TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W186 2009408-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W186 2009408-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2014, Zl. 1019918609/14661627, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2017 und am 11.05.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III. wie folgt lautet:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt".

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die achtundvierzig-jährige Beschwerdeführerin (in weiterer Folge: BF), eine chinesische Staatsangehörige ohne religiösem Bekenntnis und Angehörige der Volksgruppe Han, stellte am 27.05.2014 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, zudem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde.

Im Zuge der Erstbefragung gab sie an in Shijiazhuang geboren zu sein und die Grund- sowie die Mittelschule im Herkunftsland besucht zu haben. Zuletzt habe sie als Selbständige im Handel gearbeitet. Im Herkunftsland würden noch ihre Tochter und ihr Exmann leben, ihre Eltern seien bereits verstorben. Vor ihrer Ausreise habe die BF in Gaocheng gewohnt. Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF an, mit ihrer Freundin Anfang 2012 ein Textilgeschäft eröffnet gehabt zu haben. Mit der Zeit hätten sie sich wegen geschäftlicher Sachen zerstritten, weshalb die BF aus der Partnerschaft aussteigen habe wollen. Sie habe ihren Teil des Geschäftes zurückverlangt. Da die Freundin jedoch kein Geld hatte, habe die BF ihren Anteil nicht erhalten. Am 15.04.2014 sei die BF bei der Freundin zu Hause gewesen um mir ihr über das Geld zu reden. Es sei zu Handgreiflichkeiten gekommen, wobei die BF die Freundin mit einer Holzstange am Kopf und an ihrem linken Auge verletzt habe. Um einer Festnahme zu entgehen, habe sie China verlassen. Im Fall einer Rückkehr nach China befürchte die BF von der Polizei festgenommen werden zu können.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 02.06.2014 gab die BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die chinesische Sprache an, bis dato die Wahrheit gesagt zu haben und dass ihr die Angaben jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert worden seien. Die BF führte aus, sie habe in China die Volksschule und die Hauptschule besucht. Später habe sie geheiratet und 2000 eine Tochter geboren. Einige Zeit später habe sie zusammen mit einer Freundin ein Textilgeschäft eröffnet. Sie habe sich mit dieser Freundin zerstritten und schied aus der Firma aus, weshalb sie eine Entschädigung in der Höhe von 120.000,-- RMB erhalten habe sollen. Da die Freundin die vereinbarte Summe nicht bezahlt habe, habe die BF diese immer wieder aufgesucht und sie schließlich blind geschlagen. Die Freundin habe sie daraufhin bei der Polizei angezeigt und die BF werde von der Polizei gesucht. Zuletzt habe die BF in einer Eigentumswohnung in Gaocheng gelebt. Dort lebe sie alleine, da sie geschieden sei und ihr Exmann das Sorgerecht für ihre Tochter habe. Das Textilgeschäft habe die BF mit ihrer Freundin im Jahr 2012 eröffnet, beide Gesellschafter hätten die Investitionen hierfür in der Höhe von 400.000,-- zur Hälfte getragen. Das Geld für ihren Anteil habe die BF bei ihrer Scheidung von ihrem Mann erhalten. Die BF wisse nicht um was für eine Firmenform es sich bei dem Geschäft gehandelt habe, da dies die Freundin gemacht habe. Einen schriftlichen Vertrag habe es ebenfalls nicht gegeben, es sei alles auf Vertrauen geregelt worden. Bezüglich der weiteren Investitionen und Einkünfte seien alle Vereinbarungen immer nur mündlich getroffen worden. Da die Gewinnaufteilung jedoch nicht funktioniert habe, habe sich die BF mit ihrer Freundin zerstritten. Die BF habe von Montag bis Freitag gearbeitet, ihre Freundin sei auch am Wochenende im Geschäft gewesen. Aus ihrer Erfahrung habe die BF geschlossen, dass die Freundin ihr nicht den vollen Gewinn gesagt habe. Die BF vermute dies lediglich, beweisen könne sie es nicht. Die BF hätte Ende 2013 bereits gegenüber ihrer Freundin angedeutet, dass die BF zu wenig erhalten. Ausdrücklich habe sie es ihr am 15.04.2014 gesagt, wo sie auf die Freundin kräftig einschlug, sodass diese an einem Auge zumindest nichts mehr sah. Der Vorfall sei um 08.00 Uhr früh gewesen. Die BF habe die Flucht ergriffen und sei zuerst zu einer Bekannten geflohen, die sie dann an eine Familie weitergereicht habe. Auch hier sei sie wieder weitergereicht worden, wo sich die BF schließlich einen Monat aufhielt. Die genaue Adresse ihres Aufenthaltsortes wisse sie nicht. Sie habe das Haus nicht verlassen, da ihr ein Bekannter erzählt habe, dass er gehört habe, dass die BF angezeigt worden sei. Befragt danach, woher die BF wisse, dass die Freundin erblindet sei, führte sie aus, dass sie ihr dies auch wieder ein Bekannter erzählt habe. Befragt danach, ob die BF Aufzeichnungen über das Geschäft geführt habe, gab sie an, dass dem nicht so sei und alles auf vollstem Vertrauen basiert sei. Die BF habe im Geschäft Kleidung verkauft und wisse auch nicht, woher diese Kleidung bezogen worden sei. Sie habe keine sozialen Bindungen zu Österreich und sei gesund.

2. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes vom 27.05.2014, der BF zugestellt durch persönliche Übernahme am 05.06.2014, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt begründete im Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die BF private Schwierigkeiten, einen Streit mit ihrer Freundin, vorgebracht habe und ihr Vorbringen als nicht glaubhaft zu werten gewesen sei. Die BF habe sämtliche Fragen zu ihrer Selbständigkeit derart oberflächlich beantwortet, sodass eindeutig festzustellen gewesen sei, dass die BF niemals ein solches Geschäft besessen habe. Hinsichtlich der Situation im Fall der Rückkehr der BF führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass die BF arbeitsfähig und gesund sei und im Falle einer Rückkehr in der Lage sei, sich mit den bisher ausgeübten Tätigkeiten oder anderen ein ausreichendes Einkommen zu verschaffen. Die BF sei eine erwachsene Frau der es auch zumutbar sei, eventuell anfänglich mit Gelegenheitsjobs ihren Unterhalt zu bestreiten. Ebenso sei in Betracht zu ziehen, dass die BF den Großteil ihres Lebens im Herkunftsland verbracht habe und auch über Freunde und Bekannte verfüge, die sie unterstützen können würden. Auch könne sie die Unterstützung von NGO¿s in Anspruch nehmen. Bezüglich der Rückkehrentscheidung führte das Bundesamt aus, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der Person der BF in Österreich rechtfertigen würden, zumal die BF weder Deutsch spreche noch über private Kontakte verfüge, die sie an Österreich binden würden.

Mit Verfahrensanordnungen vom 05.06.2014 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt. Unter einem wurde ihr die Information über die Verpflichtung zur Ausreise ausgehändigt. Die Verfahrensanordnung und die Information zur Ausreiseverpflichtung wurden der BF zusammen mit dem Bescheid zugestellt.

Mit Mandatsbescheid vom 05.06.2014 wurde die BF gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Z 5 FPG verpflichtet, für den Zeitraum der mit Bescheid vom 27.05.2014 festgelegten Frist für die freiwillige Ausreise in 1110 Wien, ZINNERGASSE 29a Unterkunft zu beziehen.

3. Gegen den Bescheid des Bundesamtes erhob die BF durch ihren Rechtsberater am 20.06.2014 fristgerecht Beschwerde. Neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Bescheid zur Gänze beheben und der BF Asyl gewähren, in eventu den Bescheid an das Bundesamt zurückverweisen, in eventu der BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu feststellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und der BF eine Aufenthaltsberechtigung erteilen, sowie in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für eine Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen.

Begründend wurde vorgebracht, der Bescheid werde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens bekämpft. Die BF habe ihr Fluchtvorbringen glaubwürdig und detailliert geschildert. Hätte das Bundesamt der BF die Ungereimtheiten vorgehalten gehabt, so sei es der BF möglich gewesen sich zu diesen Punkten zu äußern. Die Furcht der BF in China inhaftiert zu werden, sei glaubwürdig und nachvollziehbar. Für die BF bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative, da der BF es nicht möglich sei sich bei ihrer Rückkehr zu registrieren, da die Polizei sonst auf sie aufmerksam werden würde. Bei einer Rückkehr ohne Registrierung hätte die BF jedoch keinen Zugang zu Sozial-und Krankenversicherung.

4. Das Bundesamt legte am 04.07.2014, hg. eingelangt am 07.07.2014, den Verwaltungsakt vor und teilte mit, an der Durchführung und Teilnahme einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.05.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der BF, einer Dolmetscherin der chinesischen Sprache und der Rechtsvertretung der BF durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"RI: Hat sich seit der letzten Einvernahme etwas Wesentliches bei Ihnen verändert.

BF: Nein, es hat sich nichts geändert.

RI: Wovon leben Sie in Österreich?

BF: Ich leiste hier Gelegenheitsarbeit und lebe davon.

RI: Haben Sie Kontakt zu Ihren Familienangehörigen in China?

BF: Nein.

Nach Rücksprache mit der RB der BF und der BF selbst wird aufgrund vorgelegter Dokumente festgelegt, dass die Verhandlung vertagt wird. Ein weiterer Verhandlungstermin wird unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin festgesetzt werden."

Mit Eingabe vom 03.05.2018 legte die Rechtsberatung der BF die Vollmacht zurück.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.05.2018 erneut eine mündliche Verhandlung unter Anwesenheit der BF und einer Dolmetscherin der chinesischen Sprache durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"R: Hat sich in der Zeit seit Sie den Bescheid des Bundesamtes bekommen haben, etwas in Ihrem Leben geändert?

BF: Ich habe hier einen Freund gefunden. Jemanden der mich heiraten möchte.

R: Haben Sie noch Kontakt zu Verwandten in China?

BF: Keinen Kontakt.

R: Wovon leben Sie in Österreich?

BF: Ich arbeite in einem Massage Studio.

R: Wo wohnen Sie?

BF: Ich wohne jetzt bei meinem Freund, ich bin dort auch gemeldet.

R: Wer ist Ihr Freund?

BF: Er heißt Adolf WEINZIERL.

R: Arbeiten Sie nach wie vor in dem Studio?

BF: Ja. In Braunau, dort gehe ich auch zu einem Deutschkurs.

BF legt Kursbestätigungen vor die in Kopie zum Akt genommen werden.

R: Sie haben gesagt Sie wollen heiraten? Waren Sie schon beim Standesamt?

BF: Ich habe keinen Reisepass daher kann ich nichts machen.

R: Was würde Ihnen passieren, wenn Sie nach China zurückkehren müssten?

BF: Wenn ich nach China zurückgehe, dort habe ich Angst, weil die Polizei nach wie vor nach mir sucht.

R: Wieso wissen Sie, dass die Polizei Sie sucht?

BF: Weil ich damals, bei diesem Raufhandel, meine Freundin ins Gesicht geschlagen habe und Ihr Auge ist kaputt, sie ist blind, sie hat mich angezeigt.

R: Haben Sie je etwas von der Polizei gehört?

BF: Ja, deswegen habe ich Angst bekommen und traute mich nicht mehr nachhause.

R: Was war mit der Polizei?

BF: Ich habe diese Freundin am Auge verletzt, bin dann geflüchtet und habe auch einen Arzt angerufen und ihn gebeten, dass er meine Freundin besucht. Dann hab ich das Handy abgeschalten, ich wollte nicht, dass man mich finden kann.

R: Wer von Ihrer Familie lebt noch in China?

BF: Meine Tochter.

R: Wie alt ist die Tochter.

BF: Sie ist im Jahr 2002 geboren und lebt bei meiner Schwiegermutter.

R: Was ist mit Ihrem Mann?

BF: Ich bin geschieden.

R: Haben sie zu Ihrem Ex-Mann noch Kontakt.

BF: Nein.

R: Können Sie mir sagen woher in China Sie kommen und wo die Tochter lebt?

BF: Ich komme aus der Stadt Shijiazhuang in der Provinz Hebei, meine Tochter geht in der Stadt in die Schule

Die Verhandlung wird um 13:50 unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 14:45 fortgesetzt.

BF legt den Meldezettel vor. Wird in Kopie zum Akt genommen.

R: Welchen Beruf hatten Ihre Eltern?

BF: Bauern.

R: Hatten sie ein eigenes Grundstück?

BF: Ja, wie sie älter geworden sind haben sie das Grundstück meinem Bruder weiter gegeben, mein Vater ist schon gestorben.

R: Was war genau noch mit Ihrem Pass? Wo befindet sich Ihr Pass?

BF: Als ich in Linz gearbeitet habe, hat mir die Polizeidirektion meinen Pass weggenommen. Mein Rechtsanwalt hat gemeint, dass ich bei Ihnen die Aushändigung des Passes verlangen sollte. Können Sie überprüfen wo mein Pass ist?

R: Fragen Sie nach, dort wo Ihr Pass weggenommen worden ist. Bitten Sie Ihren Lebensgefährten ob e bei der Polizei für Sie anrufen kann.

R: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie nach China zurück müssten?

BF: Ich gehe nicht mehr zurück. Ich bleibe hier, weil mein Freund da ist.

R: Welchen Beruf hat Ihr Freund?

BF: Er ist Gastwirt.

R: Hat er ein eigenes Gasthaus?

BF: Ja, in Hochburg.

R: Haben Sie alles gesagt, was Ihnen wichtig ist?

BF: Ja.

R: Die Entscheidung ergeht schriftlich, dies wird etwa vier Wochen dauern. Wollen Sie zu der Länderinformation, die in die Entscheidung enthalten sein wird Einsicht nehmen und dazu Stellung nehmen.

BF: Ich kann kein Deutsch.

R: Warum wurde Ihnen der Pass abgenommen, wissen Sie das?

BF: Als ich gearbeitet habe, ist die Polizei gekommen. Sie wollten alle meine Dokumente. Wenn ich ihnen den Pass nicht gegeben hätte hätten sie meine Arbeitskarte genommen.

R: Weiß Ihr Freund von dem Vorfall?

BF: Ja".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die Identität der BF steht nicht fest. Sie ist chinesische Staatsangehörige und reiste zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein, wo sie am 27.05.2014 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Sie ist 48 Jahre alt und gehört der Mehrheitsvolksgruppe der Han an.

Sie lebte bis zu ihrer Ausreise in Gaocheng in der Stadt Shijiazhuang in der Provinz Hebei alleine in einer Eigentumswohnung. Die BF ist geschieden. Ihre Eltern sind verstorben. Im Herkunftsland lebt die Tochter der BF, die zur Schule geht. Die BF besuchte im Herkunftsland die Grund- und Mittelschule, verbrachte 44 Jahre in China und sorgte selbständig für ihren Lebensunterhalt. Sie verfügt über einen Bekanntenkreis im Herkunftsland.

Die BF bezog im Bundesgebiet von 27.05.2014 - 05.06.2014 Leistungen aus der Grundversorgung. Sie ist strafrechtlich unbescholten und arbeitet in einem Massagestudio in Braunau.

Die BF ist seit 19.03.2018 bei ihrem österreichischen Lebensgefährten mit Hauptwohnsitz gemeldet. Es soll in naher Zukunft die Ehe mit ihm eingegangen werden.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in China eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht: Das Vorbringen des BF, vor der Polizei geflüchtet zu sein, da sie eine Freundin geschlagen und am Auge verletzt hätte, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.

Nicht festgestellt werden kann des Weiteren, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach China in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF ist gesund und hat im Herkunftsstaat ihren Lebensunterhalt vor ihrer Ausreise selbständig durch Erwerbsarbeit gesichert. Sie lebte in China in einer Eigentumswohnung.

Eine ausgeprägte und verfestigte, entscheidungserhebliche individuelle Integration der BF in Österreich kann nicht festgestellt werden: Seit Zulassung ihres Verfahrens verfügt sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Rahmen des Asylverfahrens. Sie verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und musste sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Der BF bezog 2014 Leistungen aus der Grundversorgung und arbeitet aktuell in einem Massage Studio. Zwar lebt sie seit März 2018 bei ihrem Lebensgefährten, den sie auch ehelichen möchte, doch musste sie sich vor dem Eingehen dieser Beziehungen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein. Die BF konnte bis auf die Anmeldebestätigung zu einem Deutschkurs im April 2018 keine integrationsbezeugenden Dokumente oder Urkunden vorlegen. Die BF verfügt über keinerlei familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und verfügt auch sonst über keine hervor zu hebende Bindungen zu Österreich.

Im Gegensatz dazu lebte die Tochter der BF nach wie vor im Herkunftsstaat und lebte die BF dort in einer Eigentumswohnung. Die BF verbrachte den Großteil ihres bisherigen Lebens - 44 Jahre - in ihrem Herkunftsland, wo sie die dortige Sprache spricht, der Mehrheitsvolksgruppe angehört, neun Jahre lang die Schule besuchte und auch über einen Bekanntenkreis verfügt.

1.2. Die Lage in China stellt sich wie folgt dar:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

-

BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

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DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

-

DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

-

DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

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The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook

-

China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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