Entscheidungsdatum
17.12.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
L503 2208977-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und den Richter Mag. LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Ing. WEISS über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 17.04.2018, XXXX, zu Recht erkannt:
A.) Der Beschwerde wird stattgegeben und ausgesprochen, dass beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF"), der seit 1995 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 70 v. H. verfügt, beantragte am 27.12.2017 die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.
2. Daraufhin holte das Sozialministeriumservice (im Folgenden kurz: "SMS") ein Sachverständigengutachten ein und wurde der BF am 12.3.2018 von Dr. H. H., einem Arzt für Allgemeinmedizin, untersucht.
In dem in weiterer Folge von Dr. R. H. am 19.3.2018 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird zur Frage der Zumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel wie folgt ausgeführt:
"Im Vordergrund der Erkrankungen steht die Einschränkung der Lungenfunktion durch ein bestehendes Asthma bronchiale - die angegebene COPD III ist durch rezente Befunde nicht belegt. Zusätzlich ist der Patient durch die vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule in seiner Mobilität eingeschränkt. Aufgrund der klinischen Untersuchung ist die Einschränkung der Gehstrecke aufgrund der Schmerzsymptomatik in der Wirbelsäule nachvollziehbar - eine Gehstrecke von 300-400 m ist jedocheventuell mit einer Pause- dem Patienten durchaus möglich. Analgetika werden bei Bedarf eingenommen - keine Dauertherapie. Auch das Überwinden von Stufen zum Ein- und Aussteigen aus einem öffentlichen Verkehrsmittel, sowie die Standfestigkeit zur sicheren Beförderung ist derzeit gegeben. Auch von Seiten des Asthma bronchiale und der COPD III - keine Lungenfunktion vorliegend - ist die körperliche Leistungsbreite nicht erheblich eingeschränkt, um die Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises zu gewähren. Indikation zur Sauerstofftherapie ist nicht vorliegend. Auch die angegebenen Stürze lassen sich durch die klinische Untersuchung nicht evaluieren."
Die gutachterliche Stellungnahme von Dr. H. H. lautet abschließend wie folgt:
"Sowohl die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule als auch Einschränkung der körperlichen Leistungsbreite durch das Asthma bronchiale, ergeben zusammen keine Indikation zur Ausstellung eines Parkausweises. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann der Patient derzeit noch benützen."
3. Mit Schreiben vom 20.3.2018 übermittelte das SMS dem BF das dargestellte Gutachten und räumte ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein; eine Stellungnahme des BF ist nicht aktenkundig.
4. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 17.4.2018 wies das SMS den Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.
Begründend wurde - neben Darstellung der rechtlichen Grundlagen - ausgeführt, im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden; nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Das Sachverständigengutachten sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt worden. Beigelegt wurde dem Bescheid das Sachverständigengutachten von Dr. H. H. vom 19.3.2018.
5. Mit Schreiben vom 29.5.2018 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.3.2018. In seiner ausführlichen Beschwerdeschrift verwies der BF zunächst eingehend auf seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen (insb. COPD III, Zustand nach Hepatitis, Schmerzattacken im Bereich der Wirbelsäule, jüngst auch Kreislaufkollaps und Anfälle von akuter Atemnot, sofortiger Krankenhausaufenthalt nach notärztlicher Unterstützung, weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustands). In seinen rechtlichen Ausführungen bemängelte der BF insbesondere, das SMS habe sich mit der entscheidenden Rechtsfrage, ob ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, gar nicht auseinandergesetzt. Es seien lediglich die Ausführungen des Sachverständigen übernommen worden, der in seinem Gutachten aber nur erklärt habe, dass der BF eine kurze Wegstrecke von 300 bis 400 Metern "mit eventuellen Pausen" auf ebenem Terrain zurücklegen könne und dass das Ein- und Aussteigen und die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel möglich seien. Allerdings sei ungeklärt geblieben, mit welchen Leiden und Gesundheitsbeeinträchtigungen dies beim BF verbunden sei. Im Übrigen habe der Gutachter offensichtlich selbst mit der nunmehr eingetretenen Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gerechnet, zumal dieser explizit ausgeführt habe, vom BF könne ein öffentliches Verkehrsmittel "noch" benützt werden.
Abschließend wurde vom BF beantragt, das SMS möge die begehrte Eintragung vornehmen bzw. allenfalls auch ein neues Sachverständigengutachten einholen.
Beigelegt wurden vom BF diverse ärztliche Befunde.
6. In weiterer Folge holte das SMS Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie sowie einer Fachärztin für Innere Medizin ein und ließ durch einen Allgemeinmediziner ein Gesamtgutachten erstellen.
6.1. Am 19.7.2018 wurde der BF von Dr. G. B., einem Facharzt für Orthopädie, untersucht.
Als Ergebnis der Begutachtung wurde im Gutachten vom 9.9.2018 wie folgt festgehalten:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
01
Degenerative Wirbelsäulenveränderungen und Zustand nach Operation L2L3
Abschließend hielt der Gutachter in seinem Gutachten fest:
"Das Wirbelsäulenleiden schränkt die Mobilität ein, eine kurze Wegstrecke (300- 400m) kann aber aus orthopädischer Sicht zurückgelegt werden. Die Beweglichkeit der Gelenke ermöglicht das sichere Ein- und Aussteigen und die Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel."
6.2. Am 9.10.2018 wurde der BF von Dr. U. S., Fachärztin für Innere Medizin, untersucht und hielt diese als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung in ihrem Gutachten vom 22.10.2018 wie folgt fest:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
01
Asthma bronchiale, mittelschwer, zusätzlich COPD III, Pollinose.
02
Mittelgradige Aortenklappenstenose, Zustand nach Vorhofflattern.
03
Ataktische Gangstörung, zentral bedingt bei ausgeprägter subcortikaler arteriosklerotischer Leukenzephalopathie.
04
Arterielle Hypertonie mit Cor hypertonicum.
05
Leberfunktionsstörung mit erhöhten Lebertransaminasen, Zustand nach Hepatitis B - ausgeheilt.
06
Cortisonhaut mit Atrophie.
Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte die Gutachterin in ihrem Gutachten vom 22.10.2018 wie folgt aus:
"Es besteht eine deutlich reduzierte Belastbarkeit beim Gehen mit Auftreten von Atemnot bei jeder Steigung. Langsames Gehen in der Ebene in zeitlich variablem Ausmaß möglich, Reduktion der Gehstrecke bei Verschlechterung des Asthmas bzw. COPD über mehrere Wochen im Jahr durch Infekte. Ein - und Aussteigen in ein Verkehrsmittel aufgrund der internistischen Erkrankungen möglich. Sichere Beförderung aufgrund der Gang und Balancestörung jedoch mit Sturzgefahr verbunden, vor allem beim Stehenbleiben und Anfahren des Verkehrsmittels."
Im Hinblick auf die gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten führte die Gutachterin wie folgt aus:
"Höhere Einstufung des Asthma und COPD III, da zusammen deutlich reduzierte Lungenleistung nach vorhandenen Befunden; ebenso Herzleiden als erschwerender (verschlechternder) Faktor höher eingeschätzt. Die übrigen internistischen Leiden sind geringer bewertet, da durch sie kein wesentlicher Einfluss auf Gesamtleistungsfähigkeit besteht. Für Gesamtleistungsfähigkeit, speziell Mobilität neurologisch dokumentierte Gangstörung mitbewertet, woraus sich das Gesamtkalkül deutlich erhöht."
Abschließend hielt die Gutachterin wie folgt fest:
"Aufgrund der internistischen Erkrankungen und der gang- und Balancestörung höhergradige Mobilitätseinschränkung."
6.3. Am 29.10.2018 wurde von Dr. G. P., einem Arzt für Allgemeinmedizin, eine Gesamtbeurteilung erstellt.
Im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte Dr. G. P. wie folgt aus:
"Es besteht eine deutlich reduzierte Belastbarkeit beim Gehen mit Auftreten von Atemnot bei jeder Steigung. Langsames Gehen in der Ebene in zeitlich variablem Ausmaß ist möglich, Reduktion der Gehstrecke bei Verschlechterung des Asthmas bzw. COPD über mehrere Wochen im Jahr durch Infekte. Jedoch kein mobiler Sauerstoff verwendet. Laut FA Orthopädie: Es besteht ein hochgradig degeneratives Wirbelsäulenleiden, neurologische Ausfälle oder Nervenwurzelirritationen bestehen dzt. keine. Auch das Gangbild ist unauffällig."
Abschließend führte Dr. G. P. als gutachterliche Stellungnahme wie folgt aus:
"FA Orthopädie: Das Wirbelsäulenleiden schränkt die Mobilität ein, eine kurze Wegstrecke (300- 400m) kann aber aus orthopädischer Sicht zurückgelegt werden. Die Beweglichkeit der Gelenke ermöglicht das sichere Ein- und Aussteigen und die Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel.
Kein mobiler Sauerstoff notwendig.
FA Interne: langsames Gehen in der Ebene in zeitlich variablem Ausmaß ist möglich."
7. Am 7.11.2018 legte das SMS den Akt dem BVwG vor und wies darauf hin, dass die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung abgelaufen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF, ein pensionierter Unfallchirurg, ist 1940 geboren. Er verfügt seit 1995 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 70 v. H. Am 27.12.2017 beantragte er die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.
1.2. Der BF leidet insbesondere an Asthma bronchiale und COPD III. Darüber hinaus leidet er unter anderem an einer ataktischen Gangstörung, zentral bedingt bei ausgeprägter subcorticaler arteriosklerotischer Leukenzephalopathie.
1.3. Das Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln ist zwar möglich, allerdings keine sichere Beförderung darin; es besteht Sturzgefahr, vor allem beim Stehenbleiben und Anfahren des Verkehrsmittels. Die Mobilität des BF ist generell aufgrund seiner Balancestörungen eingeschränkt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zum BF, zu seinem Behindertenpass und seinem Antrag auf Vornahme einer Zusatzeintragung in den Behindertenpass ergeben sich unmittelbar aus dem Akteninhalt.
2.3. Die getroffenen Feststellungen zu den beim BF bestehenden Funktionseinschränkungen beruhen auf den vom SMS zuletzt im Beschwerdevorentscheidungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten vom 9.9.2018 sowie 22.10.2018 sowie der zusammenfassenden Gesamtbeurteilung vom 29.10.2018. Die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen legen die Beeinträchtigungen des BF nachvollziehbar - auf Grundlage entsprechender Untersuchungen sowie vom BF vorgelegter Befunde - dar.
2.4. Die obige Feststellung, wonach keine sichere Beförderung des BF in öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist, beruht auf den diesbezüglich expliziten Ausführungen von Dr. U. S., Fachärztin für Innere Medizin, in ihrem vom SMS im Beschwerdevorentscheidungsverfahren eingeholten Gutachten vom 22.10.2018, in dem sie wörtlich ausführt, eine Beförderung des BF in öffentlichen Verkehrsmitteln sei "aufgrund der Gang- und
Balancestörung ... mit Sturzgefahr verbunden, vor allem beim
Stehenbleiben und Anfahren des Verkehrsmittels." In diesem Zusammenhang betonte die Gutachterin zudem in ihrer abschließenden Stellungnahme, aufgrund der internistischen Erkrankungen des BF und der Gang- und Balancestörung würde eine höhergradige Mobilitätseinschränkung bestehen. Wenn die internistische Gutachterin ausführt, eine Beförderung des BF in öffentlichen Verkehrsmitteln sei aufgrund der Gang- und Balancestörung mit Sturzgefahr verbunden, so sind diese Ausführungen unmissverständlich und stehen darüber hinaus mit den beim BF festgestellten Funktionseinschränkungen im Einklang. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass in der Gesamtbeurteilung von Dr. G. P. nicht auf diese Beeinträchtigungen eingegangen wird, sondern - lediglich unter Hinweis auf die orthopädischen Einschränkungen des BF - angemerkt wird, "die Beweglichkeit der Gelenke ermöglicht das sichere Ein- und Aussteigen und die Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel."
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG lauten:
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, [...]
§ 42. (1) [...] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
[...]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. [...]
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
3.3. § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet:
[...] (4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...]
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
[...]
3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:
Wie oben dargelegt, kam Dr. U. S., Fachärztin für Innere Medizin, in ihrem vom SMS im Beschwerdevorentscheidungsverfahren eingeholten Gutachten vom 22.10.2018 zu dem Ergebnis, eine Beförderung des BF in öffentlichen Verkehrsmitteln sei in Anbetracht der beim BF bestehenden ataktischen Gangstörung (bei ausgeprägter subcortikaler arteriosklerotischer Leukenzephalopathie) "mit Sturzgefahr verbunden, vor allem beim Stehenbleiben und Anfahren des Verkehrsmittels." Vor diesem Hintergrund ist die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den BF evident.
Folglich ist der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben und auszusprechen, dass beim BF die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gem. § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gem. Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind nicht hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. klare Rechtslage betreffend Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" stützen.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.
Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).
Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage als geklärt.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L503.2208977.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.06.2019