TE OGH 2019/5/15 9ObA34/19v

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Veröffentlicht am 15.05.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** G*****, vertreten durch Dr. Stephan Gruböck, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei Badener K*****gesmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Stuppnig, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2019, GZ 9 Ra 118/18s-27, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Jede Partei hat die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu

beweisen (RS0039939). Dies gilt auch für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands; ein solcher ist von demjenigen zu behaupten und zu beweisen, für den er günstig ist (vgl 1 Ob 558/85; 4 Ob 47/16i Pkt 6.3; RS0040188; RS0039939 [T14, T19]; RS0109832 [T6]; RS0037797 [T55]; RS0111657).

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Arbeitgeber weder berechtigt noch verpflichtet, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, wenn ihm nicht bekannt war oder hätte sein müssen, dass die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden beschlussmäßig nicht gedeckt ist

(RS0051490; vgl auch RS0051485). Letzteres ist bei einem mehrköpfigen Betriebsrat etwa dann der Fall, wenn –  zumal eine Beschlussfassung des Betriebsrats gleichsam auf Vorrat grundsätzlich nicht zulässig ist (9 ObA 12/01g = DRdA 2002/3 [Pfeil]; Mosler in Tomandl, ArbVG § 71 Rz 15; Schrank in Tomandl, ArbVG § 105 Rz 47 FN 72; Gerhartl, Anforderungen an wirksame Stellungnahmen im betrieblichen Vorverfahren, RdW 2016/260 [341 FN 29]; Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 68 Rz 9) – bereits zeitbedingt eine Beschlussfassung des Betriebsrats nicht erfolgt sein kann, etwa wenn der Betriebsratsvorsitzende nach Verständigung von der Kündigungsabsicht sogleich (9 ObA 5/99x; RS0051469) oder, obgleich er sich im Ausland befindet, per Telefax innerhalb einer Minute (9 ObA 12/01g) zustimmt. Demgegenüber gab eine Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden zwei (vgl 8 ObA 80/13t) oder sechs (9 ObA 42/18v) Stunden nach der Verständigung von der beabsichtigten Kündigung in den konkreten Fällen keinen Anlass, am Vorliegen eines Betriebsratsbeschlusses zu zweifeln.

Dass der Arbeitgeber weder berechtigt noch verpflichtet ist, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, ist die Regel, dass anderes gilt, wenn ihm bekannt war oder hätte sein müssen, dass die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden beschlussmäßig nicht gedeckt ist, die Ausnahme. In der Regel – bei Fehlen eines Ausnahmefalls – darf der Betriebsinhaber die Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden zur beabsichtigten Kündigung nach § 105 ArbVG als rechtswirksame Willenserklärungen ansehen (9 ObA 300/97a; 9 ObA 12/01g; Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 67 Rz 5 [„ausnahmsweise“]; Wolliger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 57 [„grundsätzlich“]; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 105 Rz 53).

Den Ausnahmefall unter Beweis zu stellen wäre Sache der klagenden Arbeitnehmerin gewesen, welche die feststehende Zustimmung des Betriebsrats(-vorsitzenden) zu ihrer Kündigung nicht gemäß § 106 Abs 6 ArbVG gegen sich gelten lassen will. Dass nur festgestellt werden konnte, dass der Betriebsratsvorsitzende „einige Zeit“, nachdem er von der Personalleiterin der Beklagten telefonisch über die Absicht der Kündigung der Klägerin informiert worden war (vgl RS0051581 [T6]), diese aufsuchte und in deren Büro schriftlich der Kündigung zustimmte, nicht aber, wie viel Zeit zwischen dem Telefonat und der Übergabe der schriftlichen Verständigung verging, geht zu Lasten der Klägerin. Die Vorinstanzen konnten zu Lasten der Klägerin davon ausgehen, dass so viel Zeit verstrichen war, dass eine – gemäß § 68 Abs 4 ArbVG idF BGBl I 2010/101 auch in fernmündlicher oder anderer vergleichbarer Form, etwa per E-Mail (ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 5; Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 68 Rz 7; Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 68 ArbVG Rz 2, 9), zulässige – Beschlussfassung durchaus möglich gewesen wäre und folglich der Leiterin der Personalabteilung das (eventuelle) Fehlen eines Betriebsratsbeschlusses im Zeitpunkt der Zustimmungserklärung des Betriebsratsvorsitzenden nicht nur, was feststeht, nicht bekannt war, sondern ihr aufgrund des zeitlichen Abstands auch nicht bekannt sein musste.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (iVm § 2 Abs 1 ASGG) ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Textnummer

E125208

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00034.19V.0515.000

Im RIS seit

11.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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