Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R***** T*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei C***** GmbH in Liquidation, *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 27.640,48 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 4.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. September 2018, GZ 1 R 37/18w-32, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Dezember 2017, GZ 58 Cg 2/16a-27, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seines in Rechtskraft erwachsenen klagestattgebenden Teils und einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.723,52 EUR (darin 453,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.525,04 EUR (darin 182,34 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der seinerzeit im Bankgeschäft tätige Kläger erwarb jeweils über Beratung durch die Beklagte und mittelbar über eine Treuhänderin in den Jahren 2005 und 2007 Kommanditbeteiligungen an niederländischen Immobilienfonds zu einer Nominale von insgesamt 35.000 EUR zuzüglich 1.225 EUR an 3,5%igem Agio. Für die Vermittlung dieser Veranlagung erhielt die Beklagte von den Emittentinnen eine Innenprovision von 3,125 % bzw 4 %. Darüber hatte sie den Kläger nicht aufgeklärt. Hätte dieser gewusst, dass die Beklagte eine Provision bekommt, hätte er die gegenständlichen Rechtsgeschäfte nicht abgeschlossen. Der Kläger unterfertigte die von der Beklagten bereits vorab ausgefüllten Beitrittserklärungen und Risikoprofile, ohne sich diese, insbesondere die Beitrittsbedingungen und Risikohinweise auf der Rückseite der Formulare, genau durchzulesen. Keines dieser Formulare enthielt einen Hinweis darauf, dass die Beklagte neben dem Agio eine weitere (Innen-)Provision erhält.
Mit seiner Klage macht der Kläger Schadenersatzansprüche aus fehlerhafter Anlageberatung geltend. Er begehrt die Zahlung von 27.640,80 EUR sA (investiertes Kapital abzüglich erhaltener Auszahlungen) sowie die Feststellung, dass die Beklagte für alle Schäden hafte, die ihm aus seinen Beteiligungen entstehen. Die Beklagte habe ihm unter anderem verschwiegen, dass sie zusätzlich zum Agio „Kick-Backs“ (Innenprovisionen) erhalte und aufgrund dessen ein erhebliches Eigeninteresse am Verkauf der Beteiligungen habe. Bei Kenntnis dieser Umstände hätte er diese Beteiligungen niemals erworben, sondern das Geld kapitalerhaltend investiert. Ein Mitverschulden sei ihm nicht anzulasten.
Die Beklagte wendete ein, dass der Kläger über alle Risiken der Anlage aufgeklärt und mit entsprechendem Informationsmaterial ausgestattet worden sei. Über die Innenprovision habe der Kläger nicht aufgeklärt werden müssen. Es treffe ihn ein erhebliches Mitverschulden, weil er einerseits aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit umfassende Kenntnisse in der Vermögensveranlagung gehabt und andererseits die Beitrittserklärung und Risikohinweise nicht gelesen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt, das Berufungsgericht hingegen nur zur Hälfte. Letzteres bejahte zwar auch ein Verschulden der Beklagten an der mangelnden Aufklärung des Klägers zum einen über die Risiken dieser Veranlagung bzw die Form der Ausschüttungen und zum anderen über die Innenprovision, lastete dem Kläger aber ein Mitverschulden im Ausmaß von 50 % am erlittenen Schaden, nämlich den Erwerb der ungewollten Anlage, an. Schon beim Durchlesen der Beitrittserklärungen hätte der Kläger leicht erkennen können, dass der Erwerb der Anlage nicht seinen Vorstellungen entspreche. Dies stelle im Hinblick auf die Ausbildung und die Erfahrung des Klägers eine zu berücksichtigende Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten dar.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil insbesondere zur Frage, ob eine Minderung des Schadenersatzes nur dann in Betracht komme, wenn das sorglose Verhalten des Geschädigten auch in Korrelation zum jeweiligen Aufklärungsfehler stehe, keine einheitliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen den klageabweisenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision des Klägers mit dem auf Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils gerichteten Abänderungsantrag. Der Kläger schloss sich darin der Begründung des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO an.
Demgegenüber bestritt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision des Klägers; hilfsweise sei ihr nicht Folge zu geben.
Die Nebenintervenientin beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
1. Hat der Geschädigte selbst eine Ursache gesetzt, die gleichermaßen wie die vom Schädiger gesetzte Ursache geeignet war, allein den Schaden herbeizuführen, haben beide gemeinsam für den Schaden einzustehen (7 Ob 95/17x Pkt 10.1). Das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens im Sinn des § 1304 ABGB setzt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern voraus (RS0032045; RS0022681). Bei fehlerhafter Anlageberatung kann ein Mitverschulden nach den Umständen des Einzelfalls (RS0078931 [T5]; RS0102779 [T8]) in Betracht kommen, wenn dem Kunden die Unrichtigkeit der Beratung hätte auffallen müssen, sei es aufgrund eigener Fachkenntnisse oder weil er deutliche Risikohinweise nicht beachtet und Informationsmaterial nicht gelesen hat (8 Ob 93/14f Pkt I.5.2; 2 Ob 99/16x Pkt B.2.4; 7 Ob 95/17x Pkt 10.1; RS0102779 [T6, T7]).
2. In der Rechtsprechung wurde geschädigten Anlegern, deren Erwerb einer Kommanditbeteiligung an Immobilienfonds sowohl auf ihre Sorglosigkeit in Bezug (ua) auf den sogenannten „Ausschüttungsschwindel“ als auch auf die unterbliebene Information über die Innenprovisionen zurückzuführen war, diese die Anlage also sowohl bei Kenntnis des „Ausschüttungsschwindels“ als auch bei Kenntnis über die Innenprovision nicht erworben hätten, ein (gleichteiliges) Mitverschulden angelastet (2 Ob 99/16x; 7 Ob 95/17x; vgl auch 10 Ob 58/16a, in der die Frage des Aufklärungsfehlers über die Innenprovision noch offen blieb [ablehnend Kepplinger, ZFR 2017/244]). Begründend wurde dazu – in Ablehnung von Kronthaler/Schwangler (Über „Innenprovisionen“ und verbotene „Kick-back-Zahlungen“ – Zugleich eine Besprechung von OGH 2 Ob 99/16x, VbR 2017/79 S 121) und Dullinger (Schadenersatzpflicht wegen Verschweigens der Innenprovisionen für die Vermittlung von Vermögensanlageprodukten, JBl 2017, 585 Pkt VII sowie dieselbe, Rechtsfolgen unterlassener Aufklärung über Kick-Back-Provisionen bei der Vermögensanlage in Leupold [Hrsg], Forum Verbraucherrecht 2017 33 ff Pkt IV. D.) – ausgeführt, dass das Verhalten des Geschädigten eine conditio sine qua non für den eingetretenen Schaden sein müsse. Es komme darauf an, welchen Anteil die Sorglosigkeit des Geschädigten gegenüber eigenen Gütern am Schadenseintritt und nicht an der vom Schädiger konkret zu vertretenden Aufklärungspflichtverletzung habe. Das Verhalten des erfahrenen und sachkundigen Anlegers, der im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligung entsprechende Unterlagen mit Risikohinweisen, etwa über die mögliche Verpflichtung zur Rückzahlung von Ausschüttungen, nicht gelesen habe, sei ebenfalls kausal für den Schaden, nämlich dem Erwerb einer nicht gewünschten Anlage (7 Ob 95/17x Pkt 10.2; vgl RS0129706 [T3]).
3.1. Nach der Rechtsprechung kommt eine Minderung der Haftung des Schädigers wegen Nichtbeachtens von Warnungen und Hinweisen durch den Geschädigten aber dann nicht in Betracht, wenn sich nur andere als jene Risiken, vor denen gewarnt wurde, verwirklicht haben (8 Ob 93/14f Pkt I.5.2. mwN; 2 Ob 99/16x Pkt A.2.4[c]; RS0102779 [T13]).
3.2. Im gegenständlichen Fall hätte der Kläger nach den bindenden Feststellungen die gegenständlichen Rechtsgeschäfte nicht abgeschlossen, hätte er gewusst, dass die Beklagte eine (Innen-)Provision bekommt. Dass der Kläger die gegenständliche Anlage auch dann nicht erworben hätte, wenn er von der Beklagten über weitere Umstände („Ausschüttungsschwindel“) und Risiken aufgeklärt worden wäre, wurde hingegen nicht festgestellt. Somit liegt im gegenständlichen Fall nur ein die Haftung der Beklagten begründender Aufklärungsfehler vor. Eine ein Mitverschulden begründende Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten kann dem Kläger insoweit nicht vorgeworfen werden, weil keines der vom Kläger unterfertigten, aber nicht von ihm durchgelesenen Formulare einen Hinweis darauf enthielt, dass die Beklagte neben dem Agio eine weitere (Innen-)Provision erhält.
4. Die vom Berufungsgericht und vom Revisionswerber als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage muss hier nicht beantwortet werden. Den Entscheidungen 1 Ob 112/17b und 1 Ob 137/18f, in denen ausgeführt wurde, dass bei mehreren Beratungsfehlern eine Minderung des Schadenersatzes nur in Betracht komme, wenn das sorglose Verhalten des Geschädigten auch in Korrelation zum jeweiligen kausalen Aufklärungsfehler stehe, lagen keine mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalte zugrunde. Auf die von der Beklagten als fehlend gerügten Feststellungen zum weiteren Kenntnisstand des Klägers bei Erwerb der Anlage kommt es hier daher nicht an.
Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und das zur Gänze klagestattgebende Ersturteil in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der vom Kläger in seiner Berufung begehrte Zuschlag von 100 % gemäß § 21 Abs 1 RATG steht nicht zu. Rechtsfragen, zu denen – wie im vorliegenden Verfahren – umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht, sind keine solchen, deren Klärung nur mit einem überdurchschnittlichen anwaltlichen Arbeitsaufwand möglich wäre (RS0127685).
Textnummer
E125166European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00094.18S.0515.000Im RIS seit
06.06.2019Zuletzt aktualisiert am
27.11.2020