Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Hildegard G***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 3. Dezember 2018, GZ 18 Hv 39/18w-70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Hildegard G***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am 3. Jänner 2018 in K***** Alois G***** zu töten versucht, indem sie ihm mit zwei Messern wiederholt Stiche in den Hals, die Herzregion und den Brustkorb versetzte.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten (§ 345 Abs 1 Z 4, 5 und 8 StPO) sowie (zu ihrem Vorteil) der Staatsanwaltschaft (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO); ihnen kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten:
Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 430 Abs 4 StPO, weil sich die „zuvor noch in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie (…) bei der weiteren Verhandlung vor der Urteilsverkündung nicht mehr im Gerichtssaal befunden haben“. Sie übersieht, dass das Urteil keine Unterbringungsanordnung enthält, sodass sie nicht erfolgversprechend auf eine Missachtung des § 430 Abs 4 StPO gestützt werden kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 261).
Entgegen der weiteren Rüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 3. Dezember 2018 gestellten Antrags auf Einholung eines dritten Gutachtens „bzw Obergutachten(s) im Hinblick auf die [...] einander widersprechenden Gutachten“ der Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. Peter H***** und Dr. Walter W***** (ON 69 S 15 f) Verteidigungsrechte der Angeklagten nicht verletzt. Zunächst ließ der Antrag durch die bloße Bezugnahme auf die „entscheidende Tatsache der Zurechnungsfähigkeit“ (vgl zu dieser RIS-Justiz RS0089683 [T1 und T2], RS0090349; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 23, 26) schon ein konkretes Beweisthema vermissen (RIS-Justiz RS0099301, RS0099219). Dessen ungeachtet wurde der Sachverständige Univ.-Doz. Dr. H***** (erst) nach Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. W***** – der bei der Angeklagten aufgrund einer wahnhaften Störung die Aufhebung ihrer Diskretionsfähigkeit zum Tatzeitpunkt diagnostiziert hatte (ON 16, ON 39 S 9 ff) – und Befragung desselben in der Hauptverhandlung über Antrag der Geschworenen („weil das bisherige Gutachten nicht nachvollziehbar ist“; ON 39 S 14 f) mit der Begründung beigezogen, dass der Sachverständige Dr. W***** „nicht zwingend“ darstellen konnte, „inwieweit die Tathandlung aus der von ihm attestierten psychischen Erkrankung, einer wahnhaften Störung“, resultiere (ON 39 S 16). Die Bestellung des Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. H***** erfolgte demnach gemäß § 127 Abs 3 erster Satz StPO aufgrund einer – aus Sicht des Schwurgerichtshofs auch nach Durchführung des Verbesserungsverfahrens vorliegenden (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 32 f) – Mangelhaftigkeit des ersten Gutachtens. Dieser kam in seinem (in der Hauptverhandlung am 18. Oktober 2018 erörterten und am 3. Dezember 2018 auf Basis erweiterter Befundgrundlagen im Wesentlichen aufrecht erhaltenen) Gutachten zum Schluss, dass die – übereinstimmend mit Dr. W***** diagnostizierte – wahnhafte Störung nicht zu einer Aufhebung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt geführt hat (ON 50; ON 62 S 3 ff, ON 69 S 12 ff).
Ein Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens wäre demnach nur dann aussichtsreich, wenn er einen Mangel im Befund oder Gutachten des im Rahmen der Mängelbehebung beigezogenen Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. H***** aufzeigt (vgl RIS-Justiz RS0117263; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 31 f). Da solche Mängel im Beweisantrag nicht fundiert dargelegt wurden, lief das Begehren im Ergebnis auf eine im Hauptverfahren nicht vorgesehene Erkundungsbeweisführung hinaus (vgl RIS-Justiz RS0117263 [T17]).
Entgegen der Instruktionsrüge (Z 8) ist die Rechtsbelehrung dem Hauptverhandlungsprotokoll angeschlossen (ON 69) und wäre ein Verstoß gegen § 321 Abs 1 zweiter Satz StPO – weil ohne Einfluss auf die inhaltliche Richtigkeit der Rechtsbelehrung (vgl dazu RIS-Justiz RS0125434, RS0119549) – nicht mit Nichtigkeit bedroht (RIS-Justiz RS0100816).
Soweit die Beschwerde als „Formverletzung“ rügt, das Hauptverhandlungsprotokoll sei dem Verteidiger ohne Rechtsbelehrung übermittelt worden, wird Nichtigkeit aus Z 8 ebenfalls nicht zur Darstellung gebracht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Die Verfahrensrüge (Z 5) richtet sich gegen die Abweisung der in der Hauptverhandlung am 18. Oktober und am 3. Dezember 2018 durch Anschluss an die Begehren der Angeklagten zu eigen gemachten (RIS-Justiz RS0099244) Anträge auf Einholung eines dritten Gutachtens „bzw Obergutachten(s) im Hinblick auf die [...] einander widersprechenden Gutachten“ der Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. Peter H***** und Dr. Walter W***** (ON 62 S 10 f, ON 69 S 15 f).
Soweit sich die Beschwerde auf die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 3. Dezember 2018 gestellten Antrags bezieht, wird auf die Antwort zur Verfahrensrüge der Angeklagten verwiesen.
Da der am 18. Oktober 2018 (im Übrigen ebenfalls ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas) gestellte Antrag Mängel im Gutachten des Univ.-Doz. Dr. Peter H***** nicht aufzeigt und sich nicht mit der Stellungnahme dieses Sachverständigen (ON 62 S 12) zur vorgebrachten Kritik an seinem Gutachten (ON 62 S 10 f) auseinandersetzt, zielte auch dieses Begehren im Ergebnis auf die Einholung eines Erkundungsbeweises ab.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO). Bleibt anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu dem von der Beschwerdeführerin in ihrer Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur angeregten amtswegigen Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG in Betreff des § 127 Abs 3 StPO nicht veranlasst sah (vgl dazu im Übrigen 15 Os 133/16x; s auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 597).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E125177European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00028.19B.0521.000Im RIS seit
07.06.2019Zuletzt aktualisiert am
21.01.2022