TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/25 L519 2142151-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2019
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Entscheidungsdatum

25.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §53 Abs3 Z6
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L519 2142151-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Ronald FRÜHWIRTH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 22.11.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.03.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch

hinsichtlich Spruchpunkt I und II zu lauten hat:

I. Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AsylG 2005 idgF abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger XXXX , brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 26.05.2015 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. dem BFA brachte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:

Er sei zu Unrecht beschuldigt worden, Mitglied einer Terrororganisation (DHKP-C) gewesen zu sein, wobei er lediglich einer Volkstanzgruppe angehört habe. Im Mai 2013 sei er zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden, wobei der Akt nunmehr beim Kassationsgericht liegen würde. Außerdem sei er alevitischer Kurde und Mitglied in einem entsprechenden Verein. Zuletzt sei er am XXXX 2014 im Rahmen einer Hausdurchsuchung festgenommen worden.

I.3. Mit Schreiben vom 02.09.2015 bzw. 28.09.2015 teilte die damalige rechtsfreundliche Vertretung des BF mit, dass in den Fällen zweier namentlich genannter Asylwerber Asyl in ähnlichen Konstellationen wie der des BF Schutz gewährt worden sei. Erhebungen in der Türkei , insbesondere unter Einbeziehung des dortigen Anwalts des BF, seien notwendig.

I.4. Mit Schreiben vom 12.10.2015 wurde die Kopie einer Entscheidung des türkischen Obersten Gerichtshofes vom XXXX vorgelegt, wonach die Beschwerde des BF abgelehnt und die Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten (wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) bestätigt worden sei.

I.5. Am 28.10.2016 teilte die damalige Rechtsvertretung des BF mit, dass angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Türkei nicht von einem rechtsstaatlichen Urteil ausgegangen werden könne.

I.6. Am 31.10.2016 langte eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim BFA ein. Daraus geht hervor, dass die Person, welche der BF als seinen Anwalt deklarierte, tatsächlich eine Rechtsanwaltskanzlei in der Türkei betreibt und bei der Kammer registriert ist.

Die Anfragebeantwortung vom 04.10.2016 lautete dahingehend, dass ohne Weitergabe personenbezogener Daten keine Erhebungen zum Gerichtsurteil möglich wären.

Eine BVT-Anfrage brachte kein Ergebnis.

I.7. Der BF legte erstinstanzlich vor:

* Türkischer Personalausweis

* Türkischer Führerschein

* Studentenausweis für das Studienjahr XXXX für Fotografie

* Mitgliedausweis eines alevitischen Kulturvereins, ausgestellt im August 2009 in XXXX

* Internetauszug "Razzien und Hausdurchsuchungen in XXXX "

* Diverse weitere Internetauszüge und Berichte, in welchen teilweise der Name des BF aufscheint

* Kopien der Gerichtsunterlagen (Bericht über die Festnahme des BF am XXXX 2006, Freispruch vom XXXX 2008, Teil der Verurteilung des BF vom XXXX 2013 zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation gemäß Art. 314 samt Berufung dagegen etc., Antrag der Oberstaatsanwaltschaft vom XXXX auf Bestätigung des Schuldspruches, Urteil vom XXXX samt Rechtskraftbestätigung vom XXXX 2015)

* Farbfotos von Veranstaltungen, Demonstrationen und Versammlungen

* Berichte von Studenten

I.8. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 6 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 und 3a AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 und 6 FPG wurde gegen den BFA ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. (Spruchpunkt IV.).

I.8.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Dass der BF sein Heimatland aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens und Angst vor dem endgültigen Urteil verlassen hat, sei glaubhaft.

Nicht glaubhaft sei die Behauptung, dass der BF zu Unrecht verurteilt worden sei. Die Tatsache, dass er auf freiem Fuß angezeigt wurde zeige, dass es sich hier um keine willkürliche Maßnahme gehandelt hat.

Nicht nachvollziehbar sei auch die Schilderung, dass ein Zeuge gegen 148 Personen ausgesagt habe, welche Mitglieder einer Terrororganisation wären, jedoch nur der BF und eine weitere Person angezeigt sowie verurteilt worden wären und alle anderen freigesprochen worden wären.

Das BFA gehe damit davon aus, dass es sich im Fall des BF um ein korrektes Gerichtsverfahren handelte, zumal das Verfahren auch mehrere Instanzen durchlaufen habe.

Im Fall der Rückkehr müsste der BF seine Haftstrafe antreten. Zur Verurteilung wurde zudem festgehalten, dass die Mitgliedschaft bzw. Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung auch in Österreich mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft wird.

Hinsichtlich des Einreiseverbotes wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund eines strafrechtlichen Delikts im Heimatland zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Aufgrund dieser Tatsache sei die Annahme gerechtfertigt, dass der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle.

Aufgrund der begangenen Straftat könne mit gutem Grund davon ausgegangen werden, dass der BF von einer besonders verwerflichen inneren Einstellung geprägt sei. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens und bei Berücksichtigung der Ergebnisse dieses Verfahrens könne die Behörde keinesfalls eine günstige Zukunftsprognose stellen weshalb die Verfügung des Einreiseverbots die einzig adäquate Maßnahme darstelle, auf die von dem BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu reagieren.

I.8.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.8.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam, da einer der Ausschlussgründe vorliege.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar. Das Einreiseverbot sei der Gefährlichkeit des BF geschuldet und sei eine Abschiebung zulässig.

I.9. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht, dass der BF aufgrund seiner Verurteilung in Zusammenschau mit den Verhältnissen in der Türkei dort einer asylrelevanten Verfolgung unterliege.

I.10. Die Beschwerdevorlage langte am 15.12.2016 beim BVwG ein. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 11.01.2017 wurde gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

I.11. Am 02.02.2017 langte eine Vertreterbekanntgabe der nunmehrigen Vertretung des BF samt Beschwerdeergänzung und Urkundenvorlage ein.

Vorweg distanzierte sich der BF von den unsachlichen Angaben seines ehemaligen Vertreters in der Beschwerde.

Ausgeführt wurde, dass sich das BFA nicht ausreichend mit dem Sachverhalt, insbesondere dem gegen den BF erlassenen Urteil auseinandergesetzt hätte und zu Unrecht den Schluss gezogen habe, das Verfahren hätte rechtsstaatlichen Vorgaben entsprochen. Auf die entsprechenden Ausführungen in der Beschwerdeergänzung wird noch näher eingegangen. In der Beschwerdeergänzung wurde auch aus aktuelleren Länderinformationen und Berichten zitiert. Ausführungen erfolgten insbesondere zu den Haftbedingungen in der Türkei sowie zur Benachteiligung aller nicht türkischen oder sunnitischen Moslem in der Türkei .

Vorgelegt wurden neben diverse Berichten die vollständigen gerichtlichen Unterlagen sowie

I.12. Am 19.03.2018 langte eine Urkundenvorlage ein. Ausgeführt wurde, dass der Rechtsanwalt des BF in der Türkei gegen das Urteil des Kassationsgerichts vom 18.06.2015 Beschwerde eingebracht hat, jedoch das ursprüngliche Urteil mit Urteil des Höchstgerichts vom 04.10.2017 bestätigt wurde. Die Einvernahme des Rechtsanwalts des BF in der Türkei wurde beantragt. Vorgelegt wurden das aktuellste Urteil sowie ein Konvolut an Deutschkursbestätigungen.

I.13. Mit Urkundenvorlage vom 20.03.2018 wurde eine Bestätigung des Rechtsanwalts des BF, XXXX in der Türkei hinsichltich dem Vorbringen des BF übermittelt.

I.14. Für den 26.03.2018 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, an der der BF mit seiner nunmehrigen Rechtsvertretung teilnahm.

Der BF legte weitere Beweismittel vor (Fotos zur politischen Betätigung in der Türkei und in Österreich, Deutschkursbestätigungen, Schriften, deren Mitherausgeber, Autor und Grafiker er war und in denen er auch namentlich erwähnt wurde).

I.15. Mit Schreiben vom 13.04.2018 wurden vom BF diverse Gerichtsunterlagen im Original vorgelegt, welche vom Rechtsanwalt in der Türkei übermittelt wurden. Zudem wurde ein Schreiben der KPÖ über die Mitgliedschaft des BF, ein Empfehlungsschreiben eines Stadtrates von XXXX und eine Einstellungszusage als Küchengehilfe übermittelt.

Mitgeteilt wurde, dass nunmehr eine Beschwerde beim EGMR eingebracht wurde und wurden die Adressen des "Folklorevereins" bekannt gegeben sowie ausgeführt, dass dieser Verein nach Verhängung des Ausnahmezustandes geschlossen worden sei. Zudem wurde die Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen zur Klärung konkreter Fragen hinsichtlich des Vorgehens türkischer Behörden gegen kurdisch-alevitische Sozialisten, der Praxis hinsichtlich konstruierter Terrorvorwürfe und der Rechtsstaatlichkeit in diesem Zusammenhang und der Frage, ob kurdisch-alevitische Sozialisten in der Türkei ein faires Verfahren erwarten können beantragt.

Beantragt wurde weiter die Einvernahme des Rechtsanwalts des BF in der Türkei und Ermittlungen dazu, ob weitere Anwälte oder Organisationen in diesem Verfahren Rechtsverletzungen kritisierten.

I.16. Mit Schreiben vom 10.09.2018 wurde dem BF ein Bericht des Auswärtigen Amtes zum Parteiengehör übermittelt und wurde er gleichzeitig aufgefordert, Änderungen im Privat- und Familienleben bekannt zu geben.

I.17. Die Stellungnahme hierzu langte am 26.09.2018 hg. ein. Es wurden einige Passagen aus dem übermittelten Bericht, insbesondere im Hinblick auf die Gülem-Bewegung, Folgen von Demonstrationsteilnahmen und Folter in Gefängnissen zitiert. Darüber hinaus wurde aus weiteren Berichten zitiert.

In Österreich nehme der BF an Demonstrationen, marxistischen Kongressen und anderen Veranstaltungen der KPÖ teil, rufe dazu auch öffentlich auf und sei bei einer Diskussionsrunde mit einer Oppositionspolitikerin der HDP bei einer KPÖ Veranstaltung in Österreich auf einem Foto erkennbar. Vorgelegt wurden Screenshots aus einem Facebook Account.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, welcher zur Volksgruppe der Kurden gehört und der Alevitischen Religionsgemeinschaft angehört. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein lediger, junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in der Türkei - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der BF stammt aus XXXX und hat nach der Grundschule die Universität bis 2013 besucht.

Vor seiner Ausreise hat der BF bei einem Buchhändler gearbeitet. Die Familie des BF besitzt ein gesamtes Stockwerk in einem Haus sowie ein Haus mit kleinem Grundstück, welches vermietet ist. Der BF hat mit seinen Eltern in XXXX in einer Wohnung gelebt und hat keine Geschwister. Die Mutter des BF lebt nach wie vor dort, der Vater ist zwischenzeitlich verstorben. Darüber hinaus leben diverse Verwandte des BF in der Türkei.

Der BF hat noch keine Deutschprüfung abgelegt, jedoch Deutschkurse besucht. Er ist Mitglied der KPÖ und besucht ein "Volkshaus" sowie eine Kirche. Er unterstützt einen alevitischen Kulturverein in Österreich durch Hilfestellungen am Computer. Er nimmt an Veranstaltungen der KPÖ wie an Demonstrationen (wegen in Österreich relevanten politischen Themen) teil. Einmal hat er an einer Diskussionsrunde, veranstaltet von der KPÖ, mit einer türkischen Politikerin teilgenommen.

Der BF hat keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Er hat bei einer alevitischen Familie gelebt, lebte dann in einer eigenen Wohnung, welche von Freunden und der KPÖ bezahlt wurde und ist nunmehr seit September 2018 wieder in Grundversorgung und dementsprechend untergebracht. Er ist in Österreich noch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen. Er hat eine Freundin, mit welcher kein gemeinsamer Wohnsitz besteht. Es liegt eine Einstellungszusage als Küchengehilfe vor.

Die Identität des BF steht fest.

Er reiste unrechtmäßig, schlepperunterstützt in die Europäische Union und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Hinsichtlich der Verurteilung ist festzustellen, dass der BF im Jahr 2004 sowie zahlreiche weitere Personen für drei Tage festgehalten und beschuldigt wurde, einer Terrororganisation anzugehören. Damals ist er auf freien Fuß angezeigt worden. Am XXXX ist der BF im Zuge einer Ausweiskontrolle festgenommen worden, da gegen ihn eine Fahndung lief. Nach Einvernahmen durch Sicherheitsbehörde und Staatsanwaltschaft wurde der BF freigelassen. Es wurde ein Strafverfahren gegen den BF eröffnet.

Am XXXX wurde der BF mit Urteil des XXXX vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen. Alleine wegen der Aussagen von zwei Zeugen über die Mitarbeit des BF in der DHKP/C sowie dem Umstand, dass der BF den Verein Grundrechte und Freiheiten besuchte, habe man den BF nicht verurteilen können. Dagegen wurde von der Staatsanwaltschaft Berufung mit der Begründung erhoben, dass aus dem gesamten Akteninhalt hervorgehe, dass der BF verurteilt werden solle. Das Ersturteil wurde vom Kassationsgericht mit XXXX 2013 aufgehoben, der Begründung der Staatsanwaltschaft wurde gefolgt und der Akt wurde an das XXXX zurückgeschickt.

Es wurde daher für XXXX eine neuerliche Verhandlung anberaumt. Am XXXX wurden der BF sowie eine weitere Person zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die dem BF zur Last gelegte Straftat lautete gemäß Verurteilung des XXXX auf Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation (wiederholt begangenen Straftaten gemäß Art. 314) Der Strafrahmen von 5-10 Jahren wurde nicht ausgeschöpft. Festgestellt wurde, dass der BF am Deliktsdatum und auch vorher an der illegalen Terrororganisation DHKP/C in der Region XXXX teilgenommen hat und Mitglied einer illegalen, bewaffneten, terroristischen Organisation war. In der Begründung dieses Urteils wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges bzw. Auszügen aus den vorangegangenen Entscheidungen ausgeführt, dass sowohl der Zeuge XXXX als auch der Zeuge XXXX angegeben haben, dass der BF an der Umstrukturierung der DHKP/C in der Ortschaft XXXX XXXX mitgewirkt hat. Am XXXX hat der Anwalt des BF dagegen Berufung erhoben.

Am XXXX beantragte die Oberstaatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs, dass der gemäß dem Gesetz und der Strafprozessordnung gefällte Schuldspruch bestätigt wird.

Nach der Ausreise des BF im Mai 2015 wurde der Berufungsantrag des Rechtsvertreters des BF am XXXX vom Obersten Gerichtshof, XXXX , abgewiesen und das Gerichtsurteil bestätigt. Ausgeführt wurde, dass aufgrund der dem Gericht vorliegenden Unterlagen nach durchgeführter Verhandlung und nach eingehender Untersuchung der gesammtelten Beweise der Beschluss gefasst worden ist, dass das Gerichtsurteil bestätigt wird. Es sind demnach keine Zweifel daran vorgelegen, dass die Rechtfertigungen des BF mit überzeugenden Begründungen widerlegt und Milderungsgründe berücksichtigt wurden. Das Urteil erwuchs gemäß Rechtskraftbestätigung der Oberstaatsanwalt XXXX mit XXXX in Rechtskraft.

Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof in der Türkei wurde im XXXX 2017 hinsichltich der Frage des Rechts auf ein faires Verfahren abgewiesen und hinsichtlich der Frage des Rechts auf einen Prozess in angemessener Zeit an die zuständige Abteilung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen.

Am XXXX 2018 brachte der Rechtsanwalt des BF beim EGMR eine Beschwerde ein, da die nationalen Rechtsmittel erschöpft waren. Ausgeführt wurde darin, dass Art. 6 EMRK, das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wäre. Es seien die zur Verurteilung des BF führenden Zeugeneinvernahmen rechtswidrig aufgenommen worden und gäbe es keine anderen Beweise als diese beiden Aussagen. Auch das Gericht habe sich lediglich auf diese beiden Beweise gestützt. Beide Personen hätten gegen mehr als 300 Personen ausgesagt. Der vorerstige Freispruch sei demgegenüber entsprechend begründet worden. Man habe dann ohne neue Beweise die Entscheidung geändert und den BF verurteilt.

Der BF war Mitglied des alevitischen Kulturvereins XXXX und gab während seiner Universitätszeit gemeinsam mit anderen Studenten die Zeitschrift XXXX heraus, welche er gratis verteilte.

Festgestellt wird, dass der BF aufgrund seiner Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation in der Türkei und dem damit gesetzten Verhalten die nationale Sicherheit gefährdet und ein Ausschlussgrund iSd § 6 AsylG vorliegt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Zusammenhang mit der oben genannten strafgerichtlichen Verurteilung einer nicht den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens genügenden Verfahrensführung durch die türkischen Gerichte unterworfen war.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF von den zuständigen türkischen Gerichten einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten unterworfen war.

Der BF verließ die Türkei vor allem um einem möglichen zukünftigen Strafantritt im Hinblick auf seine zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftige, weil einem Berufungsverfahren vor dem Kassationsgerichtshof unterliegende Verurteilung zu 6 Jahren und 3 Monaten unbedingter Haft wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung DHKP/C zu entgehen.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Abschiebung in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung des BF in die Türkei zulässig und möglich ist und das verhängte Einreiseverbot dem Verhalten des BF entspricht.

II.1.3. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

II.1.3.1. Auswärtiges Amt

Zusammenfassung

• In der Türkei fand in der Nacht vom 15. auf den 16.07.2016 ein Putschversuch statt. Eine Reihe von Putschisten aus dem Militär hatte v. a. in Ankara und XXXX mit Hilfe von Kampfflugzeugen, Helikoptern und Panzern versucht, die staatliche Kontrolle zu übernehmen sowie StP Erdogan zu stürzen. U. a. wurden in Ankara das Parlament, das Polizei-Hauptquartier und andere strategisch wichtige Orte aus der Luft bombardiert. In XXXX sperrten die Putschisten eine Bosporus-Brücke. Der Putschversuch konnte rasch niedergeschlagen werden und war am 16.07.2016 beendet. Die AKP-Regierung hatte viele Bürger der Türkei in der Putschnacht mit Hilfe von Aufrufen der Imame über die Lautsprecher der Moscheen mobilisieren können, sich den Putschisten auf den Straßen entgegen zu stellen. Während des Putschversuchs kamen 241 Personen ums Leben.

• StP Erdogan und die Regierung machten noch unmittelbar in der Putschnacht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Gülen lebt seit 1999 im Exil in den USA. Seine islamische Bewegung, die er 1969 gründete, war lange Zeit eng mit der AKP verbunden. Die Gülen-Bewegung war bislang international v. a für ihre Arbeit im Bildungsbereich (sie betreibt Schulen und Nachhilfeschulen) und in der humanitären Hilfe (humanitäre Hilfsorganisation "Kimse Yokmu") bekannt. Durch ihr Engagement im Bildungsbereich hat sie über die Jahrzehnte ein islamisches Bildungselite-Netzwerk aufgebaut. Aus diesem Bildungs-Netzwerk schöpfte die AKP nach der Regierungsübernahme 2002 viel Personal für die staatlichen Institutionen, nachdem sie dort die kemalistischen Eliten entlassen hatte.

• Im Dezember 2013 kam es zum politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der GülenBewegung, als der Bewegung zugerechnete Staatsanwälte und Richter Korruptionsermittlungen gegen die Familie des damaligen MP Erdogan sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen. Seitdem wirft die Regierung Gülen und seiner Bewegung vor, die staatlichen Strukturen der Türkei unterwandert zu haben. Seit Ende 2013 hat die Regierung in mehreren Wellen Tausende mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen suspendiert, versetzt, entlassen oder angeklagt. Die Regierung hat ferner Journalisten strafrechtlich verfolgt und Medienkonzerne, Banken und auch andere Privatunternehmen durch die Einsetzung von Treuhändern zerschlagen.

• Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie "FETÖ" oder auch "FETÖ/PDY" nennt ("Fethullahistische Terrororganisation / Parallele Staatliche Struktur"). Im Rahmen eines Modellprozesses, der seit Ende November 2016 läuft, wird- durch die Verurteilung von Angeklagten als "FETÖ"-Mitglieder - die gerichtliche Bestätigung dieser Einstufung angestrebt.

• Nach dem Putschversuch hat die Regierung sog. "Säuberungsmaßnahmen" gegen Individuen und Institutionen eingeleitet, die sie der Gülen-Bewegung zurechnet oder denen eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderen terroristischen Vereinigungen vorgeworfen wird. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden bislang gegen 103.850 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, 86.519 Personen wurden in Polizeigewahrsam genommen, davon befinden sich nach letzten Angaben 41.034 in Untersuchungshaft (7.597 Polizei, 6.748 Militär, 2.433 Richter und Staatsanwälte) (Stand: 4.1.2017). 76.000 Beamte wurden vom Dienst suspendiert, auch kam es zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Militärangehörigen (7.536). Die Maßnahmen zielen erklärtermaßen darauf ab, die Anhänger der Gülen-Bewegung aus allen relevanten Institutionen in der Türkei zu entfernen. Bei diesen "Säuberungen" wird nicht zwischen Personen unterschieden, denen lediglich eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird und jenen Personen, die einer aktiven Beteiligung am Putschversuch verdächtigt werden. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen verhängte die Regierung am 20.07.2016 den Notstand, zunächst für drei Monate. Am 19.10.2016 und am 3.1.2017 wurde dieser Notstand für jeweils drei Monate verlängert. Er gilt nun mindestens bis 19.04.2017. Von den Maßnahmen besonders stark betroffen sind Militär, Polizei, Gendarmerie, Justiz und das Bildungswesen. Diese Institutionen dürften angesichts der hohen Zahl der Entlassungen in ihrer Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt sein. 20.734 Lehrer, Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Soldaten und Beamte wurden entlastet und ihre Suspendierung wieder aufgehoben.

• Es gibt Zweifel daran, dass im Militär tatsächlich nur vermeintliche Anhänger des GülenNetzwerks am Putschversuch beteiligt waren. Inoffiziell geben AKP-Vertreter zu, dass auch politisch anders gesinnte Kräfte beteiligt gewesen sein dürften. Auch die beschriebenen Maßnahmen betreffen zwar in der großen Mehrzahl Personen, die der GülenBewegung zugerechnet werden, aber in einigen Fällen sind auch Personen und Institutionen betroffen, die Beobachter als links-liberale oder kemalistische Kritiker der Regierung und des Staatspräsidenten beschreiben. Beweise für ihre Hypothese, dass Fethullah Gülen selbst den Befehl zum Putschversuch gegeben habe, hat die türkische Regierung bislang nicht vorgelegt.

• Die Regierung hat seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setzt. Die Atmosphäre speist sich aus den "Säuberungsmaßnahmen" und mit ihnen einhergehenden öffentlichen Aufrufen zur Denunziation, aus der Überhöhung des nationalen Wiederstands, der allabendlich mit Demonstrationen auf den zentralen Plätzen der Großstädte gefeiert wurde und seinen Höhepunkt in einer Kundgebung im Stadtteil Yenikapi in XXXX am 07.08.2016 fand, an dem mehrere Millionen Bürger teilnahmen sowie aus dem medialen und ikonografischen Ausweiden des Putschversuchs und des Widerstands. Diese national überhöhte Atmosphäre erlaubt es den Bürgern der Türkei derzeit kaum, der offiziellen Version der Verantwortung der Gülen-Bewegung für den Putschversuch zu widersprechen. Alle relevanten politischen Kräfte in der Türkei bekennen sich - aus unterschiedlichen Gründen - zu dieser Darstellung. Sie zu hinterfragen, wäre gleichbedeutend mit einer Parteinahme für die Putschisten und insofern ein Risiko für die persönliche Sicherheit.

• Bereits vor dem Putschversuch und seit der Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 hatte Erdogan in der Innenpolitik einen zunehmend autoritären Weg eingeschlagen, der die Türkei sukzessive von europäischen Standards und Werten entfernt. Zu beobachten sind eine zunehmende Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, Missbrauch der Justiz für persönliche Machtinteressen, eine verstärkte politische Einflussnahme auf die Wissenschaft/ Universitäten, eine deutliche Eskalation im Kurdenkonflikt und damit insgesamt eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation und ein Rückschritt in der demokratischen Entwicklung der Türkei.

• Handlungsleitend ist für StP Erdogan der unbedingte Wunsch nach Einführung eines exekutiven Präsidialsystems, das ihm erlauben würde, Partei und Staat gemeinsam zu führen. De facto übt Erdogan seine Rolle bereits jetzt exekutiv aus, es fehlt jedoch eine Legalisierung dieses Zustands. Für eine eigenständige Verfassungsänderung fehlt der AKP im Parlament jedoch die nötige Stimmenmehrheit. Diese hat sie nun mit Hilfe der Oppositionspartei MHP erreicht. Ein entsprechender Entwurf für die Änderung der Verfassung in ein Präsidialsystem wurde im Januar 2017 vom Parlament beschlossen und soll in einer Volksabstimmung angenommen werden.

• Thematisch fährt Erdogan zur Erreichung seines Ziels seit Sommer 2015 einen verstärkt nationalistischen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK ist. Tatsächlich muss die Türkei seit Sommer 2015 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie ist dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des "IS" sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch links-extremistischer Gruppierungen wie der DHKPC ausgesetzt. Eine Abnahme der Bedrohungsszenarien ist nicht in Sicht. Viele der zunehmenden Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertigt die Regierung daher mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Jedoch werden jenseits der Bekämpfung realer terroristischer Bedrohungen Terrorismusvorwürfe inflationär genutzt: Neben der Einstufung der Gülen-Bewegung als Terrororganisation wurden im Zuge einer temporären Verfassungsänderung am 8. Juni 2016 u. a. 57 von 59 Abgeordneten der prokurdischen HDP die parlamentarische Immunität entzogen. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützen sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen die AntiTerror-Gesetze. Nach Abschluss der Verfahren könnten einige dieser Abgeordneten ihre Mandate verlieren. Aktuell befinden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016).

• Meinungs- und Pressefreiheit sind akut bedroht. Seit Juli wurden per Notstandsdekret rund 170 überwiegend Gülen-nahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen; ca. 3.000 Journalisten haben durch Schließungen ihren Job verloren und haben - gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten - keine Aussicht darauf, einen neuen zu finden. Als Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gegen diese Personen wird häufig ebenfalls der Terrorismustatbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt. 140 Journalisten sitzen nach Angaben von Human Rights Watch derzeit in Haft Im Pressefreiheits-Ranking von "Reporter ohne

Grenzen" kommt die TUR nur noch auf Platz 151 von 180 Ländern. . Ca.

80 % der verbleibenden Medien sind dem regierungsnahen Spektrum mit finanziellen und personellen Verbindungen zur AKP zuzurechnen. Regierungskritische Medien, darunter prominent die linkskemalistische Tageszeitung CUMHURIYET, stehen unter massivem Druck. Die Berichterstattung ist geprägt von Selbstzensur, regierungskritische Beiträge werden seit dem Putschversuch noch seltener - und waren auch vorher schon nicht häufig. Seit 2016 wurden fünf syrische Journalisten auf türkischem Boden von mutmaßlichen IS-Mitgliedern ermordet.

• Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle sind Diskriminierungen aufgrund von Homophobie sowie Gewalt durch Sicherheitskräfte und Privatpersonen (auch eigene Familien), insbesondere gegen Transsexuelle, ausgesetzt. Im August 2016 wurde die Transsexuelle Hande Kader in XXXX ermordet. Zudem gibt es Probleme beim Zugang zur Justiz, fehlende Bestrafung von Tätern, Misshandlung von transsexuellen Frauen durch die Polizei, Probleme beim Zugang zu Ausbildung, Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt und sozialen Einrichtungen, insbesondere außerhalb der Metropolen. Die jährlich in XXXX stattfindende Pride Parade wurde 2016 erneut verboten.

• Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK jedoch wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Seit dieser erneuten Eskalation forderte der Konflikt

4.895 Todesopfer (davon 475 Zivilisten, 478 Angehörige der Streitkräfte, 211 Polizisten und 3.731 PKK-Kämpfer - Stand 21.09.2016). Auch nach dem Putschversuch gibt es keine Entspannungssignale, der Konflikt wird von beiden Seiten unvermindert fortgeführt.

I. Allgemeine politische Lage

1. Überblick

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staatsoberhaupt mit primär repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Ministerpräsident. Die Amtszeit des 2014 erstmals direkt vom Volk gewählten Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Staatspräsident Erdogan will einen Systemwechsel hin zu einem exekutiven Präsidialsystem und übt seine Rolle bereits jetzt de facto exekutiv aus.

Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben. Die letzte Parlamentswahl am 01.11.2015, die in ihrer Durchführung am Wahltag als frei und fair galt, im Wahlkampf aber die Regierungspartei AKP u.a. medial bevorteilte, brachte der "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Erdogan 49,5 % der Stimmen. Damit verfehlte die AKP die für eine Verfassungsänderung notwendige 2/3- bzw. 3/5-Mehrheit (mit anschließendem Referendum). Den November-Neuwahlen vorausgegangen waren die regulären Parlamentswahlen vom 07.06.2015, bei denen die AKP erstmals seit Übernahme der Regierung 2002 die absolute Mehrheit verpasste. Nach von StP Erdogan nicht umfassend unterstützten Koalitionsverhandlungen der AKP mit CHP und MHP wurden Neuwahlen ausgerufen.

Ein im Oktober 2011 gestarteter Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung gemeinsam mit den anderen im Parlament vertretenen Parteien war bereits im Dezember 2013 gescheitert. Ein neuer Versuch nach den letzten Parlamentswahlen kam im Verfassungsausschuss schnell zum Erliegen, da die Oppositionspartei CHP sich mit Verweis auf die von ihr abgelehnte Einführung eines exekutiven Präsidialsystems aus dem Ausschuss zurückzog. Nach dem Putschversuch Mitte Juli 2016 hat die Regierung die Oppositionsparteien CHP und

MHP erneut zur Mitarbeit an einer neuen Verfassung eingeladen. Diesem Aufruf ist nur die MHP gefolgt. Anfang Dezember 2016 hat die AKP einen mit der MHP abgesprochenen Entwurf einer Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems ins Parlament eingebracht, der im Januar 2017 mit der für ein Referendum erforderlichen 3/5-Mehrheit beschlossen wurde. Das Referendum soll im April 2017 durchgeführt werden.

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung durch Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9

(Judikative) festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte "im Namen der türkischen Nation". Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte (HSYK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Hohen Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Im Februar 2014 wurden im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des HSYK vorgenommen. Sie führen zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenzen an den Justizminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Rates ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers ist der Einfluss der Exekutive im HSYK deutlich gestiegen. Seitdem kam es zu Hunderten von Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten. Im ersten Halbjahr 2015 wurde auch gegen Richter und Staatsanwälte ermittelt, die als mutmaßliche Gülen-Anhänger illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben sollen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf Richter und Staatsanwälte des HSYK verhaftet. Der Entwurf einer Verfassungsänderung sieht derzeit eine Änderung der Zusammensetzung des HSYK vor. Demnach würden die Mitglieder in Zukunft jeweils zur Hälfte von Staatspräsident und Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen einer Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte.

Das Verfassungsgericht (Anayasa Mahkemesi) prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Nach dem Putschversuch wurden zwei Richter des Verfassungsgerichts verhaftet und mit Beschluss des Plenums des Gerichts entlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof (Danistay) war bislang Revisionsinstanz der Verwaltungsgerichte. Revisionsinstanz aller Zivil- und Strafgerichte war der Kassationsgerichtshof (Yargitay). Aufgrund der großen Überlastung beider Gerichtshöfe wurde unmittelbar vor dem Putschversuch Ende Juni 2016 die seit mehreren Jahren geplante Berufungsinstanz in Form von Regionalgerichten eingeführt. Im Zuge dieser Maßnahme wurde durch eine Gesetzesänderung vom 01.07.2016 die Mitgliederzahl beider Gerichtshöfe reduziert. Am 25.07.2016 wurden anstelle der entlassenen Richter (mit Ausnahme der jeweiligen Gerichtspräsidenten) 267 neue Mitglieder für den Kassationsgerichtshof und 75 für den Verwaltungsgerichtshof gewählt.

Die früheren "Staatssicherheitsgerichte" (Devlet Güvenlik Mahkemesi - DGM) und die "Gerichte für schwere Straftaten mit Sonderbefugnis" sind aufgelöst. Ihre sachliche Zuständigkeit haben regionale "Gerichte für schwere Straftaten" (Agir Ceza Mahkemeleri) übernommen.

2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen

Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch (wie alle Vereine) nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Die Vereine sind nach wie vor des Öfteren (Ermittlungs-) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt, (z.B. kürzliche Anordnung einer unverhältnismäßig hohen Geldstrafe gegen die Menschenrechtsstiftung TIHV wegen angeblicher Verletzung der Sozialabgabepflichten). Viele dieser Verfahren enden mit Freisprüchen.

Die am 30.06.2012 gegründete MR-Institution der Türkei (MRI, Insan Haklari Kurumu) wurde am 07.04.2016 durch das Institut für Menschenrechte und Gleichstellung (Insan Haklari ve Esitlik Kurumu) ersetzt. Die neue Institution geht aus einem Antidiskriminierungsgesetz hervor, das die Türkei am 06.04.2016 zur Erfüllung der Kriterien zur Visaliberalisierung erlassen hatte (seit 20.04.2016 in Kraft). Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Ministerrat (8) und Staatspräsidenten (3) bestimmt werden. Dem IMRI-Institut kommt die Rolle des "Nationalen Präventionsmechanismus" gem. OPCAT zu. Die neue Institution ist formell nicht mehr dem Ministerpräsidialamt unterstellt, sondern wird laut Gesetz "in Beziehung" zum PMAmt stehen. Sie wird sich selbst verwalten und finanziell unabhängig sein (Sonderbudget). MR-Vereine beurteilen die Neueinrichtung sehr skeptisch, da schon die vorherige Institution keine praktische Relevanz hatte und nicht unabhängig gewesen sei. Nun sei aber klar, dass alle Mitglieder von der Exekutive ernannt werden. Bis jetzt hat die Institution ihre Arbeit noch nicht aufgenommen.

Seit Juni 2012 verfügt die Türkei auch über das in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannte

Amt eines Ombudsmanns mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden. Ferner verfügt das Parlament über einen ständigen Ausschuss für Menschenrechte sowie einen Petitionsausschuss, die sich allerdings kaum mit Fragen wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit befassen.

3. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs

Die Polizei untersteht dem Innenministerium und übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Sie hat, wie auch der nationale Geheimdienst MIT (Millî Istihbarat Teskilâti), der sowohl für die Inlands- wie für die Auslandsaufklärung zuständig ist, unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der GülenBewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Der MIT ist die Institution, die am meisten Einfluss gewinnen konnte. (siehe auch Abschnitt II.1.1.)

Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig, rekrutiert sich aus Wehrpflichtigen und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz.

Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, die AKP-Regierung konnte seit Sommer 2011 bei einer Reihe von Entscheidungen das Primat der

Politik unterstreichen. Von den "Säuberungen" seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist das Militär besonders stark betroffen. Erstmals wurde das Militär unter zivile Aufsicht (des gestärkten Verteidigungsministeriums) gestellt, seine Autonomie in personellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen aufgehoben. Auch das traditionelle Selbstverständnis des türkischen Militärs als Hüter der von Staatsgründer Kemal Atatürk begründeten Traditionen und Grundsätze, besonders des Laizismus und der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus), ist in Frage gestellt.

II. Asylrelevante Tatsachen

1. Staatliche Repressionen

Aktuell gibt es deutliche Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung vermeintlicher Anhänger der Gülen-Bewegung ohne dass es Kriterien dafür gäbe, was einen "Anhänger" kennzeichnet. Türkische Behörden (bzw. Gerichte) können eine Person bereits dann als "FETÖ"-Terrorist einordnen, wenn diese Mitglied der Gülen-Bewegung ist oder persönliche Beziehungen zu den Mitgliedern der Bewegung unterhält, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht hat oder im Besitz von Schriften Gülens ist. Als besonders starkes Indiz werden finanzielle Beziehungen von Personen zu Einrichtungen gewertet, die der GülenBewegung nahe stehen. Im Zuge der starken politischen Polarisierung und insbesondere wegen der erneuten Eskalation des Konflikts mit der PKK wurde der Druck auf regierungskritische Kreise deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen (siehe nachfolgende Abschnitte).

1.1. Politische Opposition

Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Der links-kurdischen Partei HDP droht die politische Marginalisierung im Zuge von Anklagen gegen 57 der 59 HDP-Abgeordneten nach Aufhebung ihrer Immunitäten im Juni 2016 (auch Abgeordnete anderer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung betroffen). Aktuell befinden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016), darunter die beiden Ko-Vorsitzenden. Den HDP-Abgeordneten wird zu großen Teilen Terrorismus-Unterstützung (PKK) vorgeworfen. Damit würden ihnen im Falle von

Verurteilungen lange Haftstrafen sowie ein fünfjähriges Politikverbot und damit der Verlust ihrer Mandate drohen. Auch auf lokaler Ebene versucht die Regierung, den Einfluss der HDP, bzw. ihrer Schwesterpartei DBP, zu verringern. Die DBP stellt 97 der Bürgermeister im Südosten der Türkei und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird vielen DBP-Mitgliedern Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete sind insgesamt 51 gewählte Kommunalverwaltungen, überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhändler ersetzt worden.

Das letzte Verbot gegen eine politische Partei wurde 2009 gegen die pro-kurdische DTP (Demokratik Toplum Partisi) verhängt, deren Nachfolgepartei BDP (Baris ve Demokrasi Partisi) jedoch spätestens mit Beginn des Lösungsprozesses zwischen der Regierung und PKKChef Öcalan Ende 2012 als etablierte Partei im türkischen Parlament anerkannt war. Ende April 2014 traten die BDP-Parlamentsabgeordneten mehrheitlich zur Schwesterpartei HDP (Halklarin Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker) über, die als "Dachpartei" weitere linksgerichtete Organisationen umfasst und über das kurdische Spektrum hinaus weitere Wählerschichten ansprechen soll. Für die Regierung war die HDP Verhandlungspartner im Lösungsprozess. Sie wurde am 07.06.2015 mit 13,1 % der Stimmen erstmals als Partei ins Parlament gewählt (zuvor war sie mit unabhängigen Kandidaten vertreten), am 01.11.2015 gelang ihr mit 10,8 % der Stimmen nur knapp die Überwindung der Zehnprozenthürde zum Wiedereinzug ins Parlament.

Teilen der Basis der HDP / BDP wird nachgesagt, Verbindungen zur PKK (Partiya Karkerên Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistans, auch in Deutschland als ausländische Terrororganisation eingestuft) sowie zu deren politischer Dachorganisation KCK (Koma Ciwaken Kürdistan, Union der Gemeinschaften Kurdistans) zu pflegen. Strafverfolgung gegen die PKK und die KCK betrifft insofern teilweise auch Mitglieder der HDP/ BDP.

In diesem Rahmen wurden seit April 2009 nach Schätzungen unabhängiger Beobachter (u.a. der Europäischen Union) über 2.000 Personen in allen Landesteilen und insbesondere im kurdisch geprägten Südosten verhaftet und z.T. bereits verurteilt, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger der BDP. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Die KCK hat nach Auffassung der türkischen Behörden zum Ziel, von der PKK dominierte quasi-staatliche Parallelstrukturen (z. B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen. Das umfangreichste Verfahren gegen 187 Angeklagte in Diyarbakir hat 2010 begonnen und dauert weiterhin an. Die Vorwürfe beruhen nach Ansicht der Verteidigung zum großen Teil auf illegalen Telefonüberwachungen und nicht stichhaltigen Beweisen. Alle Angeklagten wurden zwischenzeitlich aufgrund der Justizreformpakete aus der Untersuchungshaft entlassen. Bei diversen anderen Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren XXXX , Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert. Aktuellen Erkenntnissen zufolge befinden sich in diesem Zusammenhang derzeit noch 20 bis 25 Journalisten in Haft.

1.2. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, in der Praxis sind diese Rechte aber zunehmend ausgehebelt.

Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind. In der Praxis werden bei pro-kurdischen oder politischen Versammlungen des linken Spektrums (z. B. marxistisch-leninistisch ausgerichteter Gruppierungen) regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder.

Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilicher Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst. Regierungskritische Demonstrationen nach den "Gezi-Park-Protesten" im Sommer 2013 wurden vielfach aufgelöst.

Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB (kriminelle Vereinigung) durch den Obersten Strafgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Sie mussten mit einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen.

Mit dem 3. Justizreformpaket wurde die Möglichkeit zu deutlichen Strafmilderungen und Haftaussetzung für Nichtmitglieder einer Terrororganisation geschaffen und mit dem 4. Justizreformpaket die Doppelbestrafung nach ATG und StGB abgeschafft.

Das 2004 novellierte Vereinsgesetz erlaubt die Gründung von Vereinen auf der Grundlage der Zugehörigkeit u. a. zu einer Religion oder Volksgruppe innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Türkisch muss nur noch in der offiziellen Korrespondenz des Vereins mit staatlichen Institutionen benutzt werden. (siehe auch Abschnitt 1.8.).

Die türkische Rechtsordnung garantiert die Presse- und Meinungsfreiheit, schränkt sie jedoch durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Antiterrorgesetze ein. Kritisch bleiben nach wie vor die unspezifische Terrorismusdefinition und ihre Anwendung durch die Gerichte. Nachdem StP Erdogan am 14. März 2016 eine Neudefinition des "Terrorismus"-Begriffs im Antiterrorgesetz gefordert hatte, arbeiten Rechtsexperten der AKP bereits an einer entsprechenden Gesetzesreform. Ziel der Neudefinition soll es sein, dass auch Personen, die in Medien und sozialen Netzwerken "Terrorpropaganda betreiben sowie Terrororganisationen logistische Unterstützung leisten", von dieser erfasst werden. Ebenso problematisch wie die Frage nach der Definition des Terrorismusbegriffs ist jedoch die sehr weite Auslegung des Begriffs durch die Gerichte. So kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die "Beleidigung des Türkentums" ist gemäß Art. 301 StGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält. Die Mehrzahl dieser Anzeigen führt allerdings nicht mehr zu Strafverfahren, da der Justizminister die nötige Zustimmung in der Regel nicht erteilt. 2014 wurden insgesamt 357 Ermittlungsakten übersandt (neuere Zahlen liegen nicht vor). Von insgesamt 449 Fällen wurden lediglich 72 bzw. 21% (2013: 140 - 6%) eröffnet. Verfahren wegen Beleidigung des derzeitigen Staatspräsidenten gemäß Art. 299 tStGB haben sich einer Studie der CHP im Vergleich zu den Vorgängern fast verzehnfacht. Laut türkischen Medienberichten wurden seit August 2014 1.845 Klagen erhoben bzw. Strafermittlungsverfahren eingeleitet. Zurzeit läuft ein Antragsverfahren des 43. Istanbuler Strafgerichts an das Verfassungsgericht zur Aufhebung des Artikels wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 10 Verf.) sowie gegen das Prinzip der Rechtstaatlichkeit unter Art. 2 Verf. Im Nachgang des Putschversuchs verkündete StP Erdogan am 29.07.2016 die Strafanträge gegen Inländer wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zurückzuziehen - mit Ausnahme der Verfahren, die gegen Mitglieder der HDP laufen.

Seit Beginn der dem Putschversuch folgenden "Säuberungen" wurden nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" über 100 Journalisten inhaftiert. Den meisten von ihnen wird Unterstützung der Gülen-Bewegung oder der PKK vorgeworfen. Gegen den ehemaligen Chefredakteur von Cumhuriyet, Can Dündar, sowie den Leiter des Ankaraner Büros der Tageszeitung, Erdem Gül, läuft ein Verfahren wegen Spionage und Verrats von Staatsgeheimnissen. Can

Dündar sowie Erdem Gül wurden im Mai 2016 zu fünf Jahren und zehn Monaten bzw. fünf Jahren Haft verurteilt, das Berufungsverfahren läuft derzeit noch; Can Dündar hält sich derzeit in Deutschland auf und kündigte an, er werde nicht in die Türkei zurückkehren, weil er dem Rechtssystem nicht vertraue. Zehn weitere Mitarbeiter von Cumhuriyet sind seit Herbst 2016 in Untersuchungshaft; ihnen wird u. a. Geldwäsche in Zusammenhang mit dem GülenNetzwerk vorgeworfen. TIHV Vorsitzende Sebnem Korur Fincanci, Journalist Ahmet Nesin und der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu, wurden im Juni 2016 unter dem Vorwurf der Propaganda einer Terrororganisation verhaftet. Sie waren drei von 44 Personen, die aus Solidarität mit der Kurden-nahen Tageszeitung "Özgür Gündem" abwechselnd die Leitung übernahmen und jetzt für Publikationen in diesem Zeitraum verantwortlich gemacht werden. "Özgür Gündem" wurde mit Gerichtsbeschluss vom 16.08.2016 geschlossen.

Unfreiheit in der Presse entsteht auch dadurch, dass kritische Journalisten angesichts bekannter Tabuthemen zu Selbstzensur greifen, um Druck oder Entlassung zu entgehen.

Mit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und der Ausrufung des Notstands beschleunigte sich das Vorgehen gegen die Gülen-Medien rasant; innerhalb von sechs Wochen wurden sämtliche Gülen-nahen Medien per Dekret geschlossen. Ende Dezember 2016 veranlasste ein Richter in XXXX die Beschlagnahmung des Privatvermögens von 54 z.T. inhaftierten Journalisten/Publizisten, die in der Vergangenheit bei Gülen-nahen Medienorganen angestellt waren. In der Türkei gibt es heute keine Medien mehr, die der Gülen-Bewegung bzw. ihr nahe stehenden Körperschaften gehören. Insgesamt wurden seit Juli 2016 mehr als 180 Medienorgane geschlossen, 330 Journalisten wurde der Presseausweis entzogen, 200 weitere Journalisten erhielten ein Zugangsverbot für das Parlament. (Mord-) Drohungen gegen und tätliche Angriffe auf regierungskritische Journalisten sind keine Seltenheit; seit 2016 wurden fünf syrische Journalisten auf türkischem Boden mutmaßlich durch Mitglieder des IS ermordet.

Das Internet in der Türkei ist nicht vollständig frei. Im Zeitraum vom 04.-07.11.2016 wurden Onlineplattformen und Messengerdienste wie WhatsApp, Twitter, Facebook und Youtube im Zuge der HDP-Festnahmen für Tage gesperrt bzw. lahmgelegt. Die Telekommunikationsbehörde TTK forderte zudem mehrere VPN-Provider dazu auf, VPN-Verbindungen aus der Türkei zu stoppen. Angaben des Brookings Instituts zufolge gab es zwischen Juli 2015 und Juni 2016 insgesamt 66 Stunden Internetsperrungen (Vollsperrungen) in der Türkei. Im Zusammenhang mit den Terrorattentaten in Ankara und XXXX wurde in allen Fällen unmittelbar nach den Anschlägen eine Nachrichtensperre auferlegt; Facebook und andere soziale Medien wu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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