TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/17 L503 2201124-1

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Veröffentlicht am 17.12.2018
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Entscheidungsdatum

17.12.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

L503 2201124-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und den Richter Mag. LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Ing. WEISS über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 30.05.2018, XXXX, zu Recht erkannt:

A.) Der Beschwerde wird stattgegeben und ausgesprochen, dass beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF"), der (aufgrund des im folgenden erwähnten Antrags) seit 11.9.2017 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH verfügt (11.02.01, Sehstörungen durch Verkrampfung der Augenlider beidseits, GZ Einschränkung der Sehleistung beider Augen schweren Grades), beantragte am 11.09.2017 (neben der Ausstellung eines Behindertenpasses) die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass. Als Gesundheitsschädigungen führte der BF einen idiopathischen Blepharospasmus (=Lidkrampf ohne erkennbare Ursache) an. Ein psychisches Gutachten werde nachgereicht.

2. Daraufhin holte das Sozialministeriumservice (im Folgenden kurz: "SMS") ein Sachverständigengutachten ein und wurde der BF am 8.2.2018 von Dr. I. N., einer Ärztin für Allgemeinmedizin, untersucht.

In dem in weiterer Folge von Dr. I. N. am 26.2.2018 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird eingangs zu den derzeitigen Beschwerden des BF wie folgt ausgeführt:

"Anamnese:

ideopathischer Augenlid Spasmus beidseits, mit Augenlidheberschwäche

Derzeitige Beschwerden:

Seit gut 10 Jahre habe er schleichend eine Verkrampfung der Augenlider, die seit 2011 rapide zugenommen habe und nun könne er die Augen höchstens 30% der Wachzeit offenhalten, und auch nur mit Hilfe von Injektionen. Er sei seit 2 Jahren im Krankenstand/ Rehabilitationsverfahren, da er seinen Beruf als Baggerfahrer nicht mehr ausüben kann. Er meide auch weitere Fahrten mit dem Auto, seine Frau begleitet ihn. Dieses "verschlossen sein" der Augen mache ihm auch gesellschaftlich zu schaffen. Aus diesem Grund ziehe er sich auch da zurück. In 3-monatigen Abständen bekäme er Injektionen in Salzburg, gegen Ende der Zeit ließe immer die Wirkung nach. Bis auf Rasen mähen könne er auch bei häuslichen Verpflichtungen nicht viel helfen. Dieses untätig sein, drücke auf seine Psyche. Er schlafe gut und die weitere vegetative Anamnese ist blande.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

9.2017 T.-Klinik: idiopathischer Blepharospasmus mit Levator Inhibitionskomponente

Klinischer Status - Fachstatus:

Liderspasmus, links>rechts, überwiegend geschlossene Augen. Kopf/Hals: aktiv und passiv frei beweglich, nicht klopfempfindlich, kein Meningismus, Hirnnerven: I: Geruchsinn anamnestisch ungestört II: Visus bds normal, Pupilen isocor, seitengleich mittelweit, reagieren prompt auf Licht und Konvergenz. Oculomotorik koordiniert, keine Doppebilder, kein Nystagmus, Sensibilität im Gesicht ungestört. Masseter bds kräftig. Hirnnervenaustrittspunkte frei.

Mimische Muskulatur asymmetrisch Kaudale Hirnnerven: Zunge kommt gerade, Gaumensegel hebt symmetrisch. Kopfwendung und Schulterhebung bds kräftig. Obere Extremitäten: Tonus, Trophik normal. Motorische Kraft bds. regelrecht, keine Atrophien. Kein Tremor. MER Ii erhöht. Sensibilität für Berührung und Schmerz unauffällig. Finger Nasen

Versuch sicher. Rumpf: kein sensibles Niveau, keine Klopfschmerzen der WS, Untere Extremitäten: Tonus, Trophik, motorische Kraft seitengleich normal. Keine Atrophien. Kein Tremor. MER linksbetont. Babinsky negativ. KHV unauffällig. Laseque negativ. Normale Koordination. Sensibilität für Berührung und Schmerz unauffällig.

Internistische Untersuchung blande.

Gesamtmobilität - Gangbild:

unauffällig, Einbeinstand, Zehenspitzen und Fersengang beidseits

o. b,

Status Psychicus:

wach, klar, orientiert Stimmung euthym, gut kooperativ. Gedankengang inhaltlich und formal geordnet, keine Merk- und Konzentrationsfähigkeitsstörung."

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Verkrampfung und Lähmung des Augenlides links

12.01.02

30v H

02

Verkrampfung und Lähmung des Augenlides rechts

11.01.02

30v H

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung führte die Sachverständige aus, der GdB Nummer 01 werde durch Nummer wegen ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung 02 um eine Stufe gesteigert.

Sodann verneinte die Sachverständige die Frage, ob beim BF aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliege. Begründend wurde diesbezüglich ausgeführt, keine der festgestellten Funktionseinschränkungen würden das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen, da die erforderliche Gehstrecke ohne Hilfsmittel angemessen zurückgelegt werden könne, ebenso könne das mühelose Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung mit Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt werden. Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liege nicht vor.

3. Mit Schreiben vom 28.02.2018 wurde dem BF das Sachverständigengutachten vom 26.02.2018 im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und wurde er aufgefordert, innerhalb von drei Wochen hierzu Stellung zu nehmen.

4. Mit Schreiben vom 22.03.2018 nahm der BF Stellung, indem er zur Einschätzung seiner gesundheitlichen Einschränkungen laut dem Gutachten mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40% wie folgt ausführte: Die Einstufung sei nicht gerechtfertigt,

-

weil durch den beidseitigen ideopathischen Augenlid Spasmus mit Augenlidheberschwäche sein gesamtes Leben stark eingeschränkt sei (Injektionen derzeit alle vier Monate in Innsbruck, welche starke Spannungskopfschmerzen, Ziehen der Augenlieder und innere Beklemmungsgefühle auslösen würden),

-

weil die dadurch entstehenden Beeinträchtigungen nicht entsprechend bewertet seien (beim Sitzen würden sich die Augen schließen und der BF könne entspannen, beim Gehen müsse der BF immer wieder unter großem Kraftaufwand bzw. großer Anstrengung und viel Energie die Augen etwas öffnen, er müsse immer wieder stehen bleiben, weil die Augen nicht offengehalten werden können, er habe sich schon sehr zurückgezogen),

-

bei diversen Untersuchungen passiere es immer wieder, dass er seine wirklichen gesundheitlichen Probleme nicht bekanntgebe, sondern versuche, diese zu minimieren, was auch bei der Untersuchung vorgelegen sei.

Der BF ersuche daher um Überprüfung und Neufestsetzung seines gesundheitlichen Grades von 40% auf mindestens 50% oder mehr und die gleichzeitige Eintragung auf "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel", da der BF hier auf das Sehen angewiesen sei (z. B. Platzsuche) und ihm beim Aussteigen ein Gehweg bevorstehe, den er ohne längere Entspannungspausen nicht mehr bewältigen könne.

5. Daraufhin holte das SMS am 12.4.2018 eine weitere gutachterliche Stellungnahme aufgrund der beim BF durchgeführten Untersuchung am 8.2.2018 von Dr. I. N., der Ärztin für Allgemeinmedizin, ein.

In dem in weiterer Folge von Dr. I. N. am 12.4.2018 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird eingangs zu den derzeitigen Beschwerden des BF wie folgt ergänzend zum vorigen Gutachten (vom 26.2.2018) ausgeführt:

"[...] In 3-monatigen Abständen bekäme er Injektionen in Innsbruck, aber die Wirkung ließe nach, die Injektion sei sehr schmerzhaft und mit Spannungskopfschmerzen verbunden und da sie zudem auch nicht genüge, um den Alltagsanforderungen nachzukommen habe er mit der Klinik eine vereinbart, in längeren Intervallen zu kommen. Bis auf Rasen mähen könne er auch bei häuslichen Verpflichtungen nicht viel helfen. Dieses untätig sein, drücke auf seine Psyche. Er schlafe gut und die weitere vegetative Anamnese ist blande.

Im nachträglichen Einwand wird auch erwähnt, das ihn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich erscheine, da er bei der Platzsuche Augenlicht brauche. Auch könne er den Gehweg ohne längere Entspannungsphasen bewältigen."

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Sehstörungen durch Verkrampfung der Augenlider beidseits, GZ Einschränkung der Sehleistung beider Augen schweren Grades Wahl der Analogposition, da de Facto die Sinneswahrnehmung durch die Augen auf weniger 30% reduziert ist, unterer Rahmensatz, da damit sozialer Rückzug verbunden ist, die Sehschärfe aber nicht betroffen ist.

12.02.11

60v H

 

Gesamtgrad der Behinderung

60 vH

 

In der Stellungnahme zu den gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten führte die Sachverständige aus, es werde wegen der massiven Beeinträchtigung der Alltagskompetenz - durch Lidheberspasmen beidseits - die nicht gut genug auf Therapie ansprechen, ein GdB gewählt, der dem klinischen Zustand entspreche und nicht dem durch die EVO festgelegten eines Lidspasmus beidseits.

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erscheine hingegen möglich, da die erforderliche Gehstrecke von 200m und mehr zurückgelegt werden könne und auch eine sichere Beförderung gewährleistet sei.

Begründend für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung führte die Sachverständige aus, der Gesamtgrad der Behinderung werde durch die neu gewählte Positionsnummer aufgrund der starken Einschränkung der Alltagskompetenz bei therapierefraktären Lidspasmen um zwei Stufen angehoben.

Eine Nachuntersuchung wurde für 04/2023 angesetzt, da eine Besserung der Verkrampfungen durch neue therapeutische Zugänge zu überprüfen sei.

Sodann verneinte die Sachverständige - wie im Vorgutachten - die Frage, ob beim BF aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliege. Begründend wurde diesbezüglich ausgeführt, keine der festgestellten Funktionseinschränkungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu, da die erforderliche Gehstrecke ohne Hilfsmittel angemessen zurückgelegt werden könne, ebenso könne das mühelose Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung mit Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt werden. Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liege nicht vor.

6. Mit Schreiben vom 25.04.2018 wurde dem BF das Sachverständigengutachten vom 12.04.2018 im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und wurde er aufgefordert, innerhalb von drei Wochen hierzu Stellung zu nehmen.

7. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 30.05.2018 wies das SMS den Antrag des BF vom 11.09.2017 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Begründend wurde - neben Darstellung der rechtlichen Grundlagen - ausgeführt, im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden; nach diesem Gutachten liegen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die wesentlichen Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Dem Beschwerdeführer sei Gelegenheit gegeben worden, mit Schreiben vom 25.04.2018 zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zugrunde gelegt worden. Da das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen, sei sein Antrag abzuweisen. Beigelegt wurde dem Bescheid das Sachverständigengutachten von Dr. I. N vom 12.04.2018 (vidiert am 15.04.2018).

8. Mit Schreiben vom 21.06.2018 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.05.2018 betreffend Abweisung des Antrages auf Eintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass. Darin führte der BF aus, im Gutachten sei seine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht korrekt beschrieben, da er schon für den Weg zu einem öffentlichen Verkehrsmittel eine Begleitperson brauche. Auf dem Weg müsse er sich immer wieder orientieren, d. h. kurz stehenbleiben, da er für längere Zeit die Augen nicht offenhalten könne. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm deshalb auch nicht möglich, da er durch sein Augenproblem nicht viel sehe. Im öffentlichen Verkehrsmittel müsse er darauf achten, dass er die richtige Ausstiegstelle finde. Diese Stresssituation sei für ihn unerträglich. Er bekomme dabei Übelkeit, Schwindel und Schweißausbrüche. Als Beifahrer in einem PKW könne er auch ohne Stress eine Wegstrecke zurücklegen, er könne eine notwendige Pause machen etc., was in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich sei. Bei der Untersuchung sei nur festgestellt worden, dass er ein paar Schritte gerade gehen könne. Es sei aber nicht untersucht worden, wie es ihm körperlich möglich sei, wenn er unter Zeitdruck eine Wegstrecke von mehr als 200 m gehen müsse. Auch diese Wegstrecke sei für ihn ohne Begleitperson nicht mehr möglich. Allein in seinem privaten Umfeld, wo er seine Wege gut kenne, könne er sich entspannt bewegen. Die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sei deshalb für ihn sehr wichtig, da er durch sie die Möglichkeit habe, alle längeren Strecken auch in einem PKW als Beifahrer zurückzulegen, ohne unter starken Stresssymptomen zu leiden. Festzuhalten sei auch, dass seine Augenprobleme sich in den letzten Monaten verschlechtert hätten. Der BF ersuche daher, seiner Beschwerde stattzugeben und ihm diese Eintragung zu genehmigen.

9. Am 17.07.2018 legte das SMS den Akt dem BVwG vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist 1964 geboren, von Beruf Baggerfahrer und in Österreich wohnhaft. Der BF verfügt seit dem 11.9.2017 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH.

Ebenfalls am 11.09.2017 beantragte der BF die Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

1.2. Der BF leidet unter Blepharospasmus (Augenlidkrampf) beidseits, verbunden mit einer Augenlidschwäche und klinisch erheblicher Sehstörung.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zum BF, seinem Behindertenpass und seinem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass ergeben sich unmittelbar aus dem Akteninhalt.

2.3. Die getroffenen Feststellungen zu der beim BF bestehenden Erkrankung Blepharospasmus (Augenlidkrampf) beidseits und klinisch erheblicher Sehstörung beruhen auf dem vom SMS zuletzt eingeholten Sachverständigengutachten vom 12.4.2018 von Dr. I. N. Die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen legen die Beeinträchtigungen des BF nachvollziehbar - auf Grundlage entsprechender Untersuchungen sowie vom BF vorgelegter Befunde - dar. Im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung werden die Beschwerden des BF unter Positionsnummer 11.02.11, Einengung oder parazentrale Ausfälle des Gesichtsfeldes beider Augen schweren bis schwersten Grades, eingeschätzt und wird festgehalten, dass es sich beim BF um eine Einschränkung der Sehleistung beider Augen schweren Grades handle. Die Sinneswahrnehmung durch die Augen betrage de facto weniger als 30%, wobei die Sehschärfe nicht betroffen sei. Dadurch bestehe beim BF eine massive Beeinträchtigung der Alltagskompetenz. In der Beschwerde legte der BF nachvollziehbar dar - auch ob der Ausführungen der Ärztin zum klinischen Status des BF, dass die Augen überwiegend geschlossen seien - er brauche für den Weg zu einem öffentlichen Verkehrsmittel eine Begleitperson, er müsse sich immer wieder orientieren, d. h. kurz stehenbleiben, da er für längere Zeit die Augen nicht offenhalten könne und daher auch nicht viel sehe.

Vor diesem Hintergrund war daher zu obigen Feststellungen zu gelangen, dass beim BF ein Blepharospasmus (Augenlidkrampf) beidseits, verbunden mit einer Augenlidschwäche und klinischer erheblicher Sehstörung, besteht.

An diesen klaren Ausführungen der Sachverständigen vermag im Übrigen auch der Umstand nichts zu ändern, dass im angeführten Gutachten bei Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den BF lediglich darauf hingewiesen wird, dass die erforderliche Gehstrecke von 200 m ohne Hilfsmittel angemessen zurückgelegt werden könne, dass das sichere Ein- und Aussteigen sowie eine sichere Beförderung mit Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleistet seien. Die hier entscheidungswesentlichen Fragen wurden von der Sachverständigen nämlich an anderer Stelle - wie dargestellt - sehr wohl beantwortet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG lauten:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, [...]

§ 42. (1) [...] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. [...]

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.

3.3. § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet:

[...] (4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...]

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

[...]

3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, kam die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. I. N. im vom SMS eingeholten Sachverständigengutachten vom 12.4.2018 zum Ergebnis, dass der BF an Blepharospasmus (Augenlidkrampf) beidseits, verbunden mit einer Augenlidschwäche und klinisch erheblicher Sehstörung leidet, wobei sich Art und Schwere der Funktionseinschränkung ebenfalls aus dem Sachverständigengutachten ergeben und die Begriffe "erheblich" und "schwer" gleichbedeutend sind. So liegen beim BF erhebliche Einschränkungen neurologischer Funktionen in Form einer neurologischen Bewegungsstörung durch einen Blepharospasmus (Augenlidkrampf) beidseits vor. § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen hält in diesem Zusammenhang explizit fest, dass eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unter anderem bei erheblichen Einschränkungen neurologischer Fähigkeiten bzw. Funktionen anzunehmen ist. Darüber hinaus hält die Gutachterin in ihrem Gutachten unmissverständlich fest, dass "die Sinneswahrnehmung durch die Augen auf weniger als 30% reduziert" ist, was auch zu sozialem Rückzug führe. Bei einer Gesamtbetrachtung ist hier die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel naheliegend.

Folglich ist der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben und auszusprechen, dass beim BF die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gem. § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gem. Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin bereits dem Wortlaut nach klare Rechtslage betreffend Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" - nämlich auf § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016 - stützen.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.

Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).

Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage als geklärt.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L503.2201124.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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