Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gemeinsamer Betriebsrat E***** GmbH, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Mai 2017, GZ 12 Ra 26/17f-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Jänner 2017, GZ 16 Cga 108/16g-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.
II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.096,22 EUR (darin 516,06 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich des Vorabentscheidungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte beschäftigt zumindest drei Arbeitnehmer mit Vordienstzeiten im EU-Ausland. Diese Vordienstzeiten stammen aus solchen EU-Mitgliedstaaten, in denen seit mehr als 25 Jahren Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistet ist. Unter Anrechnung der Vordienstzeiten aus anderen EU-Staaten in einem Ausmaß von über fünf Jahren weisen diese Mitarbeiter insgesamt 25 Jahre an unselbständigen Beschäftigungszeiten auf.
Der klagende Betriebsrat begehrt die Feststellung, dass sämtliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, welche unter Zusammenrechnung von Vordienstzeiten aus anderen EU-Mitgliedstaaten von über fünf Jahren insgesamt 25 Jahre an unselbständigen Beschäftigungszeiten aufweisen, einen Anspruch auf die sechste Urlaubswoche nach § 2 Abs 1 UrlG haben.
Dazu wurde vorgebracht, dass die Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten aus anderen EU-Staaten auf fünf Jahre mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei. Durch die angegriffene Bestimmung würden Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Die Belohnung nach dem Urlaubsgesetz erfolge deshalb, damit von der Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht werde.
Die Beklagte entgegnete, dass weder eine unionsrechtliche Diskriminierung noch eine Beschränkung vorliege. Im gegebenen Zusammenhang gehe es nicht um die Berücksichtigung der einschlägigen Berufserfahrung für die Entlohnungsstufen, weshalb die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht einschlägig sei. Gäbe es die zeitliche Schranke im Urlaubsgesetz nicht, so würde ein Arbeitnehmer, der entweder laufend oder nach 24 Dienstjahren den Arbeitsplatz wechsle, nach insgesamt 25 Jahren Anspruch auf die sechste Urlaubswoche haben. Damit müsse ein einziger Arbeitgeber die gesamte Last für die zusätzliche Urlaubswoche tragen, was einer gerechten Lastenverteilung widerspreche.
Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-514/12, SALK, sei für den Anlassfall nicht einschlägig. Im Urlaubsgesetz würden nämlich nicht diejenigen Arbeitnehmer begünstigt, die für eine bestimmte Gebietskörperschaft arbeiten. Da alle Vordienstzeiten bei (anderen) in- und ausländischen Arbeitgebern gleich behandelt würden, liege keine Diskriminierung vor. Es müsse den Mitgliedstaaten freistehen, Begünstigungen für langjährige Mitarbeiter in einem Unternehmen vorzusehen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei es nicht ausgeschlossen, dass sich ein Arbeitnehmer durch den Verlust der sechsten Urlaubswoche davon abhalten lasse, von seiner Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Eine derartige Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sei allerdings gerechtfertigt. Das Schutzziel der Bindung der Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber sei als Rechtfertigungsgrund nicht ausgeschlossen. Bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes werde die Treue des Arbeitnehmers gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber honoriert. Da nur die Treue zu einem einzelnen Arbeitgeber mit der sechsten Urlaubswoche belohnt werde, sei die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten nach § 3 Abs 2 Z 1 UrlG gerechtfertigt. Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die Frage, ob die Fünfjahresgrenze des § 3 UrlG mit dem Unionsrecht vereinbar sei, bisher nicht geklärt sei.
Gegen diese Entscheidung erhob der klagende Betriebsrat Revision an den Obersten Gerichtshof, mit der er beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben. Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte, der Revision der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Nach §§ 2 und 3 UrlG beträgt der Urlaubsanspruch nach 25 Dienstjahren sechs Wochen, wenn die Dienstzeit beim selben Arbeitgeber absolviert wurde. Hat der Dienstnehmer bei verschiedenen (in- oder ausländischen) Arbeitgebern gearbeitet, so folgt eine Anrechnung gemäß § 3 Abs 3 UrlG nur im Höchstausmaß von insgesamt fünf Jahren. Es stellt sich somit die Frage, ob die unterschiedliche Regelung für Dienstzeiten beim selben Arbeitgeber einerseits und bei verschiedenen Arbeitgebern andererseits eine mittelbare Diskriminierung nach Art 45 AEUV iVm Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU oder eine Beschränkung nach Art 45 AEUV darstellt. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, stellt sich zudem die Frage nach der Rechtfertigung.
2. Aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens legte der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) daher eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vor und setzte das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus (8 ObA 33/17m).
Mit Urteil vom 13. 3. 2019, C-437/17, hat der EuGH die Vorlagefrage wie folgt beantwortet:
„Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, wonach bei der Feststellung, ob ein Arbeitnehmer, der insgesamt 25 Jahre Berufstätigkeit aufweist, Anspruch darauf hat, dass sich sein bezahlter Jahresurlaub von fünf auf sechs Wochen erhöht, von den Jahren, die er im Rahmen eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse zurückgelegt hat, die dem Arbeitsverhältnis mit seinem derzeitigen Arbeitgeber vorausgegangen sind, nur höchstens fünf Berufsjahre angerechnet werden, auch wenn ihre tatsächliche Zahl mehr als fünf beträgt.“
3. Aufgrund des Erkenntnisses des EuGH ist davon auszugehen, dass die Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten aus anderen EU-Staaten auf fünf Jahre mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren daher zu Recht abgewiesen.
4. Die Kostenentscheidung – einschließlich des als Zwischenstreit anzusehenden Verfahrens vor dem EuGH (RIS-Justiz RS0109758) – gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 50, 41 ZPO.
Die Entscheidung über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens ist Sache des nationalen Gerichts. Auch dabei sind die nationalen Kostenbestimmungsregeln anzuwenden (8 ObA 11/15y; 17 Ob 7/10v), insbesondere auch § 54 Abs 2 ZPO (vgl 8 ObS 16/03s; 9 ObA 124/10s). Die Frist zur Antragstellung nach § 54 Abs 2 ZPO für im Vorabentscheidungsverfahren entstandene Kosten beginnt gemäß § 167 ZPO iVm § 163 ZPO (s auch Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 § 167 Rz 1) erst mit Aufnahme des nach § 90a Abs 1 GOG ausgesetzten Verfahrens (vgl RS0037613). Die Verzeichnung der Kosten durch die Beklagte vor diesem Zeitpunkt ist daher keinesfalls fristwidrig. Mangels abweichender Bestimmung sind die Kosten der Beteiligung der Beklagten am Verfahren vor dem EuGH nach TP 3C RATG zu bestimmen (1 Ob 123/17w ua). Sofern nicht aktenkundig, sind nach § 54 Abs 1 ZPO alle im Verfahren vor dem EuGH aufgelaufenen Kosten zu bescheinigen, weil nur so neben der Leistung an sich deren Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit beurteilt werden kann (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.422; Kohlegger in Fasching/Konecny3 II/3 Anhang zu § 190 ZPO Rz 374; vgl auch 4 Ob 98/09d). Das gilt dann nicht, wenn der Gegner – wie hier – erklärt, gegen die Höhe der verzeichneten Kosten keine Einwände zu erheben und so die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Leistungen zugesteht.
Textnummer
E125176European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00019.19F.0429.000Im RIS seit
07.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.05.2020