TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/4 W123 2191404-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.04.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.04.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W123 2191404-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.07.2018, 1118377501-160816248, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 10.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 11.06.2016 erfolgten Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund vor, dass ihn sein Vater aus Angst vor den Taliban weggeschickt habe. Die Taliban hätten "uns" nicht erlaubt, regelmäßig die Schule zu besuchen. Der Vater des Beschwerdeführers sei gehbehindert. Er habe gewollt, dass "wir alle" die Schule besuchen, aber aus Angst vor den Taliban, hätten "wir" nicht richtig lernen können. Der Beschwerdeführer habe Angst vor dem Krieg und den Taliban.

3. Am 18.05.2017 erfolgte die Einvernahme vor der belangten Behörde.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"[...]

FRAGEN zum Fluchtgrund:

LA: Was war Ihrer Meinung nach der fluchtauslösende Moment, dass Sie Afghanistan verlassen haben?

AW: Nachdem die Schulen vor ca. 3 Jahren geschlossen wurden, bin ich weiter auf eine Koranschule gegangen. Der Mullah, der uns unterrichtete, hatte Kontakt zu den Taliban. Die Taliban sind immer wieder zur Koranschule gekommen und haben gesagt, wir müssen das und jenes tun. Die Taliban wollten, dass wir uns später ihnen anschließen können und am Jihad teilnehmen und würden so ins Paradies kommen. Eines Tages wollten die Taliban, dass wir mit ihnen mitgehen und wollten, dass wir ein Training absolvieren. Am Abend habe ich das meinem Vater erzählt. Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich nicht mit den Taliban mitgehen will und auch nicht kämpfen will. Die Taliban haben uns auch bedroht, dass wir, falls wir nicht mit ihnen mitgehen würden, sie uns töten würden. Mein Vater hat mit meinem Onkel gesprochen und mein Onkel hat mich dann ins Ausland geschickt.

AW: Nein.

[...]

LA: Wann haben die Besuche der Taliban angefangen?

AW: 1,5 Jahre nach dem Beginn der Koranschule sind sie gekommen.

LA: Wie kann ich mir so einen Besuch der Taliban vorstellen?

AW: Wir haben den Koran gelesen und sie sind gekommen. Wir haben aufgehört, den Koran zu lesen. Sie haben gesagt, wir sollen das und jenes machen.

LA: Was ist das und jenes?

AW: Wir sollten am Jihad teilnehmen, mit ihnen zusammen sein und Leute töten.

LA: Was haben die Taliban noch gesagt?

AW: Den Jihad machen und uns den Taliban anschließen.

LA: Sahen alle Besuche der Taliban gleich aus?

AW: Ja, sie machten immer dasselbe.

LA: Wie viel Taliban sind gekommen?

AW: Ca. 15-16.

LA: Wie oft sind die Taliban gekommen?

AW: Ca. zweimal pro Woche.

LA: Wie lange sind die Taliban geblieben?

AW: Wir waren sonst immer 1 Stunde dort, doch wenn sie dort waren, waren wir 1,5 Stunden dort.

LA: Wie haben sie ausgesehen?

AW: Sie hatten einen Turban und lange Bärte und große Maschinengewehre.

LA: Wann haben die Taliban das Training angesprochen und die Mitnahme der Schüler?

AW: Ca. ein Jahr später, nachdem sie gekommen sind. Es ist lange her, ich weiß es nicht mehr genau.

LA: Was haben die Taliban genau über das Training gesagt?

AW: Sie haben irgendeinen Ort genannt. Wir sollten mit ihnen dorthin gehen und dort das Training machen.

LA: Was haben die Taliban noch über das Training erzählt?

AW: Wir müssen am Jihad teilnehmen, dann kommen wir ins Paradies. Sie haben über vieles gesprochen.

LA: Über was haben die Taliban noch gesprochen?

AW: Das war es.

LA: Wann haben Sie es Ihrem Vater gesagt?

AW: Ich habe meinem Vater noch am selben Tag gesagt, dass die Taliban uns mitnehmen wollen und uns ein Training verpassen wollen. Ich habe auch gesagt, dass ich niemandem weh tun will.

LA: Was hat Ihr Vater geantwortet?

AW: Mein Vater sagte, was soll ich machen, ich kann nichts tun. Dann hat er mit meinem Onkel gesprochen und dieser hat mich weggeschickt.

LA: Wusste Ihr Vater, dass Sie auf der Koranschule schon seit einem Jahr von vielen Taliban besucht werden?

AW: Ja.

LA: Was hat er zu den Besuchern gesagt?

AW: Am Anfang haben die Taliban nicht alles gesagt, doch dann haben sie gesagt, dass wir mitgehen müssen.

LA: Sind andere Jungs von den Taliban zum Training mitgenommen worden?

AW: Ich habe sie nicht mehr gesehen, ich weiß es nicht.

LA: Haben Ihre Brüder auch die Koranschule besucht?

AW: Ja.

LA: Gehen Ihre Brüder noch auf die Koranschule?

AW: Nein, nachdem ich nicht mehr gegangen bin, haben sie auch aufgehört.

LA: Wieso wissen Sie nicht, ob Jungs zum Training mitgenommen wurden, nachdem Ihre Familie im selben Dorf wohnt und Sie regelmäßigen Kontakt haben?

AW: Darüber habe ich mit meiner Familie nicht gesprochen, vielleicht sind auch andere Jungs weggegangen.

LA: Warum können Ihre Brüder weiterhin in Ihrem Heimatdorf leben, während Sie ausreisen mussten?

AW: Meine Brüder sind jünger, die waren nicht so betroffen wie ich.

[...]

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.02.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer als ältester Sohn der Familie von Ermordung oder Rekrutierung durch Taliban bedroht wäre. Zwangsrekrutierungen und Entführungen durch verschiedenste Gruppierungen kämen häufig vor. Dies betreffe insbesondere Personen, welche regierungstreu gesinnt seien, sowie deren Familienangehörige. Die restliche Familie des Beschwerdeführers könne auch deshalb im Heimatdorf leben, da der Vater des Beschwerdeführers behindert sei, die restlichen Brüder jünger als der Beschwerdeführer und somit für die Taliban derzeit nicht relevant seien.

6. Am 15.03.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.

7. Am 26.03.2019 übermittelte die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers einen Schriftsatz und verwies nochmals auf den Inhalt der Beschwerde und auf den Tod des Onkels und die Ausreise des Bruders des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer nennt sich XXXX , ist minderjährig und Staatsangehöriger von Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Nangarhar geboren und aufgewachsen und hat sich bis zur Flucht in seinem Heimatdorf aufgehalten.

In der Heimatprovinz des Beschwerdeführers leben derzeit der Vater, die Mutter, fünf Brüder und drei Schwestern. Ferner ein Onkel väterlicherseits, fünf Tanten väterlicherseits, drei Onkel mütterlicherseits sowie fünf Tanten mütterlicherseits.

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund einer unterstellten politischen Gesinnung durch die Taliban einer Bedrohung ausgesetzt war.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Sprachkenntnissen und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich folgender Beweiswürdigung der belangten Behörde an:

"Sie brachten in Ihrer Einvernahme unter anderem auch vor, dass zweimal pro Woche ca. 15-16 Taliban über ein Jahr lang in die Koranschule gekommen wären. Taliban hätten auch mit Ihnen persönlich gesprochen.

Dazu befragt, vermochten Sie in keinster Art und Weise das Vorgebrachte glaubhaft zu gestalten. Trotz mehrfacher Aufforderung, die Situationen und die Begegnungen mit den Taliban in der Madrassa zu konkretisieren: "Was haben die Taliban genau über das Training gesagt? Was haben die Taliban noch über das Training erzählt? Über was haben die Taliban noch gesprochen?" (vgl. dazu Seite 11 der Einvernahme am 18.05.2017), beschränkten Sie sich auf eine oberflächliche und inhaltsleere Vorbringenserstattung und blieben es gänzlich schuldig, anhand der Erstattung eines substanzreichen, konkreten und nachvollziehbaren Vorbringens bzw. anhand der Bereitstellung eines detailgenauen Erlebnisberichtes, die behaupteten fluchtauslösenden Vorgänge als tatsächlich durchlebt und somit als glaubhaft darzutun.

So müssten Sie bei der von Ihnen vorgebrachten Präsenz der Taliban in der Madrassa wohl weit mehr zu berichten wissen, als das von Ihnen lediglich unsubstantiierte Vorbringen bezüglich der Talibanbesuche, hätten Ihre Schilderungen wirklich stattgefunden.

Überhaupt nicht plausibel und nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen ist, obwohl der Kontakt zu Ihren Familienangehörigen aufrecht wäre, dass Sie über den Ausgang Ihrer vorgebrachten Geschichte nicht Bescheid wissen würden, ob nun irgendwelche Schüler der Madrassa zu dem angekündigten Training der Taliban mitgenommen worden wären oder nicht. Hinzu kommt, dass Ihre Familienangehörigen nach wie vor vor Ort leben und es sich mit Sicherheit herumgesprochen hätte, wenn Kinder, die die Dorfmadrassa besucht hätten, entführt worden wären. Ihren Eltern, aber im Besonderen Ihren Brüdern, die obendrein auf dieselbe Schule gegangen wären und Ihre Mitschüler somit kennen würden, wäre es mit Sicherheit bekannt geworden, wenn in Ihrer Heimatregion Kinder zu Trainings der Taliban mitgenommen worden wären."

Auch im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist kein asylrelevanter Tatbestand hervorgetreten:

Einleitend ist festzuhalten, dass aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers nicht davon auszugehen ist, dass er jemals persönlich ins Visier der Taliban geraten ist (vgl. Seite 6 Verhandlungsprotokoll: "R: Wurden Sie persönlich konkret von den Taliban jemals bedroht? BF: Wenn ich noch länger in Afghanistan verblieben wäre, bin ich überzeugt, dass die Taliban mich aufgesucht und mich vielleicht sogar getötet hätten. Die Taliban haben ihre Bedrohung in der Madrasa geäußert, in dem sie gesagt haben, dass sie jeden der sich jemals geweigert hat sich ihnen anzuschließen getötet haben. Das war eine direkte Bedrohung."). Der Beschwerdeführer konnte insbesondere nicht glaubhaft machen, dass gerade er als Person Zielscheibe für die Taliban geworden ist. Im Gegenteil, betonte der Beschwerdeführer explizit, dass sämtliche Schüler der Madrasa den Forderungen der Taliban ausgesetzt gewesen wären (vgl. Seite 7 Verhandlungsprotokoll: "R: Wollten die Taliban etwas Spezielles ausgerechnet von Ihnen als Person, oder richteten sich die Forderungen in gleicher Weise an die anderen 15 Schüler? BF: Wir 16 Schüler waren von den Erwartungen und der Bedrohung der Taliban gleichermaßen betroffen."). Auch über das weitere "Schicksal" der restlichen Schüler, die nach den Aussagen des Beschwerdeführers in gleicher Weise von den Bedrohungen der Taliban betroffen waren, konnte der Beschwerdeführer keine konkreten Angaben tätigen (vgl. dazu bereits die oben zitierte Beweiswürdigung der belangten Behörde sowie ferner Seite 7 Verhandlungsprotokoll: "R: Wie haben die anderen Schüler auf diese Bedrohungen reagiert? BF: Ich weiß nicht wie die anderen 15 Schüler reagiert haben. Meine Eltern standen mit den Schülern, oder ihren Familien nicht im Kontakt. Ich vermute, dass manche von ihnen wohl die Flucht gelungen ist, andere wiederum werden sich, wie viele andere auch, aus Angst ihnen angeschlossen haben. Ich hoffe nicht, dass die Taliban irgendwen von meinen Mitschülern getötet haben. R: Aber in der Zeit wo Sie in Madrasa waren und die Taliban gekommen sind, wurde kein Schüler mit Gewalt mitgenommen? BF: Nein, von unserer Gruppe ist meines Wissens niemand mit Zwang mitgenommen worden, zumindest nicht in dem Zeitraum in dem ich in die Madrasa gegangen bin. Ich habe aber sehr wohl gehört, dass die Taliban aus der vorherigen Gruppe 15-jährige aus ihren Häusern mit Gewalt mitgenommen haben, weil sie nicht freiwillig mitgehen wollten.").

Aber auch eine (seitens der Taliban dem Beschwerdeführer gegenüber) unterstellte politische Gesinnung liegt im gegenständlichen Fall nicht vor (vgl. Seite 10 Verhandlungsprotokoll: "R: Haben Sie, als Sie in der Madrasa waren und die Taliban versucht haben, Sie bzw. alle andere Schüler für den heiligen Krieg zu gewinnen, den Taliban irgendetwas gesagt, etwa dahingehend, dass sie sich jedenfalls weigern würden und nicht mit ihren Zielen übereinstimmen würden? BF:

Ich habe mir das mehrmals gedacht, aber ich hatte nie den Mut es den Taliban direkt zu sagen. Unter den Mitschülern haben wir diese Dinge besprochen. Ich hatte Angst, weil die Taliban bewaffnet in die Madrasa gekommen sind. Ich war damals noch sehr jung, um mutig genug zu sein."). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich als Person von derart hohem Interesse für die Taliban gewesen, dann hätten die Taliban mit hoher Wahrscheinlichkeit wenigstens einmal den Versuch unternommen, den Beschwerdeführer persönlich zu Hause aufzusuchen, um ihn im Zuge dieses Besuches für ihre Zwecke zu gewinnen bzw. - im Fall einer Weigerung - um den Beschwerdeführer oder dessen Familienangehörige zu bedrohen (vgl. Seite 7 Verhandlungsprotokoll:

"R: Sind die Taliban jemals zu Ihnen nach Hause gekommen und haben Sie dort bedroht? BF: Wiederholen Sie bitte die Frage. R: Sie haben die Abläufe geschildert mit dem Mullah und den Taliban und dann davon gesprochen, dass irgendwann einmal die Taliban gesagt haben, dass Sie sich dem Training anschließen müssen, ansonsten würden sie getötet werden. Ist diese Bedrohung immer nur in der Madrasa ausgesprochen worden, oder kamen die Taliban einmal zu Ihnen nach Hause, um Sie zu bedrohen? BF: Die Taliban haben diese Bedrohungen nur in der Madrasa ausgesprochen.").

Ein Indiz gegen eine asylrelevante Bedrohung erscheint auch auf Grund des Umstandes, dass sich sämtliche Familienangehörige - seit der Flucht des Beschwerdeführers - nach wie vor im Heimatort des Beschwerdeführers aufhalten (mit Ausnahme eines Bruders, der nach den Angaben des Beschwerdeführers verschollen sein soll) und offenbar keiner Bedrohung ausgesetzt sind (vgl. Seite 4 Verhandlungsprotokoll: "R: Wie geht es Ihrer restlichen Familie in Afghanistan? BF: Ich weiß nicht genau, wie es meinen Angehörigen geht. Wenn ich sie am Telefon frage, wie es dort läuft, sagen sie mir das alles in Ordnung sei. Ich glaube sie behaupten das nur, damit ich mir keine Sorgen mache."). Hingegen ist die (gegen Ende der Verhandlung) vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, wonach ein weiterer Bruder plötzlich nicht mehr im Heimatort leben soll, sondern von der Mutter des Beschwerdeführers nach Pakistan geschickt worden wäre, als "gesteigert" und daher als unglaubwürdig zu werten (vgl. Seite 9 Verhandlungsprotokoll: "R: Was ist mit Ihren restlichen Brüdern die nach wie vor in der Provinz Nangarhar leben? Wie geht es denen? Gehen die zur Schule? Wurden die jemals bedroht?

BF: Meine Mutter hat mir bei unserem letzten Telefonat erzählt, dass sie meinen nächst älteren Bruder namens XXXX nach Pakistan geschickt hat, weil sie Angst um ihn gehabt hätte. Mein Bruder wäre jetzt bei weitschichtigen Verwandten in Pakistan. R: Ich weiß nicht ob ich Ihnen das glauben soll. Diese Aussage steht im diametralen Gegensatz zu Ihrer Aussage am Anfang, wo Sie gesagt haben, dass sämtliche Angehörige in der Provinz Nangarhar leben würden. Was sagen Sie dazu? BF: Meine Angaben beziehen sich auf den Zeitpunkt meiner Ausreise. Deshalb habe ich auch erwähnt, dass mein Onkel später getötet wurde. Als meine Mutter mir von der Ausreise meines Bruders nach Pakistan erzählt hat, wollte ich das zunächst selber nicht glauben. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob sie ihn weggeschickt hat. Viel mehr glaube ich manchmal, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte."). Der Beschwerdeführer wollte offenkundig durch diese nunmehrige "Kehrtwende" (ausgelöst durch eine gezielte Frage des erkennenden Richters) auch allfällige Gefahren in Afghanistan für weitere Familienmitglieder "konstruieren". Wäre der seitens des Beschwerdeführers erwähnte nächstältere (ca. 14 Jahre alte) Bruder tatsächlich bereits ins Visier der Taliban geraten und deshalb zu Verwandten nach Pakistan geschickt worden, dann erschließt sich für das Bundesverwaltungsgericht nicht, warum der Beschwerdeführer diesen Umstand nicht bereits bei erster Gelegenheit (etwa bei den einleitenden Fragen, welche Familienangehörigen sich in Afghanistan aufhalten bzw. wie es diesen Familienangehörigen geht) erwähnt hat.

Schließlich ist entgegen den Ausführungen in der Beschwerde auch nicht zu erkennen, dass Familienangehörige des Beschwerdeführers, wie beispielsweise der Vater oder jener Onkel, der kürzlich von den Taliban getötet worden sein soll, "regierungstreu" gesinnt gewesen wären und aus diesem Grunde eine asylrelevante Bedrohung für den Beschwerdeführer ableitbar wäre. Nach den Angaben des Beschwerdeführers war der Vater des Beschwerdeführers lediglich als Reinigungsarbeiter in einer Schule beschäftigt; der Onkel, der ums Leben gekommen sein soll, war LKW-Fahrer und nicht für Regierung oder Staat tätig (vgl. Seite 3 f Verhandlungsprotokoll: "R: Was hat der ermordete Onkel beruflich gemacht? BF: Er war LKW-Fahrer. R: War er für die Regierung tätig? BF: Er war Händler. Er hat nicht für den Staat gearbeitet. [...] R: Was macht Ihr Vater beruflich? BF: Früher arbeitete mein Vater in einer Schule, er machte Reinigungsarbeiten und kümmerte sich um die Pflanzen."). Eine besonders exponierte Stellung hinsichtlich dieser Familienangehörige des Beschwerdeführers ist sohin nicht zu erkennen. Abgesehen davon war das Vorbringen bezüglich der behaupteten Ermordung des Onkels väterlicherseits des Beschwerdeführers nicht gleichbleibend: Während der Beschwerdeführer zu Beginn der Befragung ausführte, dass der Onkel väterlicherseits von den Taliban durch eine Autobombe (offenbar gezielt) getötet worden sein soll, stellte der Beschwerdeführer im späteren Verlauf der Verhandlung den Sachverhalt anders dar (vgl. Seite 9 Verhandlungsprotokoll: "R: Bezüglich des Todes Ihres Onkels väterlicherseits: War das ein gezielter Anschlag auf Ihren Onkel, oder ein tragischer Unfall? BF: Die Taliban kontrollieren die Straßen, weil sie die Fahrzeuge der Polizisten und der Armee angreifen wollen. Sie legen Minen. Mein Onkel ist über eine solche Mine gefahren.").

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (vgl. insbesondere § 1 BFA-VG).

§ 28 VwGVG ("Erkenntnisse") regelt die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte und lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

[...]"

Zu Spruchpunkt A)

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

3.3. Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233; VwSlg. 16.084 A/2003; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220). Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass in der Vergangenheit eine Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

Nach der Rechtsprechung der Höchstgerichte ist entscheidend, mit welchen Reaktionen der Taliban der Beschwerdeführer aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (siehe etwa VwGH 10.02.2014, Ra 2014/18/0103 bzw. jüngst VfGH 25.02.2019, E 4032/2018). Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens zur Verfolgungsgefahr aufgrund der Vorfälle in der Madrasa keine Asylrelevanz zu, insbesondere konnte eine unterstellte politische Gesinnung nicht erkannt werden.

3.4. Folglich sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nicht gegeben, weshalb die Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

3.5. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Beschwerdeführers durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im konkreten Fall mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch die belangte Behörde hinreichend Rechnung getragen wurde.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Glaubhaftmachung, mangelnde Asylrelevanz, Minderjährigkeit,
unterstellte politische Gesinnung, Verfolgungsgefahr,
Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W123.2191404.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten