Entscheidungsdatum
27.03.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W265 2208028-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Tania KOENIG-LACKNER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 14.05.2018, nach Beschwerdevorentscheidung vom 14.08.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin ist seit 17.11.2016 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.).
Am 16.11.2017 beantragte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte dabei ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag.
In dem auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 14.02.2018 basierenden Gutachten vom 22.02.2018 wurde Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben und in anonymisierter Form - ausgeführt:
"Anamnese:
Letzte Begutachtung im Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen am 14.02.2017, Gesamtgrad der Behinderung 50% (Degen. Veränderungen der WS 30%, HTEP rechts, Hüftgelenksarthrose links 30%, beginnende Kniegelenksarthrose bds. 20%, Beweglichkeitseinschränkung an beiden Schultern 20%)
Zwischenanamnese seit 02/2017:
Panaritium rechter Mittelfinger, operative Sanierung
08/2017 Glassplitterverletzungen rechter Unterschenkel, Infektion, operative Sanierung
Diabetes mellitus, HbA1c 10/2017, 7,1, medikamentöse Therapie
Derzeitige Beschwerden:
"Ich stürze immer wieder, habe orthopädische Schuhe, bin im August 2017 gestürzt und habe mich mit einem Glassplitter am rechten Unterschenkel verletzt, musste operiert werden. Seit November 2017 gehe ich mit 2 Krücken, weil ich mich damit sicherer fühle. Beantrage den Parkausweis, weil ich nicht so weit gehen kann, kann nur etwa 150 m gehen, dann kann ich nicht mehr weitergehen. Hergekommen bin ich mit dem Auto, wurde von Bekanntem mit Auto gebracht. Stufensteigen ist schwierig, auch das Festhalten schwierig, habe ein Karpaltunnelsyndrom."
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente: Lansoprazol, Gabapentin 600 mg 1-1-0 Gabapentin 400 mg 1-1-2
Venlafaxin 225 mg 1-0-0 Euthyrox 1000 p 1-0-0-Diclobene 50 mg 3x1 Tramal 50 mg 1x1 D3, Infusionen durch Facharzt für Orthopädie und Infiltrationen, Xigduo, Alprazolam, Contro Chol, Sirdalud 4 mg
Allergie:0
Nikotin:7-10
Laufende Therapie bei Hausarzt XXXX
Sozialanamnese:
geschieden,4 Kinder, lebt alleine in Kleingartenhaus ebenerdig.
Berufsanamnese: gelernte Schneiderin, nach Kinderpause Altenpflege bis vor 10 Jahren, dann BUP
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Entlassungsbrief KH Korneuburg vom 07.11.2017 (Vlc. reg. cruris dext infecta,
nach Glassplitterverletzung entstandene Infektion am rechten Unterschenkel, am 3.11.17 Revision)
Befund Dr. S., FA für Orthopädie vom 15.11.2017 (rec. Lumboischialgie bds. bei linkslumb. Skoliose, Beinverkürzung Ii 15mm, Spondylolisthese L5/S1 13mm, Osteochondrose L5/S1, rad.Läsion L5 re, Discusprot. L2/3 bds., L4/5 Ii, mittl.Gon.re,
Gon.grav.li, Femoropatellararthrose bds., Sprunggel.arthrose Ii, Instabilität Ii Sprunggelenk, Fußwurzelarthrose bds, Senk-Spreizfüsse, St.p.Hüft-TEP re 97, mittl.Cox.li)
Labor vom 24.10.2017 (HbA1c 7,1)
Nachgereichte Befunde:
Röntgen LWS, Beckenübersicht und beide Kniegelenke vom 17. 7. 2017 (Anterolisthese L5 gegenüber S1 um 1 cm, Osteoporosezeichen, ausgeprägte Intervertebralarthrose der LWS
Totalendoprothese rechte Hüfte, keine Lockerungszeichen. Geringe Coxarthrose links. Medialbetonte Gonarthrose links mehr als rechts mit Randzacken)
Befund Dr. A., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 3. 10. 2017 (Nervenleitgeschwindigkeit: mäßige CTS rechts, incipiente CTS links)
Befund Dr. A., Facharzt für Neurologie vom 3. 10. 2017 (Schwindel, sehr müde auf die Tabletten, in der Nacht einmal gestürzt.
Neurologischer Status: Hypästhesie rechtes
Medianusgebiet gering, untere Extremitäten unauffällig. Diagnose:
agitiert depressives Zustandsbild mit endoreaktiver Depressio und Somatisierung, CVS, mäßige CTS rechts, incipiente CTS links bei Zustand nach CTS Operation beidseits)
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand
gut, 59a
Ernährungszustand:
gut
Größe: 163,00 cm Gewicht: 95,00 kg Blutdruck: 120/80
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen
Thorax: symmetrisch, elastisch
Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.
Abdomen: Bauchdecke über Thoraxniveau, klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.
Integument: unauffällig
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse.
Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. ? Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.
Schultern beidseits, endlagige Bewegungsschmerzen
Handgelenke beidseits: unauffällig
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern endlagig eingeschränkt, Ellbogengelenke,
Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich.
Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.
Nacken- und Schürzengriff sind endlagig eingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.
Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist ansatzweise möglich.
Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse.
Beinlänge ident.
Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Hüftgelenk rechts: Narbe nach Hüfttotalendoprothese, kein Stauchungsschmerz, kein Rotationsschmerz.
Hüftgelenk links: kein Stauchungsschmerz, Rotationsschmerzen und Beugeschmerz.
Kniegelenke beids.: geringgradig Umfangsvermehrung, Patella verbacken, mäßig Krepitation, endlagige Bewegungsschmerzen, stabil.
Sprunggelenke unauffällig.
Unterschenkel rechts streckseitig im proximalen und im mittleren Drittel jeweils eine Narbe von etwa 2 cm bis 3 cm Länge, bland.
Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften S beidseits 0/100, IR/AR 20/0/30, Knie beidseits 0/0/130, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.
Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, kein Hartspann, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: 10 cm, in allen Ebenen frei beweglich
Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status Psychicus:
Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
2
Hüfttotalendoprothese rechts, beginnende Hüftgelenksarthrose links
3
Beginnende Kniegelenksarthrose beidseits
4
Beweglichkeitseinschränkung an beiden Schultern
5
Carpaltunnelsyndrom beidseits ohne relevantes neurologisches Defizit
6
Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus
7
Depressio mit Somatisierung
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Hinzukommen von Karpaltunnelsyndrom, Depressio und Diabetes mellitus
X Dauerzustand
Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken. Es sind belastungsabhängige Probleme der Wirbelsäule, geringgradig ausgeprägt auch der Hüft-und Kniegelenke im Vordergrund, welche die Steh- und Gehleistung mäßig einschränken. Die Gesamtmobilität ist jedoch ausreichend, um kurze Wegstrecken von 300-400m zurücklegen zu können und um Niveauunterschiede zu überwinden. das sichere Aus- und Einsteigen möglich. Das behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung von 2 Unterarmstützkrücken zum Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist durch festgestellte Funktionseinschränkungen, insbesondere das objektivierbare Gangbild, nicht begründbar. An den oberen Extremitäten sind keine höhergradigen Funktionsbehinderungen fassbar, die Kraft seitengleich und gut, sodass die Benützung von Haltegriffen zumutbar und möglich ist.
Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein
..."
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 26.02.2018 wurde die Beschwerdeführerin über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt. Der Beschwerdeführerin wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen drei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben.
Die Beschwerdeführerin brachte innerhalb der ihr dafür gewährten Frist eine Stellungnahme ein und legte darüber hinaus weitere aktuelle Befunde vor.
Aufgrund der Stellungnahme holte die belangte Behörde eine Stellungnahme der Fachärztin für Orthopädie, welche das Gutachten vom 22.02.2018 erstellt hatte, vom 09.05.2018 ein. In dieser Stellungnahme wird - hier auszugsweise und in anonymisierter Form dargestellt - Folgendes ausgeführt:
"Im Einspruch vom 19. 3. 2018 wird vorgebracht, dass die AW seit 1997 an posttraumatischer Syringomyelie leide, man habe das im Jahr 2000 in Graz festgestellt. Dann habe man aber gesagt, es läge kein Fremdverschulden vor, sondern der Hals sei zu kurz und Schmerzengeld wurde abgelehnt. Sie habe noch immer Angst und schwere Depressionen. Seit 2007 sei sie in Behandlung bei Dr. A., Facharzt für Neurologie. Unterfertigte habe bei der Untersuchung so stark in Brust- und Kreuzwirbel geschlagen, dass sie beim nach Hause fahren schon solche Schmerzen gehabt habe. Sie habe am nächsten Tag den Arzt aufsuchen müssen, weil sie solche Schmerzen hatte, dass sich nicht bewegen konnte. Sie müsse zur Kontrolle wegen des rechten Fußes, die Nervenleitgeschwindigkeit müsse gemessen werden. Sie müsse ins Spital Korneuburg zu Kontrolle wegen der Inkontinenz. Sie könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht fahren, habe Probleme beim Ein- und Aussteigen. Die ruckartigen Stöße machten ihr sehr zu schaffen, weil sie ihren Harn nicht kontrollieren könne, sie sei inkontinent. Sie verliere auch wegen der starken Schmerzen Harn. Sie sei zu den Arztbesuchen auf das Auto angewiesen, auch zum Einkaufen. Sie bekomme regelmäßig einmal pro Woche Infiltrationen ins Kreuz. 2008 sei sie in Speising zur Schmerztherapie gewesen, 2009 Tagesklinik, dann operativer Eingriff, dann wieder Tagesklinik, dann laufende Behandlung wegen Kreuz und Händen. 2010 sei sie wieder zur stationären Schmerztherapie in Speising gewesen, bekomme bei Hausarzt Infusionen. Der linke Fuß sei um 1, 5 cm kürzer, sie habe orthopädische Schuhe bekommen. Sie sei 2017 zweimal gestürzt, man habe ihr empfohlen, mit Krücken zu gehen. Sie sei in ständiger orthopädischer Behandlung.
Attest Dr. K., Arzt für Allgemeinmedizin vom 15. 3. 2018 (stark eingeschränkte Gehfähigkeit, Zusatzeintragung befürwortet. MRT zeigt Bandscheibenvorwölbung in mehreren Etagen der HWS, ein gebrochener
12. BWK, weiters bestehe ein schmerzhaftes chronisches Lymphödem im Unterschenkel)
MRT rechte Unterschenkel vom 12. 3. 2018 (subkutanes Ödem prätibial)
MRT der HWS und BWS vom 6. 3. 2018 (Bandscheibenherniation C5 bis C7 und höhergradige Einengung des Spinalkanals, geringe Antelistese C4 gegenüber C5 mit Foramenstenose links. Geringe Deckplattenimpression
12. BWK, kein umschriebener Prolaps. Syringomyelie Oberkante C7 bis TH 5 verfolgbar)
Bericht Dr. A., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 20. 3. 2018 (Rad. Läsion C6/7 rechts bei BS Herniation C6-C7 mit deutl. biforaminaler Stenose u höhergrad. Einengung des Spinalkanals, aggitiert depressives ZB bei endoreaktive Depressio mit Somatisierung. AC Athrose re u Ii Syringomyelie, neuropath Schmerz, Cervicalsyndrom, Vertebrogene Cephalea, mäßiges CTS rechts, incipentes CTS Ii bei Z.n.CTS OP bds Inkontinenz. Stellungnahme: Auf Grund der eingeschänkte Mobilität u der Vielzahl von oben angeführten Diagnosen sowohl physisch als auch psychisch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar. Labor vom 20. 2. 2018 (D-Dimer 1,64, HbA1c 7,3 %, Glucose 120, Triglyceride 187, Cholesterin 266)
Befund Dr. N., FA für Neurochirurgie 2. 2. 2018 (Tetraparese, Syringomyelie C6-Th1, und Th3-Th5, Spondylolisthese L5/S1 (Anterolisthese L5 gegenüber S1), St. p. CTS Operation (Re 1992, Li 1999), St. p. Glassplitterverletzung rechter Unterschenkel (3.11.2017), D.m., Hyperthyreose, Adipositas, St. p. Hüft-TEP rechts. Tetrasymptomatik mit sensomotorischen Ausfällen und vegetativen Ausfällen, chronisches multilokuläres Schmerzsyndrom und eine progrediente Verschlechterung der selbständigen Mobilität mit rezidivierenden Stürzen. Röntgen der LWS inkl. Funktionsaufnahme (29.01.2018) linkskonvexe Skoliose, Osteochondrose L5/S1, Anterolisthese L5/S1 von 10 mm, keine pathologische Instabilität im Segment L5/S1)
Befund Orthopädische Schmerztherapie Krankenhaus Speising vom 13. 5. 2009 (stationäre Therapie, CT-gezielte Infiltration L3/L4 und L5/S1, Lumboischialgie beidseits. Insgesamt ist das Beschwerdebild wahrscheinlich aus einem kombinierten Facettengelenks Schmerz und einer Neuroforamenstenose L5/S1 zu werten)
Befund Orthopädische Schmerztherapiekrankenhaus Speising vom 15. 9. 2008 (Lumboischialgie rechts, Infiltrationen, konserativer Therapie, chronifiziertes nahezu pananalgetisches Schmerzbild)
Neurologischer Befund Klinikum Graz vom 20. 10. 2006 (Schmerzen im Brustbereich, Kältegefühlen den Beinen, Schmerzen im Rücken. Bei der Kraftuntersuchung bestehenden Kooperationsprobleme, der durch stark wechselnde Leistungen an den oberen und unteren Extremitäten, bei Mehrfachwiederholung letztendlich beidseitig gute Kraftleistung.
Beurteilung: Vertebragene Neuralgie bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, klinisch kein sicherer Hinweis für Wurzel-oder Myelonkompression. Syringomyelie im Bereich der HWS und BWS.)
Stellungnahme:
Dokumentiert sind mehrfache orthopädische, neurologische und neurochirurgische Interventionelle Behandlungen und medikamentös analgetische Therapie bei Lumboischialgie beidseits. Ein sicherer Nachweis eines neurologischen Defizits Konnte nicht erbracht werden.
Die nachgereichten Befunde bringen keine neuen Erkenntnisse. Maßgeblich für die Beurteilung sind objektivierbare Funktionseinschränkungen, insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten. Dabei konnte ausreichend Bewegungsumfang, Kraft und Koordination festgestellt werden, ein neurologisches Defizit liegt nicht vor, siehe Gangbildanalyse. Eine Inkontinenz ist fachärztlich nicht belegt. An der vorgenommenen Beurteilung wird festgehalten."
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14.05.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 16.11.2017 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden.
Mit Schreiben vom 25.05.2018 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 14.05.2018, mit dem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen worden war. Zusammengefasst führt die Beschwerdeführerin aus, dass zusätzlich zu ihren anderen Erkrankungen eine Cervicale Laminektomie und Anterior Body Fusion (09.05.2018) hinzugekommen seien, wodurch sie derzeit aufgrund ihrer Erkrankungen nicht in der Lage sei ohne Schmerzen 300 - 400 Meter zu gehen. Ihr Vorbringen belegte die Beschwerdeführerin mit dem Entlassungsbericht vom AKH Wien und vom UK Tulln.
Aufgrund der eingebrachten Beschwerde holte die belangte Behörde eine Stellungnahme der Fachärztin für Orthopädie, welche das Gutachten vom 22.02.2018 erstellt hatte, vom 09.08.2018 ein. In dieser Stellungnahme wird - hier auszugsweise dargestellt - Folgendes ausgeführt:
"AW erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 14. 2. 2018 nicht einverstanden und bringt neuerlich Einwendungen vor. Im Schreiben vom 25. 6. 2018 wird vorgebracht, dass sie von 08.05.2018 bis 16.05.2018 im AKH Wien, vom 16.05.2018 bis 18.05.2018 im KH Hietzing/Krankenhaus Rosenhügel und direkt anschließend 18.05.2018 bis 22.06.2018 stationar im UK Tulln gewesen sei. Sie habe eine cervicale Laminektomie und Anterior Body Fusion am 9. 5. 2018 erhalten und sei derzeit aufgrund der Erkrankungen nicht in der Lage, ohne Schmerzen 300-400 m zu gehen, da die körperliche Belastung zu anstrengend sei. Sie stelle weiterhin den Antrag auf die Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Entlassungsbrief Universitätsklinikum Tulln Abteilung für Neurologie, Rehabilitation, vom 22.6.2018 (9. 5. 2018 cervicale Laminektomie und ABF C5/C6 und C6/C7
Neurochirurgie AKH Wien, Transfer Neurologie Krankenhaus Hietzing, dort zunehmende psychische Instabilisierung im Rahmen einer akuten Belastungsreaktion, was eine Akutaufnahme an der psychiatrischen Abteilung Tulln führte, Übernahme zur Frührehabilitation zur Weiterführung der neurologischen Behandlung und Verbesserung der Schmerzstation und Mobilität.
Aktuelle Medikation: Euthyrox, Pantoprazol, Xanor, Sirdalud, Gabapentin, Venlafaxin, Xigduo, Spasmolyt, Xefo ausschleichend, Adamon long 150 mg zweimal 1, Adamon 50 mg bei Bedarf.
Stationäre neurologische Rehabilitation im RZ Bad Pirawarth ist ab dem 20. 7. 2018 geplant.
Aufnahmsuntersuchung: Gangbild mit Krücken sicher, ohne Krücken Gang und Stand unsicher, jedoch freies Gehen möglich, leicht hinkend.
Urologischer Befund vom 24. 5. 2018: urgebetonte Inkontinenzproblematik mit 4 bis 5maliger Nykturie, sonographisch kein Anhaltspunkt für eine Harntransportstörung, Harnbefund bland, empfehle Spasmolyt, Ovestin.)
Befund Neurochirurgie AKH vom 23. 5. 2018 (cervicale Laminektomie und Anterior Body Fusion C5/C6 und C6/C7 am 9. 5. 2018. Aufgrund Tetrasymptomatik mit sensomotorischen Ausfällen und vegetativen Ausfällen bei chronischem Schmerzsyndrom und progredienter Verschlechterung der selbstständigen Mobilität und rezidivierenden Stürzen, bei Vorliegen einer Syringomyelie und hochgradigen cervikalen Vertebrostenose ist eine neurochirurgische Therapie der zervikalen Vertebrostenose im Sinne einer Dekompression indiziert. Bei der Aufnahme Faustschluss beidseits KG 3-4, Ellenbogenstrecken KG 4-5, Vorfußheben rechts KG 3, links KG 4-5, Vorfußsenken KG 4.)
Stellungnahme:
Zwischenzeitlich ist es zu einer maßgeblichen Verschlimmerung gekommen, sodass eine cervicale Dekompression erforderlich wurde. Peri- oder postoperative Komplikationen konnten nicht dokumentiert werden. Weitere Rehabilitationen sind ab 07/2018 geplant, sodass nach Abschluss des Heilverfahrens nicht von einer dauerhaften Beeinträchtigung ausgegangen werden kann, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m, das Überwinden von Niveauunterschieden und das Festhalten in öffentlichen Verkehrsmittel maßgeblich beeinträchtigen könnte. Insgesamt sind daher die vorgebrachten Argumente und eingereichten Befunde nicht geeignet, das bereits vorliegende Begutachtungsergebnis zu entkräften, welches daher aufrechterhalten wird. "
Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 14.08.2018 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid vom 14.05.2018 gemäß §§ 41, 42 und 46 BBG iVm § 14 VwGVG abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden. Begründend wurde auf die Ergebnisse der im Zuge der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens eingeholten Stellungnahme der Fachärztin für Orthopädie vom 09.08.2018 verwiesen. Diese Stellungnahme wurde der Beschwerdeführerin als Beilage zur Beschwerdevorentscheidung übermittelt.
Mit Schreiben vom 12.09.2018 brachte die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre ausgewiesene Vertretung, fristgerecht einen Vorlageantrag ein. Im Vorlageantrag wird insbesondere ausgeführt, dass der Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie der Befund der Neurochirurgie vom AKH Wien nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, worin eine progrediente Verschlechterung der selbstständigen Mobilität und rezidivierende Stürze festgestellt worden seien.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.10.2018 wurde der am 12.09.2018 eingelangte Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung des Sozialministeriumservice vom 14.08.2018 als verspätet zurückgewiesen.
Gegen den zurückweisenden Bescheid der belangten Behörde vom 09.10.2018 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Vertretung fristgerecht Beschwerde.
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt am 19.10.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2018 wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
Aufgrund des Inhaltes der eingebrachten Beschwerde bzw. des Vorlangeantrages holte das Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 03.03.2019 auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung ein. Nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.02.2019 wurde - hier auszugsweise und in anonymisierter Form dargestellt - Folgendes ausgeführt:
"Vorgutachten:
DDr. G., Orthopädie, 14.02.2018: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Hüfttotalendoprothese rechts, beginnende Hüftgelenksarthrose links, beginnende Kniegelenkarthrose beidseits, Beweglichkeitseinschränkung an beiden Schultern, Carpaltunnelsyndrom beidseits ohne relevantes neurologisches Defizit, nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Depressio mit Somatisierung. Die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel war gegeben.
Subjektive Angaben bezüglich Einspruch:
Sie hatte zusätzlich zu den Erkrankungen eine cervikale Laminektomie und Fusion und ist nicht in der Lage 300-400m ohne Schmerzen zu gehen.
Anamnese:
Im Jänner haben die Füße ausgelassen, sie ist zurückgefallen und sie habe sich einen Brustwirbel angeknackst und der linke Arm im Schulterbereich schmerze. Wenn sie ein Glas angreift, könne sie es fast nicht halten wegen der Schmerzen im Bereich der linken Hand. Letzte Woche sei sie wieder gestürzt. Dieses Mal sei sie auf die rechte Schulter gefallen.
Jetzige Beschwerden:
Die jetzigen Beschwerden sind alle seit der Operation der Halswirbelsäule. Sie sei vom Hals weg steif, der Hinterkopf sei taub, der Brustwirbel brennen, im Lendenwirbelbereich sind stechende Schmerzen das rechte Bein an der Außenseite sei taub. Die Knie schmerzen und das linke Sprunggelenk. Wenn sie nervös sei, rinne der Harn. Der Blutdruck sei jetzt zu niedrig. Sie habe das Gefühl als ob sie einen 100 kg schweren Stein im Körper hätte. Es bedrücke sie alles. Zeitweise zittere sie, es komme automatisch, nach ein paar Stunden löse es sich wieder. Sie verwende den Rollator bei längeren Strecken oder im Hof bis zum Haus. Therapie
Euthyrox 100mg, Vertigoheel bei Bedarf, Gabapentin 300mg, Venlafaxin 150mg, Pantoprazol
20 mg, Sirdalud 4mg, Xigduo 5/1000mg, Candesartan 8mg, Ferretab, Oleovit 1)3, Cantro
Chol, Cal D Vita Mognosolv, Xanor 0,5mg, Adamon Long ret. Spasmolyt
Hilfsmittel: Rollator, Unterarmstützkrücke, Korsett
Sozialanamnese:
Geschieden, lebt allein mit Hilfe eines privaten Betreuers
Befunde:
Neurochirurgie AKH Wien, 08.05.2018-16.()5.2018: Spondylose mit Myelopathie, Syringomyelie C6 bis Thl, Th3-5, Spondylolisthese LS/SI, Hypothyreose, Diabetes mellitus Typ2, Adipositas, Hüft-TEP rechts, Laminektomie Fusion C5/6 und C6/7
LK Tulln, Neurologie, 22.06.2018: St. p. zervikale Laminektomie Fusion C5/6 C6/7, Syringomyelie C6-Th1 und Th3-Th5, akute Belastungsreaktion, Inkontinenz seit 3 Jahren Klinik Pirawarth 17.08.2018: Z.n cervikale Vertebrostenose C5-C7, Laminektomie Fusion C5/6 CC)/7, Spondylolisthese LS/SI mit radikulärer Ausstrahlung rechts Mitgebrachte Befunde:
Thorax, BWS und LWS Röntgen: 18.01.2019: Incl. Z. n. Sturz rezente Impressionsfraktur des
WK Th12 Fehlhaltung und zum Teil deutlichere degenerative Veränderungen
Dr. N., FA für Neurochirurgie, 06.07.2018: graduelle Rückbildung der seit Jahren bestehenden und zuvor progredienten Tetrasymptomatikgeht frei ohne Stützkrücken
Dr. A., FA für Neurologie und Psychiatrie, 04.02.2019: BS Herniation C6-C7 deutl. Biforaminale Stenose und höhergradige Einengung des Spinalkanals, Inkontinenz rezid. Stürze, Gang hinkend mit Stützkrücken wegen der unsicheren Gangart Rollator verordnet.
Status:
60 jährige Frau kommt in Begleitung
SCHÄDEL/WS: Keine äußeren Auffälligkeiten, Schädel endlagig eingeschränkt beweglich, kein Meningismus, Carotiden unauffällig
,HIRNNERVEN.
Geruchsempfinden wird als normal angegeben,
Gesichtsfeld fingerperimetrisch frei, Pupillen rund, isocor,
Lichtreaktion direkt und indirekt prompt auslösbar,
Bulbusmotilität ungestört, kein pathologischer Nystagmus,
Gesichtssensibilität ungestört, mimische Muskulatur seitengleich normal innerviert, Fingerreiben und Normalsprache wird seitengleich verstanden.
OBERE EXTREMITÄTEN.
Keine pathologische Tonussteigerung grobschlägier Tremor beide OE
Die grobe Kraft Faustschluss beidseits KG4 Armvorhalteversuch kein Absinken.
Arme nicht bis zur Horizontalen hebbar
Die MER sind seitengleich auslösbar. Pyramidenzeichen sind nicht auslösbar.
UNTERE EXTREMITÄTEN:
Tonus nicht prüfbar spannt dagegen, sodass man das Bein nicht beugen kann Tremor grobschlägig beidseits mit Unterbrechungen
Positionsversuch nicht möglich beide Beine werden wegen der Schmerzen im Rücken beoders im Lendenwirbelsäulenbereich nicht vom Boden gehoben. Die PSR und ASR sind seitengleich auslösbar. Pyramidenzeichen sind nicht auslösbar.
SENSIBILITÄT: Hypästhesie im Bereich des Oberarms rechts, Außenseite rechte UE
KOORDINATION.
Keine Ataxie beim FNV und KHV. Bradydiadochokinese, Feinmotilität unauffällig.
Freies Sitzen möglich.
Romberg und Unterberger Versuch: nicht möglich wegen Fallneigung
BLASE: Inkontinenz bei Nervosität
Gesamteindruck- Gangbild
Mit 1 Unterarmstützkrücke langsam, Stiegensteigen mit Handlauf nicht alternierend, bleibt mit dem rechtenFuß hängen.
Beobachtetes Gangbild zum Auto langsam kleinschrittig mit Rollator
Status Psychicus:
Allgemeintempo unauffälllig,
Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassungsvermögen unauffälllig
Spontan- und Konversationssprache unauffällig
Alt- und Kurzgedächtnis sind ungestört, Stimmungslage gedrückt Ductus kohärent, die Affektlage ist unauffällig, Affizierbarkeit gegeben
Beurteilung bzw: Stellungnahme zu Vorschreibung
1) Diagnoseliste:
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule,
Hüfttotalendoprothese rechts, beginnende Hüftgelenksarthrose links,
Beginnende Kniegelenkarthrose beidseits,
Beweglichkeitseinschränkung an beiden Schultern,
Carpaltunnelsyndrom beidseits ohne relevantes neurologisches Defizit,
Nicht insultpflichtiger Diabetes mellitus,
Depressio mit Somatisierung
2) Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten vor?
Schmerzbedingt werden in der Untersuchungssituation beide Beine nicht von der Unterlage gehoben. Das Gangbild ist deutlich eingeschränkt mit Hilfe 1 Unterarmstützkrücke in der Untersuchungssituation und beim Gang zum Auto (beobachtet nach der Untersuchung) mit Rollator. Stürze in der Anamnese sind glaubhaft, zumal es beim letzten Sturz zu einem frischen Wirbelkörperbruch Th 12 kam.
3) Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor? Nein
4) Stellungnahme zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin und Befunden Abl. 117-146
Im Befund Klinikum Pirawarth (Abl. 126) wird eine Bewegungsfähigkeit bei Aufnahme folgendermaßen beschrieben: Stand ohne Anhalten, Gang ohne HM einzelne Schritte möglich hinkend längere Strecken rollmobil, Rhomberg und Unterberger Tretversuch nicht durchgeführt. In der
Epikrise wird eine Verbesserung der Qualität des Gangbildes beschrieben (Abl. 130), laut Physiotherapie-Bericht (Abl. 120) sind einige Schritte ohne Hilfsmittel möglich im Fernbereich rollmobil
Das in der Untersuchungssituation dargebotenen Gangbild stimmt mit der Beschreibung der Mobilität im Befund Klinikum Pirawarth (Abl. 126, 120) überein.
5) Stellungnahme
Durch das Wirbelsäulenleiden liegen schmerzbedingt erhebliche Bewegungseinschränkungen der Beine vor, die die Verwendung eines Rollators im Fernbereich notwendig machen, nur einige Schritte werden frei ohne Hilfsmittel gegangen, wobei eine Fallneigung mit Stürzen gegeben ist. Daher ist ein sicherer Transport nicht gegeben. Das Ein- und Aussteigen ist erheblich erschwert, da auch das Stufensteigen nur mit Handlauf nicht alternierend und mit Hängenbleiben des rechten Beines möglich ist.
6) Nachuntersuchung
Eine Nachuntersuchung in 2 Jahren erscheint angebracht, da eine graduelle Verbesserung bereits befundmäßig dokumentiert wurde und weitere Verbesserungen möglich erscheinen.
7) Neue Befunde im Rahmen der nunmehrigen Begutachtung:
Mitgebrachte Befunde:
Thorax, BWS und LWS Röntgen, 18.01.2019: Incl. Z. n. Sturz rezente Impressionsfraktur des WK Th 12 Fehlhaltung und zum Teil deutlichere degenerative Veränderungen
Dr. N., FA für Neurochirurgie, 06.07.2018: graduelle Rückbildung der seit
Jahren bestehenden und zuvor progredienten Tetrasymptomatikgeht frei ohne Stützkrücken
Dr. A., FA für Neurologie und Psychiatrie, 04.02.2019: BS Herniation C6-C7 deutl. Biforaminale Stenose und höhergradige Einengung des Spinalkanals, Inkontinenz rezid. Stürze, Gang hinkend mit Stützkrücken wegen der unsicheren Gangart Rollator verordnet
Aus den neuen Befunden ist keine andere medizinische Beurteilung abzuleiten."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Sie stellte am 16.11.2017 beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO, welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt.
Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden für das gegenständliche Verfahren betreffend Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" relevanten Funktionseinschränkungen:
* Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
* Hüfttotalendoprothese rechts, beginnende Hüftgelenksarthrose links
* Beginnende Kniegelenkarthrose beidseits
* Beweglichkeitseinschränkung an beiden Schultern
* Carpaltunnelsyndrom beidseits ohne relevantes neurologisches Defizit
* Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus
* Depressio mit Somatisierung
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt nicht zumutbar.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden, im gegenständlichen Verfahren relevanten Funktionseinschränkungen und ihrer Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 03.03.2019 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründet sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 03.03.2019, in dem sich die medizinische Sachverständige auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und der von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befunde umfassend und nachvollziehbar mit der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auseinandergesetzt hat. Die medizinische Sachverständige kommt - anders als im Vorgutachten vom 22.02.2018 - zum Ergebnis, durch das Wirbelsäulenleiden liegen schmerzbedingt erhebliche Bewegungseinschränkungen der Beine vor, die die Verwendung eines Rollators im Fernbereich notwendig machen, nur einige Schritte werden frei ohne Hilfsmittel gegangen, wobei eine Fallneigung mit Stürzen gegeben ist. Daher ist ein sicherer Transport nicht gegeben. Das Ein- und Aussteigen ist erheblich erschwert, da auch das Stufensteigen nur mit Handlauf nicht alternierend und mit Hängenbleiben des rechten Beines möglich ist. Eine Nachuntersuchung in 2 Jahren erscheint angebracht, da eine graduelle Verbesserung bereits befundmäßig dokumentiert wurde und weitere Verbesserungen möglich erscheinen.
Dieses medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 03.03.2019 blieb von den Parteien des Verfahrens unbestritten. Die ausgewiesene Vertretung der Beschwerdeführerin gab schriftlich bekannt, keine Einwendungen zu haben. Dieses Sachverständigengutachten von 03.03.2019, das eine höhere Aktualität aufweist als das Vorgutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 22.02.2018, wird in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. .......
2. ......
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller
Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1
Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
...
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.