TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 G304 2175867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G304 2175285-1/19E

G304 2175863-1/19E

G304 2175861-1/18E

G304 2175282-1/18E

G304 2175867-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 11.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, (BF1), XXXX, geb. XXXX, (BF2), XXXX, geb. XXXX, (BF3), XXXX, geb. XXXX, (BF4), XXXX, geb. XXXX, (BF5), alle StA. Irak, und alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.01.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Irak gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 Z. 1 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde), Regionaldirektion Salzburg, wurde der Antrag der BF 1-4 auf internationalen Schutz vom 14.10.2015 und der Antrag des BF 5 auf internationalen Schutz vom 24.08.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat abgewiesen (Spruchpunkt II.), den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen, und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 1. bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise der BF eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.)

2. Gegen diese Beide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 03.11.2017 und 09.11.2017 wurden die gegenständlichen Beschwerden samt dazugehörigen Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) vorgelegt.

4. Am 11.01.2019 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung durchgeführt und dabei die BF 1 und BF2 im Beisein ihrer Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und ihrer drei unmündig minderjährigen Kinder einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige vom Irak und die BF 1 und BF 2 Eltern ihrer drei unmündig minderjährigen Kinder BF 3-5.

1.2. Die BF 1-4 reisten illegal aus ihrem Herkunftsstaat aus und flogen Anfang Oktober 2015 von ihrer Heimatstadt nach Istanbul in die Türkei. Sie stellten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 14.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF 2 stellte nach Geburt ihres Sohnes im Jahr 2016 für diesen am 24.08.2016 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Es wurden ihre Anträge auf internationalen Schutz mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden des BFA vom 15.07.2017 abgewiesen, ihnen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und ihnen für ihre freiwillige Ausreise eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

1.4. Der BF1 brachte als Fluchtgrund vor, er habe in seinem Herkunftsstaat ab 2010 bzw. 2011 bei einer amerikanischen Firma gearbeitet und sei ab 2013, letztmals vor seiner Ausreise Anfang 2015, vielleicht auch im März 2015, von schiitischen Milizangehörigen bedroht worden, in der Absicht, zu Informationen über seine Arbeitsstelle zu gelangen. Dieses Fluchtvorbringen war nicht glaubhaft.

Dass der BF1 wegen Zusammenarbeit mit den Amerikanern bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat von schiitischen Milizangehörigen bedroht werden würde, konnte daher nicht festgestellt werden.

Die BF 2 brachte für sich und für die unmündig minderjährigen BF3-BF5 keine eigenen Fluchtgründe vor, sondern stütze sich auf das Fluchtvorbringen ihres Ehegatten.

1.5. Die BF haben in ihrem Herkunftsstaat jeweils nur mehr Kontakt zu ihrer Mutter, ansonsten jedoch keine familiären Bindungen zum Irak mehr. In Österreich haben sie keine Familienangehörigen.

1.6. Die BF haben in Österreich seit ihrer Einreise im Oktober 2015 bereits viele Integrationsschritte gesetzt.

Der BF 1 hat am 24.07.2017 das "ÖSD Zertifikat A1" und die BF2 am 18.12.2018 das "ÖSD Zertifikat A2" erworben.

Der BF1 hat am 19.09.2018 beim österreichischen Integrationsfonds die Integrationsprüfung B1 absolviert. Seit ca. eineinhalb Jahren arbeitet er freiwillig bei seiner Wohnortgemeinde mit.

In einem Arbeitszeugnis vom 17.07.2017 wurde festgehalten (Name des BF1 durch "BF1" ersetzt): "Im Rahmen der gemeinnützigen Beschäftigung der Marktgemeinde (...) hat (der BF1) bei diversen Aufgaben stets eine sehr hohe Arbeitsmoral bewiesen. Diese zeichnete sich durch Pünktlichkeit, Selbstständigkeit und Zuverlässigkeit aus. Von seinen Vorgesetztenmitarbeitern erhielten wir stets positive Rückmeldungen, da (der BF1) aufgrund seiner Eigenständigkeit und großer Motivation sehr geschätzt wird."

In einem für den BF1 und seine Familie seitens der Flüchtlingsbetreuung und "Koordination der freiwilligen Helfer/innen" abgegebenen Empfehlungsschreiben vom 17.07.2017 wurde festgehalten:

"Der BF war im Rahmen der Grundversorgung seit November 2015 bis März 2016 mit seiner Familie bei uns in (...) untergebracht. Von März 2016 bis März 2017 war die Familie in (...), seit April ist sie wieder in (...) zuhause. Wir, die freiwilligen Helfer und Helferinnen aus (...), sowie die hauptamtliche Flüchtlingsbetreuerin des Arbeitersamariterbundes haben den BF stets als zuvorkommenden, zuverlässigen und hilfsbereiten Menschen erlebt. Die Familie des BF gliedert sich ausgesprochen gut in das (...-) Ortsleben ein. Die Tochter hat bereits Freunde in der Volksschule gefunden und der Sohn besucht den Kindergarten. Für den BF und Frau (..) ist es außerordentlich wichtig im Schulalltag präsent zu sein. Wir würden uns freuen, wenn Herr und Frau (...) einen positiven Asylbescheid bekommen würden."

Die BF2 ist Mitglied beim Elternverein und hilft bei Schulfesten mit, kümmert sich um die gesunde Jause und kocht auch für die Schule. Sie möchte jedenfalls, sobald ihr jüngstes Kind in den Kindergarten geht, arbeiten gehen und für den Familienunterhalt sorgen, und eine Ausbildung zur Friseurin absolvieren. In ihrem Herkunftsstaat hat die BF2 auch als Friseurin gearbeitet. Des Weiteren möchte sie die Integrationsprüfung B1 absolvieren.

Die BF1 und BF2 sind im Bundesgebiet gut sozial integriert und haben viele österreichische Freunde. Sie fühlen sich bereits als Teil der österreichischen Gesellschaft und befürworten die westliche bzw. österreichische Lebensweise. Die BF2 geht mit ihrem Ehegatten zusammen einkaufen und kauft zusammen mit ihren Freundinnen Kleidung. Wenn sie sich mit ihren Freundinnen trifft, passt ihr Ehegatte - der BF1 - derweil auf ihre Kinder auf.

Die BF möchten ihre Kinder westlich orientiert erziehen und ihrer Tochter kein Kopftuch vorschreiben.

1.7. Die BF stehen derzeit in staatlicher Grundversorgung, möchten jedoch, wie der BF1 in mündlicher Verhandlung vor dem BVwG am 11.01.2019 betont, so bald wie möglich selbsterhaltungsfähig sein.

Er gab da wörtlich an: "Ich wäre sehr erleichtert, wenn ich endlich einer Arbeit nachgehen und eigenes Geld verdienen könnte. Es ist sehr unangenehm auf Kosten des Staates zu leben."

1.8. Die BF sind strafrechtlich unbescholten.

2. Zur Lage im Irak

2.1. Sicherheitslage Süden

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 2.11.2018

-Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 2.11.2018

-CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018

-Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak:

Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018

2.2.Sicherheitskräfte und Milizen

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).

Quelle:

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.3.Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.4.Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.:

popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 31.10.2018

-Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien -Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

-Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.5.Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018).

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-AAA - Asharq Al-Awsat (29.1.2018): Iraq Reopens 600 Main Streets, Lifts 281 Security Checkpoints in Baghdad, https://aawsat.com/english/home/article/1158316/iraq-reopens-600-main-streets-lifts-281-security-checkpoints-baghdad, Zugriff 5.10.2018

-AAA - Asharq Al-Awsat (8.8.2018): Removal of Roadblocks in Iraq's Capital Oils Traffic and Trade, https://aawsat.com/english/home/article/1356981/removal-roadblocks-iraqs-capital-oils-traffic-and-trade, Zugriff 5.10.2018

-Iraqi News (28.6.2018): 17 Islamic State militants killed as they set fake checkpoint to kidnap civilians, near Mosul, https://www.iraqinews.com/iraq-war/17-islamic-state-militants-killed-as-they-set-fake-checkpoints-to-kidnap-civilians-near-mosul/, Zugriff 5.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

2.6.Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 16.10.2018

-REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf, Zugriff 16.10.2018

2.7.Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018):

Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der vorgelegten fünf Verwaltungsakten des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des BVwG. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den unbestrittenen gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

2.2.2. Die Feststellung zur legalen Ausreise der BF1 - BF4 auf dem Luftweg konnten aufgrund er diesbezüglich glaubhaften Angabe im Zuge der Erstbefragung am 15.10.2015 getroffen werden.

2.2.3. Dass die BF (noch) nicht selbsterhaltungsfähig sind und Leistungen aus der Grundversorgung beziehen, ergibt sich aus dem Akteninhalt. Dass dies dem BF1 unangenehm ist und auch die BF2 so bald wie möglich arbeiten möchte, haben sie glaubhaft in mündlicher Verhandlung am 11.01.2019 vorgebracht. Die Feststellungen zur Integration der BF beruhen auf diesbezügliche dem gegenständlichen Akt einliegende Nachweise - "ÖSD Zertifikat A1" des BF1 vom 24.07.2017 (AS 101), Arbeitszeugnis des BF1 vom 17.07.2017 (AS 103), seitens der Flüchtlingsbetreuung und Koordination für die BF ausgestelltes Empfehlungsschreiben vom 17.07.2017 (AS 105), auf im Zuge der mündlichen Verhandlung nachgereichte Unterlagen wie "ÖSD Zertifikat A2" der BF2 vom 18.12.2018, Zeugnis des BF1 für die Integrationsprüfung B1 vom 19.09.2018, und auf dem in mündlicher Verhandlung glaubhaften Vorbringen der BF1 und BF2 zu ihrer bereits erfolgten Integration, ihrer weiteren Integrationswilligkeit und ihrer Beabsichtigung, ihre Kinder westlich orientiert zu erziehen und ihrer Tochter kein Kopftuch vorschreiben zu wollen. Dass die BF2 vorhat, sobald ihr jüngstes Kind in den Kindergarten kommt, arbeiten zu gehen und eine Ausbildung zur Friseurin zu absolvieren, hat sie in der mündlichen Verhandlung am 11.01.2019 vorgebracht, ebenso wie die Tatsache, auch in ihrem Herkunftsstaat als Friseurin gearbeitet zu haben.

2.2.4. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergab sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.3. Zum Fluchtvorbringen:

Der BF1 brachte als Fluchtgrund, worauf sich auch die BF2 und die unmündig minderjährigen BF3-BF5 stützen, vor, im Herkunftsstaat von schiitischen Milizangehörigen bedroht worden zu sein. Grund für seine Bedrohung ab 2013 sei laut seinen Angaben vor dem BFA seine Arbeit bei einer amerikanischen Firma ab 2010 bzw. 2011 und das Bestreben schiitischer Milizangehöriger, über den BF1 zu Informationen über seine Arbeitsstelle zu gelangen, gewesen. Zuletzt sei er Anfang 2015 oder vielleicht auch im März 2015 bedroht worden.

Es ist einerseits nicht nachvollziehbar, dass der BF1 wegen seiner Arbeit bei einer amerikanischen Firma ab 2010 bzw. 2011 ohne konkreten Anlassfall ab 2013 von schiitischen Milizangehörigen bedroht worden sein soll. Andererseits spricht die Tatsache, dass der BF1 nach seiner letzten Bedrohung Anfang 2015 bis zur Ausreise im Oktober 2015 nicht mehr bedroht worden sein soll, gegen eine zum Zeitpunkt seiner Ausreise bestandene Bedrohungsgefahr.

Der BF1 hat vor dem BFA zudem zunächst nur allgemein davon gesprochen, nach Ende seiner Stationierung beim Militär von "Parteien" bedroht worden zu sein. Mit "Parteien" meinte der BF1, wie er daraufhin weiter befragt danach angab, schiitische Milizen (AS 87). Dass der BF1 angab, "die Parteien haben versucht, mich ein paar Mal von zuhause mitzunehmen und sie wollten, dass ich für sie arbeite und Informationen über unsere Firma, in der ich gearbeitet habe, bekommen" (AS 77), spricht außerdem für einen bloßen "Rekrutierungsversuch" und nur einer versuchten und keiner tatsächlich erfolgten Mitnahme des BF1.

Der BF1 gab vor dem BFA im Zuge einer näheren Schilderung seiner Fluchtgründe an, nach seiner Stationierung an einem amerikanischen Militärstützpunkt von 2005 bis 2010 seine Arbeit bei einer amerikanischen Firma aufgenommen zu haben. Er sei als "Bodyguard, Wächter" tätig gewesen und habe "Ingenieure, welche aus verschiedenen Ländern kommen, wie Großbritannien, Frankreich", mit den Autos begleitet. (AS 79). Insgesamt sei der BF1 sechs- bis siebenmal von unbekannten Personen mitgenommen worden. Dabei seien ihm jedes Mal die Augen verbunden worden. Es sei ihm auch ein Handy übergeben worden, über welches der BF1 ein- bis zweimal monatlich von ihnen kontaktiert worden sei (AS 83). Informationen über die Firma des BF1, über den Zeitpunkt, wann die Arbeiter die Firma verlassen, darüber, welches Auto nicht geschützt gewesen sei, wie viele Mitarbeiter in der Firma gewesen seien und welche Waffen sich in den Autos befinden, und wohin sie fahren, seien gefragt gewesen (AS 81). Der BF sei wegen seiner Bedrohung auch bei der Polizei gewesen. Diese sei jedoch untätig geblieben (AS 87, 93).

Der BF1 habe zum Selbstschutz "schon Falschinformationen geliefert" und beispielsweise mitgeteilt, alle Autos seien geschützt, obwohl dies nicht der Fall gewesen sei (AS 83).

Bei einem tatsächlich geplanten Anschlag könnten jedoch auch Falschinformationen diesen nicht verhindern. Einen Anschlag auf die Firma hat es den Angaben des BF1 vor dem BFA zufolge jedoch nie gegeben, nur auf andere Firmen (AS 81).

In der Beschwerde ist der BF1 dem angefochtenen Bescheid, in welchem es nicht für nachvollziehbar gehalten wurde, dass sich schiitische Milizen über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mit falschen Informationen zufriedengegeben haben, insofern entgegengetreten, als er angab, er habe den Milizen nicht gänzlich, sondern nur teilweise falsche Informationen geliefert und sei ihm dies von den schiitischen Milizen offenbar nicht angelastet worden. Diesbezüglich ist auf die dazu widersprüchliche Antwort des BF1 vor dem BFA, erstmals befragt danach, ob der BF1 tatsächlich Informationen über die Firma weitergegeben habe, zu verweisen: "Nein, weil ich auch bei der Firma gearbeitet habe und diese wollten Anschläge gegen die Firma machen. (AS 81)".

Der BF1 gab vor dem BFA an, es sei ihm bei seiner Mitnahme gesagt worden, dass, sollte der BF1 ihnen keine Informationen liefern, sie anderes mit ihm vorhaben würden (AS 85).

Die Schilderung der gesamten angeblichen Bedrohungssituation ab 2013, nur der BF1 und ein weiterer aus Al-Basra stammender Mitarbeiter der Firma seien bedroht worden, die übrigen aus der Provinz stammende Mitarbeiter hingegen nicht, der BF1 sei oftmals mitgenommen und ihm sei auch ein Handy zur Erlangung von Informationen über die Firma gegeben (AS 83) und nur die irakischen Mitarbeiter in der Firma seien über das dem BF1 übergebene Handy informiert worden, die ausländischen Mitarbeiter hingegen nicht, um nicht den Eindruck zu erwecken, es würde gegen diese gearbeitet werden (AS 81), ist unglaubwürdig, ist doch die Tatsache, dass der BF1 eineinhalb Jahre lang regelmäßig ein- bis zweimal monatlich über sein Handy auch Falschinformationen über die Firma gegeben haben und dennoch nach jeder Mitnahme wieder freigelassen worden sein soll, nicht nachvollziehbar.

Der BF1 gab vor dem BFA zudem an: "Immer wenn sie mich brauchten, nahmen sie mich mit oder ich hatte Kontakt mit ihnen. Sie haben mir ein Handy mitgegeben und mit diesem hatte ich Kontakt mit denen."

Die vom BF1 "gebrauchten" Informationen über seine Firma bzw. darüber, wann genau die Arbeiter die Firma verlassen, welches Auto nicht geschützt ist und wohin diese fahren, könnten zudem nur, wenn sich der BF1 in der Firma vor Ort befindet, weitergegeben werden und nicht nach einer Mitnahme an einem ca. 30-40 Minuten-Autofahrt von seiner Firma entfernten Ort. Bei einer regelmäßigen nur ein- bis zweimaligen monatlichen Kontaktaufnahme mit dem BF1 könnten zudem nur wenige und jedenfalls keine zeitnahen genauen Informationen über den Arbeitsablauf in der Firma erlangt werden. Dass der BF1 ca. eineinhalb Jahre lang ein Handy zwecks Informationsweitergabe gehabt haben und es während dieser Zeit nie zu einem Anschlag auf die Firma oder einer ebenso angeblich von den Leuten geplanten Entführung von ausländischen Mitarbeitern gekommen sein soll, ist ebenfalls ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens.

Der BF1 betonte vor dem BFA, jedes Mal in ein Büro mitgenommen worden sei, und Büros seien bei ihnen bekannt dafür, dass sie einer der vom BF1 näher angeführten drei schiitischen Milizen angehören. Die Leute seien wie Polizisten gekleidet gewesen. Sie "haben so eine gemischte Uniform angehabt und waren bewaffnet".

Dass das besagte Büro einer vom BF1 vor dem BFA näher angeführten drei schiitischen Milizen angehöre, hat der BF1 jedoch nur "vermutet". Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Personen tatsächlich schiitische Milizangehörige gewesen seien, konnte er nicht anführen. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass der BF1, wie er vor dem BFA befragt danach angab, "ca. eine Stunde oder weniger als eine Stunde" in diesem Büro gewesen sein soll, bevor der BF1 abschließend zugesichert habe, ihnen Informationen zukommen zu lassen. Nach dieser ersten Mitnahme habe es den Angaben des BF1 zufolge weitere Mitnahmen gegeben, sechs bis sieben, zuletzt "ungefähr im März 2015" (AS 87).

Die BF2 hat dem Vorbringen des BF1 vor dem BFA, insgesamt sechs- bis siebenmal mitgenommen worden zu sein, im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA zudem insofern widersprochen, als sie angab, es sei insgesamt sieben- bis achtmal zu einer Mitnahme gekommen (AS 51).

Während der BF1 befragt danach, wie lange er stets im Büro gewesen sei, vor dem BFA "ca. eine Stunde oder weniger als eine Stunde" angab (AS 85), gab die BF2 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, befragt danach, für wie lange Zeit der BF1 mitgenommen worden sei, an, der BF1 sei ca. einen halben Tag lang weggewesen (AS 53).

Dass der BF1 vor seiner Angabe vor dem BFA, ungefähr im März 2015 bedroht worden zu sein, von einer letzten Bedrohung Anfang 2015 sprach und dieser Angabe hinzufügte, seine letzte Bedrohung zeitlich nicht genau einordnen zu können, "vielleicht war es März" (AS 81, 83), ist ebenso ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit, ist doch bei einer fluchtauslösenden Bedrohung eine möglichst zeitnahe Einordnung des Vorfalls zu erwarten. Nach Angabe einer letzten Bedrohung des BF1 und seiner Familie "ungefähr im März 2015", führte der BF1 fort:

"Nachdem ich sechs oder sieben Mal mitgenommen wurde und keine richtigen Informationen hergab, haben sie mir auch eine Geldsumme angeboten. Aber als die Drohungen auch auf meine Familie kam, habe ich versucht an verschiedene Ort zu leben. (...) Jedes Mal, wo ich meine Wohnung wechselte, haben sie es geschafft dorthin zu kommen."

Die gesamte Schilderung des BF1 spricht dafür, dass es höchstens ein Interesse von anderen Leuten an der Firma, in welcher der BF1 bis zu seiner Ausreise gearbeitet habe, nicht jedoch ein konkretes Interesse an der Person des BF1 oder des angeblich weiteren Informanten der Firma, der zum Zeitpunkt der Ausreise des BF1 noch in der Firma gearbeitet haben soll, gegeben habe, wäre der BF1 oder sein Arbeitskollege ansonsten nicht jedes Mal nach ihrer Mitnahme wieder freigelassen und auch nachdem die Leute angeblich von Falschinformationen erfahren haben und sie vom BF1 gegen Geld wahre Informationen erlangen wollten, in Ruhe gelassen worden.

Dass nach Ausreise der BF den Angaben des BF1 zufolge Anfang Oktober 2015 sein Haus und Auto abgebrannt ist (AS 91), war glaubhaft, nicht jedoch, dass sich dieser Vorfall konkret gegen die Person des BF1 gerichtet hat, sprach der BF1 vor dem BFA doch selbst davon, nicht zu wissen, ob auch Nachbarhäuser beschädigt worden seien.

Eine konkrete Bedrohung des BF1 bzw. seiner Familie im Irak war daher nicht ersichtlich, auch deswegen, weil es nach der angeblich letzten Mitnahme im März 2015 bis zur Ausreise der BF Anfang Oktober 2015 keine weitere Bedrohung gegeben haben soll und die BF auf dem Luftweg legal aus dem Irak mit Reisepässen ausreisen konnten. Auch im Zuge seiner Erstbefragung am 15.10.2015 betonte der BF1, (vor zwei Wochen) gemeinsam mit seiner Familie legal von seinem Heimatort nach Istanbul in die Türkei geflogen zu sein. Die legale Ausreise der BF spricht eindeutig dagegen, dass der BF1 in das Visier von schiitischen Milizangehörigen gelangt ist. Davon, dass der BF1, wie er in der Beschwerde anführt, aufgrund seiner Tätigkeit bei den amerikanischen Gruppen als Verräter angesehen und von schiitischen Milizangehörigen verfolgt werden könnte, kann somit nicht ausgegangen werden.

Mit dem allgemeingehaltenen Beschwerdevorbringen, es gebe die Angst, dass von US-Truppen geführte Listen mit Beschäftigten in die Hände von bewaffneten Gruppen gelangen könnten, konnte der BF1 jedenfalls keine konkrete Bedrohung glaubhaft machen.

Soweit der BF1 vor dem BFA angab, sich im August 2015 zur Ausreise entschlossen zu haben, ist erkennbar, dass der BF1, der ausdrücklich davon sprach, seit seiner letzten Bedrohung - spätestens im März 2015 - nicht mehr konkret bedroht worden zu sein, den Ausreiseentschluss ohne konkreter Bedrohungssituation - jedenfalls fünf Monate nach seiner angeblich letzten Bedrohung - gefasst zu haben. Aus seinem Vorbringen vor dem BFA, am 15. oder 16.09.2015 die Reisepässe bekommen zu haben, und seinen Angaben in der Erstbefragung am 15.10.2015, vor zwei Wochen legal auf dem Luftweg aus dem Irak ausgereist zu sein, geht vielmehr eine in Ruhe und ohne Furcht geplante Ausreise hervor. Vor dem BFA gab der BF1 zudem befragt danach an, bei seiner legalen Ausreise keine Probleme gehabt zu haben (AS 95).

Das Vorbringen des BF1 vor dem BFA, über die Nachrichten und die Überseereise von zahlreichen Syrern von seiner Chance auf Asyl erfahren zu haben und dann im August 2015 "die Idee zur Ausreise" gehabt zu haben, spricht für eine beabsichtigte Ausreise aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitssituation an ihrem Heimatort und jedenfalls gegen eine tatsächliche die BF betroffene Bedrohungssituation, wie die Tatsache, dass der BF1 während seiner Ausreise stets, wie er vor dem BFA betonte, Unterlagen zu seiner Militärausbildung von 2005, Fotos mit Amerikanern und Arbeitskursbestätigungen und fünf Militärausweise von 2005 bis 2010 bei sich gehabt habe.

In Gesamtbetrachtung konnte das Fluchtvorbringen des BF1 jedenfalls nicht als glaubwürdig gewertet werden.

2.4. Zur Lage im Irak

Die dieser Entscheidung zugrunde gelegten aktuellen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuell gültigen am 20.11.2018 gesamtaktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit unbedenklichen Quellen staatlicher und nichtstaatlicher Natur.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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