TE Vfgh Erkenntnis 1997/2/25 B3926/95, B3927/95, B3928/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.1997
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhalts infolge grober Verkennung der Rechtslage und Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerinnen sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin zu B3928/95 lebte - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen zu Folge - von 1989 bis 1994 rechtmäßig in Österreich. Seit 1990 lebt auch ihr Ehemann hier und geht, so wie die Beschwerdeführerin selbst, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach; auch ihre beiden minderjährigen Töchter, die Beschwerdeführerinnen zu B3926/95 und B3927/95 lebten seit 1989 in Österreich.

Nachdem die Beschwerdeführerin im Jahr 1994 die Frist zur Stellung eines Antrages auf Verlängung ihrer Aufenthaltsbewilligung versäumt hatte, stellte sie nach erfolgter Ausreise aus Österreich einen neuerlichen (Erst)Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von ihrem Heimatland aus.

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Salzburg-Umgebung wurde dieser Antrag abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §5 Abs1 Aufenthaltsgesetz im wesentlichen deshalb ab, weil der Unterhalt der Beschwerdeführerin nicht gesichert sei. Dazu ist im Bescheid auch noch folgendes ausgeführt:

"Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung des gesicherten Lebensunterhaltes gesetzwidrig gewesen wäre. Sie sind somit Ihrer Pflicht am Verfahren entsprechend mitzuwirken nicht ausreichend nachgekommen."

2. Weiters versagte der Bundesminister für Inneres auch den beiden anderen Beschwerdeführerinnen, gestützt auf §5 Abs1 AufG die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung , u.zw. unter Hinweis darauf, daß - da auch die Mutter über keine Aufenthaltsbewilligung verfüge - deren Unterhalt für die Dauer der Bewilligung nicht gesichert sei.

3. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.1. Der von der Beschwerdeführerin zu B3928/95 angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz versagende Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, weil sich ihr Mann in Österreich aufhält und die Versagung der Aufenthaltsbewilligung die Familienzusammenführung verhindert.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen der Bewilligungswerberin Bedacht zu nehmen.

3. Die belangte Behörde hat angenommen, daß §5 Abs1 AufG der Behörde Ermessen einräume. Beim Begriff "Lebensunterhalt ... für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert" handelt es sich aber um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, und nicht, wie die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage annimmt, um die Einräumung von Ermessen an die Behörde durch den Gesetzgeber.

Die Annahme der belangten Behörde, §5 Abs1 AufG räume ihr Ermessen ein, bedeutet ein grobes Verkennen der Rechtslage, das in die Verfassungssphäre reicht.

4. Die von den beiden anderen Beschwerdeführerinnen, den minderjährigen Töchtern der Beschwerdeführerin zu B3928/95, bekämpften Bescheide bauen auf jenem - unter einem aufgehobenen - Bescheid auf, mit dem ihrer Mutter die Aufenthaltsbewilligung versagt wurde. Damit entbehren aber auch die an die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin ergangenen Bescheide einer gesetzlichen Grundlage; sie verletzen die minderjährigen Beschwerdeführerinnen in demselben verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht wie der zugrundeliegende Bescheid die Erstbeschwerdeführerin (vgl. VfGH 9.10.1996 B 1775-1777/95).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Ermessen, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3926.1995

Dokumentnummer

JFT_10029775_95B03926_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten