Entscheidungsdatum
02.04.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W133 2203768-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Gerd GRUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX vertreten durch den XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 27.06.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass vom 12.10.2017 wird stattgegeben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin stellte am 12.10.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), welcher nach dem Antragsformular auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass galt, und legte medizinische Unterlagen vor.
Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Urologie vom 02.05.2018 ein. In diesem wurden ohne Durchführung einer persönlichen Untersuchung, nur auf Grundlage der vorgelegten Befunde die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
GdB %
1
Chronisches Blasenschmerzsyndrom Wahl dieser Position bei schmerzhafter Blasenspeicher- und entleerungsstörung. Annähernd objektivierbar durch den positiven Kaliumchloridtest als Hinweis einer gestörten urothelialen Schutzschicht und der Anamnese lt. Vorgutachten. Eine Stufe über dem unteren RS berücksichtigt den negativen Einfluss auf das Erkrankungsbild bedingt durch die vorhandene Somatisierungsstörung. Anmerkung: verminderte Blasenkapazität zwar anzunehmen, Befundlage hier jedoch äußerst dürftig (kein Blasentagebuch, kein Urodynamikbefund vorhanden) und die angegebene Blasenkapazität NICHT in Narkose ermittelt
08.01.07
60
2
Beinlänge links -3cm Mittlerer Rahmensatz, berücksichtigt Skoliose der Wirbelsäule
02.05.02
30
3
Amputation Zeigefinger rechts auf Höhe des Mittelglieds Unterer Rahmensatz, da keine nennenswerte funktionelle Beeinträchtigung
02.06.26
10
zugeordnet und
nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.) eingeschätzt. Bezüglich der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte der Gutachter zusammengefasst aus, dass die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels in allen Qualitäten zumutbar sei.
Die belangte Behörde räumte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25.05.2018 ordnungsgemäß Parteiengehör zu diesem Gutachten ein.
Mit Schreiben vom 22.06.2018 erstattete die Beschwerdeführerin, vertreten durch den XXXX , eine Stellungnahme, worin sie die starken Schmerzen und Einschränkungen beschreibt, die sie aufgrund ihrer schweren Harnwegserkrankung habe. Der Stellungnahme legte sie ihr Miktions- und Schmerztagebuch bei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in dem Behindertenpass ab. Begründend stützte sich die belangte Behörde auf die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens, wonach die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben seien.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben der rechtlichen Vertretung vom 14.08.2018 fristgerecht eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führt sie im Wesentlichen aus, der Amtssachverständige habe in seinem Gutachten unter anderem angeführt, dass eine ausführliche Befundlage nicht gegeben sei und Störungen der Blasenentleerung nur schwer objektivierbar seien. Dieser Argumentation werde nun durch die Vorlage eines urologischen Fachbefundes entgegengetreten, der dem Gutachten eindeutig widerspreche und worin sich eine eindeutige Diagnose befinde, welche die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung rechtfertige. Der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin eine urologisch-fachärztliche Stellungnahme vom 31.07.2018 bei, worin eine Interstitielle Zystitis mit massiven Schmerzen als erwiesen und das Erfordernis, - trotz wöchentlicher Instillationsbehandlungen - möglichst rasch eine Toilette aufsuchen zu können, dokumentiert werden.
Am 20.08.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Mit Schreiben vom 11.02.2019 räumte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien rechtliches Gehör zu diesem Sachverhalt ein, wie auch zur beabsichtigten rechtlichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes.
Beide Parteien traten den Ergebnissen der Beweisaufnahme und der beabsichtigten rechtlichen Beurteilung nicht entgegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Die Beschwerdeführerin brachte am 12.10.2017 unter anderem einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass bei der belangten Behörde ein.
Sie hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Gesundheitsschädigungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1) Entleerungsstörung der Blase schweren Grades, Interstitielle Zystitis einhergehend mit massiven Schmerzen, Blasenschmerzsyndrom;
2) Beinlänge links -3cm, berücksichtigt Skoliose der Wirbelsäule und
3) Amputation Zeigefinger rechts auf Höhe des Mittelglieds, ohne nennenswerte funktionelle Beeinträchtigung.
Anders als noch zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens durch die belangte Behörde ist nun durch die - nicht der Neuerungsbeschränkung unterliegende - urologisch-fachärztliche Stellungnahme vom 31.07.2018, im Verfahren zweifelsfrei bestätigt, dass bei der Beschwerdeführerin eine Interstitielle Zystitis mit kleinkapazitärer Blase besteht, die mit sehr starken Schmerzen verbunden ist, wenn die Beschwerdeführerin nicht so schnell wie möglich eine Toilette aufsuchen kann. Auch die nunmehr wöchentliche Installation mit Ialuril verschafft nur eine leichte Besserung. Diese fachärztliche Stellungnahme wird nicht als "Gefälligkeitsbefund" erachtet.
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund dieses Leidenszustandes nicht zumutbar.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt somit vor.
2. Beweiswürdigung:
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus der im Akt aufliegenden Kopie der Meldebestätigung und ihren eigenen Angaben bei der Antragstellung; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Die bestehenden Leidenszustände basieren grundsätzlich auf dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten des Facharztes für Urologie vom 02.05.2018. Jedoch erfolgt hinsichtlich der genauen Diagnose und der Auswirkungen des Leidens 1 auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch das Bundesverwaltungsgericht eine von diesem Gutachten abweichende Beurteilung:
Der Entscheidung legte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Urologie vom 02.05.2018, welches nur aufgrund der Aktenlage erstellt worden war, zugrunde.
In diesem Gutachten ging der Sachverständige unter anderem davon aus, dass Störungen der Blasenentleerung schwer objektivierbar seien und bei der Beschwerdeführerin eine ausführliche Befundlage nicht gegeben zu sein scheine. Es sei daher auch keine Einschätzung möglich, ob "sämtliche Therapieoptionen in der Tat vollständig ausgereizt seien". Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels sei der Beschwerdeführerin auch unabhängig davon in allen Qualitäten zumutbar.
Im Rahmen der Beschwerde vom 04.08.2018 legte die rechtlich vertretene Beschwerdeführerin einen urologischen Fachbefund vom 31.07.2018 vor, worin auf der Grundlage eines Urodynamikberichtes und einer Blasenspiegelung zweifelsfrei bestätigt wird, dass bei der Beschwerdeführerin eine Interstitielle Zystitis mit kleinkapazitärer Blase besteht, die mit sehr starken Schmerzen verbunden ist, wenn die Beschwerdeführerin nicht so schnell wie möglich eine Toilette aufsuchen kann. Auch die nunmehr wöchentliche Installation mit Ialuril verschafft nur eine leichte Besserung. Dieser Befund unterliegt nicht der Neuerungsbeschränkung, da er unter einem mit der Beschwerde vorgelegt worden war.
Auf Grundlage dieses Fachbefundes ist auf Basis des aktuellen Ermittlungsergebnisses davon auszugehen, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel der Beschwerdeführerin nicht zumutbar ist.
Die belangte Behörde ist dem Ermittlungsergebnis und der daran anknüpfenden rechtlichen Beurteilung nicht entgegen getreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) BGBl. Nr. 283/1990, idF des BGBl. I Nr. 59/2018, lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
......
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)......
b)......
......
2. ...... 3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des
Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder - erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder - erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder - eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder - eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) - (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):
"Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
..........
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
.........
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.
.........
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
-
Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
-
hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
-
schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
-
nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
-
anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),
-
schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
-
fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
-
selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
......."
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
-
vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,
-
laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,
-
Kleinwuchs
-
gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
-
bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.
......."
Aus diesen Erläuterungen ist ersichtlich, dass der Verordnungsgeber bei Harninkontinenz zwar grundsätzlich die Verwendung von Inkontinenzprodukten als zumutbare Maßnahme ansieht, jedoch liegt im Beschwerdefall nicht "lediglich" eine Harninkontinenz vor, sondern eine anhaltende Entleerungsstörung der Blase schweren Grades in Form einer Interstitiellen Zystitis einhergehend mit massiven Schmerzen und Blasenschmerzsyndrom. Im Rahmen der Beschwerde vom 04.08.2018 legte die rechtlich vertretene Beschwerdeführerin einen urologischen Fachbefund vom 31.07.2018 vor, worin auf der Grundlage eines Urodynamikberichtes und einer Blasenspiegelung zweifelsfrei bestätigt wird, dass bei der Beschwerdeführerin eine interstitielle Zystitis mit kleinkapazitärer Blase besteht, die mit sehr starken Schmerzen verbunden ist, wenn die Beschwerdeführerin nicht so schnell wie möglich eine Toilette aufsuchen kann. Auch die nunmehr wöchentliche Installation mit Ialuril verschafft nur eine leichte Besserung. Dieser Befund unterliegt - wie auch bereits oben ausgeführt wurde - nicht der Neuerungsbeschränkung, da er unter einem mit der Beschwerde vorgelegt worden war.
Auf Grundlage dieses Fachbefundes ist auf Basis des aktuellen Ermittlungsergebnisses daher davon auszugehen, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel der Beschwerdeführerin nicht zumutbar ist.
Die belangte Behörde ist dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegengetreten.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W133.2203768.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.06.2019