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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der ZS (geboren am 11. August 1955) in Dornbirn, vertreten durch Dr. Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Grabenweg 3a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. November 1995, Zl. Frb-4250/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. November 1995 gerichtet, mit dem die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsbürgerin, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen wurde.
Diese Entscheidung wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Beschwerdeführerin halte sich seit dem Jahr 1972 im österreichischen Bundesgebiet auf. Zuletzt sei ihr am 25. Februar 1992 ein bis zum 8. Oktober 1992 gültiger Sichtvermerk ausgestellt worden. Eine Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung darüber hinaus sei nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin halte sich somit seit dem 9. Oktober 1992 nicht mehr rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf.
Die Beschwerdeführerin habe sich vom Jahr 1972 bis zum Jahr 1992 rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Sie sei für eine minderjährige Tochter sorgepflichtig. Der Vater des Kindes sei unbekannten Aufenthaltes (die Beschwerdeführerin erhalte keinerlei Unterhaltszahlungen). Aufgrund des mehrjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin und ihres Kindes im Bundesgebiet und des damit verbundenen Integrationsgrades könne davon ausgegangen werden, daß durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin in ihr Privat- und Familienleben massiv eingegriffen werde. Dennoch sei die Ausweisung gerechtfertigt, da sie zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, aber auch zum Schutz des wirtschaftlichen Wohles des Landes dringend geboten sei. Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat nämlich von eminentem Interesse; dies in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunehme. Um den mit diesem Phänomen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, würden die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften an Bedeutung gewinnen. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Die Beschwerdeführerin sei insgesamt sechsmal wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtskräftig bestraft worden. Daraus sei ersichtlich, daß sie nicht gewillt sei, die Bestimmungen des Fremdengesetzes einzuhalten. Nach Ablauf der Gültigkeit ihres letzten Sichtvermerkes am 8. Oktober 1992 habe die Beschwerdeführerin keinen Antrag auf Verlängerung ihres Sichtvermerkes gestellt. Ihr sei aufgrund mehrerer Gespräche mit der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn bekannt gewesen, daß mangels eines gesicherten Lebensunterhaltes die Verlängerung abgelehnt worden wäre. Die Beschwerdeführerin habe von Juli 1989 bis Mai 1994 ihren Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe, insgesamt S 354.790,47 bestritten. Im April 1995 habe sie neuerlich die Gewährung von Notstandshilfe beantragt, welchem Antrag mit Bescheid des Arbeitsamtes Dornbirn vom 28. April 1995 keine Folge gegeben worden sei. Die Beschwerdeführerin habe ihre Berufung weiters damit begründet, daß sie über einen Befreiungsschein verfügte und einen zweiten Arbeitsplatz in Aussicht hätte. Sie sei daher von der belangten Behörde aufgefordert worden, einen Einkommensnachweis vorzulegen. Dieser sei innerhalb der gesetzten Frist jedoch nicht beigebracht worden.
In der vorliegenden Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht und begehrt, ihn deshalb aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. Nach dieser Vorschrift ist die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften darstellt. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 19 FrG zurückzutreten.
Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß bei Anwendung des § 19 FrG das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes stets höher zu bewerten wäre als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 19 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden kann. Wenn gemäß § 19 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, daß die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muß (vgl. die Hinweise bei Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht2, 1997, 563, und das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1997, Zl. 95/21/1144, mwN, sowie weiters etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. November 1995, Zl. 94/18/0904, vom 11. Juli 1996, Zl. 96/18/0180, und vom 8. Oktober 1997, Zl. 95/21/0943).
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil ihre Ausweisung gemäß § 19 FrG nicht zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele der öffentlichen Ordnung und des wirtschaftlichen Wohles des Landes dringend geboten sei. Sie halte sich seit dem Jahr 1972 in Österreich auf und habe hier am 8. Oktober 1989 ihre Tochter geboren, deren Vater unbekannten Aufenthaltes sei. Von 1972 bis 1989 habe sie stets gearbeitet. Für die Zeit vom 30. April 1991 bis zum 29. April 1996 sei ihr vom Arbeitsamt Dornbirn ein Befreiungsschein ausgestellt worden. Die Beschwerdeführerin sei nunmehr bei einem Unternehmen in Dornbirn als Reinigungsfrau beschäftigt. Die Beschäftigungsbewilligung gelte bis zum 30. April 1997. Zwar sei die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 10. November 1994 bis zum 20. April 1995 insgesamt sechsmal wegen unbefugten Aufenthaltes (auch ihrer Tochter) bestraft worden, doch ließe sich mit diesen Verwaltungsübertretungen durchaus nicht begründen, daß ihr Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung störe oder gefährde. Sie sei nämlich zum einen in den 23 Jahren davor nie straffällig geworden; zum anderen sei auch zu berücksichtigen, daß es einer alleinstehenden Frau mit einem kleinen Kind nach 23-jährigem Aufenthalt in Österreich nicht ohne weiteres zuzumuten sei, in das von Kriegswirren heimgesuchte Bosnien zurückzukehren. Zu bedenken sei auch, daß sie deshalb keinen Antrag auf Verlängerung ihres Sichtvermerkes gestellt habe, weil ein solcher nach Meinung der zuständigen Behörde ohnedies abgelehnt worden wäre. Soweit die belangte Behörde - offenbar unter dem Gesichtspunkt des "wirtschaftlichen Wohles des Landes" - ins Treffen führe, daß die Beschwerdeführerin vom Juli 1989 bis Mai 1994 den Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe bestritten hätte, hätte sie auch Feststellungen darüber treffen müssen, ob das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin zutreffe, daß sie durch die Geburt ihrer Tochter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und das Kind von ihr zu betreuen gewesen wäre. Sei dies nämlich anzunehmen, so könne ihr keinesfalls im Ausweisungsverfahren die Inanspruchnahme von Mitteln der Sozialhilfe als ein das wirtschaftliche Wohl des Landes beeinträchtigendes Verhalten angelastet werden.
Die Beschwerde ist begründet. Die belangte Behörde hat nämlich bei Anwendung des § 19 FrG in Verkennung der Rechtslage den privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin, die sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides 23 Jahre - davon 20 Jahre rechtmäßig - in Österreich aufgehalten, hier viele Jahre gearbeitet und ein Kind geboren hat, das sie zu betreuen hat, geringeres Gewicht beigemessen als dem öffentlichen Interesse daran, daß sie sich ohne Aufenthaltsberechtigung nicht im Bundesgebiet aufhalte.
Das wegen ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes von etwa drei Jahren für die Ausweisung sprechende öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Bereich der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden geltenden Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten wird durch die ausschließlich wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes erfolgten Bestrafungen der Beschwerdeführerin nicht wesentlich verstärkt. Gleiches gilt für den Bezug von Sozialhilfeleistungen durch die Beschwerdeführerin in Ansehung des öffentlichen Interesses am Schutz des wirtschaftlichen Wohles des Landes. Das von der belangten Behörde ins Treffen geführte öffentliche Interesse an der Eindämmung eines unübersehbar kontinuierlich zunehmenden Zuwanderungsdrucks ist hier ohne Belang.
Da die belangte Behörde sohin nicht zur Schlußfolgerung gelangen durfte, daß die Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 19 FrG für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz des wirtschaftlichen Wohles des Landes dringend geboten sei, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß neben dem in der angeführten Verordnung genannten Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand eine gesonderte Vergütung von Barauslagen nicht vorgesehen ist.
Wien, am 5. März 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996210526.X00Im RIS seit
20.11.2000