TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/27 L521 2016335-2

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Veröffentlicht am 27.11.2018
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Entscheidungsdatum

27.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L521 2016335-2/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 19.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018, Zl. 643350706-170084686, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.11.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste erstmals an einem nicht feststellbaren Tag im Mai 2013 schlepperunterstützt und unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und hielt sich in der Folge zwei Monate bei Verwandten in Vorarlberg auf, ohne einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Anschließend begab er sich nach mit einem Taxi nach Rom und verweilte dort mehrere Wochen, ebenfalls ohne eine einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Am 30.08.2013 stellte der Beschwerdeführer nach neuerlicher unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Feldkirch am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, den im Spruch angeführten Namen zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am 25.01.1992 in XXXX in der Provinz XXXX geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem und ledig. In der Türkei würden nach wie vor die Eltern und vier Schwestern leben. Darüber hinaus würden sich zwei weitere Schwestern in der Schweiz, zwei Schwestern und ein Bruder in Deutschland und ein Bruder in Österreich aufhalten.

Zu seinen Ausreisegründen befragt gab er an, er habe vor ca. einem Jahr den Entschluss gefasst die Türkei zu verlassen. Die Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) verlange die Einrichtung eigener kurdischen Schulen in der Türkei, die Regierung aber wolle, dass die Schulen in erster Linie türkisch geführt werden. Deshalb und da der Führer der PKK inhaftiert ist, käme es zu Kämpfen in der Türkei. Er selbst habe "Aufstände gegen türkische Schulen organisiert", weil er für die PKK gearbeitet habe. Er sei zweimal festgenommen worden. Im Rahmen der ersten Festnahme sei er zwei Stunden lang und bei der zweiten Festnahme fünf Stunden lang angehalten worden. Ihm sei gesagt worden, dass er bei einem nächsten Aufgriff dann für sein ganzes Leben inhaftiert werden würde. Sein Vater habe ihm dann geraten, er solle ins Ausland gehen, bis sich die Situation wieder beruhigt habe. Nach wie vor werde der Vater aber nach seinem Aufenthaltsort befragt. Im Falle der Rückkehr erwarte ihn lebenslange Haft. Außerdem habe man ihm die Sozialhilfe gestrichen und sei er nunmehr nicht mehr sozialversichert und werde er im Krankenhaus auch nicht behandelt.

Als Kind sei er im Übrigen in einen Stromkreis geraten und trage deshalb nunmehr Beinprothesen. Auch am Oberkörper habe er bei dem Unfall schwere Verbrennungen erlitten.

Der Beschwerdeführer brachte eine Schulbesuchsbestätigung vom 12.02.2010, einen ärztlichen Bericht über seine Behinderung und eine Bestätigung über die Nichtableistung des Militärdienstes aufgrund seiner Behinderung als Beweismittel in Vorlage.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 23.10.2014 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in kurdischer Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen.

Zum Ausreisegrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er von den Ansichten der PKK überzeugt sei. Er sei ein Anhänger von Abdullah Öcalan gewesen und zwei Mal in der Türkei festgenommen worden. Daraufhin wären auch zwei Neffen von ihm festgenommen worden. Einer der Neffen sei für drei Monate in Haft angehalten worden. In weiterer Folge habe er selbst Angst bekommen. Er habe sich auch Sorgen um seine Prothesen gemacht und sich daher zur Ausreise entschlossen. Wenn er in der Türkei geblieben wäre, hätte er sicher für die kurdische Sache gekämpft, da er für die PKK sei. Zu seinen Festnahmen befragt führte der Beschwerdeführer vorerst aus, dass er im April 2010 festgenommen worden sei, in weiterer Folge, dass die beiden Festnahmen im Jahr 2009 stattgefunden hätten, das genaue Datum wisse er aber nicht mehr. Er sei einmal für vier Stunden und einmal für zwei Stunden angehalten worden und sei ihm vorwiegend vorgeworfen worden, dass er Unterschriften für die PKK sammle. Er habe sich dabei zur PKK bekannt und sei von der Gendarmerie nicht respektiert worden.

Im Übrigen legte der Beschwerdeführer dar, in der Türkei die Schule für 12 Jahre besucht zu haben, jedoch habe er die Matura nicht erlangt. In der Folge habe er als Taxifahrer gearbeitet, dabei jedoch nur ein unzureichendes Einkommen erlangt. Gelebt habe er bei seiner Familie im Haus der Eltern. Hinsichtlich seines gesundheitlichen Zustandes führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, dass er zwar seit seinem achten Lebensjahr zwei Beinprothesen trage und regelmäßig zur Kontrolle müsse, Medikamente nehme er jedoch nicht ein.

Auf die Frage, weshalb er Österreich als Zielland gewählt habe, legte der Beschwerdeführer wörtlich dar: "Es gibt hier Menschenrechte, es gibt hier Gerechtigkeit. Die Krankenversicherung ist hier viel besser. Mir wurden hier die Prothesen angepasst." In Italien - wo er sich etwa zwei Monate lang vor seiner Antragstellung in Österreich aufgehalten habe - habe er keinen Asylantrag gestellt, da alles dort "schlecht organisiert" gewesen sei, er teilweise auf der Straße schlafen habe müssen und er auch wegen seiner Prothesen nicht dort bleiben wollte.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2014, Zl. 643350706-1712351, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.05.2015, L502 2016335-1/9E, als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung durch staatliche Organe ausgesetzt gewesen sei oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei als Sympathisant der PKK von türkischen staatlichen Organen vor der Ausreise gezielt und nachhaltig verfolgt worden, stelle sich als nicht glaubwürdig dar und habe der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Aktivitäten und der daraus resultierenden Anhaltungen nur vage und unsubstaniierte Angaben getätigt.

Ferner sei den behaupteten Übergriffe nicht jene Eingriffsintensität zuzumessen, die als Verfolgung zu qualifizieren gewesen wäre und mangle es allfälligen Festnahmen in den Jahren 2009 und 2010 auch am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise im Jahr 2013.

Das weitere, den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers betreffende Beschwerdevorbringen unterliege dem Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 BFA-VG und sei daher unbeachtlich.

5. Der Ladung zu einem Termin beim türkischen Konsulat in Wien zur Erlangung eines Heimreisezertifikates am 08.09.2015 leistete der Beschwerdeführer nicht Folge.

6. Die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.05.2015 erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof lehnte dieser mit Beschluss vom 18.02.2016, E 1752/2015, ab. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde seitens des Beschwerdeführers nicht erhoben.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ am 27.12.2016 einen Ladungsbescheid und verpflichtete den Beschwerdeführer, zu einem weiteren Termin beim türkischen Konsulat in Wien zur Erlangung eines Heimreisezertifikates am 12.01.2017 zu erscheinen. Am 11.01.2017 entschuldigte sich der Beschwerdeführer wegen Krankheit.

8. Für den 18.01.2017 wurde der Beschwerdeführer zu einem weiteren Termin beim türkischen Konsulat in Wien zur Erlangung eines Heimreisezertifikates am 18.01.2017 geladen. Am 18.01.2017 entschuldigte sich der Beschwerdeführer neuerlich wegen Krankheit.

9. Am 20.01.2017 stellte der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Feldkirch-Gisingen den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung befragt führte der Beschwerdeführer aus, jeder wisse, dass sich die Lage in der Türkei verändert habe und die Lage der Kurden schlimmer geworden sei. Es gäbe keine Garantie, dass er im Fall einer Rückkehr verhaftet werden würde (gemeint wohl: nicht verhaftet werden würde). Seit Dezember 2016 sei der Bürgermeister seiner früheren Wohnsitzgemeinde in Haft, da er den Kurden im Dorf geholfen habe. Dieser sei auch Mitglied der Halklarin Demokratik Partisi (HDP). Der Parteivorsitzende des HDP sei ebenfalls festgenommen worden. Er selbst habe "früher" jährlich die Geburtstagsfeier von Abdullah ÖCALAN organisiert. Im Jahr 2010 sei er dabei von der Polizei gefilmt worden. Auf dem Video wären auch seine Neffen zu sehen, die Polizei habe diese in der Folge verhaftet.

Im Fall einer Rückkehr in die Türkei befürchte er, ebenfalls verhaftet zu werden.

Die bei der Erstbefragung anwesende Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers brachte im Gefolge der Befragung ein schriftliches Vorbringen in Vorlage, welches als Beilage zur Niederschrift genommen wurde. In diesem, an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl adressiertem Schriftsatz vom 19.01.2017 wird insbesondere vorgebracht, der Beschwerdeführer habe in der Türkei mit der PKK sympathisiert und diese unterstützt. Wegen seiner politischen Aktivitäten sei er polizeilich verfolgt und zwei Mal festgenommen und dabei gefoltert worden. Vor einem Monat wären sämtliche Bewohner des "Dorfes XXXX" von der Polizei aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit festgenommen worden.

7. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 05.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ort, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin sowie seiner rechtsfreundlichen Vertretung in türkischer Sprache vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin zu seinem neuerlichen Asylantrag niederschriftlich einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, der türkischen Sprache mächtig zu sein und bei der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben getätigt zu haben. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei sei er gefährdet, da er zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit stehe und seine Muttersprache sprechen wolle. Der Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, werde weiterhin in Haft angehalten und es erweise sich die Einreise in die Türkei als sehr gefährlich, solange Selahattin Demirtas noch inhaftiert sei. Er habe immer noch kein Vertrauen in seine Heimat und es würden sich sämtliche Geschwister in Mitteleuropa aufhalten.

Auf Nachfrage nach neuen Fluchtgründen legte der Beschwerdeführer wörtlich dar: "Die alten Fluchtgründe sind noch aufrecht. Es gibt keine neuen Fluchtgründe. Ich höre und sehe alles bezüglich der Lage in der Türkei über die Medien." Sein Neffe sei drei Monate in Haft gewesen und halte sich nunmehr auch als Asylwerber in Österreich auf. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, ebenfalls inhaftiert zu werden. Es gebe ferner keine Arbeit und er verfüge in der Türkei über keine Krankenversicherung. In der Türkei sei er niemals im Gefängnis gewesen, nicht vorbestragt und sei auch nie verhaftet worden.

Im Bundesgebiet sei er eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangen und habe zuletzt Deutschkurse auf dem Niveau B1 besucht.

8. Am 20.03.2018 nahm der Beschwerdeführer zu dem ihm ausgehändigten Länderberichten Stellung und beantragte die Beischaffung des Asylaktes des Neffen des Beschwerdeführers zum Beweis einer gegenwärtigen Verfolgungsgefahr in der Türkei sowie die Bestellung eines länderkundlichen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass dem Beschwerdeführer als Kurde im Fall einer Rückkehr in die Türkei aufgrund der seit dem Putschversuch geänderten Lage asylrelevante Verfolgung in der Türkei drohen würde.

9. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018, Zl. 643350706-170084686, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I und Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Unter einem wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1

BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte - zusammengefasst - fest, dass der Beschwerdeführer verfahrensgegenständlich keinen neu entstandenen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens entstanden wäre.

10. Gegen den der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 18.05.2018 zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018 richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen, in der Sache ferner den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Bundesamt die Fortführung des Verfahrens aufzutragen, dem Beschwerdeführer Asyl oder subsidiären Schutz zuzuerkennen oder ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wieder den Beschwerdeführer auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Ferner werden die bereits im Verfahren erster Instanz gestellten Beweisanträge wiederholt.

10. Die Beschwerdevorlage langte am 25.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2018, L521 2016335-2/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

12. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.11.2018 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage in der Türkei zur Vorbereitung der für den 19.11.2018 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelt und die Möglichkeit einer Stellungnahme freigestellt. Der Beschwerdeführer äußerte sich hiezu innerhalb der eingeräumten Frist nicht, seine Stellungnahme langte am letzten Tag der Frist außerhalb der Amtsstunden ein.

13. Am 19.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, die Gründe für seine neuerliche Antragstellung umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen und der dazu vom Beschwerdeführer erstatteten Stellungnahme erörtert. Der Beschwerdeführer brachte im Gefolge der Verhandlung ein Konvolut an Urkunden seine Integration in Österreich betreffend in Vorlage.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Ebenso blieb die als Zeugin geladene Lebensgefährtin der mündlichen Verhandlung entschuldigt fern, sie zeigte dem Bundesverwaltungsgericht bereits zuvor mit Eingabe vom 15.10.2018 mit, die Beziehung mit dem Beschwerdeführer beendet zu haben.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 20.11.2018 die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses verlangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er wurde am 25.01.1992 in der Ortschaft XXXX im Landkreis XXXX (mit ca. 40.000 Einwohnern) der Provinz XXXX geboren und wuchs dort auf. Zuletzt lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Eltern in einem Haus im Eigentum seiner Familie. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung, er ist ledig und hat keine Kinder.

Im Alter von acht Jahren verlor der Beschwerdeführer bei einem Unfall beide Beine, er wurde deshalb von der Ableistung des Wehrdienstes befreit. Seine beiden Beinprothesen wurden in Österreich neu angepasst, die Beinstümpfe benötigen regelmäßige Pflege und muss die Prothese bei Schmerzen bzw. Gewichtsänderungen allenfalls angepasst werden. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer besuchte in der Türkei die Grundschule sowie das Gymnasium im Ausmaß von zwölf Jahren, ohne die Matura abzulegen. Nach dem Schulbesuch trat der Beschwerdeführer in das Erwerbsleben ein und arbeitete zuletzt als Taxilenker und in der elterlichen Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer war auch als Hilfskraft im Tourismus insbesondere für Reinigungstätigkeiten mehrere Monate in Antalya und in Bursa erwerbstätig.

In der Türkei lebt die Mutter des Beschwerdeführers in der Ortschaft XXXX sowie zwei Schwestern im Heimatdorf und zwei weitere Schwestern XXXX. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb vor einigen Monaten. Er steht mit seinen Familienmitgliedern in der Türkei in Kontakt. Der Bruder des Beschwerdeführers - XXXX - lebt im Bundesgebiet und hält sich aufgrund eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dessen Antrag auf internationalen Schutz wurde vom Bundesasylamt abgewiesen. Vom Asylgerichtshof wurde das Beschwerdeverfahren mit Aktenvermerk vom 05.11.2008 gemäß § 24 Abs. 2 iVm Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 eingestellt.

Der Beschwerdeführer verfügt außerdem über zwei Schwestern, die in der Schweizerischen Eidgenossenschaft leben, sowie einen weiteren Bruder und eine Schwester in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurmanci und Türkisch.

1.2. Am 16.05.2012 verweigerte die Österreichische Botschaft in Ankara dem Beschwerdeführer die Erteilung eines Visum C für Reisezwecke wegen fehlender Unterhaltsmittel und nicht feststellbarer Wiederausreiseabsicht.

An einem nicht feststellbaren Tag im Mai 2013 verließ der Beschwerdeführer die Türkei illegal von Istanbul ausgehend schlepperunterstützt auf dem Landweg und wurde mittels Lastkraftwagen nach Österreich verbracht. In der Folge hielt er sich für zwei Monate bei Verwandten und Bekannten in Vorarlberg auf und verfügte sich anschließend mit einem Taxi nach Rom, wo er ebenfalls etwa zwei Monate zubrachte. Nach der Rückkehr nach Vorarlberg stellte er am 30.08.2013 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Feldkirch seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines ersten Antrages vom 30.08.2013 zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes vor: Die Partiya Karkerên Kurdistan (PKK) verlange die Einrichtung eigener kurdischen Schulen in der Türkei, die Regierung aber wolle, dass die Schulen in erster Linie türkisch geführt werden. Deshalb und da der Führer der PKK inhaftiert ist, käme es zu Kämpfen in der Türkei. Er selbst habe "Aufstände gegen türkische Schulen organisiert", weil er auch für die PKK gearbeitet habe. Er sei zweimal festgenommen worden. Im Rahmen der ersten Festnahme sei er zwei Stunden lang und bei der zweiten Festnahme fünf Stunden lang angehalten worden. Ihm sei gesagt worden, dass er bei einem nächsten Aufgriff dann für sein ganzes Leben inhaftiert werden würde. Sein Vater habe ihm dann geraten, er solle ins Ausland gehen, bis sich die Situation wieder beruhigt habe. Nach wie vor werde der Vater aber nach dem Aufenthaltsort des BF befragt. Seine Eltern stünden unter Beobachtung und hätten auch wegen dem BF einmal früh morgens ins Polizeirevier kommen müssen. Man habe ihn schon des Öfteren gefoltert und unter Druck gesetzt. Im Falle der Rückkehr erwarte ihn lebenslange Haft. Außerdem habe man ihm die Sozialhilfe gestrichen und sei er nunmehr nicht mehr sozialversichert und werde er im Krankenhaus auch nicht behandelt (Erstbefragung am 30.08.2013). Hinsichtlich seines gesundheitlichen Zustandes führte er aus, dass er zwar seit seinem achten Lebensjahr zwei Beinprothesen trage und regelmäßig zur Kontrolle müsse, Medikamente nehme er jedoch nicht ein. Auf die Frage, warum er nach Österreich wollte, legte er dar, dass es in Österreich Menschenrechte und eine bessere Krankenversicherung geben würde. In Italien habe er keinen Asylantrag gestellt, da alles dort "schlecht organisiert" gewesen sei, er teilweise auf der Straße schlafen habe müssen und er auch wegen seiner Prothesen nicht dort bleiben habe wollen. Er sei von den Ansichten der PKK überzeugt und Anhänger des Kurdenführers Öcalan gewesen sowie deshalb zwei Mal in der Türkei festgenommen worden. Daraufhin seien auch zwei Neffen von ihm festgenommen worden. Einer der beiden habe sich dann für drei Monate in Haft befunden. In weiterer Folge habe er selbst Angst bekommen. Er habe sich auch Sorgen um seine Prothesen gemacht und sich daher entschlossen auszureisen. Wenn er in der Türkei geblieben wäre, hätte er sicher für die kurdische Sache gekämpft. Zu seinen Festnahmen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er im April 2010 festgenommen worden sei, in weiterer Folge, dass die beiden Festnahmen im Jahr 2009 stattgefunden hätten, das genaue Datum wisse er aber nicht mehr. Er sei einmal für vier Stunden und einmal für zwei Stunden angehalten worden und sei ihm vorwiegend vorgeworfen worden, dass er Unterschriften für die PKK sammle. Er habe sich dabei zur PKK bekannt und sei von der Gendarmerie nicht respektiert worden. Er wolle hier in Österreich eine passende Arbeit für sich finden und ein Auto kaufen. Er wolle auch hier frei seine Neigung zur PKK äußern und seine Muttersprache sprechen dürfen (Einvernahme am 23.10.2014).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 04.12.2014, Zl. 643350706-1712351, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18.05.2015, L502 2016335-1/9E, keine Folge. Das Erkenntnis wurde der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 25.05.2015 zugestellt.

Der Beschwerdeführer brachte in weiterer Folge beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG ein, dieser wurde mit Beschluss vom 07.09.2015, E 1752/2015-4, die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 18.02.2016, E 1752/2015-11, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde seitens des Beschwerdeführers nicht beantragt.

1.3. Zu einem Termin beim türkischen Konsulat in Wien am 08.09.2015 zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates erschien der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht.

Mit Ladungsbescheid vom 27.12.2016 wurde der Beschwerdeführer zu einem neuerlichen Termin beim türkischen Konsulat in Wien am 12.01.2017 zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates geladen und im Fall des Nichterscheinens die Festnahme angedroht. Am 11.01.2017 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung bis einschließlich 15.01.2017 infolge Krankheit und kündigte an, nicht zum Termin am 12.01.2017 zu erscheinen.

Nachdem der Beschwerdeführer zu einem Termin am 18.01.2017 beim türkischen Konsulat geladen wurde, übermittelte er abermals eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung, dieses Mal vom 16.01.2017 bis zum 19.01.2017. Dem Termin am 18.01.2017 bleib der Beschwerdeführer fern.

Am 20.01.2017 stellte der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Feldkirch den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Das Verfahren wurde am 25.01.2017 durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte zugelassen.

1.4. Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des verfahrensgegenständlichen zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 20.01.2017 anlässlich seiner Erstbefragung aus, dass sich die Lage in der Türkei verändert habe. Es gebe keine Garantie, dass er im Fall einer Rückkehr nicht verhaftet werde. Der Bürgermeister seiner Heimatgemeinde sei im Dezember 2016 inhaftiert worden, da er der Halklarin Demokratik Partisi (HDP) angehören würde und den Kurden in seinem Dorf geholfen habe. Selahattin Demirtas sei ebenfalls festgenommen worden. Er selbst habe "früher" jährlich die Geburtstagsfeier von Abdullah ÖCALAN organisiert. Im Jahr 2010 sei er dabei von der Polizei gefilmt worden. Auf dem Video wären auch seine Neffen zu sehen, die Polizei habe diese in der Folge verhaftet. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei befürchte er, ebenfalls verhaftet zu werden. Bei der Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer außerdem im Wege seiner Rechtsvertretung eine schriftliche, als "Antrag" bezeichnete Eingabe in Vorlage. In diesem, an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl adressiertem Schriftsatz vom 19.01.2017 wird insbesondere vorgebracht, der Beschwerdeführer habe in der Türkei mit der PKK sympathisiert und diese unterstützt. Wegen seiner politischen Aktivitäten sei er polizeilich verfolgt und zwei Mal festgenommen und dabei gefoltert worden. Vor einem Monat wären sämtliche Dorfbewohner seiner Heimatgemeinde von der Polizei aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit festgenommen worden. Seine Neffe XXXX sei ebenfalls Mitglied der PKK gewesen und sei deshalb von der türkischen Polizei festgenommen und gefoltert worden (Erstbefragung am 20.01.2017).

Bei der nachfolgenden Einvernahme vor dem belangten Bundesamt am 05.03.2018 im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung legte der Beschwerdeführer dar, im Fall einer Rückkehr in die Türkei sei er gefährdet, da er zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit stehe und seine Muttersprache sprechen wolle. Der Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, werde weiterhin in Haft angehalten und es erweise sich die Einreise in die Türkei als sehr gefährlich, solange Selahattin Demirtas noch inhaftiert sei. Er habe immer noch kein Vertrauen in seine Heimat und es würden sich sämtliche Geschwister in Mitteleuropa aufhalten. Auf Nachfrage nach neuen Fluchtgründen legte der Beschwerdeführer wörtlich dar: "Die alten Fluchtgründe sind noch aufrecht. Es gibt keine neuen Fluchtgründe. Ich höre und sehe alles bezüglich der Lage in der Türkei über die Medien." Sein Neffe sei drei Monate in Haft gewesen und halte sich nunmehr auch als Asylwerber in Österreich auf. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, ebenfalls inhaftiert zu werden. Es gebe ferner keine Arbeit und er verfüge in der Türkei über keine Krankenversicherung, weil er Kurde sei und ausgeschlossen werde. In der Türkei sei er niemals im Gefängnis gewesen, habe keine Vorstrafe und sei auch nie verhaftet worden. Seitens der rechtsfreundlichen Vertretung wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer habe Aufstände an türkischen Schulen organisiert, kurdische Zeitungen verteilt und jährlich den Geburtstag von Abdullah ÖCALAN "organisiert". Aufgrund der aktuellen Entwicklung fürchte er, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bei der Rückkehr getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden (Einvernahme am 29.12.2017).

1.5. Das belangte Bundesamt begründete die Zurückweisung des zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 20.01.2017 im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer im Vergleich zum Vorverfahren keinen neuen Sachverhalt und keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe. Eine glaubhafte oder maßgebliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes sei nicht eingetreten und es liege Grund der neuerlichen Antragstellung in der beabsichtigen Verhinderung der Abschiebung in den Herkunftsstaat.

1.6. In der Beschwerde wird zu deren Begründung zusammengefasst im Wesentlichen vorgebracht, das belangte Bundesamt habe das schriftliche Vorbringen des Beschwerdeführers und die gestellten Beweisanträge gänzlich ignoriert. Er sei in der Türkei aufgrund seines Engagements für die PKK und seine Bemühungen zur Einrichtung einer kurdischen Schule von der türkischen Polizei verfolgt und zweimal festgenommen worden. Ein Neffe des Beschwerdeführers sei als Mitglied der PKK von der türkischen Polizei festgenommen und gefoltert worden. Der Beschwerdeführer stamme aus dem Geburtsort des Abdullah ÖCALAN, die Polizei habe dort kürzlich alle männlichen Dorfbewohner aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit festgenommen. Seit dem Putschversuch stünden sämtliche kurdischen Rückkehrer unter Generalverdacht, sie würden bei der Einreise festgenommen und hätten mit Verhandlung und unmenschlicher Behandlung zu rechnen.

1.7. Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in die Türkei keiner individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt.

Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Begründung seines verfahrensgegenständlich zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 04.12.2018 wird keine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat oder in sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen seit der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.05.2015, L502 2016335-1/9E aufgezeigt. Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Weitere Hinweise auf das Bestehen eines Sachverhaltes, welcher die inhaltliche Prüfung des verfahrensgegenständlich zweiten Antrages auf internationalen Schutz vom 20.01.2017 gebieten würde, kamen bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen nicht hervor.

1.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Der Beschwerdeführer unterliegt im Fall einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie. Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei außerdem nicht der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung im Zusammenhang mit einem ihm unterstellten Naheverhältnis zur Partiya Karkerên Kurdistan oder der Gülen-Bewegung.

Der Beschwerdeführer gehört der Gülen-Bewegung nicht an und war nicht in den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verwickelt.

1.9. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder und ungeachtet des Umstandes, dass er auf Beinprothesen angewiesen ist, ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Wohnmöglichkeit im Haus seiner Familie. Er verfügt über grundlegende Schulbildung und Berufserfahrung im Transportwesen, als Reinigungs- und Hilfskraft im Tourismus und in der elterlichen Landwirtschaft. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.10. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 30.08.2013 durchgehend in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Bis zur Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.05.2015, L502 2016335-1/9E, am 25.05.2015 hielt sich der Beschwerdeführer als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Zwischen dem 25.05.2015 und dem 25.01.2017 war sein Aufenthalt nicht rechtmäßig. Seit der Zulassung des Folgeantrages am 25.01.2017 hält sich der Beschwerdeführer wieder rechtmäßig als Asylwerber im Bundesgebiet auf (VwGH 19.06.2017, Ra 2016/19/0297).

Der Beschwerdeführer bezieht seit der erstmaligen Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt in einer Unterkunft für Asylwerber in Dornbirn und dort in einem Zimmer einer Wohngemeinschaft. Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig. Er hat mit Kerim AYAS in 6842 Koblach einen bedingten Dienstvertrag über eine Tätigkeit als Hilfskraft in einer Autowerkstätte zu einem monatlichen Entgelt von EUR 1.300,00 netto abgeschlossen. Der Beschwerdeführer verfügt außerdem über Einstellungszusagen der SESAM Gastronomie GmbH als Küchenhilfe zu einem monatlichen Entgelt von EUR 1.700,00 brutto sowie des Nezaket TARAKEI in 6850 Dornbirn ebenfalls als Küchenhilfe zu einem monatlichen Entgelt von EUR 1.700,00 brutto.

Der Beschwerdeführer besuchte sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache in den Jahren 2013 und 2014 bei der Caritas der Diözese Feldkirch und legte am 10.12.2015 die Prüfung auf dem Niveau A2 ab. Die Prüfung auf dem Niveau B1 am 03.08.2017 bestand der Beschwerdeführer nicht. Er trat am 21.04.2018 zur Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 an, bestand diese Prüfung jedoch ebenfalls nicht. Eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache ist in Alltagssituationen möglich.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend. Er unterhielt in den Jahren 2017 und 2018 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen, wobei diese die Beziehung zuletzt beendete. Der Beschwerdeführer pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte, teilweise mit türkischstämmigen Personen, teilweise mit österreichischen Staatsbürgern. Er brachte 69 Unterstützungserklärungen (in Form von Unterschriften auf Listen) für ein "Bleiberecht" in Vorlage. Einzelne Unterstützer attestieren ihm Interesse an Tradition und Brächen in Österreich, Offenheit und Kontaktfreude, Engagement beim Erwerb der deutschen Sprache und Hilfsbereitschaft. Der Beschwerdeführer gehört dem kurdischen Verein in Götzis als Mitglied an.

Ein über normale soziale Kontakte unter Geschwistern hinausgehendes Nahe- und/oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Bruder XXXX kann nicht festgestellt werden.

1.11. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.12. Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid näher angeführten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen

457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).

Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018).

Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).

Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nac

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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