Entscheidungsdatum
07.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W166 2125169-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 23.03.2016, Zl. XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG stattgegeben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid vom 29.12.2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 28.12.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Mit Verfahrensanordnung vom 04.01.2016 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG mit, dass ihm für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die juristische Person ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird.
Der Bescheid vom 29.12.2015 wurde der Caritas Graz als gesetzlicher Vertreter des zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Beschwerdeführers rechtswirksam am 07.01.2016 zugestellt und begann die vierwöchige Beschwerdefrist mit diesem Zeitpunkt zu laufen.
Mit Schreiben vom 11.02.2016, bei der belangten Behörde eingelangt am 15.02.2016, stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte zugleich Beschwerde gegen den Bescheid vom 29.12.2015 ein.
Betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand brachte er im Wesentlichen vor, nach Zustellung dieses Bescheides volljährig geworden zu sein, weshalb er aus seinem Quartier für minderjährige Flüchtlinge ausziehen habe müssen und nach Wien übersiedelt sei. Dort habe er sich mit der ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe in Verbindung gesetzt, um den Bescheid zu erhalten und zu erfahren, weshalb er von der Behörde nicht als Asylberechtigter anerkannt worden sei. Man hätte ihm dort mitgeteilt, dass der Bescheid an die Caritas Graz zugestellt worden sei und die Rechtsmittelfrist am 04.02.2016 enden würde. Es sei vereinbart worden, dass ein Beschwerdeentwurf in seinem Namen verfasst werde und er am 02.02.2016 zur Unterfertigung noch einmal vorbei komme. Am 02.02.2016 habe der Beschwerdeführer schließlich wie vereinbart die mit 01.02.2016 datierte Beschwerde unterschrieben und habe man ihm versichert, die Beschwerde fristgerecht per Telefax an die Behörde zu übermitteln. Am 09.02.2016 sei er von einer Mitarbeiterin der ARGE Rechtsberatung angerufen worden und gebeten worden am 11.02.2016 in die Beratungsstelle zu kommen, wo man ihm mitgeteilt hätte, dass man vergessen hätte, die absende bereite und unterschriebene Beschwerde fristgerecht an die Behörde zu faxen. Dass die Mitarbeiter der ARGE drauf vergessen könnten, die Beschwerde - entgegen deren Zusicherung - rechtzeitig zu übermitteln, sei für den Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes Ereignis, das er mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten habe können. Es liege kein Auswahlverschulden oder eine grob schuldhafte Verletzung einer Überwachsungspflicht vor. Der Antrag auf Wiedereinsetzung werde fristgerecht gestellt, da er erstmals am 11.02.2016 von der Fristversäumung informiert worden sei.
Mit Bescheid vom 23.03.2016 wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Bescheid am 07.01.2016 ordnungsgemäß an seine gesetzliche Vertretung zugestellt worden, somit am 04.02.2016 in Rechtskraft erwachsen sei. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, durch welches der Beschwerdeführer ohne Verschulden aufgrund eines minderen Grades des Versehens daran gehindert gewesen wäre, die Beschwerde fristgerecht einzubringen, habe nicht glaubhaft gemacht werden können. Die Fristversäumnis sei als eine ihm persönliche zurechenbare Versäumnis zu werten, da er keinerlei nachweisbare Schritte zur Vornahme einer rechtzeitigen Beschwerde und Vermeidung der Versäumnis der Rechtsmittelfrist unternommen habe.
Gegen diesen Bescheid vom 23.03.2016 brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 06.04.2016, bei der belangten Behörde eingelangt am 20.04.2016, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Darin brachte er - unter Anführung entsprechender höchstgerichtlicher Judikatur - im Wesentlichen dasselbe vor wie in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung.
Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 21.04.2016 vorgelegt und langte am 22.04.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2015 wurde dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers - der BH Graz-Umgebung - rechtswirksam am 07.01.2016 zugestellt und begann die Beschwerdefrist mit diesem Tag zu laufen.
Die vierwöchige Beschwerdefrist endete demnach am 04.02.2016.
Am 15.01.2016 vollendete der Beschwerdeführer sein 18. Lebensjahr und endete die gesetzliche Vertretungsmacht der BH Graz-Umgebung mit diesem Tag ex lege.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfahrensanordnung vom 04.01.2016 für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater zur Seite gestellt.
Der Beschwerdeführer setzte sich mit der ARGE Rechtsberatung in Wien während der laufenden Beschwerdefrist in Verbindung, um Kenntnis über den Inhalt des Bescheides zu erlangen und eine etwaige Beschwerdeerhebung zu besprechen. Schließlich wurde mit einer Mitarbeiterin der ARGE Rechtsberatung vereinbart einen Beschwerdeentwurf im Namen des Beschwerdeführers zu verfassen und er am 02.02.2016 - vor Ablauf der Beschwerdefrist - vorbeikomme, um diesen zu unterfertigen.
Nachdem der Beschwerdeführer am 02.02.2016 im Büro der ARGE Rechtsberatung kam und den Beschwerdeentwurf gegen den Bescheid vom 29.12.2015 unterzeichnete, wurde ihm wiederholt zugesichert, dass die Beschwerde fristgerecht per Telefax an die Behörde übermittelt werde.
Ein Vollmachtsverhältnis zur ARGE Rechtsberatung bestand zu diesem Zeitpunkt nicht.
Mit Schreiben vom 15.02.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte gleichzeitig seine Beschwerde gegen den Bescheid vom 29.12.2015 nach.
Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes Ereignis verhindert war, die Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen vom 29.12.2015 einzuhalten, wobei ihn kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden trifft.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen zum Bescheid vom 29.12.2015, zu dessen Zustellung und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruhen auf dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.
Das sowohl im Antrag auf Wiedereinsetzung als auch in der gegenständlich erhobenen Beschwerde erstattete Vorbringen zum Grund der Versäumung der Beschwerdefrist ist, insbesondere in Würdigung des nachgereichten ursprünglich mit 01.02.2016 datierten, vom Beschwerdeführer unterfertigten Beschwerdeschriftsatzes, welcher auch inhaltlich mit der mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung nachgeholten Beschwerde gleichlautend ist, glaubwürdig und nachvollziehbar. Es konnte daher von dem durch den Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung geschilderten Sachverhalt ausgegangen werden und die entsprechenden Feststellungen getroffen werden.
Aufgrund mehrfacher Zusicherung der rechtzeitigen Übermittlung der vom Beschwerdeführer noch innerhalb der bis zum 04.02.2016 laufenden Beschwerdefrist unterzeichneten Beschwerde an die Behörde, kann im gegenständlichen Fall von einem für den Beschwerdeführer unvorhergesehenen Ereignis gesprochen werden. Der Beschwerdeführer durfte in jedem Fall damit rechnen, dass die Beschwerdeeinbringung noch fristgerecht erfolgen wird.
Dass er sich auf die ihm zugewiesene ARGE-Rechtsberatung verlassen hat, entspricht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes der Lebensrealität eines Asylwerbers, der weder der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist, noch mit dem österreichischen Rechtssystem und im Speziellen mit dem Zustellgesetz bzw. mit den Rechtsmittelfristen vertraut ist.
Es bestand für ihn kein Grund daran zu zweifeln, dass die Beschwerde rechtzeitig übermittelt werde, weshalb ihm auch kein Verschulden bei der Auswahl der Hilfsperson anzulasten ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Vorab ist festzuhalten, dass als Maßstab zur meritorischen Entscheidung über die vorliegende Beschwerde das Bundesverwaltungsgericht § 71 AVG und nicht § 33 VwGVG heranzuziehen hat, weil das Beschwerdeverfahren eine versäumte Prozesshandlung (Beschwerdeeinbringung) betrifft, die bei einer Verwaltungsbehörde (und nicht beim Verwaltungsgericht) zu setzen war und der Wiedereinsetzungsantrag schon bei der Behörde gestellt wurden (vgl. VfGH 18.06.2014, G 5/2014, wonach § 17 VwGVG eine Anwendung von Bestimmungen des IV. Teils des AVG durch das Verwaltungsgericht insofern nicht ausschließt, als deren Heranziehung als inhaltlicher Maßstab für die dem Verwaltungsgericht zukommende Aufgabe der meritorischen und reformatorischen Entscheidung in der Sache über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem eine solche Vorschrift des IV. Teils des AVG angewendet worden ist, erforderlich ist; zum Verhältnis zwischen § 71 AVG und § 33 VwGVG vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 [2014], Rz 623 und 898 mwN; a.A. VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013-3).
§ 71 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) lautet:
"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.
(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.
Gemäß § 33 Abs. 1 AVG werden der Beginn und Lauf einer Frist durch Samstage, Sonntage oder gesetzliche Feiertage nicht behindert. Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist gemäß § 33 Abs. 1 AVG der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.
Der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2015 wurde dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers rechtswirksam am 07.01.2016 zugestellt, weshalb die - im gegenständlichen Fall gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG allgemein geltende - Beschwerdefrist von vier Wochen mit diesem Tag zu laufen begann und in Anwendung des § 33 Abs. 1 AVG am 04.02.2016 endete.
Der Beschwerdeführer brachte die Beschwerde gegen diesen Bescheid erst am 15.02.2016 ein. Demnach hat er die Frist zur Einbringung der Beschwerde versäumt.
Gleichzeitig mit der Einbringung der Beschwerde stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Als Wiedereinsetzungsgrund führte er im Wesentlichen ein Versehen der ARGE-Mitarbeiter an, welche ihm mehrfach zugesichert hätten, die Beschwerde in seinem Namen noch rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist bis zum 04.02.2016 an die belangte Behörde zu übermitteln, in Folge einer internen Vertretung jedoch schlichtweg auf die Einbringung vergessen worden sei.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur gegen die Versäumung einer verfahrensrechtlichen, nicht auch einer materiell-rechtlichen Frist zulässig (vgl. VwGH 15.03.1995, 95/01/0035). Eine Frist ist versäumt, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist, dh. wenn die geforderte Prozesshandlung vor ihrem Ablauf nicht in der für sie (zwingend) vorgeschriebenen Form gesetzt wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 AVG Rz 22 mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis iSd § 71 Abs 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, Zl. 83/03/0134, ua.)
Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat, und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, Zl. 93/16/0020).
Ein Verschulden der Partei hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB) handelt. Eine solche liegt dann vor, wenn der Partei ein Fehler unterläuft, der gelegentlich auch einer sorgfältigen Person unterlaufen kann (z. B. VwGH 20.06.2002, 2002/20/0230), wobei an einen rechtskundigen Parteienvertreter ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (z. B. VwGH 22.01.2003, 2002/04/0136).
Ausgeschlossen ist die Wiedereinsetzung dann, wenn der Partei Vorsatz oder offenkundige Sorglosigkeit vorzuwerfen ist.
Der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund muss bereits im Wiedereinsetzungsantrag bezeichnet und sein Vorliegen glaubhaft gemacht werden. Die Partei muss also jene Umstände, durch die sie an der Vornahme der Prozesshandlung gehindert wurde, konkret beschreiben. Glaubhaftmachung bedeutet, dass die Partei Beweismittel anbieten muss, durch die die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des Wiedereinsetzungsgrundes dargetan wird. Es ist allein das Vorliegen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes zu prüfen. Eine amtswegige Prüfung, ob allenfalls weitere Gründe für eine Wiedereinsetzung vorliegen, ist nicht vorgesehen. Nach Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag kann der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund auch nicht mehr ausgewechselt werden (VwGH 25.02.2003, 2002/10/0223).
Im gegenständlichen Fall stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von zwei Wochen, nachdem den Mitarbeitern der ARGE-Rechtsberatung das Versehen über die Nichteinbringung aufgefallen ist, das war frühestens der 09.02.2016. Der am 15.02.2016 bei der belangten Behörde einlangende Antrag auf Wiedereinsetzung wurde demnach fristgerecht eingebracht.
Gemäß § 52 Abs. 2 BFA-VG unterstützen und beraten Rechtsberater Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Lediglich auf Ersuchen haben Rechtsberater Fremde in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung auch zu vertreten. Ein solches Ersuchen um Vertretung, eine entsprechende Bevollmächtigung, ist gegenständlich nicht erfolgt. Weder die Rechtsberatungsorganisation noch deren Mitarbeiter verfügten daher zum Zeitpunkt der Abfassung der Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid der belangten Behörde im vorliegenden Fall über eine Vertretungsvollmacht. Ein (allfälliges) Verschulden der Mitarbeiterin der ARGE ist daher - anders als bei einem gewillkürten Vertreter - dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnen (vgl. auch VwGH 07.05.1998, Zl 97/20/0693; VwGH 22.07.2004, Zl 2004/20/0122; VwGH 21.04.2005, Zl 2005/20/0080). Ob den Mitarbeitern der ARGE-Rechtsberatung ein Verschulden an der Fristversäumung anzulasten ist, und ob ein allfälliges Verschulden der Rechtsberaterin den minderen Grad des Versehens übersteigt, kann nach dem Gesagten dahingestellt bleiben.
Die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe wurde dem nunmehrigen Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig zur Seite gestellt; an deren Auswahl trifft den Beschwerdeführer daher jedenfalls kein Verschulden. Auch an der Verlässlichkeit der Mitarbeiter der genannten Organisation mussten keine Zweifel bestehen. Der nunmehrige Beschwerdeführer durfte davon ausgehen, dass die genannten Mitarbeiter zuverlässig sind und für eine rechtzeitige Einbringung seiner am 02.02.2016 - somit noch innerhalb der Beschwerdefrist unterfertigten Beschwerde - Sorge tragen. Gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor.
Der Beschwerdeführer kümmerte sich, nachdem die gesetzliche Vertretungsmacht infolge des Erreichens seiner Volljährigkeit ex lege mit 15.01.2016 wegfiel, noch während aufrechter Beschwerdefrist um einen Rechtsberatungstermin. Schließlich vereinbarte er mit der ihm zugewiesenen Rechtsberatung - ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe -, dass diese die Beschwerde für ihn verfassen würden, er diese nach Fertigstellung selbst unterschreiben würde und die Rechtsberatung die fertige Beschwerde in der Folge fristgerecht bis zum 04.02.2016 an die belangte Behörde übermitteln würde. Am 02.02.2016 erschien er bei der Rechtsberatung, um die fertige Beschwerde zu unterschreiben und war sie zu diesem Zeitpunkt absende bereit. Eine (auffallende) Sorglosigkeit im Umgang mit der - im Übrigen von der Rechtsberatung korrekt berechneten - Beschwerdefrist ist ihm keinesfalls vorzuwerfen.
Kein, jedenfalls kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes, als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Verschulden, trifft den Beschwerdeführer, wenn er sich nicht im Nachhinein davon zu überzeugen versucht hat, ob die Beschwerde von der Beratungsstelle rechtzeitig erhoben wurde (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2005, 2005/20/0080; sowie vom 07.05.1998, 97/20/0693).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, VwGH 07.06.2000, 99/01/0337, darf der Beschwerdeführer nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seiner persönlichen Fähigkeit zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Aus obigen Erwägungen und vor dem Hintergrund, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen sprach- und rechtsunkundigen Asylwerber handelt, kann diesem nicht vorgeworfen werden, hinsichtlich der Fristversäumnis das zumutbare Maß der Aufmerksamkeit unterschritten zu haben. Überträgt man die vom VwGH ausgesprochene Grundsätze auf den konkreten Fall, so ist im Hinblick auf die gegebene Sachverhaltskonstellation davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine auffallende Sorglosigkeit an der Fristversäumung anzulasten ist.
Aus diesem Grund war der Beschwerde stattzugeben.
Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Im gegenständlichen Fall war zu klären, ob der Beschwerdeführer im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die versäumte Beschwerdefrist gegen den Bescheid vom 29.12.2015 einzuhalten und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, welchem sowohl der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, als auch die Beschwerde gegen den diesen Antrag auf Wiedereinsetzung abweisenden Bescheid einliegend ist. Bereits die belangte Behörde ist von der Wahrheit der darin getätigten Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen und besteht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kein Zweifel daran. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde im vorliegenden Fall nicht für erforderlich erachtet, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen und Informationen, die zur Beurteilung des vorliegenden Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erforderlich sind, befanden sich im verwaltungsbehördlichen Akt.
Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall ist nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG), weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Sorgfaltspflicht, unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W166.2125169.1.00Zuletzt aktualisiert am
05.06.2019