TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/2 W210 2174836-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2019
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Entscheidungsdatum

02.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2174836-1/24E

Schriftliche Ausfertigung des am 21.03.2019 verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.06.2018 und am 21.03.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.04.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 23.04.2016 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Als Fluchtgrund gab er hierbei die unsichere Lage in Afghanistan an und führte aus, dass sein Leben in Gefahr sei. Er habe in XXXX gewohnt, welches von den Taliban regiert werde.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 12.07.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er hier an, aufgrund seiner Tätigkeit als Operation Manager in einem Transportunternehmen Drohbriefe der Taliban erhalten zu haben.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid, dem Beschwerdeführer am 16.10.2017 zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 12.10.2017 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit Schreiben vom 23.06.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen behaupteter unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Beschwerde wendet ein, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers in einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe sowie aus religiösen Gründen bestünden. Da der Beschwerdeführer für ein Unternehmen tätig gewesen sei, das mit ausländischen Truppen in Afghanistan zusammenarbeite, sei er massiven Verfolgungshandlungen durch die Taliban-Terroristen ausgesetzt gewesen. Die staatlichen Behörden seien weder schutzfähig noch schutzwillig. Der belangten Behörde sei es nicht gelungen, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und die Asylrelevanz seiner Fluchtründe in nachvollziehbarer Weise zu widerlegen. Unter Verweis auf UNHCR-Richtlinien vermeint die Beschwerde weiter, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines langjährigen Auslandsaufenthaltes intensiver Gefahr laufe, als "verwestlicht" angesehen zu werden. Zudem habe er keinen Bezug mehr zu Afghanistan und könne dort keine menschenwürdige Existenz führen. Eine familiäre oder soziale Unterstützung könne der Beschwerdeführer ebenfalls nicht erwarten. Der Beschwerdeführer habe sich während seines Aufenthaltes in Österreich intensiv um eine Integration bemüht. Die Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sei keiner adäquaten, aktuellen Beurteilung unterzogen worden.

7. Am 27.10.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einem verzichtete das BFA auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.06.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu und des ausgewiesenen Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Beweggründen hinsichtlich der Ausreise aus Afghanistan und zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt und die stellig gemachte Zeugin, XXXX , zur Frage der Integration des Beschwerdeführers in Österreich einvernommen wurde.

Der Beschwerdeführervertreter legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen, Unterstützungsschreiben, Fotos und Internetausdrucken betreffend die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz XXXX vor. Diese wurden als Beilagen ./1 bis ./4 zum Akt genommen.

Die erkennende Richterin brachte das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Stand: 30.01.2018, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 samt Anmerkungen aus Dezember 2016, einen EASO-Report zur Sicherheitssituation in Afghanistan aus Dezember 2017, eine ACCORD-Zusammenfassung über die Sicherheitslage in Afghanistan betreffend den Zeitraum Jänner 2017 bis März 2018, einen Report der Landinfo "Organisation und Struktur der Taliban" vom 23.08.2017, das Dossier der Staatendokumentation "Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur" aus 2016, das Sicherheitsupdate zu Afghanistan aus Mai 2018 sowie den EASO-Bericht zu Netzwerken in Afghanistan aus Jänner 2018 in das Verfahren ein.

9. Mit Eingabe vom 02.07.2018 erfolgten eine schriftliche Stellungnahme zur Lage in Afghanistan und eine Urkundenvorlage durch den Beschwerdeführ.

10. Dem Beschwerdeführer wurde eine Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblatts, Stand: 29.06.2018, mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Von dieser Möglichkeit hat der Beschwerdeführer auch Gebrauch gemacht.

11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2018, W210 2174836-1/9E wurde die verfahrensgegenständliche Beschwerde vollinhaltlich abgewiesen.

12. In weiterer Folge brachte der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen die Entscheidung vom 31.08.2018 beim Verfassungsgerichtshof ein, dieser wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

13. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.02.2019 zu E 4137/2018 wurde die Behandlung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) abgelehnt, im Übrigen die Entscheidung (Spruchpunkt II., III. und IV.) wegen Eingriffs in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behoben.

14. Nach Aktenrückmittlung durch den Verfassungsgerichtshof wurde der Beschwerdeführer zu einer mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 geladen, der Ladung beigeschlossen waren die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, die EASO-Country Guidance Notes zu Afghanistan vom Juni 2018, der EASO Bericht zu Netzwerken in Afghanistan, das Länderinformationsblatt zu Afghanistan, Stand 29.06.2018, inklusive aller bis dorthin ergangenen Kurzinformationen einschließlich der Kurzinformation vom 01.03.2019 sowie der ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 zur Lage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat.

15. An der mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 nahm der Vertreter des Beschwerdeführers teil sowie die geladene Dolmetscherin, der Beschwerdeführer selbst erschien nicht. Eine Nachschau im zentralen Melderegister ergab, dass der Beschwerdeführer seit 19.11.2018 keine aufrechte Meldung in Österreich mehr hat und seit 01.10.2018 aus der Grundversorgung abgemeldet worden war. Der bisherige Akteninhalt wurde verlesen, auf die wortwörtliche Verlesung wurde dabei verzichtet. Der anwesende Vertreter gab eine Stellungnahme zu den Länderberichten ab, indem er ausführte, dass in Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe aufgrund der Sicherheitslage und in Herat und Mazar-e Sharif wegen der mangelnden Zufahrtsmöglichkeiten.

16. Das gegenständliche Erkenntnis wurde im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet samt Belehrung nach § 29a VwGVG. Eine Abschrift des Protokolls wurde dem Vertreter ausgehändigt und der belangten Behörde nachweislich zugestellt.

17. Mit Schreiben vom 22.03.2019 beantragte der Vertreter des BF die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person und zum Leben des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Er ist in der Provinz XXXX , im Dorf XXXX , geboren und aufgewachsen. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er kann diese Sprache lesen und schreiben und verfügt zudem über Sprachkenntnisse in Englisch und Deutsch.

Der Beschwerdeführer hat eine 12-jährige, abgeschlossene, Schulbildung und besuchte anschließend die Universität in XXXX .

Die Eltern und die zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in XXXX im Heimatdorf des Beschwerdeführers. Zudem hat der Beschwerdeführer in XXXX Onkel und Tanten. Der Beschwerdeführer stand in regelmäßigem Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan. Der Bruder des Beschwerdeführers hält sich in Pakistan auf. Die Familie des Beschwerdeführers lebt in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Sie wohnt in einem Eigentumshaus und besitzt landwirtschaftliche Felder sowie Geschäftsläden in der Stadt XXXX , welche sie vermietet.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende 2015 und reiste im April 2016 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 22.04.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist seit 19.11.2018 nicht mehr aufrecht gemeldet und ist seit 01.10.2018 aus der staatlichen Grundversorgung abgemeldet. Er nahm seit seiner Einreise in das Bundesgebiet an mehreren Deutschkursen teil und bestand zuletzt die Sprachprüfung auf dem Niveau B1. Er besuchte unterschiedliche integrationsfördernde Kurse, leistete gemeinnützige Arbeiten und half in seiner Wohnsitzgemeinde gelegentlich bei Übersetzungstätigkeiten mit. Seit November 2017 besuchte der Beschwerdeführer eine Übergangsklasse im Bundesschulzentrum XXXX . In seiner Freizeit ging der Beschwerdeführer ins Fitnesscenter und spielte mit Freunden Fußball. Der Beschwerdeführer hat seinen neuen Aufenthaltsort dem Bundesverwaltungsgericht nicht mitgeteilt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörige. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Mit Erkenntnis des VfGH vom 25.02.2019 zur GZ E 4137/2018 wurde die Behandlung der Beschwerde gegen die Entscheidung über Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 31.08.2018 zu W210 2174836-1/9E abgelehnt und die Beschwerde insoweit an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 01.03.2019 - KI 01.03.2019, S. 1). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 31.01.2019 - LIB 31.01.2019, S.48).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 31.01.2019, S.48).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 31.01.2019, S.51). Mit Stand Dezember 2018 kontrollierte die afghanische Regierung alle Provinzzentren bzw. standen diese unter dem Einfluss der Regierung (Kurzinformation 01.03.2019, Seite 2).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz , Uruzgan und Helmand (Kurzinformation vom 01.03.2019, Seite 3).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 31.01.2019, S.52).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 31.01.2019, S. 52). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 31.01.2019, S.52 ff.).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 31.01.2019, S. 335 f.).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Kunduz

Kunduz liegt 337 km nördlich von Kabul. Die Provinz hat 1.049.249 Einwohner. In der Provinz leben Paschtunen, Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara und Paschai (LIB 31.01.2019, S. 159 ff.). Kunduz zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans (EASO Country Guidance Notes, S. 24), in der Aufständische aktiv sind. In den Jahren 2015 und 2016 fiel Kunduz -Stadt jeweils einmal an Taliban-Aufständische; die Stadt konnte in beiden Fällen von den afghanischen Streitkräften zurückerobert werden. Im gesamten Jahr 2017 wurden 377 zivile Opfer (93 getötete Zivilisten und 284 Verletzte) in der Provinz Kunduz registriert. Hauptursache waren Bodenangriffe, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen (LIB 31.01.2019, S. 161 ff.). Es gibt aus 2017 auch Berichte über Aktivitäten des IS in Kunduz (LIB 31.01.2019, S. 162). Während der Wahlen am 20.10.2018 kam es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kunduz (Kurzinformation zur Sicherheitslage vom 01.03.2019, S. 2).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 31.01.2019, S. 128). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 31.01.2019, S. 250), wobei die Verbindungsroute in die Stadt bei Tageslicht jedenfalls sicher ist (EASO Country Guidance, S. 29), und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 31.01.2019, S.128 f.)

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 31.01.2019, S. 129); die Sicherheitslage in der Provinz Shindand ist vergleichsweise schlecht (LIB 31.01.2019, S. 128). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 31.01.2019, S. 129).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 31.01.2019, S.129).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 31.01.2019, S. 129 und 130).

Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (KI 01.03.2019, S. 1). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (KI 01.03.2019, S. 2).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 31.01.2019, S. 130).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 31.01.2019, S. 91). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 31.01.2019, S. 92). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 31.01.2019, S. 247). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 31.01.2019, S. 92, 250). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, Seite 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 31.01.2019, S. 92). Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. (LIB 31.01.2019, S. 92f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 31.01.2019, S. 24).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 31.01.2019, S. 93).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 31.01.2019, S. 94).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig (LIB 31.01.2019, S. 342).

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 31.01.2019, S. 342). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 31.01.2019, S. 343, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20). Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 29 - 30).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 31.01.2019, S. 355).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 31.01.2019, S. 356 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 31.01.2019, S. 357 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 31.01.2019, S. 359).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 31.01.2019, S. 359 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 31.01.2019, S. 360).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 31.01.2019, S. 360).

Zudem gibt es in Städten Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer, in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 31).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 31.01.2019, S. 303). Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist somit die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (LIB 31.01.2019, S. 308). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 31.01.2019, S. 304).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (LIB 31.01.2019, S. 293 ff.).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hg. Akt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.06.2018.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Leben:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Herkunftsprovinz, zu seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie zu seinem Familienstand gründen sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 1 und 127; BVwG-Akt, OZ 4, Verhandlungsprotokoll, S. 4 f., 8).

Dass der Beschwerdeführer über eine zwölfjährige Schulbildung verfügt und anschließend die Universität in XXXX besuchte, gab dieser selbst zu Protokoll (BFA-Akt, AS 1 und 127; BVwG-Akt, OZ 4, S. 5).

Die Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Afghanistan gründen auf dessen eigenen Aussagen (BFA-Akt, AS 3 und 129; BVwG-Akt, OZ 4, S. 6). Dass der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt zu seinen Familienangehörigen in XXXX hatte, gab dieser ebenfalls selbst zu Protokoll und führte zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2018 aus, zwei Tage zuvor über das Internet mit seinen Eltern Kontakt gehabt zu haben (BVwG-Akt, OZ 4, S. 6), Gegenteiliges kam im weiteren Verfahren nicht hervor.

Aufgrund widersprüchlicher Angaben war die Negativfeststellung betreffend den Ausreisezeitpunkt des Beschwerdeführers zu treffen. Der Beschwerdeführer nannte sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung explizit den 29.10.2015 als Ausreisetag (BFA-Akt, AS 127; BVwG-Akt, OZ 4, S. 15). Er legte jedoch eine Tazkira, datierend auf den 09.11.2015, sowie eine englische Übersetzung dieser Tazkira, datierend auf den 18.11.2015, vor (BFA-Akt, AS 71) und gab in der mündlichen Verhandlung an, dass die Übersetzung noch in Kabul vorgenommen worden sei (BVwG-Akt, OZ 4, S. 16). Der Sicherstellungsbestätigung der Landespolizeidirektion (BFA-Akt, AS 73) ist zudem eindeutig zu entnehmen, dass diese Dokumente bereits im Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich vorlagen. Über Vorhalt gab der Beschwerdeführer an, dass er sich mit dem angegebenen Ausreisedatum irren dürfte (BVwG-Akt, OZ 4, S. 17).

Dass der Beschwerdeführer am 22.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist aktenkundig.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dessen eigenen Angaben im Verfahren (BFA-Akt, AS 125; BVwG-Akt, OZ 4, S. 21 f.), den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen (BVwG-Akt, OZ 4, Beilage ./1 bis ./3, OZ 6). Die Feststellung zur Abmeldung im zentralen Melderegister und dem Grundversorgungssystem ergibt sich aus den für die Verhandlung eingeholten neuen Speicherdatenauszügen aus diesen Systemen (BVwG-Akt, OZ 20)).

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf den Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren. Dieser gab bereits vor dem BFA an, gesund zu sein (BFA-Akt, AS 125) und verneinte sodann in der mündlichen Verhandlung sowohl, regelmäßig Medikamente zu nehmen als auch, sich in medizinischer Behandlung zu befinden (BVwG-Akt, OZ 4, S. 3).

Die Feststellungen zum Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof fußen auf der dg. Entscheidung zu E 4137/2018, die im Akt aufliegt (BVwG-Akt, OZ 17).

2.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf objektives, im Rahmen der Beschwerdeverhandlung und im Wege einer Verständigung vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in das Verfahren eingebrachte Berichtsmaterial. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Diese Berichte sind aktuell und setzen sich aus Informationen aus regierungsoffiziellen und nichtregierungsoffiziellen Quellen zusammen. Die jeweilige konkrete Quelle ist jeweilig in der Klammer angegeben.

Dem Beschwerdeführer wurden in der Verhandlung vom 27.06.2018 bereits Länderberichte zur Stellungnahme überreicht, von dieser Gelegenheit machte der Beschwerdeführer mit Eingaben vom 02.07.2018 Gebrauch. Da aber nach Durchführung der mündlichen Verhandlung eine Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes am 29.06.2018 von der Staatendokumentation herausgegeben wurde, wurde diese dem Beschwerdeführer erneut mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Der Beschwerdeführer hat auch zu diesen Berichten Stellung genommen, es wurden jedoch keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Zweifel aufkommen ließen. Insoweit insbesondere die letzte, dazu ergangene Stellungnahme auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 verweisen, ist dazu festzuhalten, dass die Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat stets auf Basis aktueller Länderinformationen getroffen werden muss. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (VwGH 7.9.2016, Ra 2015/19/0303). Das Gutachten bezieht sich aber immer wieder auf ältere Berichte, als jene im Länderinformationsblatt vom 29.06.2018. Zudem steht es auch hinsichtlich der angeblichen flächendeckenden Gefahr für Leib und Leben eines Zivilisten nicht im Einklang mit den jüngsten Berichten, wie etwa die im konkreten Verfahren eingebrachte Einschätzung der Sicherheitslage für den Zeitraum Jänner 2017 bis März 2018 mit Hauptaugenmerk auf Kabul (ACCORD-Themendossier zum Überblick über die Sicherheitslage in Kabul bis inkl. März 2018). Auch muss hier miteinfließen, dass die Gutachterin zuletzt 2014 selbst in Afghanistan gewesen ist.

Anlässlich der Ladung zur Verhandlung am 21.03.2019 wurden dem Beschwerdeführer die aktuellsten Berichte und Lageeinschätzungen übermittelt, nämlich UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, die EASO-Country Guidance Notes zu Afghanistan vom Juni 2018, der EASO Bericht zu Netzwerken in Afghanistan, das Länderinformationsblatt zu Afghanistan, Stand 29.06.2018, inklusive aller bis dorthin ergangenen Kurzinformationen einschließlich der Kurzinformation vom 01.03.2019 sowie der ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 zur Lage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren im Wesentlichen unverändert dar. Auch die Richtlinien des UNHCR vom 30.08.2018, bei welchen es sich um eine neue Einschätzung zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul auf Basis von Berichten per 30.05.2018 handelt, sind nicht geeignet, ein anderes Ergebnis betreffend die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herbeizuführen. Die UNHCR-Richtlinien stellen in diesem Zusammenhang weder neue Tatsachen noch neue Beweismittel dar, zumal es sich bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative um eine reine Rechtsfrage handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20.09.2018, W238 2168852-2). Die dazu ergangene Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung bestreitet diese Länderbericht nur unsubstantiiert.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1 Zur Zulässigkeit der Beschwerde und zum Beschwerdegegenstand

1. Der gegenständliche Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 16.10.2017 zugestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde langte am 17.10.2017 - somit innerhalb der zum damaligen Zeitpunkt geltenden zweiwöchigen Rechtsmittelfrist - bei der belangten Behörde ein und ist daher jedenfalls rechtzeitig und zulässig.

2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.02.2019 zu E 4137/2018 hob dieser die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2018, W 210 2174836-1/9E explizit im Umfang der Beschwerdeabweisung gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides auf, im Übrigen wurde die Beschwerdebehandlung abgelehnt. Gegenständlich ist somit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides zu behandeln.

3.1.2. Zu den erhöhten Mitwirkungspflichten im Asylverfahren gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und zum Vorliegen der Entscheidungsreife:

§ 15 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I 145/2017 in Geltung seit 01.11.2017 ist betitelt mit "Mitwirkungspflichten von Asylwerbern im Verfahren" und lautet wie folgt (Hervorhebungen nicht im Original):

"§ 15. (1) Ein Asylwerber hat am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er

1. ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen;

2. bei Verfahrenshandlungen und bei Untersuchungen durch einen Sachverständigen persönlich und rechtzeitig zu erscheinen, und an diesen mitzuwirken. Unfreiwillige Eingriffe in die körperliche Integrität sind unzulässig;

3. ihm zur Verfügung stehende ärztliche Befunde und Gutachten, soweit diese für die Beurteilung des Vorliegens einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung (§ 30) oder besonderer Bedürfnisse (§ 2 Abs. 1 GVG-B) relevant sind, vorzulegen;

4. dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht, auch nachdem er Österreich, aus welchem Grund auch immer, verlassen hat, seinen Aufenthaltsort und seine Anschrift sowie Änderungen dazu unverzüglich bekannt zu geben. Hierzu genügt es, wenn ein in Österreich befindlicher Asylwerber seiner Meldepflicht nach dem Meldegesetz 1991 - MeldeG, BGBl. Nr. 9/1992 nachkommt. Unterliegt der Asylwerber einer Meldeverpflichtung gemäß § 15a, hat die Bekanntgabe im Sinne des ersten Satzes spätestens zeitgleich mit der Änderung des Aufenthaltsortes zu erfolgen. Die Meldepflicht nach dem MeldeG bleibt hievon unberührt;

5. dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht alle ihm zur Verfügung stehenden Dokumente und Gegenstände am Beginn des Verfahrens, oder soweit diese erst während des Verfahrens hervorkommen oder zugänglich werden, unverzüglich zu übergeben, soweit diese für das Verfahren relevant sind;

(Anm.: Z 6 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

7. unbeschadet der Z 1, 2, 4 und 5 an den zu Beginn des Zulassungsverfahrens notwendigen Verfahrens- und Ermittlungsschritten gemäß § 29 Abs. 6 mitzuwirken.

(2) Wenn ein Asylwerber einer Mitwirkungspflicht nach Abs. 1 aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht nachkommen kann, hat er dies, je nachdem bei wem zu diesem Zeitpunkt das Verfahren geführt wird, unverzüglich dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht mitzuteilen. Die Mitteilung ist zu begründen.

(3) Zu den in Abs. 1 Z 1 genannten Anhaltspunkten gehören insbesondere

1. der Name des Asylwerbers;

2. alle bisher in Verfahren verwendeten Namen samt Aliasnamen;

3. das Geburtsdatum;

4. die Staatsangehörigkeit, im Falle der Staatenlosigkeit der Herkunftsstaat;

5. Staaten des früheren Aufenthaltes;

6. der Reiseweg nach Österreich;

7. frühere Asylanträge und frühere Anträge auf internationalen Schutz, auch in anderen Staaten;

8. Angaben zu familiären und sozialen Verhältnissen;

9. Angaben über den Verbleib nicht mehr vorhandener Dokumente;

10. Gründe, die zum Antrag auf internationalen Schutz geführt haben, und

11. Gründe und Tatsachen, nach denen das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich fragt, soweit sie für das Verfahren von Bedeutung sind.

(Anm.: Abs. 3a und Abs. 3b aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)

(4) Der Asylwerber ist zu Beginn des Verfahrens auf seine Mitwirkungspflichten und die Folgen einer allfälligen Verletzung dieser nachweislich hinzuweisen. Ihm ist darüber hinaus - soweit möglich - ein schriftliches Informationsblatt in einer ihm verständlichen Sprache auszufolgen."

Der Inhalt der spezifischen Mitwirkungspflicht des § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ergibt sich somit bereits aus dem Gesetzestext: die Pflicht besteht demnach darin, dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht, auch nachdem er Österreich, aus welchem Grund auch immer, verlassen hat, seinen Aufenthaltsort und seine Anschrift sowie Änderungen dazu unverzüglich bekannt zu geben.

Der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren wurde sowohl von der belangten Behörde als auch vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung über seine Mitwirkungspflichten belehrt. Jedoch hat der Beschwerdeführer es, entgegen seiner dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 nach klaren Verpflichtung, verabsäumt, trotz Kenntnis der Beschwerdeeinbringung und somit des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof und in weiterer Folge auch dem Bundesverwaltungsgericht seinen Aufenthaltsort mitzuteilen.

Der Beschwerdeführer ist somit seiner Mitwirkungspflicht des § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG nicht nachgekommen, auch kamen im Verfahren keine Gründe hervor, die denn Schluss zuließen, dass dem Beschwerdeführer die Erfüllung der Pflicht des § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen verunmöglicht war (vgl. § 15 Abs. 2 AsylG 2005). Da der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich anwesend war, war zu prüfen, ob mit einer Einstellung gemäß § 24 Abs. 2 AsylG vorzugehen ist.

§ 24 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I 70/2015, hält wie folgt fest:

"§ 24. (1) Ein Asylwerber entzieht sich dem Asylverfahren, wenn

1. dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht sein Aufenthaltsort wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG, §§ 15 oder 15a weder bekannt noch sonst durch das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht leicht feststellbar ist oder

2. er das Bundesgebiet freiwillig verlässt, und das Verfahren nicht als gegenstandslos abzulegen ist (§ 25 Abs. 1) oder

3. er trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesamt im Zulassungsverfahren gesetzten Terminen nicht kommt.

(2) Asylverfahren sind einzustellen, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat (Abs. 1) und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann. Ein eingestelltes Verfahren ist von Amts wegen fortzusetzen, sobald die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes möglich ist. Mit Fortsetzung des Verfahrens beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG zu laufen. Nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens ist eine Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig. Ist das Verfahren vor dem Bundesamt einzustellen, ist nach § 34 Abs. 4 BFA-VG vorzugehen.

(2a) Bei freiwilliger Abreise des Fremden in den Herkunftsstaat ist das Asylverfahren mit seiner Ausreise einzustellen, es sei denn der Sachverhalt ist entscheidungsreif. Ein eingestelltes Verfahren ist von Amts wegen fortzusetzen, wenn sich der Fremde nach Einstellung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Mit Fortsetzung des Verfahrens beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG oder § 34 Abs. 1 VwGVG zu laufen. Nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens ist eine Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig.

(3) Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen (Abs. 1), steht die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen."

Die Materialien zu BGBl. I 100/2005 halten dazu fest (RV 952 BlgNR 22. GP Seite 48):

"Abs. 1 definiert, wann sich ein Asylwerber dem Verfahren entzieht. Hierzu bedarf es einerseits der Verletzung einer in § 15 normierten Mitwirkungspflicht, andererseits darf der Aufenthaltsort des Asylwerbers durch die Behörde nicht leicht feststellbar sein. Ebenso entzieht sich ein Asylwerber dem Verfahren, wenn er freiwillig - also nicht in Befolgung einer gesetzlichen Pflicht, etwa einer Ausweisung - das Bundesgebiet verlässt und nicht in seinen Herkunftsstaat heimreist: Sofern nicht im Sinne des Abs. 3 zu entscheiden ist, führt das Verlassen des Bundesgebietes bei Abreise in die Herkunftsstaaten, etwa nach Inanspruchnahme einer Rückkehrberatung oder Rückkehrhilfe, zur Gegenstandslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 3. Ein sonstiges Verlassen des Bundesgebietes, etwa eine Weiterwanderung in einen anderen EU-Mitgliedstaate, führt entsprechend Abs. 1 zur Einstellung des Verfahrens und - bei Vorliegen der Vorraussetzungen - zur Erlassung eines Festnahmeauftrages (§ 26) oder Einleitung eines Ausweisungsverfahrens (§ 27 Abs.1 Z 2).

Der Asylwerber hat nach § 15 Abs. 1 Z 4 seine Anschrift und jede Änderung seines Aufenthaltsortes - auch im Ausland - so rasch wie möglich bekannt zu geben oder sich nach den Bestimmungen des MeldeG zu melden. Im Inland besteht eine Frist von sieben Tagen, in dieser Zeit hat die Meldung zu erfolgen.

Leicht feststellbar ist der Aufenthaltsort eines Asylwerbers jedenfalls dann, wenn es der Behörde möglich ist, durch Abfragen im Rahmen des Zentralen Melderegisters (ZMR) oder des Betreuungsinformationssystems/Grundversorgungssystems (BIS/GVS) die Anschrift und den tatsächlichen Aufenthaltsort des Asylwerbers zu ermitteln. Keinesfalls umfasst sind langwierige Ermittlungen oder gar Einvernahmen von Zeugen.

Nach Abs. 2 wird das Verfahren eingestellt, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat und sein Antrag - auch trotz einer Befragung oder einer Einvernahme - noch nicht entscheidungsreif ist. In diesen Fällen hat das Bundesasylamt einen Festnahmeauftrag (§ 26) zu erlassen und das Verfahren einzustellen, bei einzustellenden Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat wird ex lege ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, dass die Festnahme und gegebenenfalls die Schubhaft des wieder aufgegriffenen Asylwerbers ermöglicht. Der Festnahmeauftrag des Bundesasylamtes ist den Sicherheitsbehörden zur Kenntnis zu bringen und es ist eine Ausschreibung vorzunehmen, sodass es den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes möglich ist, den Fremden bei Aufgriff festzunehmen. Wird der Asylwerber aufgegriffen, ist er nach Rücksprache mit dem Bundesasylamt vorzuführen. Dieses hat die für die Entscheidungsreife fehlenden Verfahrenshandlungen, die nur im Beisein des Asylwerbers erfolgen können, zu führen; anschließend ist die Anhaltung zu beenden. Sollte sich der Asylwerber neuerlich dem Verfahren entziehen, kann dieses bei Vorliegen der Vorraussetzungen des Abs. 3 entscheiden werden.

Nach Abs. 2 ist eine Fortsetzung des Verfahrens nach Ablauf von 2 Jahren nicht mehr zulässig. Nach dieser Zeit wäre für ein Asylverfahren ein neuerlicher Antrag notwendig, anderenfalls ist der Betroffene als Fremder im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes zu behandeln. Im Falle eines Verfahrens vor dem UBAS gilt ex lege ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet, wenn sich der vom Bundesasylamt mit einer Ausweisung belegte Asylwerber dem Verfahren entzieht. Wird er aufgegriffen, kann er von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen und von der Fremdenpolizeibehörde in Schubhaft genommen werden. Das Asylverfahren ist - während der Schubhaft -fortzusetzen und binnen 3 Monaten zu Ende zu führen."

Der nunmehrige Aufenthaltsort konnte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung des nach wie vor bevollmächtigten Vertreters nicht festgestellt werden, da auch diesem der tatsächliche Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht bekannt war. Zudem ergab eine Abfrage des Zentralen Melderegisters lediglich eine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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