TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/5 97/21/0369

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Veröffentlicht am 05.03.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des IK in Tribuswinkel, geboren am 29. September 1967, vertreten durch Dr. Rudolf Fries, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Erzherzog-Rainer-Ring 23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. Jänner 1997, Zl. Fr 3168/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 27. Jänner 1997 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides und nach Zitierung der maßgeblichen fremdengesetzlichen Bestimmungen die wesentlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt wieder. Demnach hätte er von September 1986 bis September 1987 den Militärdienst abgeleistet und wäre in der Folge bis September 1994 (zu ergänzen: als ziviler Angestellter der jugoslawischen Armee) als Radio- und Fernsehmechaniker beschäftigt gewesen. Ab Februar 1994 wäre er wiederholt vom militärischen Sicherheitsdienst vorgeladen und aufgefordert worden, Namen von regimekritischen Kosovo-Albanern zu nennen. Am 27. September 1994 wäre er von Militärpolizisten festgenommen worden. Man hätte von ihm eine konkrete Entscheidung verlangt, ob er mit dem militärischen Sicherheitsdienst zusammenarbeiten oder den Arbeitsplatz verlieren wolle. Er hätte eine Zusammenarbeit verweigert und wäre gezwungen worden, einen Schriftsatz zu unterfertigen, wonach er freiwillig seinen Arbeitsplatz kündige. Im Mai und Dezember 1995 wäre er wiederum von Sicherheitsdienststellen vorgeladen worden. Dabei wäre ihm vorgeworfen worden, einer kosovo-albanischen Polizei anzugehören, was er jedoch wahrheitsgemäß in Abrede gestellt hätte. Am 13. Februar 1996 wären Bombenanschläge (zu ergänzen: auf Unterkünfte von Serben) verübt worden. Der Beschwerdeführer wäre daraufhin am 15. Februar 1996 neuerlich vom Sicherheitsdienst vorgeladen und dabei der Beteiligung an den Bombenanschlägen beschuldigt worden. Er wäre zehn Stunden festgehalten und geschlagen worden. Schließlich hätte man ihn aufgefordert, am 28. Februar 1996 neuerlich zu erscheinen.

Der Asylantrag des - am 25. Februar 1996 in das Bundesgebiet eingereisten - Beschwerdeführers sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 28. März 1996 abgewiesen worden, der dagegen erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 20. Mai 1996 keine Folge gegeben.

In seinem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe der Beschwerdeführer keine über das Asylverfahren hinausgehenden Angaben gemacht. In seiner Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid habe er auf Berichte internationaler Medien und Menschenrechtsorganisationen verwiesen und im übrigen (lediglich) ausgeführt, daß sich aus dem von ihm dargelegten "Verhalten" ableiten lasse, daß er im Fall einer Abschiebung nach Jugoslawien einer unmenschlichen Behandlung unterworfen werden würde.

Einem Feststellungsantrag nach § 54 Abs. 1 FrG könne nur stattgegeben werden, wenn der Fremde glaubhaft mache, daß er aktuell in dem von ihm bezeichneten Staat im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG gefährdet bzw. bedroht sei. Auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel sei es der erkennenden Behörde nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Demnach sei der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde nach Zusammenfassung der Angaben im Asylverfahren - weder Mitglied der kosovo-albanischen Polizei noch an dem Bombenanschlag im Februar 1996 beteiligt gewesen. Er habe weder einer politischen Organisation angehört noch sich anderweitig politisch betätigt. (Zwar) seien der Beschwerdeführer und seine Familie anläßlich der Einvernahme im Jahr 1994 "angeblich" massiv bedroht worden. (Gemeint ist offenbar die Einvernahme vom Februar 1996, denn nur insoweit hat der Beschwerdeführer von auch seine Familie betreffenden Drohungen - er werde die Dienststelle nicht mehr lebend verlassen bzw. seine Gattin und seinen Sohn nicht mehr lebend vorfinden - gesprochen.) Weder dem Beschwerdeführer noch seiner Familie sei jedoch eine körperliche Mißhandlung widerfahren. Seine Familie halte sich nach wie vor in seinem Heimatland auf. Der Verlust der Arbeitsstelle sei nicht geeignet, von einer Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG auszugehen. Seine Vermutung, wonach er für den Fall der Abschiebung mißhandelt und im Zuge der Mißhandlungen umgebracht werden würde, sei auf Grund seines fehlenden Engagements gegen die serbischen Behörden und der erfolgten Einvernahmen nicht stichhaltig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer eine maßgebliche Gefährdung daraus abgeleitet, daß er beginnend mit Februar 1994 wiederholt vom militärischen Sicherheitsdienst vorgeladen und zu regimekritischen Kosovo-Albanern befragt worden sei; er habe stets wahrheitsgemäß geantwortet, solche Personen nicht zu kennen. Am 27. September 1994 sei er von Militärpolizisten festgenommen und zu einer "Entscheidung" betreffend Zusammenarbeit mit dem militärischen Sicherheitsdienst aufgefordert worden; man habe ihm gesagt, er könne zwischen "Paradies" (für den Fall der Zusammenarbeit) und "Hölle" (falls er die Zusammenarbeit ablehne) wählen. Er habe die Zusammenarbeit verweigert und sei daraufhin gezwungen worden, ein Schriftstück zu unterfertigen, wonach er seinen Arbeitsplatz freiwillig kündige. Im Mai und Dezember 1995 sei er wiederum von Sicherheitsbehörden vorgeladen und mit dem Vorwurf konfrontiert worden, einer kosovo-albanischen Polizei anzugehören, was er wahrheitsgemäß in Abrede gestellt habe. Am 15. Februar 1996 sei er schließlich ein weiteres Mal vorgeladen und - zu Unrecht - der Beteiligung an unmittelbar vorangegangenen Bombenanschlägen beschuldigt worden. Dabei sei er zehn Stunden angehalten, mit Gummiknüppeln geschlagen und bedroht worden, die Dienststelle nicht mehr lebend verlassen zu können bzw. seine Gattin und seinen Sohn nicht mehr lebend vorzufinden. Einer weiteren Ladung für den 28. Februar 1996 habe er sich durch Flucht entzogen.

Die belangte Behörde gibt die entsprechenden Angaben des Beschwerdeführers, die dieser bei seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt gemacht hat, zunächst im angefochtenen Bescheid - zusammengefaßt - wieder. Sie läßt nicht erkennen, daß sie diese Angaben für unglaubwürdig erachte. Dennoch führt sie bei Darstellung des Sachverhaltes im Zuge der rechtlichen Erwägungen aus, daß dem Beschwerdeführer (und seiner Familie) keine körperliche Mißhandlung widerfahren sei. Diese, durch keinerlei Ermittlungsergebnisse gestützte Feststellung ist angesichts der Schilderung des Beschwerdeführers, er sei am 15. Februar 1996 mit Gummiknüppeln geschlagen worden, nicht nachvollziehbar. Dem angefochtenen Bescheid haftet daher ein Begründungsmangel an, der als wesentlich anzusehen ist. Geht man nämlich davon aus, daß der Beschwerdeführer am 15. Februar 1996 im Zusammenhang mit der Beschuldigung durch den "Sicherheitsdienst", er sei an vorangegangenen Bombenanschlägen beteiligt gewesen, zehn Stunden angehalten, mit Gummiknüppeln geschlagen und massiv bedroht worden sei, so besteht die berechtigte Befürchtung, er müsse für den Fall seiner Abschiebung nach Jugoslawien eine (weitere) unmenschliche Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) erwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Vorfall vom 15. Februar 1996 nach der Aktenlage keinen Einzelfall darstellte, sondern bis zu diesem Zeitpunkt als der Beschwerdeführer beginnend mit Februar 1994 laufend vorgeladen und befragt wurde. Während sich diese Befragungen zunächst darauf beschränkten, er möge Informationen über Kosovo-Albaner liefern, verschärfte sich die Situation im September 1994 dergestalt, daß er zu einer Entscheidung betreffend Zusammenarbeit mit dem militärischen Sicherheitsdienst - der Beschwerdeführer spricht in diesem Zusammenhang davon, daß ihm gesagt worden sei, er könne zwischen "Paradies" und "Hölle" wählen - aufgefordert wurde. Nachdem er dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, wurde er gekündigt und in der Folge zweimal mit der - gemäß seinen Angaben unrichtigen - Beschuldigung konfrontiert, einer kosovo-albanischen Polizei anzugehören. Diese unberechtigten Vorwürfe kulminierten in dem Vorfall vom 15. Februar 1996. Zusammenfassend betrachtet ist daher eine stetige Steigerung des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegenüber dem Beschwerdeführer erfolgte. Weiters ist miteinzubeziehen, daß der Beschwerdeführer gemäß seinen Angaben in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid - die der belangten Behörde vorlagen, auf die sie jedoch nicht eingegangen ist - bis zu seiner "Kündigung" in der jugoslawischen Armee eine wichtige und sensible Position als Nachrichtentechniker innegehabt hatte. Es ist daher davon auszugehen, daß er in besonderer Weise im Blickpunkt der Behörden steht, sodaß auch von daher mit zunehmendem Interesse an seiner Person zu rechnen ist.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 5. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997210369.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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