiesen worden, dass der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer Befragung der Expertin zu ihrer Erfahrung und Qualifikation in der Hauptverhandlung vor der mündlichen Gutachtenserstattung ohne Widerspruch hingenommen habe, womit ihm eine dagegen gerichtete Verfahrensrüge iSd § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht mehr offengestanden sei. Müsste nun der vom Kläger geltend gemachte Anspruch inhaltlich geprüft werden, wäre die Entscheidung des Höchstgerichts in Frage zu stellen, was durch § 2 Abs 3 AHG ausgeschlossen sei.

Dagegen wendet sich der Kläger in seiner (von der Beklagten beantworteten) Revision, die zur Klarstellung der Rechtslage in Bezug auf den Ausschluss des Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 3 AHG und die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG zulässig, aber nicht berechtigt ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen ist eine Beweisführung zur Glaubwürdigkeit von Zeugen zwar grundsätzlich zulässig, die Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt jedoch nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen in Betracht (RS0120634). Der 12. Senat hat das Grundprinzip eines aussagepsychologischen Gutachtens im Sinne eines Glaubwürdigkeits- [präziser: Glaubhaftigkeits-]gutachtens und dessen Methodik, den zu überprüfenden Sachverhalt, also die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage, so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist, in der Entscheidung 12 Os 121/10a unter Verweis auf Literatur und deutsche Rechtsprechung erläutert und ist zu dem Schluss gekommen, dass ein solches nur dann geboten sei, wenn durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegte Ansatzpunkte für eine nicht realitätsorientierte Aussage vorliegen (s auch Hinterhofer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 126 Rz 10, 12; RS0120634 [T4]). Die Aussagetüchtigkeit (Aussagefähigkeit, einschließlich Aussagekompetenz) als Fähigkeit einer Person, einen spezifischen Sachverhalt zuverlässig wahrzunehmen, im Gedächtnis zu bewahren, wieder abzurufen und zu äußern sowie Erlebtes von anders generierten Vorstellungen zu unterscheiden, ist aber nur einer von mehreren Aspekten (etwa neben der Aussagequalität und Aussagevalidität), die bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit bzw Erlebnisbasiertheit einer Aussage zu überprüfen sind (Greuel et al, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage [1998] 5 f, 79, 203; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage5 [2011] 145f).

Im konkreten Fall legte die Sachverständige in der Hauptverhandlung nachvollziehbar dar, warum – auch wenn ihr Fachgebiet die Aussagepsychologie nicht umfasse – dieser Umstand der Erstattung des konkret von ihr erstellten Gutachtens nicht entgegenstand. Sie war nämlich gerade nicht mit einem aussagepsychologischen Gutachten (also der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage schlechthin) beauftragt worden und nach ihren Angaben auch nicht im Sinne eines aussagepsychologischen Gutachtens vorgegangen. Vielmehr hatte sie (nur) die Frage, ob Zweifel an der Aussagefähigkeit des Opfers bestehen, zu klären. Die Frage der Aussagetüchtigkeit oder Aussagefähigkeit, für die sich die Gutachterin auch als kompetent erachtete, stellt aber eben nur einen Teilaspekt einer aussagepsychologischen Begutachtung dar. Dass also – wie der Kläger behauptet – die Sachverständige selbst darauf hingewiesen habe, dass sie zur Erstattung des beauftragten Gutachtens nicht kompetent gewesen sei, trifft nicht zu.

2. Der Kläger kann aber in der Revision – insoweit zutreffend – aufzeigen, dass der Oberste Gerichtshof auf die Frage der von ihm behaupteten „Inkompetenz“ der Gutachterin und die darauf aufbauenden Vorwürfe, dass sie zu entheben sei und ein anderer Sachverständiger zu bestellen gewesen wäre, inhaltlich nicht einging. Dazu behauptet er allerdings, es sei eine inhaltliche Prüfung dieses Mangels durch den Obersten Gerichtshof (nur) deswegen unterblieben, weil dem Höchstgericht in Strafsachen nur ein eingeschränkter Katalog an Prüfgründen und Aufhebungsmöglichkeiten zur Verfügung stehe und „der Umstand, dass er davon ausgegangen sei, dass die Sachverständige nicht kompetent gewesen sei, keinem gesetzlichen Nichtigkeitsgrund“ entspreche. Es sei der mit seinem Fall befasste Senat des Obersten Gerichtshofs zur Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit und Zulässigkeit des Gutachtens bzw der Kompetenz der Sachverständigen nicht berufen gewesen, weswegen es ihm auch nicht möglich gewesen sei, zu seinen Gunsten zu entscheiden.

3.1. Dass es dem Oberste Gerichtshof in Strafsachen – ganz generell (und unter allen Umständen) – verwehrt (gewesen) wäre, auf die von ihm als Verfahrensmangel aufgeworfene Frage der Enthebung der Sachverständigen und Beiziehung eines anderen Gutachters inhaltlich einzugehen, weil ihm diesbezüglich keine Prüfkompetenz eingeräumt ist, trifft jedoch nicht zu.

3.2. In dem gegen ihn geführten Strafverfahren hätte der Kläger die Beiziehung einer Sachverständigen, der die Kompetenz fehlt (weil das beauftragte Gutachten nicht in ihre Fachgebiete fällt), nach der damals anzuwendenden Rechtslage wie folgt wahrnehmen können:

Nach § 126 Abs 3 StPO (sowohl in der damals anzuwendenden Fassung BGBl I 2007/93, wie auch nun idF BGBl I 2015/112 waren und) sind Sachverständige von der Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen und für das Hauptverfahren jedoch vom Gericht zu bestellen. Nach Abs 4 leg cit sind Sachverständige, soweit sie befangen sind oder ihre Sachkunde in Zweifel steht, von der Staatsanwaltschaft, im Fall einer Bestellung durch das Gericht von diesem, von Amts wegen oder aufgrund von Einwänden (damals nach Abs 3 und nun nach Abs 5 [idF BGBl I 2015/112]) ihres Amtes zu entheben. Bei Bestellung durch die Staatsanwaltschaft konnte der Beschuldigte gemäß § 126 Abs 3 StPO idF BGBl I 2007/93 binnen einer – eine Woche nicht übersteigenden Frist (nun binnen 14 Tagen nach Abs 5 idF BGBl I 2015/112) – ab Zustellung der Ausfertigung der Sachverständigenbestellung begründete Einwände gegen die ausgewählte Person erheben. Folgte die Staatsanwaltschaft (fristgerecht) vom Beschuldigten erhobenen Einwänden nicht, konnte ein Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO (idF BGBl I 2011/1) und danach gegen die gerichtliche Entscheidung Beschwerde an das Oberlandesgericht (§ 107 Abs 3 StPO idF BGBl I 2004/19) erhoben werden (14 Os 36/14x).

Solange noch kein Gutachten vorliegt, können Zweifel an der Sachkunde (fachliche Qualifikation) des Sachverständigen auch in der Hauptverhandlung im Zuge eines Enthebungsantrags nach § 238 Abs 2 iVm § 126 Abs 4 Satz 1 StPO geltend gemacht werden. Nach einem diesen Antrag ablehnenden Beschluss des Schöffengerichts kann der Angeklagte gegen das Urteil mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO vorgehen, sofern mit dem Beschluss Verteidigungsrechte beeinträchtigt wurden. Nach Hinterhofer (aaO Rz 174) liegt eine solche Beeinträchtigung bei einem tatsächlich sachunkundigen Sachverständigen aber regelmäßig vor; denn es sei im Sinne der „Strafverfolgung und der Verteidigung“ geboten, dass in einem Strafverfahren nur sachkundige Sachverständige am Werke sind.

Aus der Regelung des (seit 1. 6. 2009 idF BGBl I 2009/52 unverändert gebliebenen) § 127 Abs 3 StPO („Ist der Befund unbestimmt oder das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft oder weichen die Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen oder die hieraus gezogenen Schlüsse erheblich voneinander ab und lassen sich die Bedenken nicht durch Befragung beseitigen, so ist ein weiterer Sachverständiger beizuziehen.“) leitet die Rechtsprechung ab, dass nach Erstattung von Befund und Gutachten eine auf mangelnde Sachkunde des Sachverständigen gegründete Einwendung gegen diesen nicht mehr zulässig ist (RS0126626 [T1], RS0115712 [T10]). Liegt ein für den Angeklagten nachteiliges Gutachten bereits vor, kann bei der (in dessen Vernehmung liegenden) Beiziehung dieses Sachverständigen zur Hauptverhandlung nur durch Aufzeigen von nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens bestehen gebliebenen Mängeln im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO das Gutachten eines weiteren Sachverständigen unter der Sanktion des § 281 Abs 1 Z 4 StPO erwirkt werden (RS0115712 [T10]; Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 221 Rz 23/3; Ratz in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 281 Rz 373). Fachliche Zweifel an der Expertise eines Sachverständigen sind nämlich nach § 127 Abs 3 erster Satz StPO (in erster Linie) durch dessen Befragung, falls diese nicht zum Ziel führt, durch Beiziehung eines weiteren Sachverständigen auszuräumen (13 Os 80/18s). Erachtet das Gericht die Voraussetzungen des § 127 Abs 3 erster Satz StPO als nicht gegeben, so muss in einem auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen gerichteten Antrag (§ 55 Abs 1 StPO) fundiert dargelegt werden, warum Befund oder Gutachten aus Sicht des Antragstellers dennoch mangelhaft sein sollen (11 Os 153/18m). Dazu muss der Angeklagte dartun, weshalb die behaupteten Bedenken gegen das Gutachten nicht erfolgreich beseitigt wurden und sich substantiiert mit den Ergänzungen und Erläuterungen des Sachverständigen nach Durchführung des Verbesserungsverfahrens auseinandersetzen (RS0117263 [T17]; Hinterhofer aaO § 127 Rz 31 mwN). Bei Vorliegen eines schriftlichen Gutachtens bedarf es also – wegen behaupteter fehlender Fachkunde [des bisherigen Gutachters] – zur Beiziehung eines anderen Sachverständigen eines an den Kriterien des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ausgerichteten Antragsvorbringens (11 Os 10/16d).

Ein verurteilendes Erkenntnis eines Schöffengerichts kann in der Schuldfrage ausschließlich mit Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof bekämpft werden (§ 280 StPO; zum Gegenstand der an das OLG gerichteten Berufung siehe § 283 Abs 1 StPO). Dabei können nur die in §§ 281, 281a StPO angeführten (oder sonst gesetzlich vorgesehenen) Nichtigkeitsgründe geltend gemacht werden. Der in § 281 Abs 1 Z 3 StPO enthaltene Verweis auf § 126 Abs 4 StPO bezieht sich ausschließlich auf die Beiziehung eines im Sinn des § 47 Abs 1 Z 1 und 2 StPO befangenen Sachverständigen oder Dolmetschers (Ratz aaO § 281 Rz 199), jedoch kann – wie bereits ausgeführt – der Angeklagte gegen das Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde gestützt auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO („wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht erkannt worden ist oder wenn durch einen gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 oder sonst durch das Wesen eines die Strafverfolgung und die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist“) vorgehen, soweit von ihm – wegen Zweifeln an der Sachkunde des Sachverständigen – gestellte Anträge auf Enthebung mangels Sachkunde oder Beiziehung eines zweiten Sachverständigen wegen behaupteter Mängel von Befund und Gutachten in der Hauptverhandlung unter Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abgewiesen wurden (Hinterhofer aaO § 126 Rz 174; Ratz aaO Rz 351, 370, 373).

Nach Erstattung des Gutachtens hat der Angeklagte dieses in § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantierte Überprüfungsrecht aber nur dann, wenn er in der Lage ist, einen der in § 127 Abs 3 StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten in der zuvor dargelegten Weise aufzuzeigen, und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos geblieben ist (Ratz aaO Rz 351; RS0117263). Erfolg kann die Verfahrensrüge demnach nur dann haben, wenn dem Antrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung ein erfolglos gebliebenes Verbesserungsverfahren zu dem von ihm aufgezeigten Mängeln im Sinn des § 127 Abs 3 StPO vorangegangen ist und er trotz eines solchen Verbesserungsverfahrens verbliebene Mängel konkret darlegen kann. Davon abgesehen, ist es dem pflichtgemäßen (also nur auf Willkür überprüfbaren) Ermessen der Tatrichter anheimgestellt, neue Befunde oder Gutachten zur Überprüfung der früheren abzufordern. Die Überzeugungskraft eines im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO mängelfreien Befunds oder Gutachtens unterliegt nämlich der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts (RS0097433; RS0097380).

Überdies kann das Urteil des Schöffengerichts unter anderem erfolgreich bekämpft werden, wenn gemäß § 281 Abs 1 Z 5 StPO für den Ausspruch des Schöffengerichts keine oder nur offenbar unzureichende Gründe angegeben sind, oder gemäß § 281 Abs 1 Z 5a StPO, wenn sich aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen ergeben (Ratz aaO Rz 476).

4.1. Der Kläger hätte also den von ihm nun behaupteten Mangel der Beiziehung einer angeblich inkompetenten Sachverständigen schon anlässlich ihrer
– unter Angabe ihres Fachgebiets mit Psychologie erfolgten – Bestellung (fristgerecht) aufgreifen können (und müssen). Weder hat er aber im Ermittlungsverfahren Einwände erhoben, noch auf einer Beschlussfassung über seinen Enthebungsantrag wegen Zweifeln an der Sachkunde der Sachverständigen nach § 238 Abs 2 iVm § 126 Abs 4 Satz 1 StPO vor Erstattung des Gutachtens beharrt. Bei Vorliegen eines schriftlichen Gutachtens hätte es zur Beiziehung eines anderen Sachverständigen wegen fehlender Fachkunde eines an den Kriterien des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ausgerichteten Antragsvorbringens bedurft. An ihm wäre es gelegen, trotz Befragung der Sachverständigen angeblich verbliebene Mängel des erstatteten Gutachtens aufzuzeigen. Auf den nun im Amtshaftungsverfahren behaupteten Mangel [keine Enthebung bzw keine Beiziehung eines „anderen Sachverständigen“, obwohl die Sachverständige selbst angegeben haben soll, dass die Gutachtenserstattung nicht ihr Fachgebiet treffe und ihr „diesbezüglich“ die Kompetenz fehle] hat er sich in der Nichtigkeitsbeschwerde gar nicht berufen. Substantiierte Mängel von Befund und Gutachten im Sinn des § 127 StPO hat er darin nicht dargelegt.

Wenn nun dies – wie der 14. Senat in seiner Entscheidung erläuterte – dazu führte, dass der Oberste Gerichtshof die Frage, ob die Sachverständige zu entheben und ein anderer Sachverständiger zu bestellen gewesen wäre, keiner inhaltlichen Behandlung in der Nichtigkeitsbeschwerde zuführen konnte, ist damit die Frage angesprochen, ob der Kläger als Ersatzwerber seiner in § 2 Abs 2 AHG verankerten Verpflichtung, einen drohenden Schaden durch „Rechtsmittel“ abzuwenden, entsprochen hat.

4.2. Der Amtshaftungsanspruch ist nämlich insofern formell subsidiär, als ein Geschädigter zunächst verpflichtet ist, die ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten und die Abwendung oder Minderung des Schadens ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen. Amtshaftung hat demnach nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern (vgl 1 Ob 181/03d = SZ 2004/74 mwN; RS0053077; RS0053128). Mit der Rettungspflicht ist selbstverständlich die Konsequenz verbunden, dass die Partei das Rechtsmittel nicht nur überhaupt erheben, sondern es darüber hinaus auch so formulieren muss, dass die darüber entscheidende Instanz in der Lage ist, den behaupteten Beurteilungs- oder Verfahrensfehler aufzugreifen und zu korrigieren (1 Ob 210/06y; vgl auch 1 Ob 68/16f).

„Hätte abwenden können“ in § 2 Abs 2 AHG bedeutet nämlich, dass ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach (abstrakt) die Möglichkeit bot, den Schaden noch zu verhindern (RS0053073 [T1]). Der Begriff „Rechtsmittel“ im Sinn des § 2 Abs 2 AHG ist extensiv auszulegen (RS0050097). Es sind darunter alle prozessualen Rechtsbehelfe zur Abhilfe gegen gerichtliche oder sonstige behördliche Entscheidungen zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche (oder sonstige behördliche) Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (RS0110188; RS0050080). Vom Rechtsmittelbegriff des AHG umfasst sind daher alle prozessualen Anfechtungsmittel im weiteren Sinn, also auch außerordentliche Rechtsmittel der Gerichtsbarkeit und Verwaltung und darüber hinaus alle anderen Rechtsbehelfe (RS0026901 [T2]). Als Verstöße gegen die Rettungspflicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG wurden in der Rechtsprechung etwa anerkannt: Die Unterlassung der Erhebung des Widerspruchs gegen das Protokoll gemäß §§ 212, 212a ZPO (1 Ob 181/03d = RS0119131), eines Wiedereinsetzungsantrags (RS0036768), eines Antrags auf Einstellung der Zwangsverwaltung gemäß § 129 Abs 2 EO (1 Ob 193/65 = RS0050285), des Antrags auf die in § 28 Abs 3 bis 5 FleischUG (bis zur Aufhebung mit BGBl I 2006/13) vorgesehene Überprüfung der von einem Fleischuntersucher bzw Fleischuntersuchungstierarzt vorgenommenen Beurteilung des Fleisches (1 Ob 51/97z = RS0107174) oder etwa auch, wenn der bei der Verteilung zu Unrecht übergangene Konkursgläubiger trotz Aufforderung weder in den Verteilungsentwurf Einsicht nimmt und Erinnerungen erhebt, noch den Verteilungsbeschluss mit Rekurs bekämpft (1 Ob 113/07k = SZ 2007/126 = RS0122417), wobei die Unterlassung von Erinnerungen dazu führt, dass der Gläubiger diese unterlassenen Bemängelungen wegen des Neuerungsverbots im Rekurs nicht nachtragen kann (OLG Wien, 6 R 180/18m).

4.3. Vergleichbar damit ist einem Beschuldigten auch das Unterlassen von Einwänden gegen die Bestellung der Sachverständigen im Ermittlungsverfahren und der substantiierten Darlegung von – angeblich trotz durchgeführtem Verbesserungsverfahrens im Sinn des § 127 Abs 3 StPO verbliebenen – Mängeln des Gutachtens als Verstoß gegen die Rettungspflicht anzulasten. Diese Unterlassungen verhinderten hier, dass auf die behauptete „Inkompetenz“ der Sachverständigen im dazu vorgesehen Weg, sei es bei einer Behandlung von Einwänden gegen die Bestellung im Ermittlungsverfahren (mit dann zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln gegen die Entscheidung darüber), sei es bei der Behandlung der auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde (inhaltlich) eingegangen werden konnte. Wiewohl der Kläger – wie schon erörtert in unzutreffender Weise – behauptet, die Sachverständige habe „pflichtgemäß ausdrücklich darauf hingewiesen“, dass „die Gutachtenserstattung nicht ihr Fachgebiet treffe“ und ihr „diesbezüglich auch die Kompetenz“ fehle, hatte er sich auf diesen Umstand bei Ausführung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO in seiner Nichtigkeitsbeschwerde nicht berufen und sich auch auf die Nichtigkeitsgründe nach § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gar nicht gestützt.

5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher im Ergebnis richtig, jedoch scheitert der Amtshaftungsanspruch des Klägers nicht deshalb, weil der Oberste Gerichtshof seine Bemängelung inhaltlich prüfte und verneinte, sondern weil der Kläger gegen die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstieß. Hat sich der Kläger als Beschuldigter und Angeklagter nicht mit den von der Prozessordnung eingeräumten Mitteln zeitgerecht und im Anlassverfahren gegen die nun von ihm behauptete Beiziehung einer Sachverständigen ohne entsprechende Fachkenntnis zur Wehr gesetzt, kann er später einen Ersatzanspruch nach dem AHG nicht darauf gründen, dass „die Beauftragung zur und Zulassung der Gutachtenserstattung durch die konkrete Sachverständige“ (mit der angeblichen Konsequenz eines von ihr erstatteten inhaltlich unrichtigen Gutachtens) seinen Schaden verursacht hätte.

6. Kann der Kläger aber schon wegen seines Verstoßes gegen die Rettungspflicht aus der Beauftragung zur und Zulassung der Gutachtenserstattung durch die konkrete Sachverständige keinen Anspruch ableiten, ist darauf, ob die von ihm behaupteten Mängel (so auch die unterstellte Unrichtigkeit des Gutachtens) dabei tatsächlich vorlagen, nicht mehr einzugehen. Über diesen Vorwurf hinaus ist nicht ersichtlich, warum dem befassten Schöffensenat – der sich zudem vornehmlich auf die Angaben des Opfers und auch auf andere Zeugenaussagen stützte – im konkreten Fall eine unvertretbare Fehlentscheidung vorzuwerfen wäre.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E125214

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00215.18A.0430.000

Im RIS seit

11.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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