TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/9 W105 2152585-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.01.2019
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Entscheidungsdatum

09.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W105 2152585-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, XXXX geb., StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2017, Zl. 1101065602/160022098, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.01.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein volljähriger, männlicher, lediger Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte 06.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Im Verlauf seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 06.01.2016 gab der nunmehrige Beschwerdeführer an, im Iran geboren zu sein und drei Jahre die Grundschule besucht zu haben. Befragt nach seinen Familienangehörigen gab der Antragsteller unter anderem zur Protokoll, dass sein Vater vor etwa sechs Jahren verstorben sei. Er habe von Geburt an bis zum zehnten Lebensjahr im Iran gelebt und die letzten Jahre in Ghazni/Afghanistan. In Afghanistan habe er etwa vier Jahre lang auf verschiedenen Baustellen gearbeitet. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Antragsteller wörtlich zu Protokoll: "Ich bin im Iran geboren und bis zum siebenten Lebensjahr lebte ich mit meiner Familie im Iran. Als ich sieben Jahre alt war verließen wir den Iran und reisten nach Afghanistan. Vor ca. sechs Jahren verließ mein Vater Afghanistan und reiste über den Iran in die Türkei. Mir und meiner Familie wurde mitgeteilt, dass mein Vater tot ist. Vor ca. sechs Monaten verließ ich und meine Familie wegen der Kriegszustände Afghanistan. Meine Mutter und meine Geschwister blieben im Iran."

Auf die Frage, was er für den Fall der Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab der Antragsteller an, in Afghanistan herrsche Krieg und habe er außerdem dort niemanden. Die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe oder er bei Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, verneinte der Antragsteller.

Der niederschriftlichen Einvernahme war ein Übersetzer für die Muttersprache (Dari) des Antragstellers beigezogen. Das Protokoll wurde dem Antragsteller am Ende Einvernahme rückübersetzt zur Kenntnis gebracht und bekräftigte er mit seiner Unterschrift, dass es keine Verständigungsprobleme gegeben habe sowie bestätigte er sohin die Richtigkeit des aufgenommenen Protokollinhalts.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 27.10.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Beschwerdeführer auf Frage, ob bei der Erstbefragung alles richtig protokolliert worden sei, an, es sei rückübersetzt worden, aber die zwei Fehler seien im Protokoll geblieben. Im weiteren bestätigte er im Jahr XXXX im Iran geboren zu sein und habe er drei Jahre zu Hause gelernt; in einer Schule sei er nie gewesen und habe es im Dorf keine Schule gegeben. Seine Mutter sowie seine Brüder und eine Schwester würde im Iran leben. Sein Vater sei vor zwei Jahren verstorben. In Österreich habe er Freunde, er selbst stehe in Grundversorgung und besuche einen Deutschkurs. Nach dem Tod seines Vaters habe er im Herkunftsstaat auf dem Land gearbeitet. Er sei in seiner Heimat nicht politisch tätig gewesen und habe keiner politischen Partei angehört. Er habe persönlich niemals Probleme mit Behörden oder anderen staatsähnlichen Institutionen gehabt.

Im Weiteren war der Antragsteller aufgefordert möglichst lebensnah unter Beifügung sämtlicher Details und Informationen den Grund für das Verlassen seines Herkunftsstaates zu schildern:

"VP: Ich war 7 Jahre im Iran. Von dort aus wurden wir mit der ganzen Familie nach Afghanistan abgeschoben. Dann sind wir nach Ghazni gegangen. In Ghazni lebten wir 5 Monate in Shirdaq im Distrikt XXXX. Mein Vater hat dann wegen Grundstücksstreitigkeiten den Bruder des Stammesältesten getötet. Das Grundstück hat uns gehört und weil sie Macht hatten wollten sie es uns wegnehmen. Wegen dieser Streitigkeiten hat ihn dann mein Vater getötet. Mein Vater hat den Bruder von XXXX getötet. Am selben Tag sind wir dann in den Distrikt XXXX geflüchtet. Siebeneinhalb Jahre waren wir dann dort. Mein Vater ist dann eines Tages spurlos verschwunden. Er ist zur Arbeit gegangen und nicht wieder aufgetaucht. Zwei Jahre haben wir auf meinen Vater gewartet. Im Jahr 1394 ich war auf dem Weg zur Arbeit, da sah ich den XXXX der mich zu sich rief. Als ich Ihn erkannte lief ich weg. Er hat noch versucht mich mit dem Auto zu verfolgen aber ich versteckte mich in den Feldern. Ich erzählte meiner Mutter von dem Vorfall. Ich nahm das Geld und floh mit dem Auto nach Ghazni und von dort weiter in den Iran. Das war mein Hauptfluchtgrund. Für mich als Hazara und Schiite sind die Taliban und der IS eine große Gefahr. Sie töten die Hazara und die Schiiten und köpfen sie auch. Man kann sich nicht frei in Afghanistan bewegen. Wenn man sich zwischen den Dörfern bewegt und aufgegriffen wird, wird man hingerichtet.

LA: Wie weit liegt Ihr Heimatdorf Shirdaq im Distrikt XXXX vom Distrikt XXXX entfernt?

VP: 5 Stunden mit dem Auto. Wir waren 5 Monate dort. Nach dem Vorfall mussten wir flüchten.

LA: Sind Sie damals alleine in den Iran geflüchtet?

VP: Ich flüchtete mit der ganzen Familie in den Iran.

LA: Sie sagten Ihre Mutter verkaufte Ihren Schmuck? Wo hat Sie den Schmuck verkauft?

VP: Meine Mutter verkaufte Ihren Schmuck im Iran. Weil ich weiter flüchten musste hatte meine Mutter kein Geld mehr. Darum musste Sie ihren Schmuck verkaufen. Nachgefragt: Woher hatte Sie das Geld für die Flucht von Afghanistan in den Iran? Das war von den Ersparnissen die Sie zu Hause hatte.

LA: Wie und wo haben Sie Kontakt zu den Schleppern aufgenommen?

VP: Der Kontakt wurde in XXXX hergestellt. Fast alle Personen in XXXX arbeiten als Schlepper. Man findet sie in den Hotels.

LA: Wovon lebt Ihre Familie jetzt?

VP: Meine Mutter arbeitet als Schneiderin.

LA: Wieso sind Sie vom Iran weitergeflüchtet und Ihre Familie nicht?

VP: Ich war illegal im Iran. Hätten Sie mich aufgegriffen und abgeschoben wäre mein Leben vorbei gewesen. Nachgefragt: Ihre Mutter und Geschwister sind legal im Iran? VP: Sie sind illegal im Iran. Ihr Leben ist auch in Gefahr wenn sie abgeschoben werden.

Nachgefragt: Warum sind sie nicht mitgekommen? Soviel Geld hatten wir nicht mehr. Meine Mutter hat Ihr Gold verkauft für meine Flucht.

LA: Welche Befürchtungen hätten Sie wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren würden/müssten?

VP: Ich habe Angst um mein Leben. Ich könnte umgebracht werden. Wenn Sie mich schnappen werden sie mich 100 %-ig töten.

LA: Hätten Sie bei einer Rückkehr von Seiten staatlicher Behörden/Institutionen mit Konsequenzen zu rechnen?

VP: Nein.

LA: Waren Sie wegen der Probleme bei der Polizei und haben Anzeige erstattet?

VP: In meinem Heimatdorf gibt es keine Polizei. Da hat jeder seine Waffe und kümmert sich selbst um seine Probleme. Auf der Straße gibt es Polizisten, aber die beschützen nur die Mächtigen die Geld haben.

LA: Haben Sie und Ihre Familie versucht in einem anderen Teil von Afghanistan zu leben?

VP: Als Schiiten kann man nicht woanders leben. Als Hazara könnten wir auch unterwegs getötet werden.

LA: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden?

VP: Sehr gut."

Im Rahmen des Verfahrens legte der Antragsteller medizinische Unterlagen zu einer Behandlung seiner Person nach einem Sportunfall vor. Weiters ein Schreiben einer Organisation der Volksangehörigen der Hazara vom 09.11.2015, worin auf die prekäre Situation der Angehörigen dieser Volksgruppe hingewiesen wird.

Mit Bescheid vom 21.03.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung nicht glaubhaft sei. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werde oder den Verlust der Lebensgrundlage zu erleiden hätte. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan könne er sich eine neue Existenz aufbauen.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt wie folgt:

"Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen

Ihres Herkunftsstaats:

Sie brachten keine aktuelle, individuelle Bedrohungs- bzw. Gefährdungslage welcher Sie in Afghanistan ausgesetzt sein könnten glaubhaft vor.

Die Darlegung von persönlich erlebten Umständen ist dadurch gekennzeichnet, dass man beim Vorbringen der eigenen "Lebensgeschichte" vor allem sich selbst in die präsentierte Rahmengeschichte dergestalt einbaut, dass man die eigenen Emotionen bzw. die eigene Erlebniswahrnehmung zu erklären versucht, sich allenfalls selbst beim Erzählen emotionalisiert zeigt, bzw. jedenfalls Handlungsabläufe bzw. die Kommunikation und Interaktion zwischen den handelnden Personen der Geschichte darlegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um wichtige Ereignisse im Leben eines Menschen handelt, die oftmals das eigene Schicksal oder einen Lebensweg dergestalt verändern, dass man sich letztendlich dazu veranlasst sieht, sein Heimatland oder das Land des letzten Aufenthaltes deshalb "fluchtartig" zu verlassen.

Den Grundanforderungen zur Schilderung einer Fluchtgeschichte entspricht Ihr Vorbringen ganz und gar nicht. Wenn man den Ablauf der Einvernahme und das Niedergeschriebene betrachtet, so erkennt man, dass es sich um eine emotionslose Schilderung handelt. Ebenfalls erweckten Sie aufgrund Ihrer Mimik und Gestik den Eindruck, als ob Sie wenig Interesse hätten am Verfahren ordnungsgemäß mitzuwirken und diesbezüglich genaue Angaben zu machen.

Sie führten Grundstücksstreitigkeiten zwischen Ihrem Vater und dem Dorfältesten in Ihrem Heimatdorf in Afghanistan und das Ihr Vater den Bruder des Dorfältesten getötet haben soll in Ihrer Einvernahme vom 27.10.2016 zusammengefasst an. Ebenfalls führten Sie aus, dass Ihr Vater mit Ihnen und dem Rest Ihrer Familie noch am selben Tag in einen anderen Distrikt der Provinz Ghazni geflohen sei. Dort hätten Sie und Ihre Familie siebeneinhalb Jahre in unbehelligt leben können. Eines Tages sei Ihr Vater auf dem Weg zur Arbeit spurlos verschwunden. An diesem Punkt weißt Ihr Vorbringen das erste Mal einen gravierenden Unterschied zu Ihrer Erstbefragung durch die EAST OST Traiskirchen auf. Dort gaben Sie zu Protokoll, Ihr Vater wäre vor ca. sechs Jahren über den Iran in die Türkei gereist. Ihnen und Ihrer Familie wurde dann irgendwann mitgeteilt, dass Ihr Vater Tod sei.

Obwohl in der Erstbefragung nur auf die unmittelbaren Fluchtgründe eingegangen wurde, geht die Behörde davon aus, dass Sie diesen Vorfall, welcher Ihren Vater betroffen haben soll, auch bei der Erstbefragung erwähnen hätten müssen, da es sich doch um ein einschneidendes und für Sie prägendes Ereignis gehandelt haben müsste. Sie erwähnten diesen Vorfall jedoch mit keinem Wort. Im Gegenteil brachten Sie bei Ihrer Einvernahme am 27.10.2016 ein komplett zur Erstbefragung vom 06.01.2016 divergierendes Vorbringen ins Treffen.

Ihr Vorbringen stellt sich aus den oben angeführten Aussagen Ihrerseits als widersprüchlich und unglaubwürdig dar. Ein zweiter Anhaltspunkt, dass Ihre Angaben nicht der Wahrheit entsprechen können ist Ihre Ausführung, dass Ihr Vater mit dem Dorfältesten Grundstücksstreitigkeiten gehabt haben soll und im Zuge dieser Streitigkeiten, hätte Ihr Vater den Bruder des Dorfältesten getötet. Auch hier geht die Behörde davon aus, dass Sie diesen Vorfall bereits bei der Erstbefragung durch die EAST OST erwähnen hätten müssen, zumal Sie angaben, dass dieses Ereignis der Grund für Ihren Vater gewesen wäre, am gleichen Tag, wo sich der Vorfall mit dem Bruder des Dorfältesten wie von Ihnen behauptet ereignet haben soll und Ihr Vater mit Ihnen und den weiteren Familienmitgliedern, in einen anderen Distrikt der Provinz Ghazni geflohen sei. Dieser Vorfall stellt ebenfalls ein für Sie einschneidendes Ereignis dar, dass durchaus Wert gewesen wäre, in der Erstbefragung durch die EAST OST, durch Sie Erwähnung zu finden.

Die Behörde geht vielmehr davon aus, dass Sie sich lediglich alle Optionen für Ihr Verfahren offen halten wollten um Ihre Fluchtgeschichte nötigenfalls steigern zu können, was Sie auch mit Fortdauer der Einvernahme, gemacht haben. Weiters führten Sie aus, dass Sie in der Provinz bzw. in dem Dorf wo Ihr Vater mit Ihnen und dem Rest der Familie hin geflohen sei, siebeneinhalb Jahre unbehelligt Leben und Arbeiten hätten können. Nur durch Zufall hätte Sie der Dorfälteste eines Tages in dem Dorf gesehen und sei Ihnen mit seinem Auto gefolgt. Sie hätten sich in einem Feld verstecken können. Danach seien Sie zu Ihrer Mutter gegangen um Ihr von dem Zwischenfall zu berichten. Daraufhin hätte Ihnen ihre Mutter geraten zu fliehen, worauf Sie das Familienauto genommen hätten und in die Stadt Ghazni gefahren seien. Von dort wären Sie unter zu Hilfenahme eines Schleppers in den Iran ausgereist. Auf Nachfrage warum Sie diesen Vorfall nicht der Polizei gemeldet und Anzeige erstattet hätten, sagten Sie zuerst, dass es in dem Dorf wo Sie lebten keine Polizei geben würde. Wenig später korrigierten Sie ihre Antwort dahin gehend, dass Sie sagten, die Polizei würde nur den reichen und mächtigen Helfen.

Ebenfalls sagten Sie aus, dass Sie alleine mit dem Familienauto in die Stadt Ghazni gefahren und von dort in den Iran geflohen seien. Auf Nachfrage revidierten Sie abermals Ihre Aussage und behaupteten, Sie wären mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern von der Stadt Ghazni in den Iran geflohen. Einmal mehr kommt die Behörde zu dem Ergebnis, dass Ihre Ausführungen zu Ihrem Fluchtgrund nicht plausibel, vage und unglaubwürdig sind. Nicht nur, dass Sie bei Ihrer Erstbefragung durch die EAST OST offensichtlich keine vollständigen Angaben gemacht haben, revidierten Sie während der Einvernahme vor dem BFA mehrmals Ihr Vorbringen, sodass der Eindruck entstand, dass Sie Ihre Fluchtgeschichte, je nach Bedarf, zu Ihren Gunsten abänderten.

Das BFA geht viel mehr davon aus, dass Sie Afghanistan bzw. in weiterer Folge den Iran nicht aus Gründen der Sicherheit verlassen haben, sondern die Gunst der Stunde nutzten um mit dem damaligen Flüchtlingsstrom nach Europa zu kommen, wo Sie sich ein besseres Leben erhofften."

Im Weiteren wie folgt:

"Betreffend die Feststellung zu Ihrer Situation im Fall Ihrer

Rückkehr:

Die Feststellung in Bezug auf die Gefährdungslage in Afghanistan ließ sich eindeutig den diesbezüglichen Länderinformationen entnehmen.

Dass die für einzelne Provinzen geltende Gefährdungslage nicht im gesamten Staat in gleicher Weise zu erkennen ist, ließ sich insbesondere aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul entnehmen, umso mehr sich den Feststellungen auch klar entnehmen lässt, dass die Anschläge regelmäßig gegen Einrichtungen der Regierung oder der internationalen Hilfskräfte abzielen, nicht aber gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sind und demnach auch diese nur am Rande davon betroffen ist.

Es konnte durch die Länderinformationen erkannt werden, dass Sie Ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten können.

Dass Sie Ihren Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten können, konnte aufgrund der entsprechenden Länderinformationen festgestellt werden. Zusätzlich sind sie jung, gesund und anpassungsfähig. Die Behörde kommt zu dem Schluss, wenn Sie sich in einem fremden Land (Österreich) mit wenigen Sprachkenntnissen und einem für Sie fremden Kulturkreis zurechtfinden, muss das auch in Ihrem Land (Afghanistan) in einer Stadt wie zum Beispiel Kabul möglich sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass Sie als arbeitsfähiger, junger und gesunder Mann sich in Afghanistan selbst versorgen und sich am dortigen Arbeitsmarkt integrieren können."

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes ausgeführt, dass der Antragsteller seine Heimat aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe und seien die afghanischen Sicherheitsbehörden nicht gewillt bzw. imstande dem Beschwerdeführer den notwendigen Schutz zu bieten. Der Beschwerdeführer habe bis zu seinem siebenten Lebensjahr im Iran gelebt und sei die Familie dann nach Afghanistan abgeschoben worden. Die Familie habe ihn Ghazni gelebt und habe wegen Grundstücksstreitigkeiten großen Druck und Bedrohung bekommen und hätten sie den Schutz des Staates nicht in Anspruch nehmen können das Ergebnis der Streitigkeiten war der Tod des Bruders des Stammesältesten, weshalb dann die Familie bedroht und verfolgt worden sei die Familie konnte wieder zur Polizei gehen noch im Dorf bleiben. Auch war der Beschwerdeführer der Gefahr ausgesetzt, von den Taliban gezwungen zu werden, sich ihnen anzuschließen. Deshalb sei sein Leben in ständiger Gefahr gewesen und habe er flüchten müssen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei stets stimmig und widerspruchsfrei gewesen. Er sei weiters bereit gewesen zu jeder weiteren Frage Stellung zu nehmen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zum Ergebnis komme, dass die Aussagen des Beschwerdeführers als ungewürdigt betrachtet werden könnten auch geht die belangte Behörde im Zusammenhang mit den Angaben zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers davon aus, dass es nicht glaubhaft sei, dass dieser sein Geburtsdatum auf den XXXX geändert habe. Dazu wolle er bekannt geben, dass er in der Erstbefragung sein Geburtsdatum richtig angegeben habe, jedoch der Dolmetsch das selbst umgerechnet hätte, da er selbst es nach dem persischen Kalender anzugeben imstande war. Der Beschwerdeführer habe jedenfalls sein Geburtsdatum mit XXXX bekannt gegeben. Weiters sei der Beweiswürdigung, der Beschwerdeführer würde nicht verfolgt werden, weil er mit seiner ganzen Familie siebeneinhalb Jahre unbehelligt habe leben und arbeiten können nicht zu folgen, weil die Wiederholungsgefahr für das Leben des Beschwerdeführers sich aus dem Beharren des Vaters auf seinem Recht und Grundstück und dem Tod des Bruders des Stammesältesten zurückzuführen sei. Hinzu komme, dass nach den Länderberichten Sippenhaft nicht auszuschließen sei. Nicht eingegangen sei die Behörde auf die Länderfeststellung, dass gesellschaftliche Diskriminierung gegen schiitische Hazara in Form von Erpressung weiter anhalte. Hinsichtlich der Bewertung und den Ausführungen zu einer relativ stabilen Lage in Kabul werde ausgeführt, dass sich kein Hinweis finde, dass der Beschwerdeführer über Bezugspunkte in Kabul verfüge.

Am 08.01.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt

Das Beschwerderechtsgespräch stellt sich wie nachstehend dar:

"I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: In der Zukunft gibt es eine Operation. Die letzte Operation ist zwei Jahre vorbei und vielleicht gibt es bald in der Zukunft eine neue. Ein Wirbel meiner Wirbelsäule war gebrochen, ich wurde operiert.

R: Haben Sie aktuell Beschwerden oder stehen Sie in Therapie?

BF: Ich habe zwar ein bisschen Schmerzen, aber zurzeit nehme ich keine Medikamente. Ich kann z.B. nichts Schweres aufheben.

II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen

Sicherheitsdienstes:

R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Es gibt etwas zu korrigieren, es gab einige Punkte, die irrtümlich falsch geschrieben worden sind, vom BFA. Z.B. hat man im Protokoll geschrieben, dass bezogen auf den Zeitpunkt der Einvernahme, mein Vater vor sechs Jahren verschwunden sei. Das stimmt nicht. Mein Vater ist acht Jahre davor verschwunden. Der zweite Punkt ist, dass im Protokoll geschrieben wurde, dass ich alleine meine Flucht/Reise vom Bezirk XXXX, aus der Provinz Ghazni, meine Reise alleine angetreten habe, das stimmt nicht. Wir waren die ganze Familie zusammen.

R: Das Protokoll vor dem BFA, bei dem ein D für Dari beigezogen war, wurde Ihnen am Ende der Amtshandlung rückübersetzt zur Kenntnis gebracht und Sie haben Seite für Seite mit Ihrer Unterschrift die Richtigkeit bestätigt. Ausdrücklich auf Befragen angegeben, Sie hätten alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen. Was sagen Sie dazu?

BF: Zu diesem Zeitpunkt konnte ich überhaupt kein Deutsch. Es ist zwar rückübersetzt worden, aber wie es auf dem Papier war, weiß ich, dass es nicht richtig übersetzt worden ist.

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF: Ich lebe in einem Heim. Ich habe zwar keine Freundin, aber ich habe sehr viele Bekannte.

R: Sprechen Sie auch schon ein bisschen Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?

BF: Ich habe A1 und A2 absolviert. Ich habe den Kurs B1 gemacht, aber habe die Prüfung noch nicht abgeschlossen. Ich habe mit der Gemeinde XXXX sehr viel zusammen gearbeitet, ich habe Bestätigungen. Ab nächster Woche bin ich in Traiskirchen, um Sport zu treiben, ich werde laufen.

R: Befinden sich in Österreich Familienangehörige von Ihnen?

BF: Nein.

R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Familienangehörigen aus?

BF: Ich habe Kontakt mit meiner Familie, manchmal telefonisch.

R: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit der Polizei, Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gehabt?

BF: Nein, das ist falsch. Ich habe hier noch nichts Falsches gemacht und hatte keine Probleme. Bis zum heutigen Tag habe ich keine Probleme gehabt.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF: Natürlich war ich auch voriges Jahr in der Schule, in der HAK. Es gab heuer nur eine Klasse, deshalb habe ich keinen Platz bekommen. Voriges Jahr waren es zwei Klassen, heuer nur eine.

R: Können Sie mir näher erläutern: Sie haben bei Ihrer Ersteinvernahme angegeben, lediglich drei Jahre die Grundschule besucht zu haben. Wie kommt es, dass Sie jetzt angeben, dass Sie eine höhere Schule besucht haben?

BF: Ich habe bei meiner Einvernahme gesagt, dass ich nur drei Jahre in die Koranschule gegangen bin. Das war keine staatliche Schule. In XXXX habe ich sehr viel Hilfe von den Leuten bekommen, die mir beim Lernen geholfen haben. Man hat mir auch geholfen mich in der Schule einzuschreiben. Diese Handelsakademie macht einen Unterschied, man muss nur A1 oder A2 haben und dort wird man von Anfang an in Mathe, Englisch und anderen Gegenständen unterrichtet. Es ist keine Klasse der Handelsakademie, sondern eine Übergangsklasse.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen. Geben Sie bitte nochmals an, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft Sie angehören? Welche Sprachen sprechen Sie?

BF: Meine Muttersprache ist Dari. Ich bin Hazara und schiitischer Moslem.

R: Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Leben: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Im Iran. Ich bin in XXXX geboren, es ist eine Stadt in der Nähe von Teheran.

R: Wie lange haben Sie im Iran gelebt?

BF: Ich habe sieben Jahre in XXXX gelebt. Dann wurden wir nach Afghanistan abgeschoben. Deshalb sind wir nach Ghazni gefahren, in den Ort XXXX.

R: Sie haben bei Ihrer Ersteinvernahme angegeben, Sie haben gemeinsam mit Ihrer Familie Afghanistan wegen des Kriegszustandes verlassen. Stimmt das?

BF: Damit ist das zweite Mal gemeint, als wir nach Afghanistan abgeschoben wurden, sind wir nach XXXX gefahren und haben dort fünf Monate gelebt. Dann hat mein Vater bei einem Streit jemanden getötet, deshalb haben wir Afghanistan verlassen.

R: Haben Sie Afghanistan wegen des Kriegszustandes verlassen?

BF: Es gibt mehrere Gründe.

R: Beantworten Sie die Frage mit Ja oder Nein.

BF: Ich habe auch dort bei der Einvernahme schon zwei Gründe genannt. Natürlich ein Grund war der genannte wegen des Vaters. Der andere Grund war natürlich der Grund, da wir Hazara gewesen sind, bestand für uns immer die Gefahr, dass wir getötet werden.

R: Das, was Sie jetzt sagen, stimmt nicht mit dem überein, was Sie bei der Ersteinvernahme gesagt haben.

BF: Es gibt einen anderen Grund auch. Da ich zwei Monate damals unterwegs war, war ich müde und erschöpft. Als ich bei meiner Einvernahme war, wurde ich ehrlich gesagt auch nicht genau gefragt. Es gab ein paar vorgedruckte Fragen und ich habe kurz gleichsam nach diesem Katalog geantwortet.

R: Sie wurden unter Punkt 14 des Protokolls auch noch genau gefragt, was Sie für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan befürchten würden und haben Sie wörtlich geantwortet: In Afghanistan herrscht Krieg. Außerdem habe ich niemanden dort.

Damit haben Sie eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass Sie sich nicht vor irgendeiner Verfolgung in Afghanistan fürchten. Was sagen Sie dazu?

BF: Wie ich schon sagte, es ging mir an diesem Tag auch nicht gut, wegen der Müdigkeit und Erschöpfung. Um ein Beispiel zu geben, ich habe sogar mein Alter an diesem Tag falsch angegeben. Ich habe mich als 15-Jähriger angegeben, und war aber schon 18 Jahre.

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat oder an einem anderen Ort einen Beruf ausgeübt und wo war das und wie lange?

BF: Nachdem mein Vater verschwunden war, habe ich in meinem Heimatland zwei Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Danach bin ich noch einmal in den Iran gegangen, mit meiner Familie. Im Iran war ich mehr als drei Monate auf der Baustelle tätig. Mit dem Geld, das ich in diesen drei Monaten gespart habe, konnte ich nicht nach Europa kommen. Deshalb hat meine Mutter Gold verkauft und mir geholfen. Der Weg war frei, ich meine damit, dass damals sehr viele Leute gekommen sind.

R: Welche Verwandten haben Sie und wo leben diese?

BF: Meine Kernfamilie besteht aus meiner Mutter, meiner Schwester und meinen zwei Brüdern. Diese sind im Iran.

R: Warum sind Sie aus dem Iran weggegangen?

BF: Aus einem einzigen Grund, weil jede Sekunde passieren konnte, dass man mich abschiebt, weil ich keine Aufenthaltsdokumente hatte.

R: Im Iran leben zwischen 2 und 4 Millionen Afghanen, das müsste alle gleichermaßen betreffen. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich verteidige nur mich selbst, nicht die anderen 3 Millionen. Es gab eine große Wahrscheinlichkeit, dass ich zurückgeschoben worden wäre. Deswegen war ich in Afghanistan in Gefahr. Wenn ich erwischt worden wäre, hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben, entweder wäre ich abgeschoben worden oder rekrutiert für Syrien. In dem Punkt gebe ich Ihnen recht, es leben im Iran etwa 4 Millionen Afghanen, aber tagtäglich werden bis zu 1000 Afghanen abgeschoben. Für mich wäre es gefährlich, ich bin dieses Risiko nicht eingegangen.

R: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig oder gehörten Sie einer politischen Partei an?

BF: Nein.

R: Hatten Sie persönlich jemals Probleme mit den Behörden (oder staatsähnlichen Institutionen) Ihres Heimatlandes?

BF: Nein, ich habe nie ein Problem gehabt, aber mein Problem war wegen dieser Person, die mein Vater getötet hat.

R: Gab es in Afghanistan persönliche Bedrohungen, ich meine damit gegen Ihre Person gerichtet?

BF: In Afghanistan gibt es jede Sekunde eine Gefahr, die es allgemein gibt, für jeden Menschen. Die Bestätigung dafür ist, dass beispielsweise an einem Tag bis zu 1000 Menschen getötet werden.

R: Können Sie aus eigenem sagen, warum Sie Ghazni bzw. Afghanistan verlassen haben?

BF: Als Hazara und Schiite habe ich ein Problem mit den anderen ethnischen Gruppierungen. Mein Problem ist, dass man mich sicher getötet hätte, wenn man mich erwischt hätte.

R: Wer?

BF: Wer hat diese vielen Hazara getötet.

R: Was ist Ihnen persönlich passiert, welches war Ihr persönliches Risiko?

BF: Mein Leben war und ist dort in Gefahr. Die größte Gefahr wäre für mich von den Feinden meines Vaters.

R: Können Sie darüber im Detail berichten, was hat sich genau zugetragen?

BF: Am Anfang möchte ich sagen, Afghanistan ist nicht wie Österreich, wenn man jemanden als Feind hat, dann hat man nicht nur mit dieser Person zu tun, sondern mit der ganzen Familie und unter Umständen mit dem ganzen Stamm. Aus diesem Grund, wenn man mich dort erwischen würde, würden sie mich töten. Ich muss noch dazu sagen, es gibt keinen Staat in der Provinz Ghazni. Vor ein paar Tagen hat man beispielsweise die ganze Stadt Ghazni zerstört. Der Grund war, dass die 50% der Sicherheitskräfte haben sich auf die Seite der Taliban geschlagen. Das kann man auch im Internet nachlesen.

R: Erzählen sie konkret, was Ihnen und Ihrer Familie zugestoßen ist. Erzählen Sie bitte chronologisch und im Detail die Entwicklung, so dass ich mir ein Bild der Situation dort machen kann.

BF: Alles was ich bis jetzt gesagt habe meine ich für mich persönlich. Soweit es mich persönlich betrifft, muss ich sagen, sollte ich zurückgehen, habe ich zwei Probleme dort. Erstens wegen der Feinde meines Vaters und zweitens, wenn ich als Hazara und Schiite dort von den Taliban erwischt werden würde, würde man mir sofort den Kopf abtrennen. Das ist mein persönliches Problem. Es gibt noch einen Grund, das ist, dass ich niemanden dort habe und niemanden dort kenne. Besonders nach der Operation meiner Wirbelsäule tue ich mir noch schwerer, dort etwas anfangen zu können.

R: Haben Sie das nicht richtig verstanden? Ich möchte, dass Sie mir im Detail, nachvollziehbar, möglichst lebensnah berichten, was sich im Herkunftsstaat zugetragen hat.

BF: Was mich und meine Familie angeht, würde ich sagen, dass wir als Familie deswegen Afghanistan verlassen haben, weil mein Vater beim Streit jemanden getötet hat. Er ist selbst auch verschwunden. Nach kurzer Zeit habe ich den Bruder, des Getöteten, gesehen und habe das meiner Mutter erzählt. Meine Mutter verstand sofort, dass wir in Gefahr waren, wegen dieser Person oder des gesammten Stammes. Wir haben Afghanistan verlassen und deshalb besteht für uns dort Gefahr.

R: Sie waren vor der Erstbehörde aufgefordert, möglichst lebensnah, sämtliche Informationen vorzubringen, die der Grund waren, dass Sie Afghanistan verlassen haben. Sie müssen in der Lage sein, mir genau zu erzählen, was Ihnen passiert ist.

R erteilt dem BF eine umfassende Rechtsbelehrung über die Wichtigkeit der Angabe möglichst vieler Details; dies zum Zwecke der Glaubhaftmachung.

BF: Als wir vom Iran zurück nach XXXX gegangen sind, war ich fünf Monate dort. Mein Vater hat normal gearbeitet. Eines Tages ist mein Vater nach Hause gekommen, er war ein bisschen außer Sich, er schaute schockiert und verängstigt aus. Ich war in dieser Zeit sieben Jahre alt, das ist klar, dass man einem sieben jährigen Kind nicht alles genau erzählt, was passiert ist. Ich weiß, nachher sind wir in den Distrikt XXXX gefahren, das war die Entscheidung des Vaters. Wir sind siebeneinhalb Jahre in XXXX gewesen. In dieser Zeit war mein Vater in der Landwirtschaft in XXXX tätig. Eines Tages ist mein Vater zur Arbeit gekommen und nie mehr zurückgekommen. Natürlich haben wir zwei Jahre gewartet, in der Hoffnung, dass mein Vater zurückkommen würde. Es gab viele Geschichten über ihn, z.B. sagten manche, dass mein Vater unterwegs nach Europa gewesen wäre und im Wasser ertrunken sei, manche sagten, seine Feinde hätten ihn erwischt und getötet. Nach dem Verschwinden meines Vaters habe ich zwei Jahre gearbeitet. Manchmal habe ich gearbeitet und manchmal nicht. Nach zwei Jahren habe ich XXXX gesehen, er ist der Bruder der getöteten Person. Er hat mich auch bemerkt und gesehen. Ich bin auf das Land geflüchtet. Nachher bin ich nach Hause gegangen.

R: Können Sie die Szenerie genau beschreiben, wie Sie diesen Mann getroffen haben?

BF: Ich war in dieser Zeit normalerweise fast jeden Tag arbeiten. Ich war an diesem Tag wie üblich unterwegs. Ich habe ihn in einem Auto gesehen. Er hat mich auch gesehen. Sobald ich ihn gesehen habe, habe ich zu flüchten, laufen, begonnen. Ich bin nach Hause gegangen und habe die Geschichte meiner Mutter erzählt.

R: Haben Sie mit diesem Mann auch gesprochen?

BF: Nein.

R: Hat es eine andere Art der Kontaktnahme gegeben?

BF: Nein, wir haben einen gewissen Abstand voneinander gehabt. Ich war in der Nähe der Felder, wo ich gearbeitet habe und er war auf der Straße.

R: Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass Sie gerufen wurden. Das ist wieder ein dringendes Indiz dafür, dass Sie das so nicht erlebt haben. Sonst hätten Sie das aus eigenem oder auf meine letzte konkrete Nachfrage angeführt.

BF: Ich habe bei meiner Einvernahme beim BFA auch nicht gesagt, dass der Mann mit mir gesprochen hat. Er hat irgendwas gesagt, ich habe ihn nicht verstanden. Sobald ich ihn gesehen habe, habe ich begonnen zu laufen und zu flüchten. Genau das habe ich auch bei der Einvernahme gesagt.

R: Gibt es noch weitere Aspekte oder Handlungsabläufe in diesem Zusammenhang?

BF: Zu diesem Zeitpunkt ist sonst nichts passiert. Ich bin nach Hause gelaufen und habe die Geschichte meiner Mutter erzählt.

R: Vor dem BFA haben Sie sehr wohl noch einen weiteren wichtigen Aspekt ins Verfahren geführt. Können Sie sich daran nicht erinnern?

BF: Z.B.?

R: Das müssen Sie mir erzählen. Berichten Sie mir noch einmal Ihr Verhalten und die Begleitumstände, als Sie diesen Mann gesehen haben.

BF: Wie ich schon vorhin sagte, ich habe die Person gesehen. Ich bin sicher er hat mich auch gesehen. Irgendwas hat er gemurmelt, ich habe es nicht gehört. Sobald ich ihn gesehen habe, habe ich ihn erkannt. Als ich ihn erkannt habe, bin ich geflüchtet, ich habe nicht abgewartet, ich bin gelaufen. Ich bin zuerst auf die landwirtschaftlichen Felder geflüchtet. Aus diesem Grund konnte er mich nicht erwischen. Es gab viele Pflanzen. Er konnte mich deshalb nicht weitersehen.

R: Vor dem BFA haben Sie diesbezüglich angegeben, dass Sie mit dem Auto verfolgt worden sind und sich versteckt hätten. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich kann es nicht ausschließen, es ist auch natürlich, wenn jemand ein Auto zur Verfügung hat, da ist es möglich, dass er mich hätte verfolgen können. Ich bin zu den Feldern gegangen. Er konnte mit dem Auto nicht auf die Felder fahren. Natürlich war ich auch nicht interessiert, jedes Mal zurückzuschauen und zu beobachten, ob er mich mit dem Auto verfolgt.

R: Zu Hause angekommen, wie haben Sie sich verhalten?

BF: Ich muss dazu sagen, ich habe sehr viel Angst gehabt. Ich habe die ganze Geschichte, von A bis Z, meiner Mutter erzählt. Da meine Mutter meinen Vater auch verloren hatte, hatte sie Angst auch mich zu verlieren. Ihre Angst war berechtigt, wenn diese Person oder die anderen der Familie uns erwischt hätten, hätten sie uns bestimmt getötet.

R: Was haben Sie dann getan?

BF: Meine Mutter hat nur die notwendigsten Sachen mitgenommen. Wir sind in die Stadt Ghazni gefahren. Mit dem Taxi.

R: Sie haben vor dem BFA ausgesagt... ich erzählte meiner Mutter von dem Vorfall. Ich nahm das Geld und floh mit dem Auto nach Ghazni.... Was sagen Sie dazu?

BF: Deshalb habe ich das am Anfang auch korrigiert.

BF: Das ist kategorisch falsch, es tut mir leid. Hätte ich damals schon Deutsch können, hätte ich das besser erklären können. Ich habe es auf Dari erklärt, da ich nicht Deutsch konnte. Ich wusste nicht, ob es richtig weitergegeben wurde. Auch bei der Rückübersetzung ist das nicht richtig rückübersetzt worden, sonst hätte ich das gleich korrigieren lassen.

R: Lassen Sie mich das gesamt betrachten: Nachdem Ihr Vater angeblich diese Person getötet hatte, haben Sie siebeneinhalb Jahre unbehelligt im Distrikt XXXX gelebt. Über den Verbleib Ihres Vaters können Sie nur spekulieren und haben Sie dann weitere zwei Jahre dort unbehelligt gelebt und in aller Öffentlichkeit gearbeitet. Das heißt neuneunhalb Jahre ist Ihnen gar nichts passiert. Dann sehen Sie diese Person und vermuten eine Verfolgung, die durch nichts belegt ist. Das ist nicht nachvollziehbar. Ich bin nicht überzeugt, dass Sie das so erlebt haben.

Was befürchten Sie konkret für den Fall einer Rückkehr, wenn ich Ihnen vorhalte, dass Sie sich nach Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif begeben könnten?

BF: Z.B. Sie meinen, dass diese Person mit seinem Auto mich verfolgt hat und ich das nicht gesagt habe. Ich sage dazu, niemand kann mit einem Auto über ein Feld fahren.

R: Was würden Sie konkret befürchten?

BF: Erstens muss ich sagen, ich kenne niemanden dort und habe niemanden in Afghanistan mehr. Zweitens stellen Sie sich vor, wenn ich unterwegs von den Taliban erwischt werden würde, man würde mich einfach köpfen. Alle Bomben, die in Kabul in die Luft gegangen sind, betreffen nur die Sportcenter der Hazara, die Moscheen der Hazara und Schiiten in Kabul und Ghazni. Ich meine damit, es gibt eine Art ethnische Säuberung.

R: Ich möchte darauf insofern antworten, als ich sage, dass zwar grundsätzlich ein Gefährdungspotenzial dort besteht, aber es keine Unterlagen gibt, die besagen, dass es sich nur gegen Hazara richtet. Und ist die Situation beispielsweise in Kabul nicht so, dass für jeden Bürger dort immer Lebensgefahr besteht oder für jedermann und so auch für einen Rückkehrer die täglichen Grundbedürfnisse gefährdet sind.

BF: In dem Zusammenhang muss ich ihnen sagen, dass ich nur mich persönlich verteidige. Nicht den Hunger in anderen Ländern. Ich kann von Syrien ein Beispiel geben. Wer weiß, warum die Leute dort nicht weggehen, vielleicht haben die Leute keine andere Möglichkeit. Hazara und Schiiten werden in Kabul geköpft und davon wäre ich betroffen. Drittens kenne ich niemanden dort und habe niemanden dort.

R: Sie haben doch hier auch niemanden gekannt.

BF: Das ist ein gutes Beispiel. Weil Österreich ein sicheres Land ist, sonst wäre ich hier nicht hergekommen.

R: Die Einschätzung einer Rückkehrmöglichkeit bezieht sich auf den Artikel 3 der Menschenrechtsorganisation und ist dabei zu bewerten, ob bei Rückkehr die vitalen Interessen eines Menschen geschützt sind. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das bereits ausgeschickte Länderinformationsblatt.

BF: Ich möchte zwei drei Sätze über die Hilfsorganisationen sagen. Ich habe sogar eine Bestätigung bekommen von einer solchen Organisation. Sie geben selber zu, dass sie höchstens dort eine Woche jemanden helfen können. Sie können diese Hilfe auch nicht jeden einzelnen Rückkehrer gewähren. Wenn die Taliban mich unterwegs erwischen, dann köpft man mich. Für mich ist das Leben dort in Gefahr, das ist wichtiger. Drittens habe ich niemanden dort.

R: Würden Sie selbst von sich sagen, dass Sie eigentlich sehr flexibel sind, was die Gestaltung Ihres Lebens betrifft?

BF: Die Möglichkeiten sind unterschiedlich. Diese Möglichkeiten habe ich in Afghanistan nicht, weil ich dort niemanden mehr habe.

R: Möchten Sie noch abschließend etwas sagen?

BF: Ich möchte Sie herzlich bitten, mir die Möglichkeit zu geben, hier weiter leben zu können, da ich fast ein Drittel meines Lebens unterwegs gewesen bin.

R an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF?

RV: Können Sie mir erklären, warum Sie die Sache mit der Verfolgung durch das Auto gänzlich nicht erwähnt haben. Ich verstehe es nicht. Genauso wie der Richter es nicht versteht.

BF: Das ist doch ganz natürlich. Wenn jemand mit dem Auto unterwegs ist und mich sieht, und ich sehe ihn. So ist es sonnenklar, dass diese Person mit dem Auto den anderen verfolgt.

RV: Das bedeutet, als Sie ihm begegnet sind, war er in einem Auto?

BF: Ja, als ich ihn gesehen habe, er war am Steuer. Er ist ausgestiegen und dann bin ich weggelaufen. Das ist ganz natürlich, dass er über gewachsene Felder hinter mir nicht herfahren kann.

R: Ist er tatsächlich ausgestiegen aus dem Auto?

RV: Der BF soll die Szene nochmal aus seiner Sicht erklären.

BF: Stellen Sie es sich so vor. Er war mit dem Auto unterwegs. Ich habe ihn gesehen. Wenn er mich nicht gesehen hätte, dann hätte er nicht gestoppt. Ich musste davon ausgehen, dass er ausgestiegen ist. Ich habe nicht gewartet und bin geflüchtet.

R: Sie wissen es also nicht, ob er ausgestiegen ist?

BF: Ich bin sicher. Er hat mich gesehen. Da er mich gesehen hat musste er aussteigen. Wenn er mich nicht gesehen hätte, hätte er nicht gestoppt. Ich sagte schon, wenn er mich nicht gesehen hätte, hätte er nicht gestoppt. Und ich habe gesagt, er hat irgendetwas gemurmelt.

RV: Ich verweise auf die UNHCR-Richtlinien und insbesondere auf das Kapitel der Hazara Seite 106 ff. der bestätigt, dass sie nach wie vor diskriminiert werden. Es ist dort noch ein großes Thema. Er ist ohne Familie und Community und kann deshalb dort nicht Fuß fassen, oder eine Arbeit finden. Die Problematik in Kabul, in Bezug auf Hazara, gibt es in den UNHCR-Richtlinien Beispiele, dass Hazara aktiv angegriffen werden und ich gehe davon aus, dass Kabul deshalb für Hazara nicht sicher ist. Ich bitte die Problematik, seines Gesundheitszustandes zu beachten, ich weiß davon, dass eine Operation geplant ist. Er hat am Rücken ein Wirbel-Implantat und ist eine weitere Operation geplant.

R: Können Sie das hinsichtlich der medizinischen Sache genauer erklären?

BF: Es ist so passiert, dass ich in Bad Vöslau mit dem Fahrrad unterwegs war. Ich bin an eine Wand gestoßen, dadurch ist etwas mit der Wirbelsäule passiert. Der Arzt meinte, dass es wahrscheinlich gewesen wäre, dass ich gelähmt worden wäre. Ich hatte Glück gehabt. Ich habe Schmerzen.

R: Stehen Sie momentan unter ärztlicher Behandlung?

BF: Ich muss jetzt ins Krankenhaus. Zwei Jahre nach der vergangenen Operation muss ich noch einmal zum Arzt. Deshalb muss ich ins Krankenhaus.

RI: Ich schließe hiermit die Beweisführung.

Ende der Befragung. "

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara und der Religionsgemeinschaft der Schiiten an. Der Antragsteller verfügt über eine vergleichbare 3-jährige Grundschulbildung. Der Antragsteller ist im Iran geboren und hat zumindest sieben Jahre im Iran gelebt. Der Antragsteller hat vor seiner Ausreise jedenfalls bereits in der Landwirtschaft sowie als Bauarbeiter gearbeitet.

Der Antragsteller verfügt im Herkunftsstaat über keine familiären Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer leidet aktuell an keinen ernsthaften oder schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.

1.2. Der Antragsteller ist bemüht die deutsche Sprache zu erlernen und hat das Zertifikat A2 erworben. Der Antragsteller ist aktiv im Rahmen seiner engeren Wohnumgebung; so arbeitet er beispielsweise ehrenamtlich in der Wohngemeinde.

1.3. Seitens des Antragstellers im Verfahren ins Treffen geführten Umstände bzw. Ereignisse, welche ihn zur Ausreise veranlasst haben, konnten nicht positiv festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

1.4. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch

"Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandsc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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