TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 L521 2190786-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §58 Abs5
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AVG §6
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L521 2190786-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2018, Zl. 1155942301-170695855, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.08.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 12.06.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 13.06.2017 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft sowie ledig. Er habe von 1996 bis 2004 die Grundschule und von 2004 bis 2012 eine allgemein bildende höhere Schule in Mus besucht. Zuletzt sei er bis 01.10.2016 als Angestellter in einer Schule beruflich tätig gewesen. Seine Eltern und neun Geschwister seien in der Türkei oder einem anderen Drittstaat aufhältig. Ein weiterer Bruder befinde sich in Österreich.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, im April 2017 von XXXX mit einem Reisebus nach Istanbul gelangt zu sein. In weiterer Folge sei er am 09.06.2017 illegal mit einem Lastkraftwagen schlepperunterstützt von Istanbul ausgehend nach Österreich gereist.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, in der Türkei Angestellter in einer Schule gewesen zu sein. Er habe bei der Gülen-Bewegung engagierte Freunde besessen und deshalb den Job als Angestellter erhalten. Von Ankara sei der Befehl gekommen, dass alle Gülen-Anhänger zu entlassen seien. Er sei Kurde und würde deshalb in seiner Heimat verfolgt werden. Man habe ihn mehrmals verhaftet. Bei einer Rückkehr befürchte er festgenommen und inhaftiert zu werden. Viele Freunde würden sich noch immer im Gefängnis befinden.

Im Gefolge seiner Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer einen türkischen Nüfus und einen türkischen Dienstausweis im Original bei.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 02.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich Außenstelle Wiener Neustadt, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben. Die Niederschrift der Erstbefragung sei rückübersetzt und korrekt protokolliert worden.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, in XXXX geboren zu sein. Er sei dort aufgewachsen und habe dort zuletzt mit seiner Mutter gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und islamischen Glaubens, ledig und kinderlos. Sein Vater sei verstorben. Er habe zehn Geschwister. Zwei Schwestern befänden sich in XXXX, eine Schwester in Istanbul und ein Bruder in Antalya. Ein weiterer Bruder lebe in Österreich. Er habe seinen Lebensunterhalt zunächst als Inhaber einer Transportfirma in XXXX bestritten. Er sei auch selbst Fahrer gewesen. Im September 2016 hätte er als Beamter im Unterrichtsministerium begonnen und dort bis September/ Oktober/ November 2016 - zweieinhalb bis drei Monate - gearbeitet. Er sei als "Schulmeister" in einer staatlichen Volksschule in XXXX tätig gewesen. Er stehe mit seiner in XXXX lebenden Mutter und mit seiner in Istanbul lebenden Schwester in Kontakt.

Mehrfach zum Ausreisegrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er von XXXX nach Istanbul gelangt sei. Er wisse nicht mehr, in welchem Monat er nach Istanbul gekommen sei. Vermutlich in jenem Monat, in dem er in Österreich angekommen sei. Innerhalb seines Wohngebiets habe sich ein Lager der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) befunden. Im Rahmen einer mit Waffengewalt geführten Auseinandersetzung sei ein Nachbar in seinen Armen gestorben. Des Weiteren sei sein Haus hiebei durch Einschüsse beschädigt worden. Er sei dann mehrmals festgenommen und im Zuge dieser Festnahmen mehrmals misshandelt worden, wobei er hievon auch Verletzungen erlitten habe. Er werde von staatlicher Seite verfolgt. Seine Familienangehörigen hätten wegen ihm Probleme mit dem Staat. Es habe ihm am meisten geschadet, dass jene Personen, die ihn in den Staatsdienst aufgenommen hätten, der Gülen-Bewegung angehören würden. Schließlich hätte er erfahren, dass viele Klagen gegen ihn eingebracht worden und viele Strafandrohungen gegen ihn gesetzt seien, wobei er nicht wisse, welche Strafandrohungen dies seien.

Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer insbesondere an, dass der Staat mit Beginn der Probleme hinsichtlich der Gülen-Bewegung Ermittlungen - unter anderem auch gegen Kurden - angestellt habe. Seine Probleme hätten zwischen 2015 und 2016 mit Vorladungen bei Gericht begonnen. Diesen gerichtlichen Vorladungen habe er nicht Folge geleistet. Er sei von der Polizei einvernommen worden. Dort habe man ihm mitgeteilt, dass er eine Ladung vom Gericht bekommen werde. Seine Anwälte hätten ihm dargelegt, was ihn erwarte, weshalb er nicht hingegangen sei. Im Rahmen der Teilnahme an Wahlmeetings hätte er die Finger zu einem "V" geformt. Dies sei gefilmt worden. Bereits die Teilnahme an einer Veranstaltung der Halklarin Demokratik Partisi (HDP) sei ein Vergehen gewesen. Er hätte zwar an Veranstaltungen der HDP, aber nie an Kämpfen oder Auseinandersetzungen teilgenommen. Nach dem Einzug der HDP in das Parlament habe sich der Staat bereits für die für die HDP tätig gewesenen Menschen interessiert und diese verfolgt. Anfang 2016 habe alles mit der Befragung von Verwandten begonnen. Dann sei es oft zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Anschließend sei er entlassen und beschuldigt worden, für die Gülen-Bewegung tätig zu sein. Man habe ihm die Teilnahme an einer gewalttätigen Auseinandersetzung vorgeworfen. Dem sei aber nicht so gewesen. Er sei zu Hause aufgrund des Lärms hinausgegangen, weshalb er mitten in diese Auseinandersetzung geraten und sein Nachbar in seinen Händen verstorben sei. Es habe sich um eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der PKK gehandelt. Der Staat habe alle beschuldigt, für die HDP tätig zu sein. Er sei unzählige Male festgenommen und nach einem Verhör wieder entlassen worden. Manche Beamte hätten ihn gut behandelt und manche seien gewalttätig gewesen. Er habe Anfang 2016 an Beamteneinstellungstests teilgenommen und hiebei gut abgeschnitten. Der Staat habe keinen Beweis in der Hand gehabt, dass er Mitglied der HDP gewesen sei. Er hätte lediglich eine offizielle und im Parlament tätige Partei unterstützt. In letzter Zeit gehe der Staat davon aus, dass die HDP die PKK unterstütze. Die Ögrenci Seçme Yerlestirme Merkezi (ÖSYM) habe die Bestellung zum Beamten vermutlich wegen der Vorfälle mit Gülen und der PKK wieder aufgehoben. Er habe lediglich den Bescheid erhalten bzw. sei ihm mitgeteilt worden, dass seine Bestellung rückgängig gemacht worden sei. Man erhalte über das Internet Nachrichten, dass die Bestellung rückgängig gemacht worden sei. Bei einem erneuten Eintritt in den Staatsdienst müsse man vor eine Kommission. Wann man an die Reihe komme, sei bei der Anzahl an Personen, die in den Staatsdienst wollen, ungewiss. Sein Anwalt habe gegen die unbegründete Entlassung vorgehen und darlegen wollen, dass er keiner Organisation angehören würde. Seinem Anwalt sei erklärt worden, dass dies überprüft werden würde und man eben vor eine Kommission treten müsse, um in den Staatsdienst aufgenommen zu werden. Dies habe alle Personen betroffen, die entlassen worden seien. Es sei offensichtlich ein Suchbefehl gegen ihn ergangen. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei würden nach ihm suchen. Er wisse dies, weil sich diese bei ihm zu Hause nach seiner Person erkundigt hätten. Danach seien sein Bruder und ein Neffe verhaftet worden. Diese befänden sich noch in Haft und gebe es noch keine Anklage. Bei einer Rückkehr würde er kein ordentliches Leben führen können. Er müsste sein Leben im Gefängnis verbringen und gebe es keine Sicherheit in den Gefängnissen. Man würde ihn inhaftieren, weil er an Veranstaltungen der HDP teilgenommen habe und dort namentlich bekannt sei. Man beschuldige ihn auch, mit der Gülen-Organisation in Verbindung zu stehen, weil ihn diese beim Staat angestellt habe. Nach dem 15.07.2015 seien große Namen, Firmenbesitzer und im Staatsdienst tätige Namen festgenommen worden. Später seien alle Personen, die in Gülen-Schulen tätig gewesen seien, entlassen worden. Er sei durch eine Prüfung in den Staatsdienst gelangt. Dann habe man vor eine Kommission müssen und dort seien - inoffizielle - Mitglieder der Gülen-Bewegung gesessen. Bei den Veranstaltungen der HDP hätte er auch Plakate verteilt und aufgehängt. Ferner hätte er hiebei geholfen, Wasser und Getränke auszuschenken.

Des Weiterem wurden dem Beschwerdeführer Fragen zur Ausstellung eines türkischen Reisepasses, zur Beantragung eines Visums bei der italienischen Botschaft in Ankara am 19.04.2017 und zu seinen persönlichen Lebensumständen in Österreich gestellt.

Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine türkische Zustellungs- und Übernahmebestätigung vom 24.11.2016 im Original vor.

Im Übrigen wurde dem Beschwerdeführer angeboten, in die länderkundlichen Feststellungen zur Lage in der Türkei Einsicht zu nehmen, um hiezu gegebenenfalls eine schriftliche Stellungnahme abgeben zu können. Der Beschwerdeführer verzichtete auf diese Möglichkeit.

3. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte IV. und V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, dass die seitens des Beschwerdeführers angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes unglaubwürdig seien. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Teilnahme an Veranstaltungen der HDP Verfolgung seitens der türkischen Behörden zu befürchten hätte. Ebenso wenig habe festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit der Gülen-Bewegung Verfolgung ausgesetzt sei bzw. gewesen sei. Des Weiteren habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort einer realen Gefahr der Verletzung von Artikel 2 oder Artikel 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen könnte. Der Beschwerdeführer verfüge im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte und würde er deshalb nach seiner Rückkehr auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten vorfinden. Der Beschwerdeführer könne in der Türkei wieder bei seiner Familie wohnen. Er hätte Chance auf eine Arbeit und sei wirtschaftlich genügend abgesichert. Der Beschwerdeführer würde somit nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten. Er sei im arbeitsfähigen Alter und könne in der Türkei einer Arbeit nachgehen. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer illegal ins Bundesgebiet eingereist sei. Sein Aufenthalt in Österreich sei lediglich vorübergehend. Er gehe weder einer Arbeit nach, noch besuche er einen Deutschkurs. Seine Familienangehörigen würden in der Türkei leben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 14 bis 56 des angefochtenen Bescheides).

In der rechtlichen Beurteilung wird begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Absatz 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei.

4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.01.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 05.01.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2018 richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser werden inhaltliche Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und wird beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8 EMRK erteilt werde und in eventu den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang - ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

In der Sache wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen.

Des Weiteren wird dargelegt, dass die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen. In diesem Zusammenhang werden auszugsweise die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte zitiert, welche insbesondere Ausführungen zu den zahlreichen Festnahmen nach dem Putschversuch im Juli 2016 wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung, zum Vorgehen gegen Kurden und die HDP seitens der türkischen Sicherheitseinrichtungen und zu den Menschenrechtsverletzungen im Jahr 2016 zum Gegenstand haben.

Zur Beweiswürdigung wird ausgeführt, dass die Feststellung bezüglich einer fehlenden individuellen Verfolgungssituation auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung basiere und § 60 AVG verletze. Es sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren auch mit einer mangelhaften Beweiswürdigung belastet werde, die sich in ihrer Begründung über weite Strecken auf Textbausteine stütze und nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetze. Wie oberflächlich und mangelhaft das Verfahren geführt worden sei, sei nicht zuletzt an folgendem Satz erkennbar: "Sie gaben auf die Ihnen vom Bundesamt gestellten Fragen lediglich ausweichende Antworten, die keine Gefährdung Ihrerseits in Afghanistan vermitteln konnten."

(siehe Bescheid Seite 58). Da der Beschwerdeführer selber nie in Afghanistan gewesen sei und nie eine entsprechende Gefährdung bezüglich Afghanistan vorgebracht habe, sei der Vorfall in diesem Punkt aktenwidrig und finde keine Deckung im gegenständlichen Akt. Insoweit die belangte Behörde die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde stütze, werde zudem auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs verwiesen, wonach AsylwerberInnen im Zuge der Erstbefragung gar nicht näher zu den Fluchtgründen befragt werden dürfen. Daraus folge, dass Asylbehörden ihre Entscheidung nicht vorrangig auf Widersprüche im Fluchtvorbringen bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme stützen dürfen. Wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorhalte, dass es auffällig wäre, dass er in der Erstbefragung mit keinem Wort eine Anhaltung und/ oder Inhaftierung ins Treffen geführt hätte, so sei auch dieser Vorhalt aktenwidrig. Der Beschwerde habe bereits in der Erstbefragung geschildert, dass er mehrmals verhaftet worden wäre und als Kurde verfolgt worden sei. Zu dem Vorhalt, dass der Beschwerdeführer unterschiedliche Angaben bezüglich der Ausstellung des Reisepasses gemacht hätte, werde auf seine Ausführungen in der Einvernahme verwiesen. Der Beschwerdeführer habe eine Schlepperorganisation mit der Beschaffung des Reisepasses und der Organisation der Flucht nach Europa beauftragt. Er selber habe zu keinem Zeitpunkt versucht, bei der italienischen Botschaft ein Visum zu erlangen.

Im Rahmen rechtlicher Ausführungen wird dargelegt, dass der Beschwerdeführer mit der HDP sympathisiert und an Veranstaltungen teilgenommen habe. Er sei aufgrund seiner politischen Überzeugung und einer unterstellten Nähe zur Gülen-Bewegung und PKK verfolgt, mehrmals verhaftet und misshandelt worden. Jedenfalls werde ihm daher eine dem türkischen Staat -oppositionelle - politische Meinung unterstellt.

Zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer bereits mehrmals verhaftet und misshandelt worden sei. Ihm drohe aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und der damit zusammenhängenden politischen Gesinnung erneut Inhaftierung und schwere Misshandlung bis zu Folter. Dem Beschwerdeführer hätte der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen, wenn die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt hätte.

Abschließend wird ausgeführt, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung geboten sei. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs betreffend Artikel 47 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (in der Folge als Charta bezeichnet) zur Zahl U 466/11 und U 1836/11 vom 14.03.2012 verwiesen. Im gegenständlichen Fall kommen die Verfahrensgarantien des Artikel 6 EMRK - nach Maßgabe des Artikel 47 der Charta - im Beschwerdeverfahren zur Anwendung. Diesbezüglich verlangte der EGMR in der jüngsten Entscheidung Denk gegen Österreich, 05.12.2013, 23396/09, zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wenn die Rechtssache erstmals von einem Gericht entschieden wird.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 29.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Beschwerdeverfahren wurde zunächst der Gerichtsabteilung L514 des Bundesverwaltungsgerichts und infolge einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses mit 27.06.2018 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Mit Schreiben vom 14.08.2018 teilte die bevollmächtigte Rechtsberatung dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sie aufgrund des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltens ihr gegenüber davon ausgehe, dass dieser keine weitere Vertretung wünsche, weshalb sie die ihr erteilte Vollmacht zurücklege.

8. Am 23.08.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, einer Vertrauensperson und eines Vertreters der erneut bevollmächtigten Rechtsberatung sowie eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Der Beschwerdeführer brachte seinerseits eine österreichische Meldebestätigung vom 02.08.2018, eine bulgarische Geburtsurkunde seiner Verlobten vom 14.10.2014, ein türkisches Ehefähigkeitszeugnis vom 16.08.2018, einen türkischen Führerschein und einen türkischen Ausweis des Transportministeriums für Transportunternehmer bzw. Berufskraftfahrer in Vorlage.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 08.08.2018 beantragt.

Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurde vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme zu den länderkundlichen Berichten in Vorlage gebracht.

9. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.08.2018 wurde die Polizeiinspektion Van-der-Nüll-Gasse 11 im Wege der Amtshilfe um Mitteilung ersucht, in welcher Eigenschaft der Beschwerdeführer (Opfer, Zeuge oder Begleiter) bei der seinen Angaben zufolge gemeinsam mit seinem Bruder bei der dortigen Dienststelle vor einigen Tagen erstatteten Anzeige aufgetreten sei.

10. Mit Schreiben vom 28.08.2018 teilte die Staatsanwaltschaft Wien mit, dass gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen Anklage nach §§ 105 Absatz 1 und 106 Absatz 1 Ziffer 1 StGB erhoben wurde.

11. Laut Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres vom 19.09.2018 wurde der Beschwerdeführer von Interpol Ankara unter den Personendaten XXXX, geb. XXXX in XXXX identifiziert.

12. In Entsprechung des Ersuchens des Bundesverwaltungsgerichts um Amtshilfe übermittelte die Polizeiinspektion Van-der-Nüll-Gasse 11 den Abschluss-Bericht vom 23.08.2018, wonach der Beschwerdeführer in einem Strafverfahren wegen des Verdachtes auf schwere Nötigung als Beschuldigter geführt wird.

13. Mit Note vom 18.10.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zu Handen seiner rechtsfreundlichen Vertretung aktualisierte Informationen zur Lage in der Türkei und stellte ihm eine Stellungnahme hiezu frei. Innerhalb der eingeräumten Frist langte keine Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz geboren und wuchs dort auf, gehört der Volksgruppe der Kurden an, bekennt sich zum islamischen Glauben, ist ledig und kinderlos. Er besuchte die Grund- und Hauptschule sowie das Gymnasium im Ausmaß von zwölf Jahren. Eine universitäre Ausbildung brach der Beschwerdeführer nach zwei Jahren ab. Anschließend bestritt er seinen Lebensunterhalt durch Tätigkeiten im Bereich des Transportwesens. Schließlich war der Beschwerdeführer für kurze Zeit im Staatsdienst als "Schulmeister" tätig.

Er lebte stets in XXXX in einem Haus im Eigentum seiner Familie, zuletzt gemeinsam mit seiner Mutter. Diese befindet sich bereits im Ruhestand und wird von seinen Geschwistern finanziell unterstützt. Sein Vater ist verstorben. Im letzten Monat vor seiner Ausreise hielt sich der Beschwerdeführer bei einem Bruder in Antalya auf.

In der Türkei leben zudem neun Geschwister des Beschwerdeführers. Seine drei Schwestern sind verheiratet und betreiben alle mit ihrem jeweiligen Ehegatten eigene Firmen. Vier Brüder befinden sich im türkischen Staatsdienst. Ein Bruder hält sich in XXXX auf und betreibt eine Spedition und bei seinem in Antalya aufhältigen Bruder handelt es sich um einen Geschäftsmann. Er steht mit einzelnen Familienmitgliedern in Kontakt.

Ein Bruder des Beschwerdeführers -XXXX - lebt in Österreich. Der Bruder des Beschwerdeführers verfügt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" und gewährt dem Beschwerdeführer gegenwärtig finanzielle Unterstützung.

Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurmanci und Türkisch.

Der Beschwerdeführer ist Sympathisant der HDP und nahm vor den Parlamentswahlen 2015 an Wahlveranstaltungen als Unterstützer teil.

Anfang Juni 2017 verließ der Beschwerdeführer die Türkei illegal und schlepperunterstützt mit einem Lastkraftwagen und gelangte auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 12.06.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Zuvor wurde für den Beschwerdeführer am 19.04.2017 bei der Botschaft der Republik Italien in Ankara die Ausstellung eines Visums beantragt.

2.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer verlor gegen Ende 2016 seine Anstellung im Staatsdienst, der Grund hiefür kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei vor seiner Ausreise einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise von türkischen Sicherheitskräften angehalten, verhört oder gefoltert wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Er unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zu einer kurdisch-stämmigen Familie, wegen seiner Sympathie für die HDP und seiner Beteiligung an deren Aktivitäten. Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei schließlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Strafverfolgung im Zusammenhang mit einem ihm unterstellten Naheverhältnis zur PKK oder der Gülen-Bewegung.

Der Beschwerdeführer gehört der Gülen-Bewegung nicht an und war nicht in den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verwickelt.

2.3. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung im Transportwesen und durch seine Tätigkeit als "Schulmeister". Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) im Original und eine Wohnmöglichkeit im Haus seiner Familie.

2.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 12.06.2017 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezog - abgesehen von einigen Tagen im Juni 2017 - keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Zunächst gewährte ihm sein in Österreich lebender Bruder Unterkunft. Seit Jänner oder Februar 2018 unterhält der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer in Wien wohnhaften bulgarischen Staatsbürgerin, ein gemeinsamer Wohnsitz besteht erst seit etwa Anfang Juli 2018. Einen Nachweis über die für 19.09.2018 angekündigte Eheschließung brachte der Beschwerdeführer nicht in Vorlage.

Er wird gegenwärtig von seinem in Österreich lebender Bruder und der bulgarischen Staatsbürgerin - finanziell - unterstützt. Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig.

Der Beschwerdeführer pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte, teilweise auch mit Österreichern.

Der Beschwerdeführer hat keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Er ist weder in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation Mitglied. Er besucht gelegentlich Feuerwehr- und Schulveranstaltungen seiner zwei Nichten. Über eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt verfügt der Beschwerdeführer nicht, ihm wurden jedoch einige Beschäftigungen - etwa am "Großmarkt" - vage in Aussicht gestellt.

Der Beschwerdeführer besuchte keine sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte auch keine Prüfungen ab. Er beherrscht die deutsche Sprache kaum.

2.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Dem Abschluss-Bericht vom 23.08.2018 der Polizeiinspektion Van-der-Nüll-Gasse 11 zufolge wird der Beschwerdeführer in einem Strafverfahren wegen des Verdachtes auf schwere Nötigung als Beschuldigter geführt und wurde von der zuständigen Staatsanwältin eine Anzeige auf freiem Fuß verfügt.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

2.6. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (09.07.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt. Die Amtszeit des direkt vom Volk gewählten Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Trotz des Verlustes der absoluten Mehrheit errang die AKP durch ein Wahlbündnis unter dem Namen "Volksbündnis" mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die 11,1% und 49 Sitze erreichte, die Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Die religiös-konservative Saadet-Partei, die dritte Partei nebst CHP und MHP im oppositionellen "Bündnis der Nation", erhielt nur 1,3% und blieb ohne Mandat. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018).

Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu seinen Gunsten und der AKP widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt. Während alle Kandidaten eine aufgeladene Rhetorik gegen die Mitbewerber verwendeten, bezeichnete der amtierende Präsident immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Das türkische Parlament, die Große Türkische Nationalversammlung, wird für vier Jahre gewählt. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht in 85 Wahlkreisen. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben. Für die Parlamentswahl gilt eine 10 %-Hürde. Aufgrund einer Änderung des Wahlgesetzes 2018 ist es aber auch sog. "Wahlbündnissen" mehrerer Parteien möglich, ins Parlament einzuziehen, wenn das Bündnis insgesamt die Schwelle von 10 % überwindet. Die letzte Parlamentswahl fand zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl am 24.06.2018 statt. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand unter den rechtlichen Einschränkungen des Notstandes statt. Der Kandidat der HDP, Selahattin Demirtas, befand sich während des Wahlkampfes und der Wahl im Gefängnis. Nach den amtlichen Ergebnissen erzielte die Regierungspartei AKP 42,5 %, die mit ihr verbündete MHP kam auf 11,2 %. Gemeinsam verfügen beide Parteien damit über eine deutliche Mehrheit im Parlament. Die kemalistische CHP erreichte 22,67 %, die säkularnationalistische IYI PARTI auf 10,01 % und die prokurdische HDP schafft mit 11,62 % ebenfalls den Einzug ins Parlament.

Der Ministerpräsident und die auf seinen Vorschlag hin vom Staatspräsidenten ernannten Minister bzw. Staatsminister bilden den Ministerrat, der die Regierungsgeschäfte führt. Überdies ernennt der Staatspräsident 14 von 17 Mitglieder des Verfassungsgerichtes für zwölf Jahre. In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Bereits am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht (HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt (OSCE/PACE 17.4.2017). Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren (PACE 17.4.2017). Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden (Zeit 17.4.2017; vgl. PACE 17.7.2017). Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig (AM 18.7.2017). Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen (Zeit 18.4.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte (FAZ 19.4.2017). Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an (Spiegel 19.4.2017). Ergebnisse dazu sind nicht bekannt.

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Die Erklärung des Ausnahmezustandes vom 20. Juli führte zu erheblichen Gesetzesänderungen, die durch Dekrete ohne vorherige Konsultation des Parlaments angenommen wurden, obwohl eine begrenzte Konsultation der Oppositionsparteien vorgenommen wurde. Im Einklang mit Artikel 120 der Verfassung werden die Erlasse im Rahmen des Ausnahmezustands innerhalb von 30 Tagen dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet. Die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission, die Vertreter aller vier Parteien einschließt und Stellungnahmen zu den Dekreten erhält, die während des Ausnahmezustands erlassen werden sollen, wird geprüft (EC 9.11.2016).

Gegen die Dekrete kann nicht vor dem Verfassungsgericht vorgegangen werden. Während des Ausnahmezustands können nach Artikel 15 Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Auch dürfen Maßnahmen ergriffen werden, die von den Garantien in der Verfassung abweichen. Voraussetzung ist allerdings, dass Verpflichtungen nach internationalem Recht nicht verletzt werden. Unverletzlich bleibt das Recht auf Leben. Niemand darf zudem gezwungen werden, seine Religionszugehörigkeit, sein Gewissen, seine Gedanken oder seine Meinung zu offenbaren, oder deswegen bestraft werden. Strafen dürfen nicht rückwirkend verhängt werden. Auch im Ausnahmezustand gilt die Unschuldsvermutung (DTJ 21.7.2016). Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, machte unter Zitierung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) klar, wonach jegliche Beeinträchtigung von Rechten der Situation angemessen sein muss, und dass unter keinen Umständen von Artikel 2 - das Recht auf Leben, Artikel 3 - das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung und Artikel 7 - keine Bestrafung jenseits des Gesetzes, abgewichen werden darf. Opfer von Verletzungen der Menschenrechtskonvention durch die Türkei, infolge der verabschiedeten Maßnahmen unter dem Ausnahmezustand, hätten laut Jagland weiterhin das Recht, den EGMR anzurufen (CoE 25.7.2016).

Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli wurden in der Türkei bereits mehr als 42.000 Menschen festgenommen und etwa 120.000 weitere entlassen oder vom Dienst suspendiert. Rund 600 Unternehmen von angeblich Gülen-nahen Geschäftsleuten wurden unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Das enteignete Firmenvermögen beläuft sich auf geschätzte zehn Mrd. US-Dollar (FNS 1/2017). Laut "TurkeyPurge.com", einer Internetplattform, die aktuelle Informationen zur staatlichen Verfolgung von vermeintlichen Unterstützern des gescheiterten Putschen oder militanter Organisationen sammelt, waren mit Stand 5.2.2017 rund 124.000 Personen entlassen worden, davon fast 7.000 Akademiker sowie über

3.800 Richter und Staatsanwälte. Fast 91.000 Personen waren festgenommen worden, wovon über 44.500 inhaftiert wurden (TP 17.1.2017).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Als Reaktion auf den gescheiterten Putsch vom 15.7.2016 hat der türkische Präsident am 20.7.2016 den Notstand, zunächst für drei Monate, ausgerufen. Dieser berechtigt die Regierung, verschiedene Einschränkungen der Grundrechte wie der Versammlungs- oder der Pressefreiheit zu verfügen (EDA 24.1.2017). Auf der Basis des Ausnahmezustandes können u. a. Ausgangssperren kurzfristig verhängt, Durchsuchungen vorgenommen und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden. Personen, gegen die türkische Behörden strafrechtlich vorgehen (etwa im Nachgang des Putschversuchs oder bei Verdacht auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung), kann die Ausreise untersagt werden (AA 24.1.2017a). Der Ausnahmezustand wurde insgesamt sieben Mal um drei Monate verlängert, bis er am 19.07.2018 schließlich auslief. Derzeit wird im türkischen Parlament ein Gesetzesentwurf beraten, der eine Reihe der Notstandsbestimmungen in türkisches Recht überführen würde (AA 03.08.2018).

Die Situation im Südosten, so die Europäische Kommission, blieb eine der schwierigsten Herausforderungen für das Land. Die Türkei sah sich mit einer weiterhin sehr ernsten Verschlechterung der Sicherheitslage konfrontiert, in der es zu schweren Verlusten an Menschenleben nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen zur Lösung der Kurdenfrage im Juli 2015 kam. Das Land wurde von mehreren terroristischen Großangriffen seitens der PKK und dem sog. Islamischen Staat (auch Da'esh) betroffen. Die Behörden setzten ihre umfangreiche Anti-Terror-Kampagnen gegen die kurdische Arbeiterpartei in den Jahren 2015 und 2016 (PKK) fort. Das Ausmaß der Binnenflucht aus jenen Zonen, in denen eine Ausgangssperre herrschte, sowie der mangelnde Zugang zur Grundversorgung in diesen Gebieten gaben der EK ebenfalls Anlass zu großer Sorge. Die EK sah die dringliche Notwendigkeit des ungehinderten Zuganges von unabhängigen Ermittlern in die Region. Überdies zitierte die EK die Venediger Kommission des Europarates, wonach sich die Verhängung der Ausgangssperren weder im Einklang mit der türkischen Verfassung noch mit den internationalen Verpflichtungen des Landes befände (EC 9.11.2016). Mehr als 80 Prozent der Provinzen im Südosten des Landes waren insbesondere im Jahr 2015 von Gewalt betroffen. Sieben von neun Provinzen Südostanatoliens sowie zwölf von 14 Provinzen Ostanatoliens waren von Attentaten der PKK, der TAK und des sog. IS, Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen. In den Provinzen Diyarbakir, Mardin und Sirnak kam es zu den meisten, in Hakkâri, Kilis, Sanliurfa und Van zu relativ vielen Vorfällen (SFH 25.8.2016). In den Jahren 2017 und 2018 kam es zu keinen offenen bewaffneten Auseinandersetzungen von derartiger Intensität, wiewohl die Türkei von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des "IS" sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der DHKP-C ausgesetzt (AA 03.08.2018). In den Jahren 2017 und 2018 wurden außerdem keine großflächigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei mehr verhängt, die Untersuchung anhaltender Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen während der 24-stündigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei in den Jahren 2015 und 2016 kam jedoch ebenfalls nicht voran (AI 22.02.2018).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Seit dem Sommer 2015 hat die Zahl der Anschläge zugenommen. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben die Attentate zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 24.1.2017).

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) wies auf die rechtliche Einschätzung der Venediger Kommission vom 13.6.2016 hin, wonach die seit August 2015 verhängten Ausgangssperren im Südosten des Landes gegen die türkische Verfassung und den Rechtsrahmen verstoßen haben. Denn Ausgangssperren können nur in Zusammenhang mit dem materiellen oder dem Notstandsrecht verhängt werden, wofür es aber eines parlamentarischen Beschlusses bedarf, welcher jedoch nie gefasst wurde. Die Versammlung zeigte sich auch besorgt, dass 21 demokratisch gewählte kurdische Bürgermeister verhaftet und 31 weitere wegen Unterstützung oder Begünstigung einer terroristischen Organisation entlassen wurden. Die Versammlung äußerte ihre Besorgnis ob der breiten Interpretation des Anti-Terror-Gesetzes, um gewaltfreie Äußerungen zu bestrafen und jede Botschaft zu kriminalisieren, wenn diese sich bloß vermeintlich mit den Interessen einer Terrororganisation deckten (PACE 22.6.2016).

Für den Menschenrechtskommissar des Europarates bestand kein Zweifel daran, dass weite Bevölkerungsteile von den Ausgangssperren und Antiterrormaßnahmen betroffen waren. Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates waren 1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren von den Sperrstunden betroffen, und mindestens 355.000 Personen wurden vertrieben. Zahlreichen glaubwürdigen Berichten zufolge, die durch dokumentarische Beweise und Videoaufnahmen gesichert wurden, haben die türkischen Sicherheitskräfte in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt, darunter auch Artillerie und Mörser sowie Panzer und schwere Maschinengewehre. Dies deckt sich mit den Zerstörungen, die der Menschenrechtskommissar angetroffen hat. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört. Der Gouverneur von Diyarbakir schätzte, dass 50% der Häuser von sechs Stadtvierteln in der Altstadt von Sur nun völlig unbewohnbar wurden, und dass weitere 25% beschädigt wurden (CoE-CommDH 2.12.2016).

Laut der Sicherheitsagentur "Verisk Maplecroft" wurden 2016 bei 269 Terroranschlägen 685 Menschen getötet und mehr als 2.000 verwundet (FT 4.1.2017). Das "Bipartisan Policy Center" zählte bis Dezember 2016 eine Verdoppelung der Opferzahlen im Vergleich zu 2015. Beinahe 300 Personen wurden 2016 bei den größeren Terroranschlägen der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) und des sog. Islamischen Staates getötet. 2015 waren es weniger als 150 (BI 21.12.2016).

Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).

Die PKK hat am 12.3.2016 eine Dachorganisation linker militanter Gruppen gegründet, um ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten und ihre Unterstützungsbasis jenseits der kurdischen Gemeinschaft auszudehnen. Die neue Gruppe, bekannt als die "Revolutionäre Bewegung der Völker" (HBDH), wird vom Chef der radikalsten linken Fraktion innerhalb der PKK, Duran Kalkan, geleitet. Erklärte Absicht der Gruppe, die den türkischen Staat und im Speziellen die herrschende AKP ablehnt, ist es, die politische Agenda voranzutreiben, wozu auch Terroranschläge u.a. gegen Ausländer gehören. Die Gruppe unterstrich zudem das Scheitern der kurdischen Parteien in der Türkei, auch der legalen HDP (Stratfor 15.4.2016). Laut Berichten beabsichtigt die HBDH Propagandaaktionen durchzuführen, um auch die Unterstützung von türkischen Aleviten zu erhalten, und um "Selbstverteidigungsbüros" in den Vierteln der südlichen und südöstlichen Städte zu errichten. Die HBDH will auch Druck auf Dorfvorsteher und Beamte ausüben, die in Schulen und Gesundheitsdiensten arbeiten, damit diese entweder kündigen oder die Ortschaften verlassen (HDN 4.4.2016). Neun verbotene Gruppen trafen sich auf Einladung der PKK am 23.2.2016 zur ihrer ersten Sitzung im syrischen Latakia, darunter die Türkische kommunistische Partei/ Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML), die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) [siehe 3.4.], die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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