Entscheidungsdatum
18.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W211 2211985-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab im Rahmen ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2016 zusammengefasst an, in Mogadischu geboren worden zu sein. In Somalia würden noch ihr Vater und zwei Brüder leben. Sie habe Somalia nach dem Tod ihrer Mutter aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der schlechten psychischen Verfassung ihres Vaters verlassen.
2. Am XXXX .2018 wurde die beschwerdeführende Partei von der belangten Behörde unter Beiziehung ihrer Vertretung und einer Dolmetscherin für die somalische Sprache einvernommen und gab dabei soweit wesentlich an, dem Clan der Hawiye, Subclan XXXX anzugehören und zwar in Mogadischu geboren worden zu sein, jedoch bis zu ihrer Ausreise im Dorf XXXX in der Nähe der Stadt XXXX gelebt zu haben. Dort würden sich noch ihr Vater und zwei Brüder aufhalten. Ihre Mutter sei wegen des Verkaufs von Khat getötet worden. Sie sei bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die mittlerweile jedoch verstorben sei. Die beschwerdeführende Partei habe ihrer Großmutter geholfen Milch zu verkaufen, indem sie regelmäßig einen schweren Kanister auf ihrem Kopf getragen habe. Jedoch sei hierbei einmal ihr Hijab gerissen. Mitglieder der Al Shabaab hätten dies bemerkt, sie beschuldigt nackt zu sein und sie geschlagen. Sie sei auch in ein Lager der Miliz gebracht und dort ein Monat festgehalten worden. Nach ihrer Freilassung habe sie jedoch ein örtlicher Al Shabaab-Kommandant zwangsweise heiraten wollen. Zwar habe dies ihre Großmutter abgelehnt, jedoch sei sie von der Miliz entführt, an einem unbekannten Ort angekettet festgehalten, sodann zwangsweise verheiratet und mehrfach vergewaltigt worden. Nach drei Monaten in Gefangenschaft habe sie Gift für Tiere zu sich genommen und sei ins Krankenhaus von XXXX gebracht worden. Dort habe eine Krankenschwester ihre Großmutter kontaktiert, die ihr die Ausreise ermöglicht habe.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Angaben der beschwerdeführenden Partei zum Fluchtgrund nicht glaubhaft seien.
4. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.
5. Mit Schriftsatz vom XXXX .2019 übermittelte die rechtliche Vertretung der beschwerdeführenden Partei zwei gynäkologische Befunde der beschwerdeführenden Partei vom XXXX .2018 bzw. XXXX .2019.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias. Sie stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
1.1.2 Die beschwerdeführende Partei wurde in Mogadischu geboren, lebte aber dann im Dorf XXXX , das sich in der Nähe der Stadt XXXX befindet. Sie wuchs dort bei ihrer Großmutter auf, die jedoch mittlerweile verstorben ist. Dort leben noch der Vater und zwei Brüder der beschwerdeführenden Partei.
Die beschwerdeführende Partei gehört dem Clan der Hawiye, Subclan XXXX an.
Sie besuchte in Somalia sechs Monate lang eine Koranschule und half danach ihrer Großmutter beim Verkauf von Milch.
1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:
Dem Bundesstaat Galmudug sind Teile der Regionen Mudug und Galgaduud zugeordnet. Galmudug grenzt bereits an die Gebiete der al Shabaab, die Grenze des Einflussbereichs richtet sich nach der Achse Hobyo-Dhusamareb. Die Bezirke Xaradheere und Ceel Dheere befinden sich unter der Kontrolle der al Shabaab; dies gilt auch für den Bezirk Ceel Buur. Die Stadt Ceel Buur ist nach dem Abzug äthiopischer Truppen im März 2017 von AS wieder besetzt worden (BFA 8.2017).
Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).
Al Shabaab begeht Morde, entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht unmenschliche und grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Al Shabaab rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017, BS 2016). Da auf dem Gebiet der al Shabaab eine strikte Interpretation der Scharia zur Anwendung gebracht wird, kommt es dort zu Folter und körperlichen Strafen, wenn die Interpretation nicht eingehalten wird (EASO 2.2016; vgl. AI 22.2.2017). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen unter dem Vorwurf hin, diese hätten mit der Regierung, einer internationalen Organisation oder einer westlichen Hilfsorganisation zusammengearbeitet (AA 1.1.2017; vgl. AI 22.2.2017). Moralgesetze verbieten das Rauchen, das öffentliche Einnehmen von Khat, weltliche Musik und das Tanzen (BS 2016), Filme, und Sport (EASO 2.2016); Verschleierung und Männerhaarschnitte werden vorgeschrieben (BS 2016).
Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).
Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).
In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).
Spezifisch als mögliche Ziele aufgrund von Kollaboration genannt wurden z.B. Rückkehrer in Gebiete der al Shabaab (Vorwurf der Spionage) [...]. Besonders gefährdet sind Personen, die von der al Shabaab als Spione wahrgenommen werden. Es kommt fast täglich zu Übergriffen bis hin zur Exekution von der Spionage verdächtigten Personen (BFA 8.2017).
Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Süd-/Zentralsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden (ÖB 9.2016).
Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann also in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängen. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem wenn sie aus dem Westen zurückkehren (ÖB 9.2016).
1.3. Festgestellt wird, dass der Bezirk XXXX , in dem das Dorf XXXX liegt, von Al Shabaab kontrolliert wird.
Im Falle einer Rückkehr nach XXXX , in einen von Al Shabaab kontrollierten Ort, würde die beschwerdeführende Partei durch die Maßnahmen der Al Shabaab insbesondere Frauen gegenüber bereits von einer konkreten Bedrohung durch die Miliz betroffen sein.
Festgestellt wird, dass einer Neuansiedlung der beschwerdeführenden Partei zB in Mogadischu das Fehlen von familiärer Unterstützung entgegensteht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.
Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen zur Herkunft, zur Clanzugehörigkeit, zu den Familienangehörigen, zur Schulbildung und zur Berufstätigkeit in Somalia beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren. Die Feststellungen zur Herkunft und zur Clanzugehörigkeit und zu den Familienangehörigen wurden außerdem bereits durch die belangte Behörde getroffen (vgl. S. 16 des angefochtenen Bescheids). Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln.
Dass die beschwerdeführende Partei strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX .2019.
2.3. Die Feststellungen zu 1.2. beruhen auf den im angefochtenen Bescheid rezipierten Länderinformationen, die nicht bestritten wurden. Sie fußen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus 2018 und beruhen auf den folgenden
Detailquellen:
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
-
BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
-
DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 13.12.2017
-
DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017
-
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
-
SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.
2.4. Die Feststellung, dass sich das Dorf XXXX s unter der Kontrolle der Al Shabaab befindet, ergibt sich aus den Länderinformationen, wonach der Bezirk XXXX , in dem das genannte Dorf liegt, unter der Kontrolle der Miliz steht.
Das Bundesverwaltungsgericht kann der Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der beschwerdeführenden Partei nicht gänzlich folgen, da aus den Länderberichten ausreichend deutlich hervorgeht, dass es in Gebieten, die von Al Shabaab kontrolliert werden, zu Entführungen, Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen durch die Miliz kommt; Frauen sind dem Regime der Miliz mit besonderer Härte ausgesetzt. Der Aussage, dass das Fehlen einer Schwangerschaft gegen eine Vergewaltigung spricht, muss jedenfalls entschieden entgegengetreten werden.
Abschließend muss aber nicht festgestellt werden, ob das fluchtauslösende Vorbringen der beschwerdeführenden Partei geglaubt wird oder nicht; für die rechtliche Beurteilung einer maßgeblich wahrscheinlichen und entsprechend invasiven Verfolgungsgefahr genügen die Feststellungen zum Herkunftsort als Al Shabaab kontrolliertes Gebiet sowie die Länderberichte bzw. Länderfeststellungen zum Umgang der Al Shabaab mit Frauen und Rückkehrern in ihr Gebiet, die sie leicht als Spione oder Verräter ansehen. Diese Feststellungen wurden bereits durch die Behörde getroffen und werden durch die erkennende Richterin nicht angezweifelt.
Die Feststellungen zur fehlenden Schutzfähigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden und zur Notwendigkeit für Rückkehrer_innen, auf familiäre und/oder Clankontakte zurückgreifen zu können, gründen sich ebenfalls auf die aktuellen und ausreichend ausgewogenen Länderinformationen.
3. Rechtliche Beurteilung:
A) Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. In Hinblick auf die Situation im Herkunftsort XXXX wo Al Shabaab die Kontrolle inne hat, gehört die beschwerdeführende Partei zur bestimmten sozialen Gruppe der Frauen, denen durch die radikal islamistische Miliz eine Verfolgungsgefahr in Bezug auf Zwangsverheiratung mit einem Al Shabaab Mitglied, Vergewaltigung, Entführung oder Zwangsarbeit droht. Frauen im Allgemeinen in Somalia und insbesondere in Al Shabaab kontrollierten Gebieten haben weder eine rechtliche noch eine gesellschaftliche Position dahingehend inne, ihr Schicksal im Wesentlichen selbst zu bestimmen. Zwangsehen durch Al Shabaab kommen in der Regel dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat. Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von Al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden. Eine Verweigerung kann für Frauen oder ihre Familien den Tod bedeuten.
Darüber hinaus können Rückkehrer_innen aus dem Westen in Al Shabaab kontrollierte Gebiete als Spione oder Verräterinnen wahrgenommen werden, was zu einer aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr wegen einer durch die Miliz auch nur unterstellten oppositionellen politischen und religiösen Gesinnung führt.
Der mögliche Verbleib von Familienmitgliedern in XXXX vermag da an einer konkret die beschwerdeführende Partei selbst treffenden Gefährdung nichts ändern.
3.2.2. Von einer entsprechenden Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden geht das Bundesverwaltungsgericht in Hinblick auf die Kontrollsituation in XXXX durch die Al Shabaab nicht aus.
3.2.3. In der Situation der beschwerdeführenden Partei muss noch geprüft werden, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht. Hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Neuansiedlung zB in Mogadischu verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Länderberichte, nach denen ein soziales Netz an Kernfamilie und Clanschutz als unabdinglich für eine Rückkehr nach Mogadischu vorausgesetzt wird. All dies fehlt (anders als von der belangten Behörde auf S. 121 des angefochtenen Bescheides behauptet) der beschwerdeführenden Partei, da ihr Vater und ihre Brüder in XXXX aufhältig sind (vgl. auch Bescheid S. 16). Die lange Abwesenheit der Familie aus Mogadischu wirft auch Zweifel auf die Tragfähigkeit eines allfälligen Clanschutzes. Ein Untertauchen in einem anderen Teil Somalias, beispielsweise in Puntland oder Somaliland und damit außerhalb ihrer Clan- oder Familienbande, erscheint hingegen in Hinblick auf die schwierige Lage von Frauen in der Region sowie von IDPs als unzumutbar.
3.2.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.
3.2.5. Schließlich waren die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids zu beheben.
4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständliche Entscheidung im Wesentlichen auf Basis der Feststellungen der Behörde zum Herkunftsort und zur Ländersituation getroffen und lediglich eine andere rechtliche Beurteilung vorgenommen wurde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, soziale GruppeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2211985.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.06.2019