TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/6 W278 2211979-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2019
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Entscheidungsdatum

06.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

Spruch

W278 2211979-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige Chinas, vertreten durch RA Kanzlei Dr. Blum, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2018, Zahl: 116420701-160873764, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2019 zu Recht:

A) I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge BF), eine weibliche Staatsbürgerin der Volksrepublik China, reiste am 18.06.2016 legal mit gültigem Reisepass XXXX , ausgestellt am 23.12.2015 von der Volksrepublik China und gültigem Schengen Visum Nr. XXXX , ausgestellt am 05.06.2016 in das Bundesgebiet ein. Sie brachte am 22.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge Bundesamt) ein.

1.2. Die BF wurde am 22.06.2016 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Chinesisch zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz erstbefragt. Dabei gab sie im Wesentlichen zum Fluchtgrund an, sie habe in China regelmäßig an religiösen Treffen teilgenommen. Eines Tages sei eine Anhängerin und Freundin der BF grundlos verschwunden. Der Vater dieser Freundin habe daraufhin die Polizei verständigt. Um eine eventuelle Festnahme ihrer Person zu entgehen, habe sie den Entschluss gefasst China zu verlassen, da diese Art von Religion verboten sei.

1.3. Am 02.03.2018 wurde die BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Zum Fluchtgrund gab die sie dabei im Wesentlichen an, dass ihre Mutter, Schwester und sie Mitglieder der Gemeinschaft "Quannengshen- Kirche des allmächtigen Gottes" seien. Während ihrer Zeit als Studentin habe sie an Treffen dieser Religionsgemeinschaft teilgenommen. Zu Jahresbeginn 2016 habe eine Freundin der BF, die ebenfalls der Glaubensgemeinschaft angehöre, aus Angst vor polizeilicher Verfolgung, die Uni verlassen und sei untergetaucht. Der Vater dieser Freundin habe gewusst, dass auch die BF der Glaubensgemeinschaft angehöre und habe sie, nachdem sie ihm keine Auskunft über den Verbleib seiner Tochter geben konnte, bei der Polizei verraten. Nachdem die Polizei auf der Universität nach der BF gesucht habe, sei sie zu ihrer Tante gefahren. Nachdem die BF erfahren habe, dass die Polizei nach ihr bei ihrem Vater und auch auf der Universität gesucht habe, fasste sie den Entschluss zur Ausreise. Auch sei die BF bereits vor diesem Ereignis dreimalig von der Polizei zum Verbleib ihrer Mutter befragt worden, die schon 2015 nach einer einwöchigen Polizeihaft untergetaucht sei. Aus diesem Grund habe sie auch Probleme auf der Universität sowie zusätzlich Angst bekommen und den Entschluss zur Ausreise gefasst.

1.4. Mit dem gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2018, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach China zulässig ist (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die BF habe in unglaubwürdiger Weise eine Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit der Glaubensgemeinschaft "Eastern Lightning" behauptet. Beweiswürdigend wurde hierzu zusammengefasst ausgeführt, dass die Glaubwürdigkeit der BF, aufgrund sich widersprechender Angaben zum Fluchtgrund, nicht gegeben sei. Die in der Erstbefragung gegenüber den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemachten Vorbringen zu den Fluchtgründen seien zu den im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gemachten Angaben differierend. Die Glaubwürdigkeit der BF sei zusätzlich durch den Umstand geschmälert worden, dass sie große Wissenslücken zu der Glaubensgemeinschaft habe und auch den Zeitpunkt der Annahme des Glaubens widersprüchlich angegeben habe. Erst gegen Ende der Befragung vor dem Bundesamt habe die BF die Verhaftung der Mutter vorgebracht und dass sie diesbezüglich dreimalig von der Polizei aufgesucht und befragt worden sei, was vom Bundesamt als Steigerung des Fluchtvorbringens gewürdigt wurde. Ebenso habe die BF in keiner Weise die Verfolgung ihrer Schwester vorgebracht, obwohl diese ebenfalls dieser Glaubensgemeinschaft angehört habe. Die belangte Behörde schlussfolgerte, dass die BF sich zwar mit dieser Glaubensrichtung auseinandergesetzt habe jedoch keine tatsächliche Bedrohung bezüglich dieses Vorbringens gegen die BF festgestellt werden könne. Auch die tatsächliche Zugehörigkeit sei aufgrund der widersprüchlichen Angaben der BF nicht glaubhaft. Es handle sich vielmehr um ein schlecht durchdachtes Rahmenkonstrukt

Zur Rückkehrentscheidung wurde zusammengefasst festgestellt, dass die BF keine aktuell drohende Verfolgung zu erwarten habe und in der VR China keiner Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Als gesunde junge Frau sei davon auszugehen, dass sie auch nach der Rückkehr in ihr Heimatland ihren Lebensunterhalt sichern könne. Des Weiteren führte das Bundesamt zusammengefasst aus, dass die BF über Familie in China verfüge, die sie bereits vor ihrer Ausreise unterstützt habe und davon auszugehen sei, dass sie die BF auch im Falle ihrer Rückkehr unterstützen werden.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob die BF am 17.12.2018 fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzungen von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts. Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die von der belangten Behörde festgestellten Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme vor dem Bundesamt damit aufzuklären seien, dass die BF aus einem Überwachungsstaat komme und daher aus Furcht vor der Polizei ihren Fluchtgrund in der Erstbefragung nicht näher ausgeführt habe. Das im Bescheid ausgeführte mangelnde Wissen der BF über die Religionsgemeinschaft basiere auf einem falschen Verständnis der Glaubensrichtung. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung nach China sei, aufgrund des Umstandes, dass die Behörden Chinas wiederholt versucht habe die Kirche des allmächtigen Gottes auszulöschen und generell deren Mitglieder bestraft werden, nicht rechtmäßig erfolgt. Dies entspreche auch der im Bescheid zitierten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation. Ebenso habe es die belangte Behörde unterlassen die Beteiligung der BF für die christliche Glaubensbewegung in Österreich in die Entscheidung miteinzubeziehen. Auch wurde in der Beschwerde moniert, dass die von der BF gesetzten Schritte zu ihrer Integration nicht ausreichend gewürdigt wurde. Mit Beschwerdevorlage wurden mehrere Unterstützungsschreiben, das Prüfungszeugnis ÖIF Tests A2, die Kopie des Freiwilligenpasses der BF, eine Kursbestätigung für den Sprachkurs B1, diverse Bestätigungen über Freiwilligentätigkeiten der BF, ein Zeitungsartikel mit einem Bildbericht der die BF zeigt, 3 Fotos vom Aktionstag " XXXX " am 10.12.2018, sowie eine schriftliche Stellungnahme der BF in das Verfahren eingebracht. In dieser schriftlichen Stellungnahme führte die BF im Wesentlichen den bisher geschilderten Fluchtgrund in chronologischer Reihenfolge aus und erläuterte die Situation der Glaubensgemeinschaft von Internet Quellen.

Das Bundesamt legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt am 21.12.2018 dem Bundesverwaltungsgericht (in weiterer Folge BVwG) vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

1.6 Für 20.02.2019 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung anberaumt. Am 19.02.2019 brachte die BF eine persönliche Stellungnahme zu den Länderinformationen, eine Bestätigung des Vereins "Kirche des allmächtigen Gottes" aus Deutschland, mehrere Artikel über die Verfolgung der Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft aus diversen Zeitschriften, ein weiteres Unterstützungsschreiben, sowie Screenshots einer Whats App Kommunikation in das Verfahren ein.

1.7 Das BVwG führte am 20.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsches für die Sprache Chinesisch durch, zu der die BF persönlich, ihr Rechtanwalt sowie ein Vertreter des Bundesamtes erschienen. Dabei gab die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen folgendes an:

Die BF habe bis 2012 in ihrer Heimatstadt XXXX , von 2012 bis 2016 auf der Universität in XXXX und vor ihrer Ausreise im Juni 2016 bei ihrer Tante in XXXX gewohnt. Die BF habe die Mittelschule abgeschlossen und fast 4 Jahre Medizin studiert. In China leben ihr Vater, ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder, sowie weitere Verwandte, wobei Mutter und Schwester untergetaucht seien. Aus Angst vor Telefonüberwachungen bestehe auch kein Kontakt zu den übrigen Familienmitgliedern.

Zu ihrer Integration in Österreich führte die BF aus, dass sie einen Sprachkurs besucht habe, derzeit für die B1 Prüfung lerne, regelmäßig in den Gottesdienst der Gemeinde gehe und freiwillig arbeite. Auch habe sie sich für einen Ausbildungskurs für Pflegepersonal angemeldet. Seit August 2016 sei die BF auch Mitglied des Vereins "Kirche des Allmächtigen Gottes" in Deutschland und nehme regelmäßig an Internet Gottesdiensten teil.

Zu ihren Fluchtgründen führte die BF aus, dass sie im Juli 2013 der Glaubensgemeinschaft "Kirche des allmächtigen Gottes" beigetreten sei. Auch ihre Mutter und Schwester seien Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft. Ihre Mutter sei aufgrund dieser Mitgliedschaft für eine Woche von der Polizei inhaftiert und misshandelt worden. Dreimal wurde die BF von der Polizei zum Verbleib der Mutter befragt. Nachdem eine Freundin der BF, ebenfalls Mitglied der Glaubensgemeinschaft, aus Furcht vor Verfolgung durch die Polizei untergetaucht sei, verriet der Vater dieser Freundin die BF bei der Polizei. Die Polizei suchte im Anschluss nach der BF auf der Universität und bei ihrem Vater. Die BF hielt sich während dieser Zeit bei ihrer Tante auf und konnte ihre Flucht organisieren, indem sie über ein Vermittlungsbüro ein Visum beantragte und einen Direktflug nach Österreich gebucht habe.

2. Feststellungen:

Beweis wurde erhoben durch:

Einsichtnahme in die Erstbefragung vom 22.06.2016, die Einvernahme vor dem Bundesamt vom 02.03.2018, den gegenständlichen Bescheid vom 22.11.2018, die Beschwerde vom 17.12.2018.

Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlich mündlichen Verhandlung am 20.02.2019.

Einsichtnahme in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu China (Stand 14.11.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 05.02.2018).

Einsichtnahme in die ACCORD Beantwortung vom 25.10.2017, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 05.06.2018 sowie vom 24.11.2016.

Einsichtnahme in mehrere von der BF vorgelegte Unterstützungsschreiben, das Prüfungszeugnis ÖIF Tests A2, die Kopie des Freiwilligenpasses der BF, eine Kursbestätigung für den Sprachkurs B1, diverse Bestätigungen über Freiwilligentätigkeiten der BF, sowie in einen Zeitungsartikel mit Bildbericht der die BF zeigt, sowie in 3 Fotos vom Aktionstag " XXXX " am 10.12.2018 und in eine mit der Beschwerde eingebrachte schriftliche Stellungnahme der BF.

Einsichtnahme in eine weitere am 19.02.2019 eingebrachte Stellungnahme der BF zu den Länderinformationen und zur ACCORD Anfrage sowie in diverse eingebrachte Artikel des Magazins " XXXX " und in den Jahresbericht der "Kirche des allmächtigen Gottes"

Einsichtnahme in Screenshots in eine Whats App Kommunikation mit

XXXX.

Einsichtnahme in eine Bestätigung des Vereins Kirche des allmächtigen Gottes aus Deutschland vom 08.02.2019

Einsichtnahme in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS, IZR und ZMR.

Demnach steht folgender Sachverhalt fest:

2.1. Die BF führt den im Spruch genannten Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an, spricht Chinesisch als Muttersprache und Deutsch auf Niveau A2. Die BF lebte bis zu ihrer Ausreise durchgehend in China und hat dort ihre überwiegende Sozialisierung erhalten. Die BF besuchte 5 Jahre die Grundschule, 6 Jahre die Mittelschule, die sie auch abschloss und studierte im Anschluss fast 4 Jahre Medizin. Sämtliche Familienangehörigen der BF leben in China.

2.2. Die BF ist gesund, ledig, kinderlos und lebt nicht in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft.

2.3. Die BF reiste am 18.06.2016 legal mit gültigem chinesischem Reisepass und gültigem Visum in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie hat im Bundesgebiet keine Familienmitglieder oder Verwandte. Die BF verfügt über soziale Kontakte in Österreich, mit denen sie jedoch nicht besonders eng verbunden ist oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Sie ist nicht Mitglied in einem Verein in Österreich, besucht regelmäßig den Gottesdienst in ihrer Wohngemeinde. Die BF wurde für einen zwei semestrigen Vorbereitungslehrgang der Schule für Sozialbetreuungsberufe aufgenommen. Eine ausgeprägte und verfestigte Integration der BF in Österreich kann insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer von unter drei Jahren nicht festgestellt werden. Die beschwerdeführende Partei hat familiäre Anknüpfungspunkte in China.

2.4. Die BF ist strafgerichtlich unbescholten.

2.5. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF aufgrund einer bestimmten Religionszugehörigkeit einer staatlichen Verfolgung im Herkunftsland China ausgesetzt war. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sie eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung in China aufgrund ihrer behaupteten Religionszugehörigkeit im Falle ihrer Rückkehr zu befürchten hätte.

2.6. Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach China Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

2.7 Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen konnte nicht festgestellt werden.

2.8. Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat

Aufgrund der in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt in das Verfahren eingeführten und mit der beschwerdeführenden Partei erläuterten Erkenntnisquellen werden folgende Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu China, gekürzt und bereinigt):

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation China Volksrepublik

Stand Februar 2018

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Tibet

China regiert Tibet über die Administration der "Autonomen Region Tibet" (TAR) und 12 autonome Präfekturen bzw. Landkreise in den angrenzenden Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan (FH 1.2017b).

Spannungen in tibetischen Gebieten dauerten zwischen ethnischen und religiösen Gruppierungen - insbesondere zwischen Han-Chinesen und Tibetern - ebenso weiter an, wie Auseinandersetzungen zwischen Tibetern und Hui-Muslimen (USDOS 15.8.2017). Die Regierung geht gegen vermeintlich separatistische Kräfte in Tibet mit besonderer Härte vor (AA 15.12.2016).

Xinjiang

Widerstand gegen die Zentralregierung und die lokale Regierungspolitik wurde 2016 in friedlichen Protesten, aber auch durch Einsatz von Sprengsätzen und andere gewalttätigen Angriffe ausgedrückt. Die chinesische Regierung behauptet, in der Region terroristischen Kräften gegenüber zu stehen und führt Counterterror-Operationen durch (HRW 12.1.2017). Im Namen der Terrorismusbekämpfung kam es zu Belästigungen durch Beamte, zu willkürlichen Festnahmen und zu beschleunigten Gerichtsverfahren gegenüber Personengruppen, welche friedlich ihrem Recht auf Meinungsäußerung nachkamen (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Details über Proteste, Gewalt und Terrorismus sind jedoch aufgrund der wenigen unabhängigen Informationsquellen rar. Dies gilt auch für Informationen über die Terrorismusbekämpfung (HRW 12.1.2017).

In der Autonomen Region Xinjiang (XUAR) verfolgt die chinesische Zentralregierung einen zweigleisigen Ansatz: zum einen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Gefährdungs-Triade (religiöser) Extremismus, (ethnischer) Separatismus und (internationaler) Terrorismus, zum anderen Wirtschaftsförderung und Erhöhung des Lebensstandards der Menschen mit dem Ziel der Gewährleistung sozialer Stabilität bzw. Eindämmung von Unruhepotential (AA 15.12.2016). 2013 erfolgte eine Eskalation der Gewalt, bei der ca. 200 Menschen ums Leben kamen. Die Gewaltspirale wird dabei zunehmend auch in andere Regionen Chinas getragen. 2013/2014 kam es zu drei, offenbar von Uiguren verübten Anschlägen, die sich gegen Unbeteiligte richteten (AA 15.10.2014). Die Gewalt in Xinjiang hat sich auch 2015 auf beunruhigend hohem Niveau fortgesetzt. Der letzte (bekannt gewordene) blutige Anschlag großen Ausmaßes ereignete sich im September 2015, als im Bezirk Aksu über 50 Han-chinesische Minenarbeiter nachts in ihrem Schlafsaal ermordet wurden. Darauf antworteten die chinesischen Sicherheitskräfte einige Wochen später mit der Erschießung von 18 uigurischen Tatverdächtigen, darunter auch Frauen und Kinder. Diese harte Reaktion der Sicherheitsbehörden ist Teil der im Mai 2014 gestarteten "strike hard" Kampagne in Xinjiang, über die Schnellverfahren und Massenurteile institutionalisiert wurden. 2015 hat sich nach chinesischen Angaben die Zahl der Verurteilungen wegen Terrorismus und Separatismus auf über 1.400 verdoppelt. Der allergrößte Teil dieser Urteile steht aller Voraussicht nach in Zusammenhang mit Xinjiang, wo im August 2016 das erste provinzeigene Antiterrorgesetz verabschiedet wurde. Seit Beginn des Jahres scheint diese Härte Wirkung zu zeigen. Die Regierung stuft die Lage mittlerweile als "relativ stabil" ein, woraufhin Berichten zufolge auch einige Bewegungsbeschränkungen gelockert worden sein sollen (AA 15.12.2016).

Ethnische Diskriminierung, religiöse Repressionen und Erhöhung der kulturellen Unterdrückung durch die Regierung im Namen des "Kampfes gegen Separatismus, religiösen Extremismus und Terrorismus" führen weiterhin zu steigenden Spannungen in Xinjiang (HRW 12.1.2017).

China macht seit Jahren im Exil lebende uigurische Separatisten für eine Reihe von Angriffen in Xinjiang verantwortlich (Aljazeera 1.3.2017).

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Sicherheitsbehörden

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).

Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 15.12.2016). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und von verdächtigen Todesfälle in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a).

Das Problem der Folter ist nach einem im Dezember 2015 veröffentlichten Bericht eines UN-Komitees gegen Folter "systembedingt": Zwar wurden einige Verbesserungen - wie die breitere Nutzung von Überwachungs-Kameras während der Befragung - anerkannt, doch zeigt der Bericht auch auf, inwieweit Folter in das chinesische Strafrechtsystem eingebettet ist (USDOS 3.3.2017). Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen "Vorzeigefällen", in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Das revidierte Strafverfahrensrecht schließt die Verwendung unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommener Geständnisse und Zeugenaussagen (neuer Art. 53) und illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess ausdrücklich aus. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 15.12.2016). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 1.2017a). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 15.12.2016).

In einem seltenen Fall bestätigte ein Berufungsgericht in Harbin, Provinz Heilongjiang, im August 2014 die Schuldsprüche gegen vier Personen wegen Folter. Sie waren zusammen mit drei anderen Personen von einem Gericht der ersten Instanz für schuldig befunden worden, im März 2013 mehrere Straftatverdächtige gefoltert zu haben. Die Täter erhielten Haftstrafen von einem bis zu zweieinhalb Jahren. Nur drei der sieben Personen waren Polizeibeamte; bei den übrigen handelte es sich um "Sonderinformanten" - gewöhnliche Bürger, die der Polizei bei der Aufklärung von Straftaten "behilflich" sein sollen. Eines der Opfer starb in der Haft an den Folgen der Folter (AI 25.2.2015). Im Dezember 2016 entschied ein Gericht, keine Anklage gegen fünf Polizisten zu erheben, welche im Mai 2016 am Tod eines in Gewahrsam befindlichen Verhafteten involviert waren (FH 1.2017a).

Korruption

Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017).

Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,

172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017).

Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Unabhängige Menschenrechtsinstitutionen gibt es in China (mit Ausnahme Hongkongs) nicht. Die bestehenden strengen Regeln für NGOs machen deren Registrierung unmöglich. Die wenigen staatlichen chinesischen Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, sind im Sinne der Information über und Werbung für das staatliche Konzept der Menschenrechtspolitik aktiv, darunter z.B. die Gesellschaft zur Förderung der Menschenrechte (China Society for Human Rights Studies), die für Außenkontakte zuständig ist, oder die Society for Human Rights Studies, die auch innerhalb Chinas Aufklärungsarbeit leistet. Bei beiden Organisationen handelt es sich um sogenannte "Governmentally Organized NGOs". Laut chinesischen Angaben sind derzeit mehr als 7.000 internationale NGOs - mit einer sehr breiten Definition sogar mehr als 460.000 registrierte NGOs - in China tätig. Davon ein Großteil aus den USA. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann als "unabhängig" qualifiziert werden. Unabhängige NGOs erhalten keine staatliche Unterstützung und es besteht keine "Spendenkultur" für solche Organisation (bzw. wären Spender Schikanen ausgesetzt). Unabhängigen und manchen internationalen Organisationen (z.B. UNHCR) ist darüber hinaus das Spendensammeln verboten. In den letzten Jahren wurde es für NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger, Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Seit Xi Jinping im Amt ist, sind NGOs vermehrten Repressalien ausgesetzt, z.B. Inhaftierung ihrer Führungskräfte, Durchsuchungen sowie Einfrierung ihrer Konten (AA 15.12.2016; vgl. ÖB 11.2016). In China selbst werden unabhängige Menschenrechts-Organisationen streng kontrolliert und oft unterdrückt. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird von der KP nur in kleinteiliger Organisationsform bzw. in Bereichen wie Umwelt und Wohlfahrt dann zugelassen, wenn keine öffentliche Kritik an Behörden, KP oder Politiken geübt wird (ÖB 11.2016).

Ein neues Gesetz für eine Verwaltung von ausländischen NGO-Aktivitäten innerhalb des chinesischen Festlandes stellt ausländische NGOs fortan unter die Aufsicht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Nach dem neuen Gesetz müssen alle Finanzierungen durch ausländische NGOs von den chinesischen Sicherheitsbehörden vor Erhalt genehmigt werden und dürfen ausländische NGOs in China nur gewisse Aktivitäten in Partnerschaft mit offiziellen Stellen ausüben. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind noch offen. Obgleich dieses Gesetz dazu beitragen kann, das nebulose Regelwerk der NGOs zu erhellen, wird befürchtet, dass das Gesetz eine weitere Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden darstellt, die Zivilgesellschaft zur Selbstzensur und zu unkritischem Verhalten zu zwingen (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a). Durch den großen Ermessensspielraum der Polizei für die Kontrolle und Regulierung der Arbeit ausländischer NGOs erhöhte sich das Risiko, dass das Gesetz dazu missbraucht werden könnte, Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (AI 22.2.2017). Viele ausländische NGOs und deren inländischen Partner begannen schon vor dem 1.1.2017 aufgrund der vagen Ausformulierung des Gesetzes, ihre Tätigkeiten vor dem Jahresende zu kürzen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a).

Ausländischen Menschenrechts-NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International ist es nicht erlaubt, die Menschenrechtssituation in der VR China zu beobachten bzw. Einzelfällen nachzugehen. Die meisten Beobachter arbeiten und publizieren daher von Hongkong aus. Größerer Spielraum für zivilgesellschaftliche Akteure im Menschenrechtsbereich besteht immer noch in Internetforen und sozialen Netzwerken - soweit die Zensur umgangen werden kann (AA 15.12.2016).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die VR China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von UN-Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an und hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwar 1998 gezeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert (AA 4.2017a).

Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der Kommunistischen Partei (KP) oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Seit dem Führungswechsel im März 2013 ist ein noch einmal verstärkt repressives Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber Kritikern der Regierung oder de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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