TE Bvwg Beschluss 2019/1/25 G310 2173912-2

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Veröffentlicht am 25.01.2019
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Entscheidungsdatum

25.01.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67
FPG §70
VwGVG §8a Abs1

Spruch

G310 2173912-1/6E

G310 2173912-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin

Mag.a Gaby WALTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, kroatischer Staatsangehöriger, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2017, Zl. XXXX, sowie den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 17.10.2017:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit

zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

C) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen

D) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde 1975 in Wien geboren und ist kroatischer Staatsangehöriger. Seit November 1992 wurde der BF in Österreich insgesamt zwölf Mal strafgerichtlich verurteilt. Im Oktober 2008 wurde der BF im Bundesgebiet festgenommen und mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 08.01.2009 in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichtes XXXX vom 19.05.2009 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Am XXXX2015 wurde vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG (Strafvollzugsgesetz) vorläufig abgesehen und reiste der BF am 17.07.2015 freiwillig in seinen Herkunftsstaat aus. Am XXXX2015 wurde der BF im Bundesgebiet erneut festgenommen und verbüßt er seitdem die restliche Freiheitsstrafe in österreichischen Justizanstalten.

Mit Bescheid vom 28.03.2007 wurde gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG in der Fassung (idF) BGBl. I Nr. 99/2006 erlassen. Mit Bescheid vom 19.04.2012 wurde dieses unbefristete Aufenthaltsverbot gemäß § 53 Abs. 3 idF BGBl. I Nr. 38/2011 iVm § 68 Abs. 2 AVG BGBl. Nr. 471/1995 in ein zehnjähriges Einreiseverbot abgeändert.

Mit am 08.05.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, eingelangten Schreiben, datiert mit 24.04.2017, beantragte der BF im Stande der Strafhaft die "Prüfung bzw. Aufhebung des gegen meine Person [Anm. BF] erlassenen Aufenthaltsverbotes". Der BF führte begründend an, dass er in Österreich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sei sowie einen Beruf erlernt habe und alle seine sozialen Kontakte in Österreich seien.

Mit Schreiben des BFA vom 14.08.2017, dem BF in der Justizanstalt zugestellt am 21.08.2017, wurde er aufgefordert, zur beabsichtigten "neuerlichen Erlassung eines Aufenthaltsverbots" bis zum 23.08.2017 Stellung zu nehmen; gleichzeitig wurden an ihn konkrete Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich, seinem Privat- und Familienleben und zu seinen Bindungen zu seinem Heimatstaat gerichtet. Eine Stellungnahme des BF erfolgte nicht.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die verfahrensgegenständliche, am 13.10.2017 eingebrachte, Beschwerde mit den Anträgen, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit gänzlich zu beheben, in eventu das Aufenthaltsverbot wesentlich zu verkürzen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

Der BF begründet die Beschwerde im Wesentlichen damit, dass er in Österreich geboren sei, die Schule besucht und eine Lehre zum Bauspengler abgeschlossen habe. Der BF sei bereits vor dem EU-Beitritt Kroatiens jahrelang im Besitz von Aufenthaltsberechtigungen gewesen. Bereits im Alter von 15 Jahren hätte ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können und sei dies an der Zustimmung des Vaters des BF gescheitert. Der BF verfüge über keine Lebensgrundlage in Kroatien und sei bereits aus allen Registern gelöscht. In Österreich lebe die schwerkranke Mutter des BF (österreichische Staatsbürgerin).

Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 19.10.2017 einlangten. Beim BVwG mit 25.10.2017 einlangend übermittelte das BFA den Antrag des BF auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 17.10.2017. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.10.2018 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der Gerichtsabteilung G302 abgenommen und der Gerichtsabteilung G310 zugewiesen (Einlangen in der Gerichtsabteilung: 05.11.2018).

Das BVwG hat die Beschwerde vom 13.10.2017 und den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur gemeinsamen Entscheidung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm. § 17 VwGVG verbunden.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Der Geburtsort des BF geht aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) hervor, seine strafgerichtlichen Verurteilungen in Österreich aus dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs. 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist auch in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheides kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das BVwG die Prozessökonomie fördern.

Das vom BFA durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich in wesentlichen Punkten als mangelhaft:

Der BF ist Staatsangehöriger von Kroatien und somit als Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (seit 01.07.2013) EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Mit zuvor rechtskräftigem Bescheid vom 19.04.2012 wurde das gegen den BF am 28.03.2007 erlassene Aufenthaltsverbot vom BFA von Amts wegen (gem. § 68 Abs. 2 AVG) in ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 FPG idF BGBl. I Nr. 38/2011 abgeändert. Zum Zeitpunkt des EU-Beitritts Kroatiens bestand somit gegen den BF ein Einreiseverbot in der Dauer von insgesamt 10 Jahren.

Gemäß § 53 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands und des Vereinigten Königreichs) sowie Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

Gemäß § 125 Abs. 25 vierter Satz FPG bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2012 - das ist der 01.01.2014 - erlassene Einreiseverbote bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig und können nach Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß § 60 idF BGBl. I Nr. 68/2013 aufgehoben, verkürzt oder für gegenstandslos erklärt werden.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist.

Bei Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot einerseits sowie bei einem Aufenthaltsverbot andererseits handelt es sich um unterschiedliche Maßnahmen. Erstere ergehen gegen Drittstaatsangehörige, verpflichten diese zur Ausreise in deren Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat (Rückkehrentscheidung; siehe § 52 Abs. 8 FPG) und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten (das sind jene Staaten, für die die Richtlinie 2008/115/EG gilt; siehe VwGH 22.5.2013, 2013/18/0021) einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten (Einreiseverbot; siehe § 53 Abs. 1 FPG). Ein Aufenthaltsverbot ist dagegen jene aufenthaltsbeendende Maßnahme, die gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kommt und verpflichtet lediglich zum Verlassen des Bundesgebietes. Angesichts des demnach unterschiedlichen normativen Gehalts der erwähnten Maßnahmen, die zudem an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen, sind sie nicht "austauschbar". Die Transformation eines Einreiseverbotes in ein Aufenthaltsverbot, wenn der betroffene Fremde EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger wird, kommt daher nicht in Betracht. Eine Aufhebung des ursprünglich verhängten Einreiseverbotes kann daher nicht auf Basis des § 60 Abs. 1 FPG erfolgen, weil diese Vorschrift auf eine Voraussetzung abstellt (fristgerechtes Verlassen des Gebietes der Mitgliedstaaten), die der Erlangung einer unionsrechtlich begünstigten Rechtsstellung nicht gerecht wird. Diese Vorschrift ermöglicht nur die Aufhebung eines nach § 53 Abs. 2 FPG verhängten Einreiseverbotes, während auch der Weiterbestand eines solchen nach § 53 Abs. 3 FPG mit einem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht unvereinbar ist (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).

Erwirbt ein Drittstaatsangehöriger ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, so steht dies der weiteren Existenz einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts anknüpft, entgegen (vgl. VwGH 15.3.2016, Ra 2015/21/0174). Der Eintritt eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts begründet eine rechtliche Position, mit der eine Rückkehrentscheidung nicht länger kompatibel ist. Diese und die mit ihr im Zusammenhang stehenden Aussprüche müssen daher gegebenenfalls ex lege erlöschen, was der im § 60 Abs. 3 FrPolG 2005 normierten Gegenstandslosigkeit einer Rückkehrentscheidung gleichkommt. Auch der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts muss daher - gleich den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen der Erlangung eines rechtmäßigen Aufenthalts - eine derartige Gegenstandslosigkeit herbeiführen. Wird eine Rückkehrentscheidung gegenstandslos, so erfasst das auch die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche. Das gilt auch für das an die Rückkehrentscheidung anknüpfende Einreiseverbot (vgl. VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037, VwSlg. 19268 A/2015), zumal es nach der insoweit umgesetzten Richtlinie 2008/115/EG keine von der Rückkehrentscheidung losgelösten Einreiseverbote gibt (vgl. EuGH Schlussanträge der Generalanwältin 26. Oktober 2017, Rs. C-82/16, K.A. ua). (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).

Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht steht jedoch nicht bedingungslos zu bzw. wird nicht ohne Weiteres erlangt. So besteht ein derartiges Aufenthaltsrecht insbesondere dann nicht, wenn eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt (siehe § 55 Abs. 3 NAG 2005), was im Sinn des Art. 27 der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) dann der Fall ist, wenn das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Gegebenenfalls kann der betreffende EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige gemäß § 41a Abs. 1 Z 5 FPG zurückgewiesen oder, wenn er sich schon im Bundesgebiet befindet, mit einer Ausweisung nach § 66 FPG oder einem Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG belegt werden. Wurde ursprünglich ein Einreiseverbot verhängt, so mag es nach Maßgabe des Falles naheliegend sein, dass eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im eben angesprochenen Sinn - weiterhin - vorliegt. Gegebenenfalls hat der betreffende Fremde ungeachtet dessen, dass er EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger geworden ist, kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erlangt. Die Rückkehrentscheidung und das damit verbundene Einreiseverbot bleiben aufrecht und werden nicht gegenstandslos. Sie könnten aber auch nicht einer Aufhebung unterfallen, vielmehr wären sie dann durch eine Ausweisung nach § 66 FPG oder - wenn ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vorliegt - ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG zu ersetzen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).

Das BFA hat jegliche Ermittlungen zum Vorliegen der Voraussetzungen, ob der BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erlangt hat, unterlassen und auch keine Feststellungen dazu getroffen. Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren eingehend mit dem allfälligen unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des BF, seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, dem anzuwendenden Gefährdungsmaßstab, den konkreten Straftaten des BF und seinem Verhalten seither auseinanderzusetzen haben und in diesem Zusammenhang die erforderlichen Ermittlungsschritte vorzunehmen haben, um anschließend auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfrei begründete Sachentscheidung zu treffen.

Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen und die Kontaktaufnahme mit diversen Behörden notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal zu tragenden Sachverhaltselementen keine ausreichenden Beweisergebnisse vorliegen.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs 3. zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das BFA bislang keine Entscheidung über den Antrag des BF vom 24.04.2017 getroffen hat.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das BVwG die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchpunkt C): Antrag auf Verfahrenshilfe:

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ist gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Regelung der Verfahrenshilfe im VwGVG um eine sogenannte "subsidiäre Bestimmung" handelt: Sie soll nur dann zur Anwendung gelangen, wenn durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, also dann, wenn das sogenannte "Materiengesetz" keine Regelung enthält, deren Gegenstand die Verfahrenshilfe ist. Gemäß § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, ist einem Fremden oder Asylwerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in bestimmten Angelegenheiten von Amts wegen kostenlos ein Rechtsberater zur Seite zu stellen. § 52 BFA-VG entspricht damit den Vorgaben des Art. 47 GRC. Im Anwendungsbereich des BFA-VG gelangt daher die Bestimmung des § 8a VwGVG (überhaupt) nicht zur Anwendung (siehe ErläutRV 1255 BlgNR 25. GP zu § 8a VwGVG).

Das BFA-VG sieht für seinen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffenden Anwendungsbereich allerdings keine ausdrückliche Regelung vor, ob oder inwieweit im Rahmen der kostenlosen Rechtsberatung nach § 52 BFA-VG auch eine Befreiung von allfälligen zu entrichtenden Gerichtsgebühren oder anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren (§ 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO) möglich ist. Für Bescheidbeschwerdeverfahren gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 BV-G gegen Entscheidungen des Bundesamtes iSd. §§ 7 iVm. 3 Abs 1 Z 4 iVm.

§ 21 BFA-VG - wie im gegenständlichen Fall - sind gemäß § 1 VwGVG die Bestimmungen des VwGVG anzuwenden. Da in diesen Fällen eine (materien- und verfahrens-) gesetzliche Gebührenbefreiung nicht besteht, unterliegen derartige Beschwerden der Verpflichtung zur Entrichtung der Eingabegebühr nach § 14 Tarifpost 6 Abs. 5 Z 1 lit. b Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267/1957 idgF, in Verbindung mit der BuLVwG-Eingabengebührverordnung, BGBl. II Nr. 387/2014 idgF.

Der gegenständliche Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr findet somit in § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO grundsätzlich eine geeignete Rechtsgrundlage.

Die gegenständliche Beschwerde wurde am 13.10.2017 eingebracht. Der Antrag auf Verfahrenshilfe wurde am 17.10.2017 eingebracht.

In § 64 Abs. 3 ZPO wird der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verfahrenshilfe klar bestimmt. Nach Satz 1 dieser Bestimmung treten die Befreiungen und Rechte grundsätzlich mit dem Tag der Antragstellung ein, also dem Einlangen des Verfahrenshilfeantrags bei Gericht bzw. der Antragstellung zu gerichtlichem Protokoll. Unerheblich ist vor allem, in welchem Zeitpunkt die Bewilligung erfolgt; ebenso wenig müssen dem Verfahrenshilfeantrag auch alle erforderlichen Urkunden, wie insb. das Vermögensbekenntnis, angeschlossen sein. § 64 Abs. 3 zweiter Satz ZPO sieht vor, dass die Befreiungen nach Abs. 1 Z 1 lit b bis e - also die wesentlichen Barauslagen mit Ausnahme der Gerichtsgebühren und anderen staatlichen Gebühren nach

lit. a - wirksam noch bis zur Entrichtung dieser Kosten und Gebühren beantragt werden können. In Ansehung der Gerichtsgebühren nach lit. a muss die Verfahrenshilfe jedoch nach der Grundregel des § 64 Abs. 3 erster Satz ZPO weiterhin spätestens gleichzeitig mit der Klage (bzw der Berufung oder Revision) beantragt werden. (M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 64 ZPO Rz 32 [Stand 1.9.2014, rdb.at])

Gemäß § 2 Abs. 2 BuLVwG-Eingabengebührverordnung, BGBl. II Nr. 387/2014, entsteht die Gebührenschuld für die Eingaben und Beilagen im Zeitpunkt der Einbringung der Eingabe. Mit dem Entstehen der Gebührenschuld wird die Gebühr fällig.

Die verfahrensgegenständliche Beschwerde wurde am 13.10.2017 eingebracht. Die Eingabegebühr entstand somit am 13.10.2017 und wurde gleichzeitig fällig. Eine nachträgliche Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Gerichtsgebühren (zu denen die Eingabegebühr zählt) ist gesetzlich nicht vorgesehen (§ 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO).

Im Verfahrenshilfeantrag wird unter Nennung der lit. a bis d des § 64 Abs. 1 Z 1 ZPO explizit die Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung für die Eingabegebühr beantragt. Unabhängig davon sind im Beschwerdeverfahren - seit Einbringung des Verfahrenshilfeantrages - keine weiteren Kosten angefallen bzw. werden keine solchen Kosten anfallen, weswegen der Antrag hinsichtlich lit. b bis d des § 64 Abs. 1 Z 1 ZPO ebenfalls abzuweisen ist.

Aus diesen Gründen war der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen. Der in Art. 47 Abs. 3 GRC normierte wirksame Zugang zum Gericht ist verfahrensgegenständlich gewährleistet.

Zu Spruchteil D):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe zuletzt VwGH 28.02.2018, Ra 2016/04/0061).

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall,
Durchsetzungsaufschub, Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G310.2173912.2.00

Zuletzt aktualisiert am

03.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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