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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §39Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. April 2018, W163 2161298-3/3E, betreffend ersatzlose Behebung eines Bescheides gemäß § 57 FPG (mitbeteiligte Partei: V S, vertreten durch die Österreichische Flüchtlings- und MigrantInnenhilfe in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 29/409), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 26. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12. Mai 2017 zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem wurde dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Indien zulässig sei. Schließlich wurde ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 14. September 2017 als unbegründet ab.
3 Der Mitbeteiligte wurde sodann am 7. März 2018 von einem Organwalter des BFA niederschriftlich (u.a.) zur Frage der Erteilung einer sogenannten "Wohnsitzauflage" vernommen. Daran anschließend wurde ihm mit Bescheid des BFA vom selben Tag gemäß § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig in einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung Unterkunft zu nehmen; dieser Verpflichtung habe er unverzüglich nachzukommen. Unter einem sprach das BFA gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG aus, dass die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen werde.
4 Der vom Mitbeteiligten dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde hat das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. April 2018 gemäß § 28 Abs. 2 VwGG stattgegeben und den Bescheid des BFA vom 7. März 2018 ersatzlos behoben. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die (ordentliche) Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Diesen Zulässigkeitsausspruch begründete es damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur der Frage fehle, ob der Wortlaut des § 57 Abs. 6 FPG - wie das BVwG meint - zwingend die Erlassung eines Mandatsbescheides verlange oder ob der Behörde - wie das BFA meint - insofern aufgrund des Verweises auf § 57 AVG lediglich eine entsprechende Befugnis eingeräumt werde.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens und Vorlage der Akten durch das BVwG (§ 30a Abs. 4 bis 6 VwGG) - der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:
6 Die Revision ist aus dem vom BVwG genannten Grund, auf den sich das BFA in der Zulässigkeitsbegründung bezieht, unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
7 Der Bescheid des BFA vom 7. März 2018 stützt sich auf § 57 FPG in der seit 1. November 2017 geltenden Fassung des FrÄG 2017, wobei die mit dem FrÄG 2018 per 1. September 2018 vorgenommenen Änderungen im Abs. 5 vorliegend außer Betracht bleiben können. Diese Bestimmung lautet unter der Überschrift "Wohnsitzauflage" auszugsweise wie folgt:
"§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn
1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder
2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß
§ 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.
(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige
(...)
(3) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Anordnung zur Außerlandesbringung rechtskräftig erlassen wurde, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige der Ausreise nicht nachkommen wird. Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob
(...)
(4) (...)
(5) (...)
(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."
8 Gemäß § 56 AVG hat der Erlassung eines Bescheides, außer es handelt sich (u.a.) um einen Bescheid nach § 57 AVG, grundsätzlich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nach den §§ 37 und 39 AVG voranzugehen. Nach dem angesprochenen § 57 AVG ist die Behörde demgegenüber ausnahmsweise berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren (u.a.) dann zu erlassen, wenn es sich bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt (Abs. 1). Gegen einen solchen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden, der in dieser Konstellation (Gefahr im Verzug) keine aufschiebende Wirkung zukommt (Abs. 2). Die Behörde hat allerdings binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt (Abs. 3).
9 Unter Bedachtnahme auf diese Regelungen wird der Abs. 6 des § 57 FPG in den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien (2285/A 25. GP 68 f) wie folgt erläutert:
"Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand ‚Gefahr in Verzug' maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig.
Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). (...) Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist.
Gleiches ist gerechtfertigt anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige Handlungen setzt oder gesetzt hat, welche den Schluss zulassen, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, er über seine Identität, Herkunft oder Reiseroute getäuscht oder zu täuschen versucht hat oder eine Überstellung bereits verhindert hat. Diesbezüglich wird auf die Erläuterungen in Abs. 2 und 3 verwiesen."
10 Vor diesem rechtlichen Hintergrund vertrat das BVwG im angefochtenen Erkenntnis die Auffassung, anders als die im § 57 Abs. 1 AVG formulierte, im Ermessen der Behörde liegende Berechtigung normiere § 57 Abs. 6 FPG zwingend (arg: "ist") die Anordnung einer Wohnsitzauflage mit Mandatsbescheid. Demzufolge gelte die zu § 57 AVG vertretene Ansicht, dass die rechtswidrige Nichterlassung eines Mandatsbescheides "für die Partei des Verwaltungsverfahrens insofern nicht von Bedeutung sein kann, als sie keinesfalls die Rechtmäßigkeit eines erst nach Durchführung eines Ermittlungsverfahren erlassenen Bescheides beeinträchtigen kann", für § 57 FPG nicht. Die im vorliegenden Fall in Beschwerde gezogene Erledigung des BFA sei jedenfalls nicht als Mandatsbescheid iSd § 57 AVG, sondern als "ordentlicher" Bescheid iSd § 56 AVG zu qualifizieren. Da § 57 Abs. 6 FPG jedoch nur "zum Erlass" eines Mandatsbescheides eine gesetzliche Grundlage biete, sei der vom BFA erlassene Bescheid vom 7. März 2018 gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben.
11 Dieser Auffassung wird in der Amtsrevision entgegen getreten, wobei unbestritten bleibt, dass der Bescheid des BFA vom 7. März 2018 nicht als Mandatsbescheid iSd § 57 AVG, sondern als ein nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ergangener "ordentlicher" Bescheid iSd § 56 AVG anzusehen ist.
12 Es besteht kein Zweifel, dass die Regelung des § 57 Abs. 6 erster Satz FPG seinem Wortlaut entsprechend dahin zu verstehen ist, dass die Wohnsitzauflage mit Mandatsbescheid anzuordnen ist, weil der Gesetzgeber, wie sich den oben in Rn. 9 zitierten Erläuterungen entnehmen lässt, davon ausgeht, dass in allen Fällen der Zulässigkeit einer Wohnsitzauflage die Voraussetzungen nach § 57 AVG - Gefahr im Verzug wegen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit - gegeben sind. Insofern ist dem BVwG beizupflichten. Die Frage ist jedoch, ob diese Norm auch intendiert, ihre Missachtung habe zur Folge, dass ein trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erlassener "ordentlicher" Bescheid allein deshalb rechtswidrig und vom BVwG ersatzlos zu beheben ist. Das ist zu verneinen.
13 Zu Recht sieht es das BFA in der Amtsrevision nämlich als "merkwürdig" an, dass das BVwG wegen "Verletzung" der Bestimmung des § 57 Abs. 6 FPG den "ordentlichen" Bescheid aufhebt, um der Behörde den Weg zur Erlassung eines Mandatsbescheides "freizumachen". Dagegen müsste die Partei zunächst Vorstellung erheben und die Behörde dann (nach einem Ermittlungsverfahren) einen Vorstellungsbescheid erlassen, gegen den erst danach mit Beschwerde das Verwaltungsgericht angerufen werden könnte. Es stelle sich daher - so die Amtsrevision - die Frage der Rechtsverletzungsmöglichkeit iSd Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn das BFA die Wohnsitzauflage in Form eines "ordentlichen" Bescheides anstelle eines Mandatsbescheides anordne.
14 Das hat der Verwaltungsgerichtshof in einem Schubhaftfall im Ergebnis ebenso gesehen (siehe VwGH 31.8.2006, 2004/21/0133). Der damals geltende § 61 Abs. 2 FrG 1997 ordnete inhaltsgleich zum aktuell geltenden § 76 Abs. 4 FPG an, dass Schubhaft mit gemäß § 57 AVG zu erlassendem Mandatsbescheid anzuordnen "ist", es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. In dem dem genannten, auch in der Amtsrevision ins Treffen geführten Erkenntnis zugrunde liegenden Fall hatte der Beschwerdeführer der Sache nach bemängelt, es hätte festgestellt werden müssen, ob er sich bei der Schubhaftanordnung tatsächlich "nicht bloß kurzfristig in Haft" befunden habe. Diesem Einwand erwiderte der Verwaltungsgerichtshof jedoch, es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich der Beschwerdeführer dadurch, dass die Schubhaftanordnung nicht mittels nach § 57 AVG erlassenen Mandatsbescheides erfolgte, in Rechten verletzt erachte.
15 Das gilt auch für die vorliegende Konstellation, in der nicht zu sehen ist, dass der Mitbeteiligte durch die Anordnung der Wohnsitzauflage nach seiner Vernehmung mit "ordentlichem" Bescheid, der sofort mit Beschwerde an das BVwG bekämpfbar war, und nicht mit Mandatsbescheid, gegen den nur eine (jedenfalls) keine aufschiebende Wirkung habende Vorstellung an das BFA erhoben hätte werden können, in subjektiven Rechten verletzt wurde. Das hat der Mitbeteiligte in seiner Beschwerde so auch nicht geltend gemacht. Parteibeschwerden iSd Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG sind vom Verwaltungsgericht jedoch nur insoweit zu prüfen, als die Frage einer Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten Gegenstand ist (siehe dazu aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 25.10.2018, Ra 2018/09/0110, Rn. 13, mwN).
16 Angesichts dessen hätte das BVwG den nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erlassenen "ordentlichen" Bescheid des BFA vom 7. März 2018 nicht aus Anlass der Beschwerde ersatzlos beheben dürfen, sondern die Beschwerde einer inhaltlichen Erledigung zuführen müssen. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 4. April 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018210008.J00Im RIS seit
18.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.06.2019