TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/13 W161 2172206-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.2019
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Entscheidungsdatum

13.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W161 2172206-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2017, Zl.: 1085163904-151234517, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.02.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 30.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung am 31.08.2015 gab der BF an, er sei in XXXX geboren und verwitwet. Seine Frau sei im Jahr 2013 in XXXX gestorben. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei sunnitischer Moslem. Er habe keine Schulausbildung und zuletzt als Hilfsarbeiter im Baugewerbe gearbeitet. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter lebe in Afghanistan. Zudem habe er einen Bruder und eine Schwester sowie drei Kinder. Er habe in XXXX gelebt. Seine Mutter besitze ein Haus. Die finanzielle Situation der Familie in Afghanistan sei schlecht. Das Elternhaus sei vermietet, von dem Geld würden die Mutter und seine Kinder leben. Der BF habe sich bereits 1,5 Jahre lang in Pakistan und sechs Monate im Iran aufgehalten.

Als Fluchtgrund gab der BF an, er habe die letzen 1,3 Jahre als Securtiy bei einer ausländischen Firma in Afghanistan gearbeitet. Dort wo er gearbeitet habe seien viele Taliban gewesen, welche ihn bedroht hätten. Er habe mit der Arbeit nicht aufgehört, da die Bezahlung gut gewesen sei. An einem Abend als er heimgekommen sei, habe ihn der Nachbar gewarnt, dass er sofort verschwinden solle, da die Taliban ihn suchen würden. Daraufhin sei er geflüchtet. Bei einer Rückkehr fürchte er umgebracht zu werden.

Im Zuge der Erstbefragung legte der BF eine Tazkira vor.

3. Am 26.09.2016 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen. Der BF gab an, psychisch und physisch dazu in der Lage zu sein, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Er habe bisher im Verfahren immer die Wahrheit gesagt. Zu seinem Leben in Afghanistan führte er aus, seit seiner Geburt in XXXX ( XXXX ) gelebt zu haben. Zuerst habe er mit den Eltern und den Geschwistern zusammengelebt, nach seiner Heirat auch mit der Frau und den Kindern. Er sei Sunnit und Tadschike. Er sei nicht so religiös, ganz normal. Er habe Probleme mit den Augen, er werde in den nächsten Tagen operiert. Eine Schule habe er nicht besucht. Bis etwa zum 25. Lebensjahr habe er im Geschäft seines Vaters gearbeitet. Nach der Hochzeit habe er sich ein Auto gekauft und damit drei Jahre lang Personen von Kunduz nach Mazar-e Sharif gebracht. Dann sei er mit seinem Auto Opfer eines Bombenanschlages geworden und im Spital in Behandlung gewesen. Er habe Verletzungen im Gesicht und an der linken Hand erlitten und drei Zähne verloren. Da man ihn im Spital nicht weiter behandelt habe, sei er nach Pakistan gegangen, um sich dort behandeln zu lassen. Er habe er dann noch Medikamente nehmen müssen und sei noch fünf Monate in Behandlung gewesen. Nach der Behandlung sei er etwa ein Jahr arbeitslos gewesen. Nach diesem Jahr seien verschiedene Gruppierungen (auch Taliban) gekommen und hätten ihn aufgefordert, für sie zu arbeiten. Seine Familie habe ca. 1 ha Grundstück und ein Haus. Das Grundstück werde landwirtschaftlich genutzt und habe Wasser. Es sei das beste Grundstück in seinem Bezirk. Das Grundstück würde jetzt den Taliban gehören. Zudem gab er an, in der Heimat keine Strafrechtsdelikte begangen zu haben, kein Haftbefehl gegen ihn bestehe und er nicht politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei gewesen sei. Er habe auch keiner bewaffneten Gruppe angehört und keine Probleme mit den Behörden in der Heimat gehabt. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er ergänzend an, dass sein Bruder verschwunden sei und er nicht wisse, wo sich dieser befinde oder er noch lebe. Seine Mutter, Schwester und die Kinder seien noch in Afghanistan aufhältig. Er habe ca. einmal im Monat Kontakt. Er habe Afghanistan eine Woche nachdem er bei der Firma "

XXXX " gearbeitet habe, verlassen.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF wie folgt an:

"VP: Nachdem ich für diese Firma XXXX begonnen habe zu arbeiten wurde ich von den Taliban bedroht. Sie sagten Sie würden mich töten.

LA: Wie kamen Sie zu dieser Arbeit bei der Firma XXXX ?

VP: Ein Freund von mir hat dort bereits gearbeitet. Ich habe ihn getroffen und ihm erzählt das ich arbeitslos bin. Er riet mir für diese Firma zu arbeiten und mich zu bewerben. Ich bewarb mich für diese Firma und wurde genommen.

...

LA: Was war Ihr Aufgabengebiet bei dieser Firma?

VP: Ich war Security Guard. Wir waren 3 Personen und mussten die Büros beschützen.

AV: AW legt Arbeitsbestätigung der Firma XXXX in original vor. Kopien werden dem Akt beigelegt.

LA: Sie bewachten also die Büros der Firma XXXX ?

VP: Ja

LA: Wo befanden sich diese Büros?

VP: In Kunduz.

LA: Beschreiben Sie bitte Ihren Arbeitsalltag bei dieser Firma.

VP: Diese Firma hat afghanische Familien unterstützt deren Angehörige durch Angriffe oder Unfälle mit Amerikanern zu Tode gekommen sind.

LA: Aber wie gestaltete sich Ihr persönlicher Arbeitstag bei dieser Firma?

VP: Wir haben in einer Woche 5 Tage gearbeitet. An diesen 5 Tagen arbeiten wir allerdings den ganzen Tag. Tag und Nacht. Am Tor war eine Wachhütte. Wenn jemand in das Gelände wollte, habe ich das Tor geöffnet oder geschlossen. Dieses Büro war eigentlich ein geheimes Büro. Die Regierung wusste allerdings von diesem Büro, die Taliban allerdings nicht. Hätten die Taliban von diesem Büro gewusst, wären sicher Bombenanschläge geschehen.

LA: Waren Sie bewaffnet?

VP: Nein.

LA: Trugen Sie eine Uniform?

VP: Nein. Wir waren ganz normal angezogen. So konnte man auch nicht unterscheiden, ob es sich hier um ein Büro oder ein ganz normales Haus handelte.

...

LA: Wie lange haben Sie für diese Firma gearbeitet?

VP: ca. 11 Monate.

LA: Warum haben Sie die Arbeit beendet?

VP: Weil das Büro geschlossen wurde und es keinen Arbeitsplatz mehr für mich gab.

LA: Warum haben nun Sie das Land verlassen?

VP: Nachdem ich ca. 8 Monate bei dieser Firma gearbeitet habe, wurde ich am nach Hauseweg von einer Talibangruppe angehalten. Sie sagten, dass ich für eine ausländische Firma arbeite. Sie verbanden mir die Augen und fesselten mir die Hände. Ich kannte einen von den 3 Personen. Er war erst kürzlich bei den Taliban, ich habe ihm einmal geholfen. Er hat mich verteidigt und sagte, dass ich nicht für diese Firma arbeite, sondern Taxifahrer bin. Sie ließen mich los und sagten, dass wenn sie feststellen, dass ich für eine ausländische Firma arbeite, werden sie mich und meine Familie töten. Nach diesem Vorfall hatte ich Angst und habe mich nicht so oft zu Hause aufgehalten. Ich war oft bei meinem Arbeitskollegen XXXX . Nach zwei Monaten habe ich diesen einen Bekannten, von drei Taliban die mir auflauerten, in Kunduz getroffen. Er sagte mir, dass sein "Chef" herausgefunden hat, dass ich bei dieser Firma arbeite. Er sagte mir auch dass Sie mich töten wollen. Wir haben die Telefonnummer ausgetauscht. Er sagte wenn ich Hilfe brauchen würde soll ich Ihn anrufen. Er machte dass da ich Ihm auch einmal geholfen hatte. 10 Tage bevor dieses Büro geschlossen wurde kam mein Sohn zur Welt. 1 Woche nachdem das Büro geschlossen wurde, ich war gerade zu Hause, erhielt ich einen Anruf von XXXX . Er nannte sich zuvor nur XXXX aber seit er bei den Taliban ist eben XXXX . Er erzählte mir das sein "Chef" erfahren hat das ich zu Hause bin. Männer würden nun zu mir kommen und mich zu töten. Mein Frau und meine zwei Kinder waren auch zu Hause. Ich bin geflüchtet, durch Gärten und kleine Gassen bis zur Stadt Kunduz. XXXX rief mich nochmals an. Er sagte dass die Männer mich nicht gefunden hätten sie aber alle meine Daten an die Taliban verbreitet hätten und ich am besten das Land verlassen solle. Ich bin für 5 Monate nach Pakistan geflohen. In dieser Zeit hatte ich keinen Kontakt zu meiner Familie. Aus Pakistan aus rief ich einen Freund, XXXX , an. Er ist auch Taxifahrer und mein Auto war bei Ihm. Ich fragte Ihn ob er zu meiner Familie gehen kann, damit ich mit meiner Familie sprechen kann. Am nächsten Tag konnte ich dann mit meiner Mutter reden. Sie erzählte das Sie nicht da war als die Taliban kamen. Sie hat es von Nachbaren gehört. Sie erzählte weiter dass die Taliban meine Frau und mein 6 jähriges Kind getötet haben. Ich wollte wieder zurück nach Afghanistan. Meine Mutter sagte allerdings dass, das nicht bringt. Es wären schon 5 Monate vergangen und wenn ich jetzt komme würden sie nun mich auch noch töten.

LA: Was haben Sie im Anschluss gemacht.

VP: Ich habe XXXX gesagt, dass er mein Auto verkaufen soll. Ich blieb dann noch für 6-7 Monate in Pakistan. Ich war also mehr als ein Jahr in Pakistan. XXXX hat mein Auto verkauft. Ich wollte meine Familie zu mir holen aber dachte das Pakistan ist nicht gut für meine Familie. Ich wollte meine Familie in den Iran bringen da wir dort Verwandte haben. Meine Familie kam zunächst nach Pakistan und wir wollten illegal in den Iran weitereisen. Wir reisten schlepperunterstützt mit anderen bis in die Stadt XXXX . Dort sagte der Schlepper, dass die Frauen und Kinder mit dem Auto weiter transportiert werden. Die Männer müssten zu Fuß gehen. Wir gingen ca. 20 Stunden zu Fuß gegangen. Dann teilte uns der Schlepper mit dass die Frauen und Kinder von der Polizei aufgegriffen wurden und dass Sie nach Afghanistan zurückgeschickt werden. Ich bin dann zu meinen Verwandten in Teheran weitergereist.

LA: Wie lange haben Sie sich in Teheran aufgehalten?

VP: 3 Monate.

LA: Warum haben Sie Ihre Familie nicht früher kontaktiert, sondern erst nach 5 Monaten?

VP: In Pakistan war ich in der Stadt XXXX dort hatte ich keine Telefonnummer aber ich wusste es gibt jemand in XXXX der die Nummer haben könnte. Deswegen bin ich nach XXXX gegangen.

LA: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt in diesen 5 Monaten bestritten?

VP: Ich habe in einen Hotel gearbeitet.

LA: Wo befanden sich Ihre anderen Kinder als die Taliban ihr Haus angriffen?

VP: Mein neugeborenes Kind, mein Frau und mein Sohn XXXX befanden sich zu Hause. Meine zweiter Sohn und meine Tochter waren mit meiner Mutter bei meinem Onkel.

LA: Um welche Tageszeit haben Sie den Anruf ihre Freunde XXXX erhalten. Ich meine damit den Anruf mit dem er Sie vor dem Angriff warnte.

VP: Das war so um 5 Uhr Nachmittag.

LA: Welchen Gefallen haben Sie XXXX getan, dass der Sie gegen die Taliban unterstütze bzw. Sie warnte.

VP: Als ich am nach Hause weg mit meinem "Taxi" spät abends in XXXX ankam wurde ich von XXXX angesprochen ob ich im Helfen könnte. Er war damals noch kein Taliban. Er bat mich ob ich Ihn und seine Frau ins Krankenhaus nach Kunduz bringen könnte da Sie schwanger war. Um diese Uhrzeit fährt kein Auto mehr nach Kunduz da der Weg unsicher ist. Ich brachte ihn und seine Frau nach Kunduz.

LA: Hat XXXX , als er Sie gewarnt hat, Sie auf dem Handy angerufen?

VP: Ja, er hat mich auf dem Handy angerufen.

LA: Erzählen Sie mir nochmals was Sie unmittelbar nach diesem Anruf gemacht haben.

VP: Ich habe sofort das Haus verlassen.

LA: Haben Sie Ihre Frau über den bevorstehen Angriff der Taliban informiert?

VP: Ja. Bei diesem Anruf war Sie bei mir.

LA: Was haben Sie Ihr gesagt wie Sie sich verhalten soll?

VP: Ich habe mich von ihr verabschiedet. Habe mir eine Weste mit vielen Taschen angezogen und habe das Haus verlassen.

LA: Haben Sie Ihre Mutter informiert?

VP: Nein.

LA: Sie hatten doch Ihr Handy auf der Flucht mit. Wieso hatten Sie also in Pakistan keine Nummer die Sie anrufen konnten und mussten extra in die Stadt XXXX fahren?

VP: Die SIM Karte die in meinem Telefon war hatte ich erst seit 3-4 Monate deswegen hatte ich nicht so viele Telefonnummer darauf gespeichert. Ich habe versucht meine Frau anzurufen aber das Telefon war ausgeschaltet. Mein altes Handy mit meiner alten SIM Karte ist verloren gegangen.

LA: Dennoch könnte man davon ausgehen das Sie z.B. von Ihrer Mutter oder von Freunden angerufen werden vor allem mit dem Hintergrund, dass Ihre Frau und Ihr Kind getötet wurden.

VP: Ich habe nicht erfahren, dass meine Frau und mein Kind getötet wurden.

LA: Frage wird wiederholt!

VP: Wenn man in einem fremden Land ist funktioniert die SIM Karte nicht. Ich bin Analphabet und wusste nicht wie man sich eine neu SIM Karte organisiert. Ich hatte keine Telefonnummern Aber ich konnte ausfindig machen, dass ein Bekannter von XXXX in XXXX wohnt.

LA: Wie konnten Sie das ausfindig machen?

VP: Jemand von XXXX hat auch in XXXX gewohnt. Dieser hat mir gesagt, dass ein Bekannter von XXXX in XXXX wohnt. Ich konnte auch nicht jeden fragen. Viele Taliban befinden sich auch in Pakistan und wenn Sie meinen Familiennamen hören könnte das wieder Probleme geben. Ich suchte jemand dem ich Vertrauen konnte. Ich habe auch diesen Bekannten nicht gesagt warum ich die Telefonnummer von XXXX brauche.

LA: Wann haben Sie XXXX diesen Gefallen getan und seine Frau in das Spital gebracht?

VP: Ca. 1 1/2 Jahre vor der Explosion.

LA: Wann war diese Explosion bei der Sie verletzt wurden?

VP: Das kann ich nicht genau sagen aber zumindest vor 4 Jahren. So ca. 4 1/2 Jahre.

LA: Erzählen Sie nochmals detailliert wie Sie von den 3 Taliban bedroht wurden!

VP: Ich war zu Fuß nach Hause unterwegs. In einer kleinen Gasse wurde ich von zwei Motorrädern verfolgt und angehalten. Sie sagten dass ich für eine amerikanische Firma arbeite. Sie haben meine Hände gefesselt und meine Augen verbunden. XXXX sagte zu seinem Chef, dass ich Taxifahrer bin und hat mich verteidigt.

LA: Was hatten diese Männer an?

VP: Sie hatten einen Turban, lange Bärte und Haare. Sie hatten typische afghanische Kleidung an.

LA: Waren Ihre Gesichter verhüllt?

VP: Ja. Anfangs waren Ihre Gesichter verhüllt. Nachdem Sie dachten, dass ich nicht für diese Firma arbeite haben Sie die Augenbinde abgenommen die Fesseln gelöst und mir ihre Gesichter gezeigt.

LA: Mit was wurden Sie gefesselt?

VP: Mit einem dicken Kunststoffseil

LA: Warum haben die Taliban Ihnen zwar die Fesseln bzw. die Augenbinde abgenommen, da Sie Ihnen glaubten nicht für die Firma zu arbeiten, haben Sie aber trotzdem weiter mit dem Tod bedroht?

VP: Sie glaubten mir zwar aber sagten wenn Sie dahinter kommen, dass ich doch für diese Firma arbeite werden Sie mich und meine Familie töten.

LA: Wenn diese Drohung eindeutig gegen Sie und Ihre Familie ausgesprochen wurde, warum haben Sie dann nicht, als XXXX Sie telefonisch warnte, zu Ihrer Frau gesagt, dass Sie das Haus verlassen muss bzw. sind gemeinsam mit Ihre Familie geflüchtet oder Ihre Mutter angerufen das Sie nicht nachhause kommen soll.

VP: Ich hätte mir nicht gedacht, dass Sie meine Frau und mein Kind töten. Ich dachte Sie wollen nur mich.

LA: Wann kam Ihre Mutter nach Hause?

VP: Ich weiß nicht genau. Vielleicht nach einer Stunde. Sie kam nachhause und hat gesehen, dass die Nachbarn in unseren Haus sind und meine Frau und mein Kind getötet wurden.

LA: Haben Sie ein Dokument das die Hochzeit oder den Todesfall Ihre Ehefrau dokumentiert?

VP: Nein. Bei uns ist die Hochzeit traditionell. Also keine Dokumente. Auch Todesfälle werden nicht dokumentiert. Wenn jemand getötet wird fragt keiner wieso.

LA: Sie haben diesen Vorfall also auch nicht der Polizei gemeldet.

VP: Nein.

...

LA: Sie standen also beim Tor Wache und öffneten es für Befugte. Woher wusste Sie wer rein darf und wer nicht.

VP: In der Tür war ein Sichtfenster. Man sah wer draußen stand.

LA: Aber woher wussten Sie ob diese Person rein darf?

VP: Wir fragten wer er ist und zu wenn er möchte. Dann haben wir im Büro angerufen und haben rückgefragt ob die Person rein darf oder nicht."

Zu seinem Leben in Österreich führte er aus, von der Grundversorgung zu leben und einen Deutschkurs zu besuchen. Er sei kein Mitglied bei einem Vereinen. Er habe Kontakte zu Österreichern und gehe manchmal in die Kirche.

Nach Befragung durch die Rechtsvertretung führte der BF noch aus, dass seine Mutter krank sei. Die Kinder seien bei seiner Mutter und würden in der Wohnung des Onkels in Kunduz leben. Die Familie sei nach dem Überfall nicht mehr bedroht worden.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:

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Teilnahmebestätigung, wonach der BF beim ÖIF im Rahmen von "Treffpunkt Deutsch" an einer Deutsch-Lerngruppe, im Zeitraum vom 12.05.2016 bis 11.07.2016, teilgenommen habe.

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Bestätigung, datiert mit August 2016, wonach der BF seit Oktober 2015 an einem privat organisierten Deutschkurs teilnehme.

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Auszug aus der Zeitschrift eines Pfarrverbandes, wonach der BF an einer "Deutschstunde" teilnehme.

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Augenärztliche Befunde vom 10.11.2015 und 26.11.2015. Es wurde die Diagnose: "Hornhautnarbe re., St.p. Bulbusperforation re. Reizconjunctivitis re." erstellt und dem BF als Sehbehelf eine Fernbrille verordnet.

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Amulante Dekurse (datiert mit 16.12.2015 und 23.06.2016), wonach beim BF die Diagnosen "rechtes Auge Status post Bulbusperforation Afghanistan (vor 3 Jahren) und prominente Nähte/- granulom Hornhautnarben" erstellt wurden und der BF in weiterer Folge zu mehreren Kontrollterminen erschienen ist.

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Ambulanter Arztbrief einer Abteilung für Augenheilkunde und Orbitachirurgie vom 23.9.2016. Es wurde die Diagnose: "rechtes Auge sekundäre Augendruckdekompensation; glaucomatöser Sehnervschaden; Hornhautnarbe nach perforierender Bulbusverletzung" erstellt.

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Arbeitsvertragsverlängerung von " XXXX " ( XXXX ), datiert mit 30.04.2013, wonach der Vertrag von 04.09.2013 bis 04.08.2014 verlängert werde (AS 125, in englischer Sprache).

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Schreiben von " XXXX ", datiert mit 28.08.2013, wonach der Arbeitsvertrag mit 30.09.2013 beendet sei, da das Büro in Kunduz geschlossen werde (AS 127, in englischer Sprache).

4. Am 14.10.2016 langt eine Stellungnahme des BF beim BFA ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF in Kunduz bei einer amerikanischen Firma namens " XXXX " gearbeitet habe, welche die Aufgabe gehabt habe, afghanische Familien zu unterstützen, die Angehörige durch Angriffe oder Unfälle (verursacht durch Amerikaner) verloren habe. Nachdem der BF etwa 8 Monate bei der Firma gearbeitet habe, sei er von den Taliban wegen der Mitarbeit bei den Amerikanern bedroht worden. Der Bedrohung habe sich der BF durch Flucht entzogen. Die Taliban hätten jedoch seine Frau und den 6-jährigen Sohn getötet. Zum Gesundheitszustand wurde ausgeführt, dass der BF vor etwa drei Jahren durch Splittereinwirkung bei einer Explosion eine Verletzung des Augapfels erlitten habe. Das rechte Auge sei soweit betroffen, dass ein beinahe gänzlicher Visusverlust vorliege. Er befinde sich daher in fachärztlicher Behandlung. Weiters wurde auf die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz, der Stadt Kabul und zur allgemeinen Lage in Afghanistan eingegangen. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass der BF aufgrund seiner Mitarbeit bei der amerikanischen Hilfsorganisation zu einem möglicherweise in Afghanistan gefährdeten Personenkreis gehöre.

5. Am 07.12.2016 übermittelte das BFA eine E-Mail an XXXX (Chief of XXXX ), wobei betreffend den BF nachgefragt wurde, wie lang dieser in der Firma gearbeitet habe. Dazu langte beim BFA keine Antwort ein.

6. Am 10.01.2017 stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokmentation. Es wurde angefragt, ob verifiziert werden könne, dass ein Büro der Firma XXXX in Kunduz eingerichtet gewesen sei; der BF im Jahr 2013/2014 für diese Firma tätig gewesen sei und Angestellte dieser Firma einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt seien.

7. Am 13.04.2017 brachte der BF einen Schriftsatz ein. Es wurde ausgeführt, dass der BF durch das im Heimatland erlittene Explosionstrauma eine verkrümmte Nasenscheidewand habe und sein Auge verletzt sei. Hinsichtlich des Auges sei therapeutisch ein operativer Eingriff erforderlich gewesen. Die Verkrümmung der Nasenscheidewand sei im März 2017 operativ korrigiert worden. Zudem leiste der BF bei der Caritas freiwillig und unentgetliche Hilfsdienste.

Folgende Unterlagen wurden in Vorlage gebracht:

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Ärztlicher Entlassungsbrief (Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde), datiert mit 12.03.2017, Aufnahmegrund:

"Septumdeviation, Hypertrophie der unteren Nasenmuschel bds.", Diagnosen bei Entlassung: "Septumdeviation, Hypertrophie der unteren Nasenmuschel bds; St.p. Augen-OP rechtes Auge nach Explosionstrauma (Kriegsverletzung)", durchgeführte Maßnahmen: "Septumplastik und Muschelkaustik bds. in AN am 10.03.2017".

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Aufenthaltsbestätigung eines Universitätsklinikums vom 09.03.2017 bis 12.03.2017, Diagnose: "Nasenseptumdeviation".

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Bestätigung der Caritas, datiert mit April 2017, wonach der BF freiwillig und unentgeltlich Engagement geleistet habe und seit November 2016 einen Deutschkurs in einem Lerncafe besuche.

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ZMR-Auszug.

8. Am 23.06.2017 langte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim BFA ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Firma XXXX in den Jahren 2009 und 2010 Positionenen zur Besetzung von Arbeitsplätzen für Kunduz ausgeschrieben habe. Ob zu diesem Zeitpunkt- ebenso wie später - ein Büro des Unternehmens oder von einem von XXXX ausgebildetes Subunternehmen vor Ort betrieben worden sei - oder noch betrieben werde - habe nicht erhoben werden können. Die Firma XXXX / XXXX sei mehrmals kontaktiert worden, eine Antwort sei bis heute ausständig. XXXX ( XXXX ) sei einer der größten gemeinnützigen Auftraggeber der XXXX gewesen. In folge eines langjährigen Diputes über angebliche finanzielle Unregelmäßigkeiten mit der XXXX ab 2015 habe XXXX seine Strukturen verändert und seit 2016 als XXXX weiter agiert. XXXX habe zumindest von 2012 bis 2015 über ein Büro in Kabul verfügt. Das XXXX - ein unabhängiges Forschungsinstitut in Kabul - liste in einem periodisch erscheinenden Bericht in Afghanistan arbeitende Vertretungen von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen auf. Für die Jahre 2012 bis 2014 seien Niederlassungen den Unternehmens XXXX in Kabul gelistet worden. Hinsichtlich der Frage, ob der BF in der Firma tätig gewesen sei, hätten keine Informationen gefunden werden können. Die Firma XXXX sei unter der auf ihrer Homepage angegebenen E-Mail-Adresse mehrmals kontaktiert worden, eine Antwort sei bis heute aussständig. Hinsichtlich der Frage, ob Angestellte der Firma Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt seien, wurden ausgeführt, dass lokale Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und NGO-Mitarbeiter Ziele von Einschüchterungen durch die Taliban darstellen würden. Angestellte von XXXX seien in mehreren Fällen Opfer von Entführungen, Folter und Mord durch die Taliban geworden.

9. Am 25.08.2017 sendete das BFA eine E-Mail an XXXX Kabul, Afghanistan, XXXX ). Es wurde angefragt, ob verifiziert werden könne, dass der BF im Jahr 2014 für die Firma gearbeitet habe und weitere Informationen hinsichtlich seiner Position als "Guard" in Kunduz bzw. der genaue Arbeitszeitraum bekannt gegeben werden können. Die vom BF vorgelgten Arbeitszeugnisse und die Tazkira wurden dem E-Mail beigelegt.

10. Am 26.08.2017 langte die Antwort des XXXX per E-Mail beim BFA ein. Darin wurde ausgeführt, es könne verifiziert werden, dass der BF für das XXXX - XXXX als Wache in der Pronvinz Kunduz gearbeitet habe. Er sei im April 2013 beschäftigt worden und habe bis August 2014 bei XXXX gearbeitet. Er habe für XXXX in einem sehr kritischen Gebiet gearbeitet.

11. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 19.09.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Tadschiken angehöre. Seine Identität sei glaubhaft, aber nicht bewiesen, da die Tazkira nicht dazu geeignet sei, die Identiät zweifelsfrei festzustellen. Er stamme aus der Provinz Kunduz ( XXXX). Seine Mutter, die Schwester und drei Kinder würden in Afghanistan (Provinz Kunduz) beim Onkel leben. Er habe in Afghanistan als Hilfsarbeiter im Baugewerbe, als Taxifahrer und bei der Firma XXXX gearbeitet. Er verfüge über keine Schulbildung, sei aber gesund und arbeitsfähig. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK verlassen habe. Seine Ausreisegründe würden keinen glaubwürdigen GFK-relevanten Hintergrund haben.

Weiters traf das BFA Feststellungen zur Lage in Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinfo vom 27.06.2017).

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, der BF habe unglaubwürdige, unplausible und widersprüchliche Aussagen bezüglich der Verfolgunghandlung durch nichtstaatliche Parteien getätigt. Seine Tätigkeit für die Firma XXXX in Kunduz (Wachpersonal) sei glaubhaft, dies ergebe sich aus den vorgelegten Arbeitsverträgen und der Anfragebeantwortung eines Mitarbeiters der Firma XXXX . Der BF habe in der Erstbefragung noch angegeben von einem Nachbarn vom bevorstehenden Angriff der Taliban gewarnt worden zu sein, vor dem BFA habe er aber angegeben per Telefon von einem Taliban gewarnt worden zu sein. Es sei auch nicht logisch, dass die Taliban anfangs die Gesichter verhüllt gehabt hätten, sich aber später zu erkennen gegeben hätten. Weiters sei nicht nachvollziehbar, dass der BF - trotz der Drohung durch die Taliban, den BF und die Familie zu töten, falls der BF in einer Verbindung zu der NGO stehe - keinerlei Anstrengungen unternommen habe seine Familie zu schützen. So habe der BF angegeben noch Monate in der Firma gearbeitet zu haben und erst nach Wegfall des Bedrohungsgrundes (Kündigung durch die NGO), wäre es zu dem Überfall auf das Haus durch die Taliban gekommen. Es sei auch unlogisch, dass der BF nach dem Anruf vollkommen überstürzt die Flucht nach Pakistan angetreten habe und seine Familie von dem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Taliban nicht in Sicherheit gebracht habe. Es wäre zumindest naheliegend die Ehefrau anzuweisen, das Haus zu verlassen. Bezüglich der Flucht sei unlogisch, dass der BF zwar nochmals durch XXXX angerufen worden sei, dieser ihm aber nicht erzählt habe, dass die Taliban die Frau und ein Kind des BF ermordet hätten, sondern der BF von deren Tod erst nach fünf Monaten erfahren habe. Seine Begründung, wonach seine SIM-Karte im Ausland nicht funktioniere bzw. er drei Monate zuvor sein Handy verloren habe, sei nicht schlüssig, da es auch XXXX möglich gewesen sei, den BF anzurufen. Es sei lebensfremd, dass keiner seiner Angehörigen angerufen habe um sich nach dem BF zu erkundigen. Auch die Kontaktaufnahme mit XXXX erscheine konstruiert. Im vorliegenden Fall sei jedenfalls eine IFA in einem anderen Landesteil gegeben. Hinsichtlich seiner Tätigkeit als Wachpersonal habe er keine hochrangige Position innegehabt und würde seinem Persönlichkeitsprofil keine entsprechende Gewichtung zukommen um ein intensives landesweites Verfolgungsinteresse der Taliban zu begründen.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass er über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge. Er habe seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter, Taxifahrer und Wachpersonal verdient. Er sei verwitwet und für drei Kinder sorgepflichtig. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und sei arbeitsfähig. In Österreich bestehe keine berufliche oder familiäre Verankerung. Es sei ihm möglich und zumutbar durch einen Wohnsitzwechsel nach Herat oder Kabul der behaupteten Bedrohung zu entgehen. Es sei nicht ersichtlich, dass er in eine persönlich auswegslose Situation geraten werde. Er könne seine Existenzgrundlage allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten sichern und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er beherrsche die Sprache und sei mit den kulturellen Gegebenheiten im Herkunftsstaat vertraut.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und keine familiären oder berücksichtigungswürdigen sozialen Kontakte in Österreich habe. Ein schützenwertes Privatleben in Österreich würde ebenso nicht vorliegen.

12. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Verfahrensvorschriften verletzt worden seien und die Länderfeststellungen mangelhaft (unvollständig und teilweise unrichtig) seien. Diese würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF beschäftigen. Das BFA habe sich nicht mit der aktuellen Sicherheitslage in Herat und Kabul auseinandergesetzt. Es würden auch Feststellungen über die Möglichkeiten der Taliban, individuelle Personen zu finden, fehlen. Es wurde auf die UNHCR-Richtlinien aus 2016 verwiesen. Daraus sei ersichtlich, dass dem BF in ganz Afghanistan Verfolgung drohe und es für ihn keine tauglich IFA gäbe. Das BFA habe trotz entsprechendem Vorbrigen des BF kein fachärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand eingeholt. Er leide an Beschwerden im Nasenbereich und habe gesundeitliche Probleme mit dem Auge. Als Beweis dafür werde der Beschwerde ein Befund beigelegt. Weiters leide der BF an Augenschmerzen und sehe nicht gut. Er bedürfe regelmäßiger ärztlicher Kontrolle. Auch würden Feststellungen darüber fehlen, ob diese Probleme in Afghanistan behandelbar seien und der BF Zugang zu medizinischer Versorgung habe. Zudem sei auch die Beweiswürdigung unschlüssig, da der BF entgegen der Ansicht des BFA sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltete habe und über die Erlebnisse in Afghanistan frei gesprochen habe. Hätte die Behörde das Vorbringen des BF entsprechend gewürdigt und einen Abgleich mit den Länderfeststellungen vorgenommen, wäre sie zum Schluss gekommen, dass die Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Die "Widersprüche" seien leicht aufzulösen gewesen. So habe der BF ausführlich dargelegt, dass er sein Handy verloren und dadurch keine Nummern gehabt habe. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen. Er habe auch glaubwürdig dargelegt, dass er über den früheren Arbeitskollegen XXXX Kontakt zu seiner Familie herstellen habe können. Sofern die belangte Behörde sich auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme stützte, so werde darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nicht vorrangig auf diesbezügliche Widersprüche gestützt werden dürfe und auch der psychische und physische Zustand bei der Erstbefragung hätte berücksichtigt werden müssen. Der BF habe in der Erstbefragung angegeben, er sei von einem Nachbarn davor gewarnt worden, dass Talibankämpfer auf dem Weg zu ihm nach Hause wären, um ihn zu töten. In seiner Einvernahme habe der BF dies dann dahingehend konkretisiert, indem er ausführte, dass ein Nachbar ihn angerufen und informiert habe. Der BF habe sohin nichts Widersprüchliches vorgebracht, da der Bekannte am Telefon gleichzeitig sein Nachbar gewesen sei. Es habe sich um jene Person gehandelt, die den BF auch bei dem Übergriff der Taliban in Schutz genommen habe. Die Ansicht der Behörde sei daher verfehlt. Der Bescheid leide auch an inhalticher Rechtswidrigkeit und steht dem BF keine zumutbare IFA zur Verfügung, da er lediglich über Angehörige in Kunduz verfüge. Dorthin könne er nicht zurückkehren. Auch in Kabul habe er kein familiäres oder soziales Netzwerk. Die Mutter des BF sei alt, die Kinder noch sehr klein. Die Taliban seien auch in der Lage, den BF in ganz Afghanistan aufzuspüren und sei er durch seine Tätigkeit als Wachmann für eine ausländische Nichtregierungsorganisation einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Dem BF wäre daher Asyl, allenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Darüber hinaus sei er intgrationswillig, besuche einen Deutschkurs, habe sich freiwillig engagiert, Informationsveranstaltungen besucht und betreibe regelmäßig Sport. Die Behörde habe daher auch eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen.

Der Beschwerde wurden folgende Unterlagen beigelegt:

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Stellungnahme der Diakonie, wonach der BF seit September 2015 in ihrem Quartier wohne, regelmäßig einen Deutschkurs besuche und sich auf die A1-Prüfung vorbereite. Er nutze auch das Sportprogramm und besuche täglich das Fitnessstudio.Bei Festen und Veranstaltungen biete er seine freiwillige Mitarbeit an, sei verlässlich, korrekt und verantwortungsvoll.

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Amulanter Dekurs HNO allgemeine Ambulanz, datiert mit 11.04.2017 (Kontrolle nach Septumplastik). Es wurde wie folgt festgehalten: "Es zeigt sich das Septum etwas nach rechts verschoben, beidseitig aber die Schleimhäute intakt, lediglich an der linken unteren Nasenmuschel fibrinbelegt. Hier der Verdacht auf eine Wundheilungsstörung. Das Öl wurde brav genommen. Eine leichte Parästhesie bzw. Druckdolenz im Bereich der vorderen Columella bei den durchgreifenden selbstauflösenden Nähten. Hier die Nähte jedoch nicht mehr sichtbar. Kein Zeichen von Inflammation." Es wurden ein Antibiotikum, ein Nasenspray und eine Nasendusche verschrieben und eine Kontrolle in einer Woche angeordnet

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Anmeldebestätigung für die ÖSD Prüfung Deutsch A1 am 28. und 30.09.2017.

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Zeitbestätigung, wonach der BF am 19.09.2017 eine Informationsveranstaltung des ÖIF besucht habe.

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Bestätigung, wonach der BF im Rahmen eines freiwilligen Engagements beim "Fest der Begegnung" mitgearbeitet habe (Standauf- und abbau, Standbetreuung, Ausgabe von Mehlspeisen, Kommunikation mit interessierten Besuchern).

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Bestätigung, wonach der BF seit November 2016 einen Deutschkurs in der Caritas-Einrichtung "Lerncafe" besucht habe.

13. Am 06.11.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass der BF psychisch schwer belastet sei und ihn die Wartezeit zunehmend zermürbe. Vorgelegt wurde ein Rezept eines Allgemeinmediziners, datiert mit 29.10.2018, worauf dem BF ein Medikament gegen Depressionen (Sertralin) und ein Antidepressivum (Trittico) verschrieben wurden.

14. Am 08.01.2019 legte der BF einen ärztlichen Entlassungsbrief vom 21.12.2018 vor. Die Diagnose bei Entlassung lautet: "16x10x6 mm sehr schwach schattendes Nierenbeckenkonkrement links." Es wurden ein Nativ-CT, ESWL linke Niere 18.12. und 20.12.2018, radiologisch und sonographische Kontrollen, DJ links am 20.12.2018 bei Kolliken nach ESWL durchgeführt und der BF in gutem Allgemeinzustand aus der stationären Pflege entlassen. Dem BF wurden Schmerzmittel (Novalgin und Voltaren) sowie ein Mittel zur Auflösung und Verhinderung der Neubildung von Steinen aus Harnsäure oder Cystin verschrieben. Weiters wurde eine tagesklinische ESWL angeordnet.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF in Anwesenheit seiner Vertreterin ausführlich zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie seiner Integration in Österreich befragt wurde. Ein Vetreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsmitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

Im Zuge der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:

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Bestätigung der Caritas, wonach der BF seit Mai 2018 am Projekt "Sprachplatz" teilnehme.

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Empfehlunsschreiben eine Kunst- und Kulurvereins.

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Gruppenfotos.

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Schreiben, wonach der BF an wöchentlichen Sprachkursen einer Pfarre teilnehme und bei verschiedenen Veranstaltungen der Pfarre mithelfe.

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Empfehlungsschreiben, wonach der BF mehrmals bei Tanzabenden mit Kreistänzen in der Pfarre teilgenommen habe.

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Schreiben, wonach der BF regelmäßg ein "Diversity Cafe" besuche und aktiv an verschiedenen Veranstaltungen und Workshops teilnehme.

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Empfehlungsschreiben, wonach der BF freiwillig beim Verein " XXXX " mithelfe und an verschiedenen Aktivitäten teilnehme.

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Besuchsbestätigung, wonach der BF seit März 2016 den Deutschkurs einer Pfarre besuche.

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Empfehlungsschreiben einer Volleyball Senioren Gruppe und der BF am wöchentlichen Training und an Spielen teilnehme.

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Weiteres Empefehlungsschreiben, wonach der BF regelmäßig an Deutschsprachkursen und an verschiedenen Festen in der Pfarre teilnehme.

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Empfehlungsschreiben der Deutschtrainerinnen.

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Befundbericht eines FA für Psychiatrie-, psychotherapeutische Medizin und Allgemeinmedizin, datiert mit 07.02.2019. Es wurde die Diagnose "Mittelgradige depressive Episode (F32.1)" erstellt. Als Therapie wurden Antdepressiva (Mirazapin und Sertralin) sowie ein Antipsychotikum (Quetiappin) bei Schlafstörungen verschrieben. Als Procedere wuden FÄ Kontrollen und eine ambulante Psychotherapie angeordnet.

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Urologischer ambulanter Kurzbericht, datiert mit 07.01.2019. Es wurden die Diagnosen "Harnwegsinfekt bei liegender Harnleiterschiene; Z.n. ESWL am 18. Und 20.12.2018; laufende Therapie mit Uralyt-U" erstellt und dem BF eine antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin empfohlen. Erneute tagesklinische ESWL am 4.2.2019.

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Urologischer ambulanter Kurzbericht, datiert mit 04.02.2019. Es wurden die Diagnosen: "Größenregrediente Desintegrate linke Niere unter laufender Uralyt-Therpaie aktuell bis maximal 3mm; St.p. 2 malige ESWL linke Niere bei primär 16mm Nierenbecken-Konkrement 12/2018; sekundäre innere Harnleiterschiene bei persistierenden Koliken" erstellt. Als Therapie wurde eine Kontrolle und Sonographie in der Steinambulanz (11.03.2019) und eine flexible DJ ex links sowie Uralyt für 4 Wochen angeordnet.

Weiters legte die Vertreterin des BF in der Verhandlung weitere Stellungnahmen vor. Darin wird ausgeführt, dass eine IFA in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht gegeben sei und auf den ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 verwiesen. Die Lage in der Provinz Balkh verschlechtere sich und sei auch die Benützung der Straßen um Mazar-e Sharif ein großes Sicherheitsrisiko. Auch wurde auf die UNHCR-Richtlinien von 30.08.2018, das Gutachten von Frederike Stahlmann sowie die Anfragebeantwortung vom 13.09.2018 betreffend die Dürre in Herat und Mazar-e Sharif verwiesen. Dem BF sei eine Neuansiedelung in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat nicht zumutbar. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass der BF im Falle einer Rückkehr einer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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