TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/5 W125 2213952-1

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Veröffentlicht am 05.03.2019
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Entscheidungsdatum

05.03.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W125 2213952-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.1.2019, Zl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG mit der Maßgabe, dass sich die Zuständigkeit Polens aus Art 12 Abs 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) ergibt, als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 21 Abs 5 Satz 1 BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nachdem der Beschwerdeführer am 7.10.2018 über den Grenzübergang

XXXX unter Verwendung des polnischen Aufenthaltstitels XXXX in die Europäische Union eingereist war, begab er sich nach Österreich und stellte am 8.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seiner Person liegen folgende EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vor:

* Norwegen vom XXXX 2008

* Norwegen vom XXXX 2016

* Deutschland vom XXXX 2016

* Deutschland vom XXXX 2017

Zudem scheint im Schengener Informationssystem bezüglich des Beschwerdeführers eine Treffermeldung zur Identität XXXX hinsichtlich eines Einreise-/Aufenthaltsverbotes im Schengener Gebiet auf (erstellt von Dänemark).

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 9.10.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe vor zirka vier Tagen seinen Herkunftsstaat verlassen und sich über Weißrussland und Polen nach Österreich begeben. Er sei mit einem russischen Inlandspass und einem russischen (internationalen) Reisepass ausgereist. In Polen sei er nur auf der Durchreise gewesen, aber Tschetschenen hätten ihn ermorden wollen. Er habe dort ein Ticket gekauft und sei mit dem Zug von Warschau nach Wien gefahren. Vor seiner letzten Ausreise aus Tschetschenien habe er sich zwei Jahre in Deutschland aufgehalten. Er habe Deutschland freiwillig verlassen, weil seine Mutter krank sei. In Norwegen und in Deutschland habe er um Asyl angesucht. In Norwegen habe er kein Asyl bekommen, in Deutschland hätte er noch warten müssen. Wenn er nach Deutschland zurückkehren müsste, hätte er kein Problem damit, er würde gerne dorthin zurückkehren. In Österreich halte sich ein Bruder auf und in Frankreich sei eine Schwester aufhältig.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 12.10.2018 jeweils auf Art 34 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestützte Informationsersuchen an Polen und an die Bundesrepublik Deutschland.

Mit Schreiben vom 18.10.2018 gab die polnische Dublin-Behörde bekannt, dass der Beschwerdeführer am XXXX 2007 in Polen einen Asylantrag gestellt habe und ihm mit Entscheidung vom XXXX 2008 der Flüchtlingsstatus nicht zuerkannt, jedoch ein geduldeter Aufenthalt ("tolerated stay") gewährt worden sei. Am 7.10.2018 sei er über den Grenzübergang XXXX ("due to tolerated stay") in das polnische Staatsgebiet eingereist.

Daraufhin richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.10.2018 ein auf Art 12 Abs 1 oder Abs 3 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Polen.

Mit Schreiben vom 14.12.2018 stimmte die polnische Dublin-Behörde diesem Ersuchen unter Bezugnahme auf Art 18 Abs 1 lit d Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 9.1.2019, an der auch ein Rechtsberater teilnahm, verwies der Beschwerdeführer auf einen Bruch am linken Knie, auf Narben an der rechten Augenbraue sowie über der Oberlippe und gab zu seinem Gesundheitszustand an, er habe ein Magengeschwür, das nicht akut sei, aber er müsse aufpassen. Er sei im Jahr 2005 in Tschetschenien operiert worden und in medizinischer Behandlung gewesen. Er habe immer wieder Magenschmerzen; in Deutschland seien ihm Medikamente verschrieben worden. In Österreich sei er noch nicht beim Arzt gewesen, weil noch Medikamente aus Deutschland übrig seien.

In Österreich lebe eine Schulkollegin von ihm. Er kontaktiere niemanden, weil er Angst habe, dass sein Handy abgehört werde. Die Frage, ob er in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder beziehungsweise Verwandte habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine enge Beziehung bestehe, verneinte der Beschwerdeführer. Befragt nach einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft, merkte er an, er wohne hier im Haus mit seinen Mitbewohnern fast wie in einem Hotel.

Damit konfrontiert, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und eine "Ausweisung" nach Polen zu veranlassen, führte der Beschwerdeführer (zusammengefasst) aus, er sei im Jahr 2009 von Norwegen nach Polen überstellt und Anfang Juni 2009 von jungen Leuten, drei Buben und zwei Mädchen, in Polen überfallen worden. Sie hätten ihm in einer Ortschaft in der Nähe von Krakau alle Papiere weggenommen und ihn niedergeschlagen. Er sei bewusstlos gewesen und dann habe ihm ein polnischer Mann geholfen. Später habe er bei der Polizei eine Anzeige erstattet und ein Blatt Papier bekommen, in dem bestätigt worden sei, dass seine Papiere gestohlen worden seien. Vom russischen Konsulat habe er ein Dokument bekommen, mit dem er dann nach Tschetschenien gereist sei. Gegen eine Überstellung nach Polen spreche außerdem, dass er in Polen von Tschetschenen bedroht worden sei. Sie hätten ihn zum Beten zwingen wollen. Einer habe ihn gefragt, ob er regelmäßig bete, was er verneint habe. Dann habe dieser eine gesagt, dass er ihn töte und die anderen hätten gesagt, dass sie ihn unterstützen würden. Diese Bedrohungen habe er nicht angezeigt, es seien doch Landsleute gewesen. 2016 und 2018 sei das mehrmals passiert. Auf die Frage, ob er bereit sei, freiwillig nach Polen zurückzukehren, gab der Beschwerdeführer an, er habe ein schlechtes Gefühl, falls er nach Polen solle. Er wolle in kein post-sozialistisches Land; die westeuropäischen Länder seien ihm näher.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.1.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen für die Prüfung des Antrages gemäß Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge seine Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Polen traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl folgende Feststellungen (unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

"(...) Allgemeines zum Asylverfahren

In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten:

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(AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 3.11.2017

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab dessen Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. 2016 gab es keinen einzigen Fall, in dem ein Verfahren innerhalb der Neun-Monatsfrist wiedereröffnet worden wäre. Viele Rückkehrer zogen hingegen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einer Wiedereröffnung ihrer Verfahren vor. Dublin-Rückkehrer sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt wie alle anderen Antragsteller (AIDA 2.2017; vgl. EASO 24.10.2017).

Das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt den Gesundheitszustand eines Rückkehrers nach seiner Überstellung nach Polen, auch im Hinblick auf seine speziellen Bedürfnisse. Außerdem werden im Einvernehmen mit dem Fremdenamt (UDSC) und dem medizinischen Personal die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers bzw. die eventuelle Notwendigkeit, ihn in einer fachlichen medizinischen Einrichtung unterzubringen, abgesprochen. Abhängig von dem Zustand der motorischen Fähigkeit des Ausländers stellt die Grenzwache den Transport eines bedürftigen Rückkehrers zum Aufnahmezentrum, einer medizinischen Einrichtung (falls er einer sofortigen Hospitalisierung bedarf) oder einer fachlichen medizinischen Einrichtung sicher. Personen mit einer vorübergehenden oder dauerhaften motorischen Behinderung, die eines Rollstuhls bedürfen, werden in einem für die Bedürfnisse der motorisch Behinderten angepassten Zentrum untergebracht. Falls der Ausländer einer Rehabilitation bedarf, wird medizinische Ausrüstung sichergestellt. Das medizinische Personal des Flüchtlingszentrums bestimmt die Bedürfnisse des Rückkehrers im Bereich der Rehabilitation und der medizinischen Ausrüstung. Es besteht die Möglichkeit, eine vom Arzt verordnete Diät anzuwenden. Das Fremdenamt garantiert einen Transport zu fachärztlichen Untersuchungen oder Rehabilitation. Der Transport zu ärztlichen Terminen in medizinischen Einrichtungen wird garantiert. Antragsteller, die schwer behindert, pflegebedürftig oder bettlägerig sind, deren Pflege in einem Flüchtlingszentrum nicht gewährleistet werden kann, werden in speziellen Pflegeanstalten oder Hospizen untergebracht. Diese Einrichtungen garantieren medizinische Leistungen samt der notwendigen Rehabilitation für Behinderte rund um die Uhr und professionell ausgebildetes Personal (VB 7.7.2017).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query.

Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail

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VB des BM.I in Polen (7.7.2017): Bericht der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, alleinerziehende Elternteile, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Am Anfang und während des Asylverfahrens sind vom Gesetz gewisse medizinische und psychologische Identifikationsmechanismen vorgesehen und werden auch angewendet, wenn auch die Initiative dazu oft vom Antragsteller ausgehen muss. An der Grenze wendet die Grenzwache eigene Identifizierungsmechanismen für Vulnerable an, die von NGOs als ungenügend kritisiert werden. Einige NGOs behaupten, dass das im polnischen Gesetz vorgesehene Identifikationssystem für Vulnerable in der Praxis nicht funktioniere (AIDA 2.2017).

Die für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen zuständige Vertragsfirma Petra Medica ist vertraglich verpflichtet, einen Früherkennungsmechanismus für Vulnerable zu betreiben. Psychologische Versorgung inklusive Übersetzung ist in allen Unterbringungseinrichtungen vorhanden. Verfahren vulnerabler Personen werden priorisiert und alle Beamten im Umgang mit Vulnerablen geschult. Das Verfahren zur Identifizierung Vulnerabler wurde im Zuge eines Projekts mit einer NGO entwickelt. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse geschieht durch einen Arzt während der Erstuntersuchung (epidemiologischer Filter). Werden psychische Probleme erkannt, wird der Betreffende zu einem Psychologen überwiesen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Hinweise auf Vulnerabilität aufkommen, wird ebenfalls eine psychologische Untersuchung veranlasst. Gleiches gilt bei Hinweisen auf Folter. Wenn auch von NGOs behauptet wird, die Identifizierung der Vulnerabilität funktioniere in der Praxis nicht immer, kann Polen dennoch als positives Beispiel genannt werden, da der Identifikationsmechanismus verpflichtend ist, und konkrete Umsetzungsmaßnahmen festgelegt wurden (HHC 5.2017).

In Polen gibt es drei NGOs, die sich auf die psychologische Betreuung von vulnerablen Asylwerbern spezialisieren. Die NGO International Humanitarian Initiative arbeitet in Warschau und besucht nötigenfalls auch geschlossene Einrichtungen. Sie betreiben auch das Projekt "Protect" für Folteropfer. Die NGO Ocalenie Foundation arbeitet auch in Warschau und hat einen Psychologen, der Russisch und Englisch spricht. Die dritte ist die Stiftung Róznosfera, welche 2015-2016 ein Projekt mit Grenzwache und Asylbehörde zur Identifizierung von Vulnerablen betrieben hat. Andere NGOs bieten psychologische Hilfe aus finanziellen Gründen nur eingeschränkt und unregelmäßig an (AIDA 2.2017).

Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind auch entsprechend unterzubringen. Einige der Unterbringungszentren in Polen sind behindertengerecht angepasst. Drei Zentren haben spezielle Eingänge und Bäder für Rollstuhlfahrer, sieben andere Zentren haben gewisse Verbesserungen für diese Gruppe umgesetzt, und es gibt Rehabilitationsmaßnahmen. Traumatisierte Asylwerber (etwa Folteropfer) können in Einzelzimmern untergebracht werden. In Warschau gibt es ein Zentrum, speziell für alleinstehende Frauen mit Kindern. Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).

Wenn Zweifel an der Minderjährigkeit eines Antragstellers bestehen, ist, mit Zustimmung des Antragstellers bzw. seines Vertreters, eine medizinische Altersfeststellung vorgesehen. Es gibt drei Möglichkeiten hierfür: allgemeine Untersuchung, Handwurzelröntgen und Zahnuntersuchung, in dieser Reihenfolge. Im Zweifelsfall wird die Minderjährigkeit angenommen. Wird die Zustimmung zur Altersfeststellung verweigert, wird der Betreffende als Erwachsener behandelt. Die Gesetze sehen vor, dass für unbegleitete Minderjährige auf Antrag der Asylbehörde vom lokalen Bezirksfamiliengericht ein Vormund (kurator) bestimmt werden muss, was in der Praxis auch ausnahmslos der Fall ist. Die Frist zur Bestellung beträgt drei Tage. Es gibt keine Berichte zur Einhaltung dieser Regel. Der Vormund ist nur für das Asylverfahren zuständig, nicht für andere Lebensbereiche des UMA. In den letzten Jahren gab es in der Praxis Probleme mit der zu geringen Zahl an Kandidaten für eine Vormundschaft. Meist wurden NGO-Mitarbeiter oder entsprechend engagierte Rechtswissenschaftsstudenten bestellt. Der Vormund soll während des Asylinterviews des unbegleiteten Minderjährigen anwesend sein, ebenso ein Psychologe (AIDA 2.2017).

Unbegleitete Minderjährige (UM) werden nicht in den herkömmlichen Unterbringungszentren für Asylwerber, sondern in verschiedenen Kinderschutzeinrichtungen in ganz Polen untergebracht. Auch die Unterbringung in Pflegefamilien ist möglich. 2016 waren die meisten UM (142 Anträge von UM gab es in jenem Jahr) in Einrichtungen in Ketrzyn, in der Nähe des dortigen Unterbringungszentrums untergebracht, andere auch in Przemysl oder Rzeszów. Wenn das Asylverfahren negativ ausgeht, bleibt der UM in der Unterbringung, in der er sich befindet. 2016 wurden zwölf Verfahren von UM eingestellt, weil sich diese dem Verfahren entzogen (absconded) (AIDA 2.2017). Unbegleitete Minderjährige unter 15 Jahren dürfen nicht in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Non-Refoulement

Gemäß polnischem Asylgesetz gilt ein Asylantrag als unzulässig, wenn ein anderes Land existiert, in dem der Antragsteller als Flüchtling behandelt wird und dort Schutz genießen kann bzw. in anderer Form vor Refoulement geschützt ist (first country of asylum). 2016 gab es in Polen 770 Unzulässigkeitsentscheidungen, aber es gibt keine Daten, wieviele davon auf die genannte Regelung zurückgehen (AIDA 2.2017).

Es gibt Berichte, wonach immer wieder potentiellen Antragstellern an der Grenze zu Weißrussland die Einreise nach Polen und der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird (AIDA 2.2017). Stattdessen werden sie nach Belarus zurückgeschickt. Die Grenzwache sagt, dass jene, denen die Einreise verweigert wurde, Wirtschaftsmigranten ohne Visa gewesen seien, die lediglich nach Westeuropa weiterreisen wollten (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). NGOs kritisieren, dass die Grenzwache diese Erkenntnis aus lediglich rudimentären zwei- bis dreiminütigen Befragungen (pre-screening interviews) gewinne. Das polnische Außenministerium wiederum sagt, dass das Gebiet, auf dem diese pre-screening interviews stattfinden, nicht polnisches Territorium sei (HRW 15.6.2017). Es wird weiter kritisiert, dass Belarus über kein funktionierendes Asylsystem verfüge, und daher die hauptsächlich tschetschenischen bzw. zentralasiatischen Schutzsuchenden einem Risiko ausgesetzt seien, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden und dort Opfer von Folter oder Misshandlung zu werden. Diese Praxis dauert angeblich trotz mehrerer interim measures des EGMR weiter an (AI 5.7.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/336602/479283_de.html, Zugriff 10.11.2017

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AI - Amnesty International (5.7.2017): Public Statement: Poland:

EU Should Tackle Unsafe Returns to Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1499329689_eur3766622017english.pdf, Zugriff 10.11.2017

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HRW - Human Rights Watch (15.6.2017): Poland Ignores European Court Over Return of Asylum Seeker, https://www.ecoi.net/local_link/341960/485286_de.html, Zugriff 10.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Versorgung

Asylwerber müssen sich binnen zwei Tagen ab Antragstellung in einem Erstaufnahmezentrum registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum sind sie während des gesamten Asylverfahrens sowie ohne Unterschied zu materieller Unterstützung berechtigt, auch im Zulassungs- und im Dublinverfahren sowie bei Folgeanträgen und während laufender erster Beschwerde. Wenn Antragsteller nach einer erfolglosen Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid den Beschwerdeweg weiter beschreiten (Beschwerde an den Voivodeship Administrative Court in Warschau; 2. Beschwerdeinstanz), wird ihnen das Recht auf Versorgung aberkannt. Wenn das Gericht die angefochtene Entscheidung suspendiert, wird dem Beschwerdeführer das Recht auf Versorgung wieder zuerkannt. Jedoch hat der Voivodeship Administrative Court dies im Jahr 2016 meist nicht getan, was dazu führte, dass die betroffenen Beschwerdeführer ohne staatliche Versorgung blieben (AIDA 2.2017).

Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgülitigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings schlicht eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitraum auf 14 Tage. Da Antragsteller mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn sie diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Praxis nur für 30 Tage weiterversorgt. Einzelne Asylwerber berichten jedoch, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Für AW, die außerhalb des Zentrums wohnen, gibt es eine Zulage (AIDA 2.2017).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

Unterbringung

Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, medizinische Versorgung, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat), eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten) und Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. 2016 erhielten durchschnittlich 1.735 Asylwerber Versorgung innerhalb der Zentren und 2.416 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützungen liegt unter dem sogenannten "sozialen Minimum" und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer abzudecken. Dies trage dazu bei, dass AW oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen lebten und oft illegaler Beschäftigung nachgehen müssten. Selbst für Familien reiche die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 2.2017).

In Polen gibt es elf Unterbringungszentren mit insgesamt 2.331 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sieben der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Es gibt keine speziellen Zentren für AW im Grenzverfahren oder in Transitzonen (AIDA 2.2017).

Antragsteller dürfen sechs Monate nach Antragstellung arbeiten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist wegen mangelnden Sprachkenntnissen usw. in der Praxis aber potentiell schwierig (AIDA 2.2017).

Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017). UNHCR und NGOs berichten über keine größeren oder anhaltenden Probleme von Missbrauch in den Zentren (USDOS 3.3.2017).

Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) in Biala Podlaska, Bialystok, Lesznowola, Ketrzyn, Krosno Odrzanskie, und Przemysl mit zusammen 510 Plätzen (AIDA 2.2017).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Medizinische Versorgung

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Asylwerber in Polen mit laufendem Asylverfahren haben bezüglich medizinischer Versorgung, mit der Ausnahme von Kurbehandlungen, dieselben Rechte wie polnische Staatsbürger. Aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde ist die Firma Petra Medica für die medizinische Versorgung von Asylwerbern verantwortlich, genauer medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlung, Zahnbehandlung, Versorgung mit Medikamenten und psychologische Betreuung. Die psychologische Betreuung steht sowohl in den Asylzentren, wenn Asylwerber dort wohnhaft sind, aber auch in den Beratungsstellen der Asylbehörde in Warschau, für die diejenige, die außerhalb der Zentren wohnen, zur Verfügung. Die folgenden Leistungen werden im Rahmen der psychologischen Betreuung angeboten:

psychologische Unterstützung, Bildungsaktivitäten, Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention. Die erwähnten Maßnahmen basieren auf Standards der polnischen Psychologischen Vereinigung. Wenn die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung festgestellt wird, wird der Patient entsprechend seines Alters in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene eingewiesen (UDSC 19.6.2017).

Asylwerber in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von AW durch die Vertragsfirma Petra Medica gewährleistet. Sie umfasst in jedem Unterbringungszentrum auch psychologische Versorgung. Pro 120 AW sind vier Stunden Zuwendung durch einen Psychologen vorgesehen. Das umfasst Identifizierung von Vulnerablen und grundlegende Behandlung. AW können aber auch an Psychiater oder psychiatrische Einrichtungen überwiesen werden. NGOs zeigen sich damit nicht zufrieden, beklagen den Mangel an PTSD-Behandlungen und einige NGOs meinen sogar, die spezialisierte Behandlung von traumatisierten AW und Folteropfern wäre in Polen nicht möglich. Zusätzlich bieten NGO-Psychologen in Unterbringungszentren ihre Dienste an, in manchen Zentren aber nicht regelmäßig. Die Psychologen in den Unterbringungszentren sprechen in der Regel auch Russisch. Darüber hinausgehende Übersetzung wird durch die zuständige Abteilung der Petra Medica gewährleistet. Manchmal ist bei der medizinischen Behandlung die Übersetzung bzw. mangelnde interkulturelle Kompetenz des medizinischen Personals ein Problem. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).

Petra Medica ist aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde verantwortlich für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen. In den Empfangszentren wird ein Gesundheits-Check, darunter auch der sogenannte epidemiologische Filter auf Tuberkulose, Infektionskrankheiten, Geschlechtskrankheiten und parasitäre Erkrankungen, vorgenommen. In den Unterbringungszentren wird ambulante medizinische Versorgung, darunter medizinische Grundversorgung, Zahnbehandlung, psychologische Betreuung und Versorgung mit Medikamenten geboten. Wenn nötig, werden Patienten für Tests oder Spezialbehandlung in medizinische Einrichtung der Petra Medica oder andere Vertragseinrichtungen überwiesen. Psychologische Betreuung findet im Zentrum statt, in Spezialfällen kann auch in spezialisierte Kliniken überwiesen werden. Rehabilitationsmaßnahmen sind mit Genehmigung der Abteilung Sozialwohlfahrt der UDSC möglich. Wenn AW außerhalb der Zentren leben, erhalten sie die Behandlung ebenfalls in den oben genannten Einrichtungen oder in relevanten Einrichtungen in den Hauptstädten der Woiwodschaften (Verwaltungsbezirke, Anm.). Wenn nötig, kann eine Überweisung in das nächstgelegene Krankenhaus erfolgen, das mit Petra Medica zusammenarbeitet. Außerhalb des Zentrums konsumierte Leistungen werden über Petra Medicas Patient Registration Coordinator serviciert (werktags zu den Bürozeiten). Wenn ein Patient sich dorthin wendet und er die nötigen Daten bereitstellen kann, wird die Behandlung genehmigt, Einrichtung und Datum für die Durchführung der Leistung ermittelt und dem Betreffenden mitgeteilt. Bei Akutfällen, in der Nacht und an Feiertagen, stehen entweder die übliche landesweite Versorgung bzw. medizinische Notdienste zur Verfügung. Um in den Unterbringungszentren und beim Foreigner Service Team Medikamente zu erhalten, ist eine entsprechende Verschreibung nötig. Wer außerhalb der Zentren lebt und Sozialhilfezahlungen erhält, kann verschriebene Medikamente erhalten, indem er das Rezept an Petra Medica schickt oder diese selbst kauft und sich die Kosten hinterher ersetzen lässt (UDSC 12.12.2016; vgl. PM o.D.).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016):

Auskunft MedCOI, per E-Mail

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PM - Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, http://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow, Zugriff 10.11.2017

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UDSC - Urzad do Spraw Cudzoziemców (12.12.2016): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

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UDSC - Urzad do Spraw Cudzoziemców (19.6.2017): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

Schutzberechtigte

Internationaler Schutz wird unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer erhalten, ist aber immer nur für drei Jahre gültig (verlängerbar). Subsidiärer Schutz sowie Humanitärer Schutz werden ebenfalls unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer in beiden Fällen erhalten, ist aber immer nur für zwei Jahre gültig (verlängerbar). Nach frühestens fünf Jahren legalen Aufenthalts in Polen können Fremde unter bestimmten Voraussetzungen eine Langzeitaufenthaltsberechtigung beantragen (AIDA 2.2017).

Schutzberechtigte dürfen nach Erhalt der Entscheidung noch für max. zwei Monate in der Unterbringung für Asylwerber bleiben. Sie genießen volle Niederlassungsfreiheit in ganz Polen. Der Staat bietet keine eigenen Unterbringungsmöglichkeiten für Schutzberechtigte, nur einige Gemeinden bieten spezielle Wohnungen zu diesem Zweck an (z.B. fünf pro Jahr in Warschau). Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), erhalten Schutzberechtigte jedoch eine Zulage für das Anmieten einer Wohnung. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Manche NGOs meinen, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenübersehen. Schutzberechtigte haben in Polen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt wie polnische Bürger, jedoch sind in der Praxis Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge oft ein Problem. Schutzberechtigte haben Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem wie polnische Bürger auch. Humanitär Aufenthaltsberechtigte oder Geduldete (tolerated stay) haben lediglich Zugang zu Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und speziell gewidmeten Leistungen. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte müssen sich krankenversichern und haben dann Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem wie polnische Bürger. Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), wird die Krankenversicherung noch von der öffentlichen Hand übernommen, danach muss diese entweder von einem etwaigen Arbeitgeber oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Kinder unter 18 Jahren haben immer Zugang zu medizinischer Versorgung, die in ihrem Fall voll vom Staat übernommen wird. Die Krankenversicherung in Polen deckt die meisten medizinischen Behandlungen ab, lediglich einige Zahnbehandlungen, Medikamentenkosten und einige Heilbehelfe sind nicht umfasst. Das Polish Centre for Rehabilitation of Torture Victims der Foundation International Humanitarian Initiative bietet Folteropfern und Traumatisierten im Rahmen von Projekten Hilfe (AIDA 2.2017).

Quellen:

AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017"

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass im Falle des Beschwerdeführers Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO formell erfüllt sei. In Polen werde die Gefahr einer Verletzung der EMRK mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art 17 Abs 1 Dublin III-VO ergeben. Zu dem in Österreich als anerkannter Flüchtling lebenden Bruder des Beschwerdeführers und zu einer hier aufhältigen Schulfreundin würden weder gegenseitigen Abhängigkeiten bestehen noch Umstände vorliegen, die auf eine besondere Beziehungsintensität schließen lassen könnten.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht am 29.1.2019 durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde, worin im Wesentlichen moniert wird, dass keine Einzelfallprüfung im Hinblick auf eine Verletzung von Art 3 EMRK durchgeführt worden sei. Zudem hätte aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichtes eine Einzelfallzusicherung für die Unterbringung und Versorgung des Beschwerdeführers von den polnischen Behörden eingeholt werden müssen. Die herangezogenen Länderfeststellungen seien unvollständig, einseitig und teilweise nicht mehr aktuell. Aus einem Bericht von AIDA und ECRE vom März 2018 ergebe sich, dass vorschriftswidrige und unangemessene Inhaftierungen von Dublin-Rückkehrern nach Polen stattgefunden hätten und Probleme bei der medizinischen Versorgung bestehen würden. Außerdem habe es die Behörde verabsäumt, spezifische Länderberichte heranzuziehen, die sich mit der Situation von Tschetschenen in Polen beschäftigen. Wären die in der Beschwerde zitierten Berichte herangezogen worden, so hätte festgestellt werden müssen, dass der Beschwerdeführer als Tschetschene in Polen nicht nur rassistischen Übergriffen ausgesetzt sei, sondern ihm auch durch tschetschenische Rebellen Verfolgung drohe und kein ausreichender Schutz in Polen vorhanden sei. Vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte sei es wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Falle der Überstellung nach Polen weder über eine Unterkunft noch über eine angemessene Versorgung verfügen werde. Im Übrigen sei außer Acht gelassen worden, dass die Europäische Kommission bereits im Juni 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet habe. Sollte der Beschwerdeführer nach Polen abgeschoben werden, sei davon auszugehen, dass er auf der Straße leben oder in Haft genommen werden würde. Aufgrund der systemischen Mängel im polnischen Aufnahmesystem sei eine Verletzung der durch Art 3 EMRK und Art 4 GRC gewährleisteten Rechte wahrscheinlich.

7. Die Beschwerdevorlage langte am 1.2.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Schreiben vom 28.2.2019 teilte die Landespolizeidirektion Niederösterreich mit, der Beschwerdeführer sei am gleichen Tag auf dem Luftweg nach Polen überstellt worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2007 einen Asylantrag in Polen. Mit Entscheidung vom XXXX 2008 wurde ihm der Flüchtlingsstatus nicht zuerkannt, ihm jedoch ein geduldeter Aufenthalt ("tolerated stay") gewährt. Nachdem er zwei Asylanträge in Norwegen (am XXXX 2008 und am XXXX 2016) sowie zwei Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland (am XXXX 2016 und am XXXX 2017) gestellt hatte und ihm von den deutschen Behörden zwei Mal eine Ausreisefrist gemäß § 50 Aufenthaltsgesetz (bis zum XXXX 2017 und bis zum XXXX 2018) gesetzt worden war, kehrte er auf dem Luftweg am XXXX 2018 von Hamburg aus im Rahmen des ERIN-Programmes in die Russische Föderation zurück. Anfang Oktober 2018 verließ er sein Heimatland und begab sich über Weißrussland nach Polen, wo er am 7.10.2018 über den Grenzübergang XXXX unter Verwendung des polnischen Aufenthaltstitels XXXX in die Europäische Union einreiste. Anschließend reiste er nach Österreich weiter, wo er am 8.10.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 19.10.2018 ein auf Art 12 Abs 1 oder Abs 3 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Polen, dem die polnische Dublin-Behörde mit Schreiben vom 14.12.2018 unter Bezugnahme auf Art 18 Abs 1 lit d Dublin-III-VO ausdrücklich zustimmte.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Polen an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Polen Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe beziehungsweise einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt als Asylberechtigter in Österreich. Es bestand weder ein gemeinsamer Haushalt noch ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis mit bzw. zu diesem Verwandten. Der Beschwerdeführer verfügt im österreichischen Bundesgebiet über keine sonstigen Familienangehörige oder Verwandte und auch nicht über besonders ausgeprägte private oder berufliche Bindungen.

Am 28.2.2019 wurde der Beschwerdeführer nach Polen überstellt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Asylantragstellungen des Beschwerdeführers, zum Reiseweg und zum Konsultationsverfahren ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den vorliegenden Eurodac-Treffermeldungen, den im Verwaltungsakt einliegenden Kopien seines russischen internationalen Reisepasses samt den darin ersichtlichen Ein- und Ausreisestempeln und Vermerken der deutschen Behörden betreffend Ausreisepflicht sowie dem Schriftwechsel zwischen den österreichischen und polnischen Behörden. Dass der Beschwerdeführer am 28.2.2019 überstellt wurde, ist einem Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich zu entnehmen.

Die Feststellungen zur Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultieren aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-III-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen. Da der Großteil der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Quellen aus dem Jahr 2017 stammt und auch die Berichtslage umfassend (konkret etwa Amnesty International oder Human Rights Watch) berücksichtigt wurde, kann der Beschwerdeeinwand, dass diese Quellen teilweise nicht mehr aktuell und einseitig seien, nicht nachvollzogen werden. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte, wonach sich die allgemeine Lage zwischenzeitig in einer Weise verändert hätte, die von Amts wegen wahrzunehmen wäre. Insofern auf einen Bericht von Freedom House vom 12.4.2016, auf einen Bericht des US State Department vom 13.4.2016, auf einen Artikel von Deutschlandfunk vom 6.6.2016 und auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung betreffend Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in polnischen Flüchtlingslagern vom 22.11.2013 verwiesen wird, ist zu entgegnen, dass diese Berichte deutlich älter als die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen Quellen sind und sohin nicht geeignet sind, die Informationen im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu entkräften. Auch die zitierten Passagen aus einem Bericht von AIDA und ECRE vom März 2018 vermögen die Informationen im Länderinformationsblatt nicht zu widerlegen, zumal zum einen ebenso auf Berichte aus dem Jahr 2017 Bezug genommen wird und es zum anderen der Relevanz im vorliegenden Fall mangelt, als sich diese Ausführungen auf Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung beziehen und der Beschwerdeführer derartige psychische Beeinträchtigungen nicht geltend gemacht hat. Im Übrigen decken sich die geschilderten Probleme mit jenen im herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, dem auch der vorangegangene Bericht von AIDA und ECRE betreffend Polen zugrunde gelegt wurde.

Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das polnische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderberichten klar und substantiell widersprechen würden, hat der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens nicht dargetan (siehe dazu auch in der rechtlichen Beurteilung unter 3.2.2.1.).

Dass der Beschwerdeführer an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leidet, ergibt sich aus seinen Angaben im gegenständlichen Verfahren. Er hat eigenen Angaben zufolge - abgesehen von Bewegungsproblemen aufgrund eines Kniebruches und Narben im Gesicht - ein nicht akutes Magengeschwür, weswegen er im Jahr 2005 bereits operiert und medizinisch behandelt worden sei, und leidet unter Magenschmerzen, gegen die er Medikamente einnimmt. Eine gravierende gesundheitliche Beeinträchtigung wurde jedoch nicht dargelegt, zumal der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge keinen Arzt in Österreich aufgesucht hat, keinerlei medizinische Unterlagen hinsichtlich der geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden in Vorlage gebracht wurden und die gesundheitlichen Probleme bloß medikamentös behandelt werden. Im Übrigen war er trotz der dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Lage, sich in mehrere europäische Länder zu begeben und er begab sich auch erst vor kurzem aus Eigenem von seinem Herkunftsland nach Europa, woran erkennbar ist, dass keine ernsten Krankheiten bestehen.

Die Feststellungen betreffend den Bruder des Beschwerdeführers beruhen auf seinen eigenen Angaben und auf den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid, welche in der Beschwerde nicht angezweifelt wurden. Dass keine besonders ausgeprägten privaten, familiären oder beruflichen Bindungen in Österreich bestehen, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren weder ausgeprägte persönliche Beziehungen zu hier lebenden Personen noch besondere integrationsbegründende Umstände ins Treffen führte, obwohl er dazu vor der Verwaltungsbehörde und auch im Beschwerdeschriftsatz Gelegenheit gehabt hätte. Insbesondere ist er der Feststellung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid, dass keine besondere Integrationsverfestigung besteht, nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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