TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/4 G302 1236177-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G302 1236177-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Manfred ENZI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch RA XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX, vom 22.01.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX (im Folgenden: belangte Behörde), vom 22.01.2018, Zl. XXXX, wurde der Antrag des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak (im Folgenden: BF), vom 11.01.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 2 FPG wurde ihm eine Karte für Geduldete ausgestellt (Spruchpunkt II.).

Gegen diesen Bescheid erhob der bevollmächtigte Rechtsvertreter des BF fristgerecht Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) von der belangten Behörde am 04.04.2018 vorgelegt und der Gerichtsabteilung G302 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2001 gemeinsam mit seinen Eltern in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seitdem durchgehend in Österreich auf. Mit Bescheid vom 17.07.2007 des damaligen Bundesasylamtes wurde dem BF als Familienangehöriger seiner Eltern der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 23.01.2013 wurde der BF wegen schweren Raubes gemäß § 12 3. Fall StGB, §§ 142 Abs. 1 und 143 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten rechtskräftig verurteilt. Der BF war schuldig am 25.02.2012 bei einem Raubüberfall auf eine Trafik durch Wahl des Tatobjektes, Zurverfügungstellung einer Gaspistole und als Fahrer sowie am 31.05.2012 bei einem Raubüberfall auf eine Bankfiliale durch Zurverfügungstellung einer Gaspistole, Bereitstellen des Fluchtfahrzeuges und als Fahrer zu den Straftaten beigetragen zu haben. Am 31.05.2014 wurde der BF unter Anordnung der Bewährungshilfe für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen. Am 15.06.2016 wurde die Bewährungshilfe durch Beschluss des Landesgerichts Wels aufgrund Wegfall der Notwendigkeit aufgehoben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2014 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und ausgesprochen, dass eine Abschiebung in den Irak aufgrund der allgemeinen Lage im Irak unzulässig sei. Ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 wurde nicht erteilt. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten am 20.09.2014 in Rechtskraft. In weiterer Folge wurde dem BF eine Duldungskarte ausgestellt.

Am 14.10.2015 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 15.01.2016 aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des BF abgewiesen wurde. Dieser Bescheid erwuchs am 25.02.2016 in Rechtskraft.

Am 11.01.2017 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005, welcher mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.01.2018 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde dem BF eine Karte für Geduldete ausgestellt.

Der BF wurde im Irak geboren. Im Herkunftsstaat des BF leben noch Onkel und Tanten, zu welchen der BF jedoch keinen Kontakt hat.

Der ledige und volljährige BF lebt laut eigenen Angaben mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt, behördlich gemeldet ist er jedoch an einer anderen Adresse. Im Bundesgebiet leben außerdem seine zwei Brüder.

Der BF hat seit 2014 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen, mit der er aber nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Der BF hat sehr gute Deutschkenntnisse und verfügt über einen Freundes- und Bekanntenkreis. Der BF ist Mitglied in einem Fußballverein. Im Zuge der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 engagierte sich der BF ehrenamtlich beim Roten Kreuz.

Der BF schloss die Polytechnische Schule im Jahr 2009 positiv ab und bestand im Jahr 2013 die Lehrabschlussprüfung zum Denkmal-, Fassaden und Gebäudereiniger mit Auszeichnung. Der BF ist seit 20.02.2018 in einem Gastgewerbebetrieb, wo er seit Juni 2017 geringfügig beschäftigt war, in Vollzeit tätig und verdient monatlich EUR 1.500,- brutto. Der BF verfügt außerdem über einen Arbeitsvorvertrag vom 25.08.2017 bei einer Gebäudereinigungsfirma für eine Vollzeitbeschäftigung bedingt für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels. Als subsidiär Schutzberechtigter war der BF bereits wiederholt für kurze Zeiträume als Gebäudereiniger tätig. Zwischen 2011 und 2018 bezog der BF außerdem immer wieder Notstandshilfe und wurde auch von seinen Eltern finanziell unterstützt.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung und zur Erwerbstätigkeit ergeben sich aus aktuellen Auszügen aus dem Strafregister bzw. durch Auskunft der Sozialversicherungsträger.

Der Wohnort des BF befindet sich laut Auskunft aus dem ZMR zwar nicht bei der Adresse seiner Eltern, doch ist hinsichtlich der Angaben des BF und dem Schreiben seiner Eltern von einem gemeinsamen Wohnsitz auszugehen.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des BF ergeben sich im Sinne der Beschwerde einerseits aus dem positiven Schulabschluss des BF sowie den Umstand, dass die niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde ohne Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt werden konnte.

Insgesamt ergeben die vorliegenden Tatsachen und Beweise sowie mangelnde gegenteilige Beweise ein Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das bisherige Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Beschwerde als hinreichend, um den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Aus den angeführten Gründen konnte der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Akteninhalt dem gegenständlichen Erkenntnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Spruchpunkt A):

3.1.1. Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 16 Abs. 5 BFA-VG begründet eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Art. 8 EMRK lautet wie folgt:

"Art. 8 EMRK (1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120 mit Hinweis auf 26.02.2015, Ra 2015/22/0025 und 19.11.2014, 2013/22/0270).

Die "Zehn-Jahres-Grenze" in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes spielt jedoch nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Hierbei kommt es ebenso auf den Zeitpunkt und die Art des jeweiligen Fehlverhaltens sowie das seither erfolgte Wohlverhalten an (vgl. VwGH 03.09.2015, Zl. 2015/21/0121; aber auch VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001).

Ein Privat- und Familienleben, das während befristet erteilter Aufenthaltstitel begründet wird, erweist sich durchaus als schützenswert; die daraus resultierende Verfestigung ist auch nicht als relativiert anzusehen, wie dies etwa während eines unrechtmäßigen Aufenthalts oder einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 der Fall wäre (VwGH 08.11.2018, Ra 2018/22/0203).

3.1.2. Für den gegenständlichen Fall ergibt sich Folgendes:

Der BF reiste als 7-Jähriger gemeinsam mit seinen Eltern ins Bundesgebiet ein und befindet sich seit nunmehr 17 Jahren im Bundesgebiet. Entgegen seiner behördlichen Meldung lebt der BF laut eigenen Angaben bei seinen Eltern und ist von einem bestehenden Familienleben, allerdings ohne besonderer Abhängigkeitsmomente aufgrund der Volljährigkeit und Erwerbstätigkeit des BF, auszugehen.

Die vorgebrachte Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen findet zwar hinsichtlich des Privatlebens des BF Berücksichtigung, erfüllt jedoch mangels des gemeinsamen Haushalts nicht die Intensität im Sinne der oz. Rechtsprechung, um als Familienleben gewertet zu werden.

Zugunsten des BF ist insbesondere seine absolvierte Schul- und Berufsausbildung sowie seine derzeitige Erwerbstätigkeit zu werten. Relativiert wird die Selbsterhaltungsfähigkeit des BF allerdings dadurch, als er in Vergangenheit immer nur kurzfristig in Beschäftigung stand und auch immer wieder Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nahm. Eine nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt kann dem BF somit noch nicht zugesprochen werden. Ebenso positiv sind die Deutschkenntnisse des BF zu werten, wobei bei einem 17-jährigen Aufenthalt, insbesondere während der Jugendzeit, von einem gewissen Grad an Deutschkenntnissen ausgegangen werden kann.

Auch in seiner Freizeit setzte der BF bestimmte Integrationsschritte, als er sich in diversen Fußballvereinen und im Rahmen der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 beim Roten Kreuz engagierte und über einen Freundes- und Bekanntenkreis verfügt.

Die während der Dauer seines aufrechten Schutzstatus gesetzten Integrationsschritte erweisen sich somit grundsätzlich als schützenswert.

Gegen den Verbleib des BF in Österreich spricht jedoch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten, aufgrund dessen der BF zu einer Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren rechtskräftig verurteilt wurde.

Der BF beging mit vier anderen Tätern zwei schwere und somit qualifizierte Raubüberfälle als Beitragstäter, indem er bei Raubüberfällen auf eine Trafik und eine Bankfiliale die Gaspistole und andere Tatutensilien zur Verfügung stellte, das Tatobjekt (Trafik) aussuchte, die Tat hinsichtlich der Trafik plante und in beiden Fällen während der Tatausführungen als Fahrer fungierte.

Dieses Delikt stellt ohne Zweifel ein die öffentliche Sicherheit auf dem Gebiet des Fremdenwesens besonders schwer gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten dar (vgl. VwGH 23.03.1992, 92/18/0044; 22.02.2011, 2010/18/0417). Dabei fällt nicht nur ins Auge, dass der BF durch dessen Handlung die Rechtsgüter Eigentum und Vermögen beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen hat, sondern durch seine Beitragstäterschaft auch nicht vor Gewalt gegen Personen sowie der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Gaspistole zurückgeschreckt ist. Hinzu kommt, dass die vom BF gezeigte Bereitschaft zur Erlangung einer unrechtmäßigen Bereicherung, geplant in der Gruppe vorzugehen und sich dafür über menschliche Hindernisse mit Gewalt und Drohung hinwegzusetzen, auf eine hohe kriminelle Energie sowie eine beachtliche Herabsetzung der inneren Hemmschwelle hinweist.

Auch sein bestehendes Privat- und sein Familienleben waren für den BF kein Grund, von diesen strafbaren Handlungen Abstand zu nehmen. Dem BF hätte bereits im Vorfeld klar sein müssen, dass er im Falle der geschilderten Deliktsbegehung sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet, und damit einhergehend auch seine Möglichkeit der Fortführung seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet, verspielen könnte. Dies hielt ihn jedoch von der Begehung der ihm angelasteten Straftaten nicht ab. Durch die effektive Verbüßung einer 1,5-jährigen Strafhaft hatte sein Privat- und Familienleben auch eine tatsächliche Einschränkung hinzunehmen.

Auch unter Berücksichtigung, dass der BF die Tat im Alter von 19 Jahren beging und seither keine neuen strafgerichtlichen Verurteilungen aufscheinen, sprechen die Schwere der Tat und das massive Gefährdungspotential des BF im Sinne der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde, insbesondere vor dem Hintergrund der Straffälligkeit des BF, sohin zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse das persönliche Interesse des BF überwiegt und daher durch die Abweisung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt.

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass die Ausstellung der Karte für Geduldete nicht explizit angefochten wurde, sondern Beschwerde in dem Umfang erhoben wurde, als dem BF kein Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8 EMRK erteilt wurde. Weitere Ausführungen zur Duldung waren somit nicht erforderlich.

Eine Rückkehrentscheidung wurde von der belangten Behörde nicht erlassen.

Die Beschwerde war somit spruchgemäß abzuweisen.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall wurde der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet (siehe VwGH 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9).

Es konnte daher gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltstitel, Interessenabwägung, öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G302.1236177.2.00

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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